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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 7 Antworten
und wurde 720 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

26.04.2019 01:01
A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Johanes Offline




Beiträge: 2.641

27.04.2019 14:14
#2 RE: A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten

Die Grundidee der Robinsonade ist eigentlich genial einfach, wie so viele große Ideen: Ein Mensch, auf sich allein gestellt auf einer einsamen Insel. Direkt in Auseinandersetzung mit der Natur und sich selbst. Ohne Gesellschaft.

Es ist klar, was dieser Geschichte ihren Reiz gibt. Wahrscheinlich konnte dieser Reiz erst aufkommen, nachdem die Gesellschaft größer und bevölkerungsreicher wurde.



Die neuste Umsetzung einer Robinsonade scheint mir der Kinofilm "der Marsianer" zu sein. Mag nicht besonders kreativ sein, versetzt die Grundidee aber sehr schön in die neue Zeit.

Der Scifi-Autor Lem hat übrigens den Entwurf zu einer neuen Robinsonade geschrieben:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_vollko...ren_Rezensionen
Eigentlich gibt es in dieser fiktiven Rezension mehrere Entwürfe. Kennzeichnend ist, dass Lem darin die Story auf andere Art und Weise in die neue Zeit heben will, etwa das Sexualleben (Freud lässt natürlich grüßen) des Robinson in einem neueren Adaption usw.

Ich bin sicher im gewaltigen Reiche der Kurzgeschichten und eher unbekannten Romane wird es jede Menge Versionen geben.

Gruß

Johanes.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

29.04.2019 10:42
#3 RE: A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten

Abgesehen von der neuartigen Erzählform: Kann die Faszination des Robinson vielleicht auch darauf beruhen, daß den Städtern dieser Zeit allmählich bewußt wurde, wie sehr sie schon abhängig waren von der arbeitsteiligen Zivilisation und daß sie ein Überleben in der reinen Natur, ohne Hilfe und moderne Hilfsmittel, vielleicht gar nicht mehr aus eigener Kraft schaffen würden?

Ich könnte mir vorstellen, daß dieselbe Geschichte noch einige Generationen vorher gefloppt hätte - weil die Leser durchaus noch bewußt war, daß Natur in erster Linie nicht romantisch, sondern gefährlich und unbequem ist und daß diese überhaupt keine Lust gehabt hätten, das noch als Buch zu lesen.

Florian Offline



Beiträge: 3.180

29.04.2019 13:15
#4 RE: A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten

Als ich Robinson Crusoe gelesen habe, habe ich mich übrigens immer gewundert, wie doof sich der zum Teil angestellt hat.

Ein Beispiel:
Die Insel, auf der er festsitzt ist ja nicht besonders groß. Man kann sie glaube ich in einem Tag locker umrunden.
Und doch dauert es mehrere Jahre (!) bis Crusoe das tatsächlich macht. Und dabei feststellt, dass das Festland von der anderen Inselseite aus in Sichtweite ist.
Wäre das nicht ein plausibler erster Schritt gewesen, um die eigenen Optionen zu prüfen?
Und nicht etwas, was man erst nach Jahren mal angeht?

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

29.04.2019 22:44
#5 RE: A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #3
Abgesehen von der neuartigen Erzählform: Kann die Faszination des Robinson vielleicht auch darauf beruhen, daß den Städtern dieser Zeit allmählich bewußt wurde, wie sehr sie schon abhängig waren von der arbeitsteiligen Zivilisation und daß sie ein Überleben in der reinen Natur, ohne Hilfe und moderne Hilfsmittel, vielleicht gar nicht mehr aus eigener Kraft schaffen würden?

Ich könnte mir vorstellen, daß dieselbe Geschichte noch einige Generationen vorher gefloppt hätte - weil die Leser durchaus noch bewußt war, daß Natur in erster Linie nicht romantisch, sondern gefährlich und unbequem ist und daß diese überhaupt keine Lust gehabt hätten, das noch als Buch zu lesen.



Ganz kurz... Die Genese literarischer Genres (und Formen) ist ein weites Feld, opak und absolut diffus. Und die Bedingungen, die hier hereinspielen, lassen sich kaum herausarbeiten. Es gibt immer auch zig Vorläufer, in denen alle Elemente präsent sind, die aber nicht zu einer Initialzündung geführt haben: also zu zahllosen Variationen und Nachbildungen.* Für das "Ausgesetztsein auf der Insul" gibts im Englischen ein (zumindest bei Lesern/Spezialisten fürs 17. Jhdt.) bekanntes Beispiel: The Isle of Pines, von Henry Neville, von 1668. Wenn man um die Erscheinungsdaten nicht weiß, liest sich das wie eine frivole Parodie auf Defoe. Das Buch ist nicht lang, gut 50 Seiten. Der schiffbrüchige Erzähler findet mit vier Frauen dort wieder & ist, wie in den Sex-Parodien der 60er, mit nichts anderem als dem einen beschäftigt. Weil die Nachkommen das auch so halten, schafft er es, das Eiland in 50 Jahren mit einer Tausendschaft zu bevölkern. (Was mich wunder nimmt, ist, daß das Ding noch keiner als Inspiration für Casanovas Icosameron verbellt hat, das exakt nach demselben Muster verfährt, nur ins Erdinnere verlegt; übrigens beide, bei Messer Giacomo vielleicht überraschend, komplett unfrivol; der Icosameron ist nebenbei komplett unlesbar, alle 5 Bände und 2200 Seiten, Casanova hat für den Druck in Prag zwei vollständige Jahresgehälter als Bibliothekar auf den Kopf gehauen. Und er hat Neville mit absoluter Sicherheit nicht gekannt.) Die "Entdeckung der Einsamkeit" dürfte sich, letzten Endes, aus der bukolischen Tradition herleiten, die ist ja in Europa seit Mitte des 16. Jhdts ausgiebig gepflegt worden.

Die andere Quelle, die da hinzutritt (deswegen hab ich den Puritanismus als Stichwort en passant erwähnt), ist ein anderes literarisches Genre: das puritanische Seelentagebuch, also die Rechnungslegung Tag für Tag und Jahr um Jahr über den eigenen Lebensablauf, die Verfehlungen und Sünden, Anfechtungen und das vor der Folie der Maßgaben der Bibel oder, eher, des Katechismus. Diese Schiene merkt man dem Robinson (jedenfalls in Originalform, nicht in den Bearbeitungen für die mehr-oder-minder reifere Jugend, die diese Dimension eher rauskürzen) auf jeder Seite an. (Bei dem - wirklichen - bekanntesten englischen Tagebuch der Zeit, dem von Samuel Pepys, sieht man das in den bemühten, zweifelnden Selbstbefragungen zu jedem Jahreswechsel; nur daß Pepys den frommen Vorsatz die restlichen 364 Tage über völlig hintanstellt.) Die spiritual autobiography wird ein ziemlich gut gefügtes kleines Genre im Lauf des 17. Jhdts., im Deutschen setzt das 70-80 Jahre später ein, aber Ulrich Bräker etwa oder der Anton Reiser sind hier klassische Beispiele. Bei Defoe spielt das nur für den Robinson, der sein erster Roman war, eine Rolle: die späteren Romane, der Captain Singleton, Moll Fanders, Roxana kennen das nicht mehr; auch nicht die Fortsetzung zum Robinson. Alberto Manguel hat in seinem Essay zur "Bibliothek Robinson Crusoes" darauf hingewiesen; daß Robinson einen ganzen Arm voll Bücher vom Schiff rettet, "popish prayer-books, Portuguese romances and three very good bibles" - und die, bis auf die Bibel, nie wieder erwähnt, nicht mal in der Liste seiner Besitztümer, die er anlegt, als der die Insel nach 30 Jahren verläßt, während die Bibel von A bis Z seinen Tages und Jahresablauf unterfüttert.

Ich hab' hier übrigens gerade die beiden einschlägigen Titel zum Thema neben der Tastatur liegen, die ich am Donnerstag nicht mehr aus unserer Unibibliothek besorgen konnte, und die von eigentlichen Thema auch etwas weit ab geführt hätten: G. A. Starr, Defoe and Spiritual Autobiography (Princeton University Press, 1965), wo er auf den ersten 50 Seiten die nicht-fiktionale Entwicklung des Genres nachzeichnet und sich auf den Seiten 51 bis 73 mit "The Transition to Fiction" beschäftigt und Defoes religiösen Hintergrund herausarbeitet; und J. Paul Hunters The Reluctant Pilgrim: Defoe's Emblematic Method and Quest for Form in Robinson Crusoe (The John Hopkins Press, 1966), wo er "Spiritual Biography" als Kapitel 4, S. 76-93 behandelt.


PS *Das findet sich querbeet in allen Bereichen kultureller Umtriebigkeit, scheint also systemisch eingebaut. Welches ist die "erste Oper"? Monteverdi, Il Ritorno di Ulisse in Patria? Liest man überall, aber das "Genre Oper" zündet 50 Jahre lang nicht. Die erste Rock'n'Roll-Platte? Die Populisten nennen sofort "Rock Around the Clock", die Puristen den "Rocket '88" drei Jahre vorher, und jeder, der im Swing oder Western Swing der 40er gräbt, kann bis zurück zu 1941 etliches ausgraben, das ohne Zweifel dazugehört. Solche Ahnenreihen lassen sich fast ad libitum nach hinten verlängern. Was bitte, waren der späte Turner oder der späte Goya anderes als eindeutige Impressionisten?



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Xanopos Offline



Beiträge: 217

30.04.2019 08:22
#6 RE: A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #4
Als ich Robinson Crusoe gelesen habe, habe ich mich übrigens immer gewundert, wie doof sich der zum Teil angestellt hat.

Ein Beispiel:
Die Insel, auf der er festsitzt ist ja nicht besonders groß. Man kann sie glaube ich in einem Tag locker umrunden.
Und doch dauert es mehrere Jahre (!) bis Crusoe das tatsächlich macht. Und dabei feststellt, dass das Festland von der anderen Inselseite aus in Sichtweite ist.
Wäre das nicht ein plausibler erster Schritt gewesen, um die eigenen Optionen zu prüfen?
Und nicht etwas, was man erst nach Jahren mal angeht?


Das ist ein Dilemma. Geht man davon aus auf einer einsamen unbewohnten Inseln gestrandet zus ein, sind Nahrung, Trinkwasser (ist die Insel zu klein, gibt es womöglich gar keine Süßwasserreserven) und ein Unterschlupf das dringendste Problem. Andererseits könnte man auch auf einer bewohnten Insel gestrandet sein, aber auch dann könnten die Einwohner nicht unbedingt gut auf Neuankömmlinge zu sprechen sein.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

30.04.2019 15:02
#7 RE: A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #5
Die Genese literarischer Genres (und Formen) ist ein weites Feld, ...

Sicher. Spannend ist dabei für mich auch weniger "wann war das erste Mal", sondern "wann hat das Beachtung gefunden".
Der Neville wäre ja wohl ohne Defoe völlig uninteressant, weil eben nicht Genre-prägend.

Wobei ich bei Robinson als Genre weniger die Elemente "Insel" oder "puritanische Selbstreflexion" im Vordergrund sehe (letztere kann ja wohl auch schadlos rausgekürzt werden) sondern eben das Thema "Zivilisationsmensch zurückgeworfen auf die bloße Natur". Weitgehend ohne Hilfsmittel der Umwelt das Lebensnotwendige abzutrotzen - das scheint Defoes Leserschaft fasziniert zu haben.
Und meine Vermutung ist, daß noch wenige Generationen vorher (oder auch gleichzeitig irgendwo auf dem Land) genau dieser Aspekt so dicht dran am realen Leben gewesen wäre, daß sie nicht mit demselben Genuß darüber hätten lesen wollen wie die vergleichsweise dekadenten Londoner.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

30.04.2019 15:09
#8 RE: A forlorn footprint in the sand. Vor 300 Jahren erschien "Robinson Crusoe" Antworten

Zitat von Xanopos im Beitrag #6
Geht man davon aus auf einer einsamen unbewohnten Inseln gestrandet zus ein, sind Nahrung, Trinkwasser (...) und ein Unterschlupf das dringendste Problem.

Absolut. Aber wirklich gleich als nächste Priorität (also wohl schon nach einigen Tagen) gehört die Erkundung der Umwelt.
Da bin ich völlig bei Florian - es ist ziemlich unverständlich, die Insel erst nach einigen Jahren zu erforschen.
Über die Existenz anderer Menschen zu wissen ist existentiell. Denn im Zweifelsfall ist eine Begegnung früher oder später unvermeidlich, wenn man eine solche nicht will, muß man erst recht erkunden um ausweichen zu können - je mehr man über die Art und Absichten solcher Menschen in Erfahrung bringen kann desto besser.
Auch sonst kann Erkundung wichtige Informationen über neue Chancen oder Risiken bringen. Bis hin eben zur Information, daß das möglicherweise rettende Festland in Reichweite liegt.

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