ich habe zu diesem Artikel gleich zwei Anmerkungen: 1. Aus dem Artikel: "Und bevor es das Internet und Blogger gab, gab es Freizeit- und Amateur-Autoren, die auf eigene Regie, mit vergleichsweise schlichten bis primitiven Mitteln ihre Texte unter Umgehung der "professionellen" Verlagshäuser Gleichgesinnten über das persönliche Mittel des Briefes hinaus zukommen ließen. Im englischen Sprachbereich sind Vereinigungen zu diesem Zweck seit fast 150 Jahren, seit Mitte der 1870er Jahre, als "APA" bekannt, als Amateur Press Association, die Mitgliedern gegen einen Jahresbeitrag (oder eine anteilige Kostenbeteiligung nach dem gelieferten Seitenumfang) die Möglichkeit gibt, Vorlagen einzusenden, sie - in früheren Jahrzehnten über Matrizen, Umdruck oder Offsetverfahren vervielfältigen zu lassen und sie als Paket mit den Beiträgen anderer Mitglieder gesammelt in regelmäßigem Turnus zugeschickt zu bekommen."
Diese Idee halte ich für recht interessant und vielleicht gar nicht so überholt wie man denken könnte. In Zeiten, in denen die Überwachung und Kontrolle des Internets immer enger wird und selbst selbsternannte "Liberale" und "Demokraten" offen über eine Zensur des Netzes reden, sollte man solche "altmodischen" Techniken wieder in Erinnerung rufen. Das Ziel scheint nach meinen Begriffen ein Internet zu sein, dass nur noch als Shoppingkanal und als Übermittlungsvorrichtung für ohnehin aktive Medienplayer dient. Der einfache Nutzer wird damit auch im "Mitmachmedium" wieder auf die Rolle des Konsumenten beschränkt. Wobei man hier selbstredend fragen muss, wer hier wen konsumiert. Mit einem Fotokopierer von heute wäre die Herstellung solcher Briefnetze ohne Probleme möglich und durch das Briefgeheimnis überdies geschützt. Klar, der Informationsfluss würde verlangsamt. Aber für aktuelle Nachrichten gibt es ja schon entsprechende Einrichtungen, nur für Hintergrundberichte, Meinungen usw. würden sich damit neue Foren eröffnen.
Es ist schon seltsam, wie der Fortschritt manchmal an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt.
2. Dass Lovecraft quasi als "Blogger" angefangen hat, weckte bei mir eine Assoziation. Vielleicht möchte sie @Ulrich Elkmann kommentieren? Auch über Kierkegaard hieß es: "Kierkegaard ließ seine Werke ausnahmslos auf eigene Kosten drucken, so dass er von Verlagen völlig unabhängig war." Quelle: https://de.wikipedia.org/w/index.php?tit...oldid=193536091
Sowohl bei K. als auch bei L. lässt sich meines Erachtens ausmachen, dass beide Autoren in erster Linie nicht für ein Lesepublikum schrieben, seien es die Massen auf den Markt für den Buchhandel oder die Intellektuellen mit ihren Bibliotheken, sondern für sich selbst. Deshalb beschäftigt sich ihre Literatur auch mit Themen aus ihren Leben und nicht mit dem, was damals Zeitgeist war oder womit sich als Skandalautor GGGeeld verdienen ließ. So eine Unabhängigkeit kann man sich als Autor natürlich nur erlauben, wenn man nicht selbst davon leben muss.
Abgesehen davon scheint L. "cosmic horror" heute durch den "climat horror" ersetzt worden zu sein. Natürlich zum Vorteil von uns allen.
Ich greife nur das "Interessant" von Frank auf, wie es mir in die Augen stach, noch bevor Johanes ergänzte und den Kontext weitete.
Es schien mir bis dahin undenkbar, etwas "interessant" zu finden, was so offensichtlich gegen jede gute Sitte von einem Autor des "kleinen Zimmers" zu diesem "besetzten" Zeitpunkt in den Vordergrund gespielt wurde. Weder ist "Halloween" prägend dafür gewesen, dass weltweit die Christenheit ihre Heiligen, Lebende wie Tote, am 1. November feierte. Das "Toten"gedenken am 2. November ist eine spätere Ausprägung des Festes und verstellt eher das zentrale Anliegen des Allerheiligenfestes. "Am heutigen Tag feiert die Kirche ihre Würde als »Mutter der Heiligen, Abbild der himmlischen Stadt« (A. Manzoni) und zeigt ihre Schönheit als unbefleckte Braut Christi, Quelle und Vorbild jeder Heiligkeit. Gewiß fehlen in ihr widerspenstige, ja geradezu rebellische Söhne und Töchter nicht, aber die ihr eigenen Wesenszüge erkennt sie in den Heiligen, und an ihnen hat sie ihre höchste Freude." So Papst Benedikt in seiner kurzen Predgt zur Feier des Allerheiligenfestes am 1. Nov. 2006. Nüchtern fragt Benedikt nach: "Aber »wozu dient den Heiligen unser Lob, wozu unsere Verherrlichung, wozu dieses ganze Hochfest«? Mit dieser Frage beginnt eine berühmte Predigt des hl. Bernhard zum Allerheiligenfest. Es ist eine Frage, die man sich auch heute stellen könnte. Und aktuell ist auch die Antwort, die uns der Heilige gibt: »Die Heiligen brauchen unsere Ehren nicht. Unsere Frömmigkeit gibt ihnen nichts. … Ich gestehe, daß mich starkes Verlangen erfaßt, wenn ich das bedenke« (Disc. 2; Opera Omnia Cisterc. 5,364ff.). Das also ist die Bedeutung des heutige Hochfestes: durch den Blick auf das leuchtende Vorbild der Heiligen in uns das große Verlangen zu wecken, wie die Heiligen zu sein, also glücklich darüber zu sein, nahe bei Gott zu leben, in seinem Licht, in der großen Familie der Freunde Gottes. Ein Heiliger zu sein bedeutet, nahe bei Gott, in seiner Familie zu leben. Und das ist unser aller Berufung, die das Zweite Vatikanische Konzil nachdrücklich betont hat und auf die heute in feierlicher Form unsere Aufmerksamkeit gelenkt wird."* - Ohne jeden ersichtlichen Anknüpungspunkt wird UE investigativ tätig und vertieft sich lang und breit in Nachdichtung. Boring!**
Der WDR hatte am Vormittag des Allerheiligenfestes nicht jedermann zur Liturgie des Allerheigenfestes eingeladen. Aber den Gläubigen wie den (lediglich) Kulturbeflissenen bot er das "Te deum" von Anton Bruckner zum Mithören an. Man konnte erleben, wie in der Stunde des Gotteslobs die Erde gleichsam musikalisch erbebte.
Zitat von Simon im Beitrag #4Es schien mir bis dahin undenkbar, etwas "interessant" zu finden, was so offensichtlich gegen jede gute Sitte von einem Autor des "kleinen Zimmers" zu diesem "besetzten" Zeitpunkt in den Vordergrund gespielt wurde.
Das verkennt die Natur dieses zugegeben wirklich nicht hochkulturellen Beitrags. Es handelt sich nämlich, außer im neopaganen Sinn in der Tradition der 19. Jahrhunderts, um keine Bezugnahme auf christliche Prägungen. (Das ist ja nun auch der Kern- und Angelpunkt bei Halloween, das natürlich, in seiner ursprünglich irisch-schottischen Ausprägung, alte heidnische Jahreszeitenbräuche anklingen läßt; Synkretismus prägt ja die christliche Folklore von A bis Z, gerade auch im keltischen Bereich.) Hier geht es, gerade bei diesem Autor, um etwas völlig Konträres. Lovecraft, der sich als Erbe Poes sah - das merkt man dem Gedicht ja in jeder Zeile an - steht hier mit ihm in der Tradition der "schwarzen Romantik" des 19. Jahrhunderts. Die Bezugnahmen wären etwa Baudelaire, oder aber, höchst konkret auf Lovecrafts Lesebiographie, etwa Arthur Machen. Wenn man einmal die Histrionik der Gruselelemente wegkürzt, bleibt eine Evozierung des Nihilismus, der Vergänglichkeit alles Seienden, ohne jede Hoffnung auf Erlösung. Lovecraft verstand sich als militanten Atheisten. Die Gestalten, die in seinen Texten zur sinnfälligen Illustration des "cosmic horror" auftreten (meistens unbeschreibbar) stehen symbolisch zur die absoluten Bedeutungslosigkeit der menschlichen Existenz angesichts eines chaotischen Kosmos, der kein Ziel, keinen Sinn hat und in dem die menschliche Existenz ein sinnloser Zufall ist, von dem nichts bleiben wird. Jegliche religiöse Hoffnung ist eine kindische Illusion, und, in seinen Augen, ein sacrificium intellectus, das die falschen Verprechungen der ernüchternden Erkenntnis vorzieht. (Bei HPLs Histrionik kommt einen bei solcher Beschwörung des Stoizimus immer ein Lächeln an, ich kann aber gerne Dutzende von Brief- und Essaystellen genau dieses Inhalt zitieren.)
Und diese schwarze Romantik (zu der eben auch das Operieren mit dem literarischen Tropoi des Schreckens - ob nun virtuos wie bei Algernon Blackwood oder als Klamauk mit eben bei den Halloween-Maskierungen) gehört eben AUCH zum integralen kulturellen Erbe des Westens. (Und nicht nur dort: die japanische und chinesische Trivialkultur haben auch ihre Monstren, und nicht erst seit 80 Jahren.) Es ist oft betont worden, daß die Wurzel des Horrors als trivialkulturelle Erscheinung der ästhetischen Entgiftung des an-sich Unerträglichen ist. Daß sie, auf welch schlichte Weise auch immer, dem Entsetzlichen, und zwar in kanalisierter Form, Zugang gewährt, statt dieses Element menschlicher Existenz kategorisch auszugrenzen. Das trifft die Sache nicht vollständig. Aber dieser Strang, des Irreverenten, zumal auch des Blasphemischen, ist eine Facette, ohne die unsere moderne Tradition unvollständig ist. Daß Halloween zum billigsten Mummenschanz verkommen ist, läßt sich nicht abändern. Man sollte aber eben nicht übersehen, daß dieses Kaspertheater mit irgendeiner religiösen Aufladung nichts, schlicht gar nichts zu tun hat: so wenig, wie die Scharaden von roten Kostümen und Jahresendmärkten mit dem Kerngehalt der Geburt des Erlösers und der Erlösung der Welt, sowenig wie bunte Eier, die der Hase versteckt, etwa mit der Passion zu tun haben. Beides gegeneinanderzusetzen hieße einen Kategorienfehler begehen.
PS. Tatsächlich beißt sich eine tiefgläubige, zumal christliche, Prägung mit der Ausübung des Genres. Zumindest in der Rolle des Erzählers muß der eigene Glaube strikt außen vor bleiben. Deswegen ist etwa Chesterton, bei aller Evokation des existenziellen Erschreckens, kein Horrorautor sui generis. M. R. James ist durch seine Prägung als Dozent und anglikanischer Geistlicher ein Sonderfall (viele der Bekannten, die von ihm angeregt, "antiquarian ghost stories" geschrieben haben, teilen dies, aber, wie S. T. Joshi bemerkt hat, von den "klassischen" englischsprachigen Autoren des Genres ist James der Einzige, dem es nicht auf einen umfassenden Kosmos ankommt, sondern um die momentane Evokation der Schauders: ein Fluch, ein Dämon, der gebannt wird - oder eben NICHT: das war es.) Machen und Blackwood wollen die Ahnung eine pantheistischen Welt hervorrufen, in der alles ein mystisches Gepräge trägt, eine Naturmagie; Lovecraft ist ein Nihilist, Henry James möchte die Untiefen des menschlichen Unbewußten ausloten, das Ungewißheiten und die Ahnung dämonischer Mächte in uns auslotet, die nach außen projiziert werden. Poe will die Abgründe der menschlichen Psyche in grelle Schlagschatten tauchen (man könnte dafürhalten, daß Poe in dem metier den größten Flurschaden hinterlassen hat; nicht nur bei HPL, sondern auch über seine französischen Erben Baudelaire ind Villier de l'Isle Adam auf dem Kontinent; und Edogawa Rampo in Japan.) Bram Stoker zählt für Joshi nicht zur klassischen Trium-(besser Quadrum)virat. "Dracula" ist ein Solitär; die späteren Romane sind Versuche, an diese Machart anzuknüpfen. Der einzig genuin religiös grundierte moderne Verfasser von Gespenstergeschichten mit Anspruch, der sich in den Fallstricken der Frömmelei landet, scheint mir Russell Kirk zu sein. Ansonsten glauben Betreiber in diesem Metier an ein transzendentes Jenseits, eine Erlösungdsversprechung so wenig wie SF-Autoren an die Existenz von Zeitmaschinen glauben.
* Was nicht heißt, daß "Dracula" nicht einen höchst konkreten Subtext (mit persönlichem Anlaß) hätte: hinter der Kodifizierung des bis heute gängigen Blutsauger-Merkmale verbirgt sich ein Schlüsselroman über die Geißel der großstädtischen Welt des 19. Jhdts: die Syphilis. Aber das ist eine Geschichte für ein andermal.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Simon im Beitrag #4 Ich greife nur das [ ... ] Boring!** [ ... ]
auf.
Ihre Antwort, werter Herr Simon, überzeugt mich nicht. Denn: Meiner Meinung nach haben Sie genau zwei Möglichkeiten, auf das, was Sie als "Boring" bezeichnen, zu antworten: Entweder Sie liefern eine spannendere Übertragung des vorliegenden Gedichts oder gleich ein Gedicht, das Ihnen spannender vorkommt, möglichst samt Begründung. Beides vermisse ich in Ihrem Beitrag.
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