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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Bodu Offline




Beiträge: 81

20.02.2019 19:58
"Adieu Karl, Du warst ein Genie der Modewelt" Antworten

Wenn einer von sich behauptet, er besitze 300 000 Bücher, und er wisse von jedem einzelnen, wo es stehe, dann ist er entweder ein Genie oder ein Scharlatan. Wer als Scharlatan so berühmt ist, dass es auf einem spontan aufgestellten Werbeträger vor einem Modegeschäft in der Fußgängerzone einen kleinen Nachruf auf ihn gibt, der ist ein Genie. Also hilft es nichts, und der Mann ist in jedem Fall ein paar Zeilen wert.

Genie oder Scharlatan, Beau oder Dandy, schwarz oder weiß: So wie er sich zu inszenieren pflegte, könnte er beides gewesen sein. "Text und Textilien gehören zusammen, denn bei beiden geht es um ausgefeilte Gewebe, um Linien, Muster und Oberflächen." So oder so ähnlich stellte der Ausnahmekünstler eine Beziehung her zwischen Geist und Materie, zwischen Schreib- und Nähmaschine, zwischen Tiefsinn und Oberflächlichkeit.

"Versuchen Sie nicht, hinter meine Oberfläche zu schauen, denn Sie werden nichts finden." Wieder so ein schillernder Satz: Pure Oberflächlichkeit oder tiefsinnigste Selbstinszenierung?

Kein Abitur, las aber in drei Sprachen;
Vornamen, wie sie deutscher kaum gehen, lebte aber als Kosmopolit in Paris;
zwei hochpreisige Cabriolets zu Schrott gefahren, seitdem fuhr er nur noch Rolls Royce, als Beifahrer, denn er ließ sich dabei von zwei Fahrern chauffieren. Gefragt, waum zwei? "Natürlich zwei, denn einer kann ja nicht rund um die Uhr arbeiten."

Schlagfertig wie Thomas Gottschalk, und doch als wären die beiden Antipoden: Der erstere katholisch sozialisiert, Ministrantenkarriere, Familienmensch. Der letztere ein absoluter Einzelgänger, so unkirchlich, dass er nicht einmal gegen die Kirchen polemisiert, sondern schlicht sagt: Hiervon habe ich keine Ahnung; für den beispielsweise Heimat immer genau dort ist, wo ER sich gerade befindet, denn es ist, so es sie überhaupt gibt, ja SEINE Heimat: Das Ich gewinnt.

Hierfür steht ein Schnappschuss, der aus technischen Gründne hier nicht abgebildet werden kann: Ein Zeitungsständer, ein Blatt über dem anderen, auf dem untersten pranngt die Schlagzeile: Das Ich zuerst. Alle anderen darüber bieten ein Photo vom Modezar und einem würdigenden Beisatz. Das Ich als Fundament, der Rest dreht sich alles um IHN. Und um doch noch einen konstruktivistischen Gedanken einzubringen: Was würdest Du gerne aus Deinem Ich machen? Wenn sich einer sein Leben selbst zusammen konstruiert hat, dann der Mann mit dem kaiserlichen Doppelnamen. Doch nun musste auch er, der scheinbar unsterbliche Modeschöpfer, vor seinen Schöpfer treten.

Immerhin: Wievielen seiner Zeitgenossen gelang es, ihren bürgerlichen Namen zur Marke zu machen?

So könnte dieser Text unendlich weitergehen:
Welches Detail aus Karl Ottos Leben auch ins Wort gehoben würde, es fände sich stets ein dialektischer Gegenpol, der das eben geschriebene schon wieder in Frage stellt.
Alte Zöpfe gehören abgeschnitten? Bei ihm stand der Zopf für die Speerspitze der Avantgarde.
Einer der reichsten in der Branche? Er behauptete, nicht zu wissen, wieviel er besaß, es sei nicht wichtig. Denn:
Es sei ihm immer um Kunst gegangen. Aber: Entwürfe aus Plastik (und das im Bio- und Naturzeitalter!), dafür mit kunstvollen Stickereien. Der wandelnde Widerspruch.

Bleibt die bohrende Frage: Genie oder Scharlatan? Hochbegabt oder Hochstapler? Ein Modezar, der seines gleichen sucht? Oder ging es eben doch stets um nichts anderes, als um des Kaisers neuen Kleider?

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