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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 21 Antworten
und wurde 1.755 mal aufgerufen
 Gesellschaft und Medien
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

29.12.2007 09:45
Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Eine Regisseurin soll sich für einen Film entschuldigen.

Warum? Weil in diesem Film ein Fall von Inzest vorkommt. Weil er in einer Familie von Aleviten vorkommt. Und weil es in der Türkei, so wird behauptet, das Vorurteil gibt, bei den Aleviten käme Inzest vor.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

29.12.2007 14:42
#2 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Zettel, man tut den Aleviten und auch dem Grünen-Abgeordneten Unrecht, wenn man in unserer Mediengesellschaft ihre Aussage nur für bare Münze nähme. Die wahren Botschaften sind versteckt. Zunächst geht es mal darum, auf sich medienwirksam aufmerksam zu machen. Dazu braucht man einen Anlass, und der Vorwurf an Deutsche, sie seien ja doch alle Nazis (inkl. aller vornehmeren Arten, dies auszudrücken), wird immer wieder gerne genommen. Das ist gelungen.

Die zweite Absicht ist ein uraltes Rezept: Diskurshoheit und die Etablierung der eigenen Person bzw. Organisation als Autorität. Letzteres dürfte vor allem bei Politikern, die sich auf die Protestsau schwingen, eine wichtige Rolle spielen. Von einer solchen Position aus kann man sich dann das mühsame Argumentieren ersparen und gleich zum Verurteilen und Dekretieren übergehen.

Der Protest eignet sich am wenigsten für das, was als sein Ziel ausgegeben wird: Es ist ziemlich hohl, bei jemandem gegen das Schüren eines Vorurteils zu protestieren, den man zunächst über dessen Existenz erst aufklären muss.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Feynman ( gelöscht )
Beiträge:

29.12.2007 14:45
#3 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten
Hätte der Krimi im bayrischen Bauernmilieu inkl. Inzest und Mord gespielt, sind dann Proteste von 30.000 Bauern/Bayern wahrscheinlich?

Eigentlich war die Folge nicht wirklich sehenswert, bis auf eine Szene: Wegen der politischen Brisanz des Themas will der Chef die Kommisarin zuerst gar nicht ermitteln lassen, außer ihre Intuition deutet nichts auf einen Mord hin.
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

29.12.2007 16:26
#4 Freiheit, Medien, Meinungsdominanz Antworten

Lieber Rayson,

Zitat von Rayson
... man tut den Aleviten und auch dem Grünen-Abgeordneten Unrecht, wenn man in unserer Mediengesellschaft ihre Aussage nur für bare Münze nähme. Die wahren Botschaften sind versteckt. Zunächst geht es mal darum, auf sich medienwirksam aufmerksam zu machen.

Bei Herrn Mutlu setze ich das auch voraus. Daß die Aleviten diesen Zirkus veranstalten, enttäuscht mich. Ich hatte bisher eine gute Meinung von ihnen; auch aufgrund - zugegeben sehr begrenzter - persönlicher Bekanntschaft.

Ich finde, lieber Rayson, man sollte das, was jemand in einem solchen Fall behauptet, als ernst gemeint betrachten. Wahrscheinlich ist es das nicht, aber umso schlimmer für den Betreffenden. Übrigens gilt das auch zB bei Fällen von behaupteten rechtsextremen Gewalttaten; das wurde ja kürzlich bei euch diskutiert, und du hast jetzt auch darauf hingewiesen.

Es ist zu vermuten, daß solche Taten - z.B. von Kommunisten - ohne genaue Kenntnis des Hergangs behauptet und/oder aufgebauscht werden, weil sie als als in ihrem Interesse liegend betrachten, Deutschland als von Nazis bedroht darzustellen. Denn das erhöht die Bereitschaft zu einem "antifaschistischen Bündnis", in dem sie, die Kommunisten, sich gemeinsam mit demokratischen Parteien finden würden; und das ist ihr strategisches Ziel.

Andererseits, lieber Rayson, gibt es auch Menschen, die aus in jeder Hinsicht ehrenwerten Motiven jeden möglichen Fall von Nazi-Kriminalität mit großen Befürchtungen sehen; zum Beispiel, weil Angehörige ihrer Familie unter den Nazis gelitten haben.

Ich finde es sehr schwer, das im Einzelfall zu entscheiden. So ist es auch hier. Deshalb glaube ich den Betreffenden, sozusagen ohne Motivanalyse, einfach, daß sie das meinen, was sie sagen.

Und versuche dann zu begründen, warum ich es für falsch halte. In diesem Fall grottenfalsch, denn wenn Leute wie Mutlu sich durchsetzen würden, dann wäre es mit unserer Freiheit zu Ende.
Zitat von Rayson
Die zweite Absicht ist ein uraltes Rezept: Diskurshoheit und die Etablierung der eigenen Person bzw. Organisation als Autorität. Letzteres dürfte vor allem bei Politikern, die sich auf die Protestsau schwingen, eine wichtige Rolle spielen. Von einer solchen Position aus kann man sich dann das mühsame Argumentieren ersparen und gleich zum Verurteilen und Dekretieren übergehen.

Das sehe ich genauso. Es geht um Meinungsführerschaft. Es geht darum, daß bestimmte Meinungen als selbstverständlich und andere als gar nicht mehr zulässig wahrgenommen werden. Ganz ohne eine formale Zensur.

Das ist natürlich in einer offenen Gesellschaft legitim. Alle weltanschaulichen, alle politischen Gruppen versuchen das. In den USA finden solche Kämpfe um die Meinungsführerschaft anhand von Themen wie Abtreibung, Todesstrafe, Waffengesetze, Einwanderung statt.

Bei uns finden sie leider selten so statt in den USA, dh mit zwei ungefähr gleich starken Lagern, die das austragen. Sondern wir hatten bis Mitte der sechziger Jahre eine konservative und haben seither eine linke Dominanz. Anfangs war sie linksliberal, in den siebziger und achtziger Jahren. Inzwischen ist sie zunehmend links, ohne jede Liberalität, ja gegen alle Liberalität.

Im vergangenen Jahr war der "Fall Eva Herman" aus meiner Sicht hierfür symptomatisch. Sie hat nichts getan, als sich gegen die "herrschende", dh die Medien beherrschende Meinung zu Fragen der Familie, der Berufstätigkeit von Frauen, der Mutterschaft zu stellen.

Man kann das falsch finden, was sie geschrieben und gesagt hat. Man kann - wie ich - finden, daß sie argumentativ schwach ist und sich auf eine Diskussion eingelassen hat, die sie mit ihren begrenzten rhetorischen und selbstdarstellerischen Möglichkeiten nur verlieren konnte.

Aber sie hatte doch jedes Recht der Welt, ihre Meinung zu vertreten. Stattdessen wurde sie behandelt, als wolle sie dem demokratischen Rechtsstaat an den Kragen. (Während andere, die das wirklich wollen, als Medienstars gehätschelt werden).

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

29.12.2007 20:12
#5 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Sehr geehrter Herr Zettel

Nehmen wir mal an, es würde ein Film gedreht, in dem ein Kind auf dem Grundstück oder im Haus einer jüdischen Familie gefunden wird. Möglicherweise noch auffallend blaß. Glauben Sie nicht auch, das jüdische Gemeinden in Deutschland zu Recht gegen diesen Film protestieren würden?

Sie, Rayson und Ich wissen natürlich, das der Inzestvorwurf eine religiöse Propaganda der moslemischen Mehrheit ist. Sexuelle Vergehen werden ja gerne verwendet, um religiöse Gegner zu diffamieren. Ich erinnere da nur an die bewegte Teilnahme der katholischen Umwelt an Teresa von Ávila, der, neben vielen anderen phantasievoll geschilderten "sexuellen" Begebenheiten, Unzucht mit ihrem Beichtvater vorgeworfen wurde. Warum gerade religiöse Menschen dazu neigen, den religiösen Menschen mit sexuellen Verdächtigungen zu diffamieren, wäre eine Marginalie wert. Gerade die Pamphlete der religiösen Auseinandersetzungen in Europa sind reich an solche Schilderungen.

Sie, Rayson, und Ich und sicherlich noch viele andere wissen natürlich, das ein fiktives Geschehen in dem Film dargestellt wird.

Jetzt bricht die große Tragik über uns ganz ganz unvermittelt nach Weihnachten herein

Es gibt Menschen, die sind im Vergleich zu den oben mehrfach Erwähnten, nun sagen wir von etwas schlichterer Natur. Die werden den Film nicht einmal gesehen haben, aber von ihm durch hilfreiche Menschen, es gibt in solchen Situationen immer hilfreiche Menschen, gehört haben.

Sie wissen, was in dem Film geschildert wurde.

Was wird daraus gemacht? Die Aleviten treiben Inzest, das wurde sogar in einem Film im deutschen Fernsehen gezeigt. Unzweifelhaft ist ein solcher Film gelaufen. Man spricht davon. Also muß die Geschichte und damit die Diffamierung wahr sein. Wenn es schon das deutsche Fernsehen in einem Film darstellt. Dann ist es also wahr!

Wenn Sie persönlich, solche wie bereits erwähnt schlichten Menschen nicht kennen, so sind Sie gesalbt und gesegnet unter den Menschen. Ich habs da mehr mit Wasser statt mit Öl und kenne solche Menschen. Ja, ich erinnere mich an frühere Zeiten, an längst Verstorbene meiner entfernten Verwandtschaft aus "großer Zeit", die ähnlich schlicht waren. Manche um 1900 Geborenen waren halt so.

1900 ist bei vielen Menschen 1950, ja selbst 1960.

Sie leben mitten unter uns, aber nicht in unserer Zeit, nicht in der Jetztzeit. Das sind keineswegs nur Menschen aus dem Orient, wie sie vielleicht meinen. Selbst Menschen, die seit Generationen hier leben, sind zu dieser Schlichtheit der Wahrnehmung mit einer traumhaften Gewandheit fähig.

Glauben Sie mir, ich bedauere das genauso wie Sie. Falls sie eine Zauberformel wissen, so ein Schwuppdiwupp, mit der wir diese Menschen in die Jetztzeit eingliedern können, wenden Sie sie an. Solange Sie noch überlegen und suchen, hilft wohl nur der herkömmliche steinige Weg. Wahrnehmen und bilden. Vermitteln von Wissens. Weiten der Wahrnehmung. Die ersten Monate sind hart, dann wird es langsam leichter.

Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches Jahr 2008!

Libero

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

29.12.2007 21:35
#6 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Zettel,

normalerweise würde ich das in vergleichbaren Fällen genauso sehen wie Du und grundsätzlich teile ich auch die hier vorgebrachten Argumente.

Und trotzdem hat dieser Fall schon eine recht ungute Seite.

Die Aleviten sind eine seit langer Zeit verfolgte Minderheit, wie die Parsen, die Juden, die Bahai und andere. Wobei sie wie diese selber überaus friedlich sind und der Kontrast zur völlig unprovozierten Aggressivität ihrer Verfolger extrem ist.

Und sie sind recht unbekannt (obwohl es in Deutschland viele von ihnen gibt) - ich kann mich nicht erinnern, jemals in deutschen Medien irgendetwas über sie gelesen, gesehen oder gehört zu haben.

Welchen Grund hat nun unser angeblich so qualitätvolles Staatsfernsehen, diese Gruppe nun ausgerechnet mit einer so üblen Geschichte ins Rampenlicht zu zerren?
Wieso war es überhaupt nötig, die für den Kriminalfall völlig unerhebliche Konfession der Familie zu nennen und zu betonen?
Vor dem Hintergrund, daß genau diese Art Verbrechen Teil der üblichen Diffamierungspropaganda gegen diese Minderheit ist?

Man kann und soll durchaus auch Minderheiten im Fernsehen mal als Kriminelle darstellen - ein PC-Filter wäre absurd. Einen Krimi mit "normalen" türkischen Verbrechern traut man sich aber beim Fernsehen offenbar nicht.

Das Vorgehen hier ist ähnlich geschmacklos, als würden man Diebstahl und Mord zum Thema machen, und "rein zufällig" geht es um einen jüdischen Täter und Hostiendiebstahl und Kindermord.

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

29.12.2007 22:02
#7 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Hallo Zettel,

ich bin eigentlich einverstanden, würde allerdings einen Punkt etwas anders "ausfeilen":

In Antwort auf:
Wie "unterstützt", wie "schürt" man ein Vorurteil? Man sollte meinen, indem man es verkündet, es als seine Meinung kundtut. ...
Nichts dergleichen tut der Film von Angelina Maccarone in Bezug auf die Aleviten. Er sagt es nicht, er deutet es nicht an. Er zeigt lediglich einen Fall von Inzest oder vermutetem Inzest in einer Familie alevitischen Glaubens.


Natürlich sagt der Film das so nicht. Es könnte allerdings sein, daß er in eine vorhandene Kerbe haut. Deshalb ist es m. E. wichtig auf den Kontext zu schauen:

Gibt es in Deutschland ein Inzestklischee (oder ein Ehrenmordklischee) gegenüber Aleviten? Kommen Aleviten nur oder häufig in diesem Kontext im deutschen Fernsehen vor?

Wären diese Fragen zu bejahen, dann könnte man die Aufregung verstehen.

Ich kann aber nicht sehen, daß dies zuträfe. Ganz im Gegenteil, Aleviten kommen so gut wie gar nicht im deutschen Fernsehen oder auch im Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit vor.

In der Türkei mag das anders sein und ein türkischer Film mit ähnlichem Inhalt wäre wohl anders zu beurteilen. Aber Deutschland ist nicht die Türkei und kann nicht die dortigen Problem lösen.

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

29.12.2007 22:14
#8 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

In Antwort auf:
Hätte der Krimi im bayrischen Bauernmilieu inkl. Inzest und Mord gespielt, sind dann Proteste von 30.000 Bauern/Bayern wahrscheinlich?


Ich weiß nicht, ob es zu Protesten käme - wohl eher bei Bauern als bei Bayern (die beiden sind auch nicht identisch) - aber sicher würden diese Proteste entweder komplett ignoriert oder als unberechtigt und überzogen hingestellt.

Es werden eben in Deutschland Unterschiede gemacht, wen man stereotyp darstellen darf und wen nicht. Bei den Aleviten ist das nocht nicht klar, wird aber nun getestet.

C. Offline




Beiträge: 2.639

30.12.2007 00:51
#9 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten
Eine meiner schlechten Angewohnheiten ist es, beim Auftauchen eines Kopftuchs in einer deutschen TV-Produktion, zur Fernbedienung zu greifen und weiterzuzappen (besonders wenn ich gerade den Tannenbaum geschmückt habe) und so konnte ich unbeschwert Navy CIS genießen. Wenn ich mir die anschließende Diskussion anschaue, wird mir nicht nur bewußt, dass das eine kluge Entscheidung war, sondern wieweit wir in Deutschland a) von einer Diskussionskultur und b) von einem Kulturverständnis entfernt sind.

Die Erklärungen, warum ausgerechnet Aleviten gewählt wurden, sind allerdings recht einfach; Aleviten besitzen kein Öl und keine Atombomben, sie können auch nicht den Kauf deutscher Markenbutter boykottieren und sind soweit integriert, dass sie die gerichtliche Klärung bemühen und nicht ein ARD-Studio abfackeln und die Regisseurin und Drehbuchautorin Angelina Maccarone mit dem Tod bedrohen. Ich nehme an auf diesen gesichtspunkten lag der Schwerpunkt der Recherche von Frau Maccarone. Sie wird ja ein bißchen an ihrem Leben hängen und will auch nicht der deutschen Wirtschaft schaden.


Naja, der Versuch war es wert, zumindest hat die ARD jetzt wieder einen guten Grund mehr, die Mörder dort zu finden, wo sie am seltensten vorkommen, bei den Unternehmern, deren Gattinnen oder zumindest den mißratenen Söhnen, dem reichen Bauer oder bei den tumben Skinheads.

Das hat wenigstens erzieherischen Charakter.

Hoffentlich kommt niemand auf die kluge Idee mit einer Quote (in prozentualer Abhängigkeit zu den tatsächlichen Verurteilungen wegen Mords) vorzuschreiben, aus welchem Milieu die Mörder zu kommen haben. Zuviel Realitätsnähe schadet dem Volkserziehungsfernsehen in seinem Bildungsauftrag und jeden Montag neues Geschrei ist auf die Dauer nervend.

Halten wir fest: die Geschichte war reine Fiktion und man wollte zu Weihnachten halt auch mal daran erinnern, dass es in Deutschland nicht nur Christen gibt und dass es das beste ist wenn sich türkische Mädchen ein Kopftuch umwickeln um nicht von geilen Böcken geschwängert zu werden. Den Islamisten wird das sehr gefallen haben.
Feynman ( gelöscht )
Beiträge:

30.12.2007 10:36
#10 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten
Lieber str1977

In Antwort auf:
die beiden sind auch nicht identisch


Stimmt. Eigentlich dachte ich eher an den Typos bayrischer Bauer, der auch oft im "Bullen von Tölz" vorkommt.
Über den "Bullen" war unser damaliger Reliogionslehrer (ein Pfarrer) nicht sehr glücklich, die Darstellung der katholischen Kirche hat ihn und wahrscheinlich auch andere Vertretter der Kirche gestört, Demonstrationen sind mir nicht bekannt, teilweise wurden die Folgen ja auch in Kirchen und Klöstern gedreht, sogar das hat man zugelassen.

Herzlich, Feynman
M.Schneider Offline



Beiträge: 672

30.12.2007 13:07
#11 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Zettel

Ich sag es mal mit Ludwig von Mises

· "Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen."

Das nennt man dann auch Meinungsfreiheit oder auch freier Journalismus, um den es hier geht.


Herzlich M.Schneider

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.12.2007 23:44
#12 Volkspädagogik im TV? Nein! Antworten

Zitat von Libero
Nehmen wir mal an, es würde ein Film gedreht, in dem ein Kind auf dem Grundstück oder im Haus einer jüdischen Familie gefunden wird. Möglicherweise noch auffallend blaß. Glauben Sie nicht auch, das jüdische Gemeinden in Deutschland zu Recht gegen diesen Film protestieren würden?

Sie würden protestieren, lieber Libero, aber aus meiner Sicht nicht zu Recht.

Der Antisemitismus ist erst dann wirklich überwunden, wenn in einem Krimi ein Jude ebenso der Täter sein kann wie jeder andere. So, wie auch der die Türken treffende Xenophobie solange virulent ist, wie man vermeidet, Türken als Täter zu zeigen.

Gewiß, wir haben heute Antisemitismus und Xenophobie. Aber sie werden ja nur gefördert, wenn der Eindruck entsteht, daß Juden, Einwanderer, Ausländer anders behandelt werden als andere, und sei es in Krimis. Ich halte die Art von "Volkspädagogik", die das tut, für falsch.

Die das tun, unterschätzen meines Erachtens auch die Intelligenz "des Volks". Wer - außer einem fanatischen Antisemiten, der ohnehin keiner Vernunft mehr zugänglich ist - wird denn aus dem Umstand, daß der Mörder ein Jude ist, irgend etwas über "die Juden" ableiten? Und auch so hier in Bezug auf einen Aleviten als Mörder.
Zitat von Libero
Warum gerade religiöse Menschen dazu neigen, den religiösen Menschen mit sexuellen Verdächtigungen zu diffamieren, wäre eine Marginalie wert.

Oh, lieber Libero, das würde eher eine Monographie als eine Marginalie werden müssen.

Man muß ja kein Anhänger der Psychoanalyse sein, um die vielfältigen Verflechtungen zwischen Religion und Sexualität zu sehen. Nicht nur im Christentum; im Christentum vielleicht gar nicht einmal besonders ausgeprägt.

Arno Schmidt hätte (vielleicht hat er auch) von "Hexen, die auf dem/n Stecken fliegen" geschrieben. Beispielsweise .
Zitat von Libero
Es gibt Menschen, die sind im Vergleich zu den oben mehrfach Erwähnten, nun sagen wir von etwas schlichterer Natur. (...) Man spricht davon. Also muß die Geschichte und damit die Diffamierung wahr sein. Wenn es schon das deutsche Fernsehen in einem Film darstellt. Dann ist es also wahr!

Mag sein, daß so etwas vorkommt, lieber Libero.

Aber solche "volkspädagogischen" Überlegungen haben nach meiner (in diesem Fall einmal sehr festen) Überzeugung in einem demokratischen Rechtsstaat keinen Platz.

Wenn der Staat sich erst einmal anmaßt, etwas zu verbieten, oder wenn ein Sender etwas nicht sendet, weil es von den Dummen möglicherweise mißverstanden werden könnte - wo soll das enden? Wir sind dann mitten im Obrikeitsstaat.
Zitat von Libero
Solange Sie noch überlegen und suchen, hilft wohl nur der herkömmliche steinige Weg. Wahrnehmen und bilden. Vermitteln von Wissens. Weiten der Wahrnehmung.

Damit bin ich völlig einverstanden. Aber das ist etwas anderes, als einen Film nicht oder verändert zu senden.



Ich habe mich gefreut, lieber Libero, nach längerer Zeit wieder einmal hier etwas von Ihnen zu lesen!

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

31.12.2007 00:05
#13 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber R.A.,

Zitat von R.A.
Die Aleviten sind eine seit langer Zeit verfolgte Minderheit, wie die Parsen, die Juden, die Bahai und andere. Wobei sie wie diese selber überaus friedlich sind und der Kontrast zur völlig unprovozierten Aggressivität ihrer Verfolger extrem ist.

Das entspricht auch meinem Kenntnisstand, und ich habe es in dem Artikel ja auch - zugegeben sehr knapp - erwähnt, daß ich bisher ein positives Bild von dieser Glaubensrichtung hatte.
Zitat von R.A.
Und sie sind recht unbekannt (obwohl es in Deutschland viele von ihnen gibt) - ich kann mich nicht erinnern, jemals in deutschen Medien irgendetwas über sie gelesen, gesehen oder gehört zu haben.

Ja, das ist seltsam und betrüblich. Je weniger Rabatz jemand macht, umso weniger Medienpräsenz wird ihm zuteil.
Zitat von R.A.
Welchen Grund hat nun unser angeblich so qualitätvolles Staatsfernsehen, diese Gruppe nun ausgerechnet mit einer so üblen Geschichte ins Rampenlicht zu zerren?

War es denn "das Staatsfernsehen" und nicht vielmehr eine Redaktion, eine Drehbuchautorin und Regisseurin? Und handelt der Film denn von dieser Gruppe und nicht vielmehr von einer einzelnen Familie?

Das genau ist es ja, lieber R.A., was ich in dem Artikel zu sagen versucht habe: Wenn Figuren in Filmen, die dieser und jener Gruppe angehören, bestimmte Eigenschaften haben, dann wird damit doch nichts über diese Gruppen ausgesagt.

Sollten denn die Gärtner protestieren, weil der Mörder immer der Gärtner ist?
Zitat von R.A.
Wieso war es überhaupt nötig, die für den Kriminalfall völlig unerhebliche Konfession der Familie zu nennen und zu betonen? Vor dem Hintergrund, daß genau diese Art Verbrechen Teil der üblichen Diffamierungspropaganda gegen diese Minderheit ist?

Das sind berechtigte Fragen. Ich habe, wie gesagt, den Film leider nicht gesehen, und kann deshalb dazu nichts sagen. Wenn es so sein sollte, daß der Film an irgendeiner Stelle andeutet, daß ein derartiges Verbrechen für Aleviten typisch sei, dann allerdings wäre ein Grenze überschritten worden.
Zitat von R.A.
Einen Krimi mit "normalen" türkischen Verbrechern traut man sich aber beim Fernsehen offenbar nicht. Das Vorgehen hier ist ähnlich geschmacklos, als würden man Diebstahl und Mord zum Thema machen, und "rein zufällig" geht es um einen jüdischen Täter und Hostiendiebstahl und Kindermord.

Dazu schreibe ich gleich noch etwas in meiner Antwort an C.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

31.12.2007 00:50
#14 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Dear C.,

Zitat von C.
Die Erklärungen, warum ausgerechnet Aleviten gewählt wurden, sind allerdings recht einfach; Aleviten besitzen kein Öl und keine Atombomben, sie können auch nicht den Kauf deutscher Markenbutter boykottieren und sind soweit integriert, dass sie die gerichtliche Klärung bemühen und nicht ein ARD-Studio abfackeln und die Regisseurin und Drehbuchautorin Angelina Maccarone mit dem Tod bedrohen. Ich nehme an auf diesen gesichtspunkten lag der Schwerpunkt der Recherche von Frau Maccarone. Sie wird ja ein bißchen an ihrem Leben hängen und will auch nicht der deutschen Wirtschaft schaden.

Das ist eine Möglichkeit. Frau Maccarone bestreitet das allerdings vehement.

Sie sagt, sie hätte Aleviten einbezogen, um "... mit dem Klischee zu brechen, dass die türkischen Migranten in Deutschland eine einzige, homogene Gruppe seien, und wollte stattdessen aufzeigen, dass es verschiedene türkische Gruppierungen gibt und darin wiederum Individuen, die nicht unbedingt den Erwartungen der eigenen Gruppierung oder Familie entsprechen."

Wenn man sich das bisherige Oeuvre von Frau Maccarone ansieht, auf das ich ja in dem Artikel hingewiesen habe, dann ist das meines Erachtens auch plausibel. Sie hat die beiden Themen Frauen und Einwanderung, also handelt sie von Problemen eingewanderter Frauen.

Daß sie die Aleviten aus dem Grund als Familie des Täters genommen hat, den du vermutest, ist denkbar - aber es muß ja nicht so gewesen sein.

Mein Einwand geht eher in eine andere Richtung, die auch durch das jetzige Interview in der FAZ verdeutlicht wird: Solche Filme sind eigentlich keine Krimis, sondern es sind Problemfilme mit allen möglichen "Anliegen". Mit dem Kriminalfall lockt man die Zuschauer, aber transportieren will man Ideologie - hier Multikulti plus Feminismus.
Zitat von C.
Naja, der Versuch war es wert, zumindest hat die ARD jetzt wieder einen guten Grund mehr, die Mörder dort zu finden, wo sie am seltensten vorkommen, bei den Unternehmern, deren Gattinnen oder zumindest den mißratenen Söhnen, dem reichen Bauer oder bei den tumben Skinheads.
Das hat wenigstens erzieherischen Charakter.

Das sind Beispiele für diese Ideologisierung des Krimis. Es gibt ja, glaube ich, auch schon den "Umwelt-Krimi" oder "Öko-Krimi" als eigenes Genre, wo der Bösewicht immer ein Umweltverschmutzer, Kindervergifter o.ä. ist.

Ich sehe, weil vor allem die deutschen Krimis in dieser Weise degeneriert sind, schon lange keine mehr; erst recht keine skandinavischen mit dieser klebrigen, unterschwellig sadistischen Penetranz, mit der dort vermutlich gegen den Muttertier-Staat protestiert wird.
Zitat von C.
Halten wir fest: die Geschichte war reine Fiktion und man wollte zu Weihnachten halt auch mal daran erinnern, dass es in Deutschland nicht nur Christen gibt und dass es das beste ist wenn sich türkische Mädchen ein Kopftuch umwickeln um nicht von geilen Böcken geschwängert zu werden. Den Islamisten wird das sehr gefallen haben.

Deine bissige Sprachgewalt find ich immer wieder großartig; auch wenn ich nicht zustimme.

Auch hier kann ich - weil ich den Film halt nicht gesehen habe - nur die Regisseurin in dem Interview mit der FAZ zitieren. Da sagt sie: "Dieses Mädchen ist verzweifelt und sucht in alle Richtungen Schutz. Sie sucht zunächst bei der Schwester Schutz, die auch Alevitin ist und auf die Barrikaden geht – und das mit dem Leben bezahlt. Dann sucht das Mädchen Schutz bei dem Mann ihrer Schwester und unter dem Kopftuch. Doch das ist eine Verzweiflungsaktion, Schutz zu suchen in der Verhüllung – die den Schutz schließlich auch nicht bietet."

Zumindest der Intention nach sollte also das Kopftuch nicht "das beste" sein.



Dear C., seit ich den Artikel geschrieben habe, sind mir Gesichtspunkte klargeworden, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht gesehen hatte; auch dank deines Beitrags und denen von Libero und R.A.

Meine Perspektive war die, daß wie im Karikaturenstreit eine religiöse Gruppe sich mal wieder "beleidigt" sieht und mit Druck reagiert. Daß der Grüne Mutlu ihnen natürlich zur Seite springt. Und daß das Ganze darauf zielt, wieder einmal die Freiheit des TV, die Freiheit der Kunst einzuschränken, indem man bestimmte Handlungen, bestimmte Figuren unterdrücken will.

Ich sehe das auch jetzt noch als das zentrale Problem. Aber es gibt das andere, daß solche Sendung von Ideologen mißbraucht werden, gerade weil sie journalistische Freiheit und die Freiheit der Kunst haben.

Und es gibt das, was du vermutest - daß TV-Verantwortliche vor militanten Islamisten Schiß haben und deshalb Negatives lieber dort ansiedeln, wo sie keine für sie bedrohliche Reaktion erwarten. Das ist möglich, aber jedenfalls bei meinem jetzigen Kenntnisstand sehe ich keinen Hinweis darauf, daß es im vorliegenden Fall eine Rolle gespielt hat.

Herzlich, Zettel



R.A. Offline



Beiträge: 8.171

31.12.2007 13:31
#15 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Zettel,

In Antwort auf:
War es denn "das Staatsfernsehen"

Selbstverständlich. Die Regisseurin oder eine Redaktion arbeiten doch nicht privat, sondern der Sender trägt die Gesamtverantwortung.
Und da das Staatsfernsehen seine Existenz bzw. die allgemeine Gebührenpflicht mit der angeblich besonderen Qualität seiner Sendungen rechtfertigt, finde ich es besonders bemerkenswert, wenn dann solche Sachen gebracht werden.

In Antwort auf:
Das genau ist es ja, lieber R.A., was ich in dem Artikel zu sagen versucht habe: Wenn Figuren in Filmen, die dieser und jener Gruppe angehören, bestimmte Eigenschaften haben, dann wird damit doch nichts über diese Gruppen ausgesagt.

Uns was ich zu sagen versucht habe: Es kommt auf den Kontext an.
Es gibt hunderte von Völkern und Dutzende von Religionsgemeinschaften auf der Welt, die man als Hintergrund für einen Inzest-Krimi hätte nehmen können. Ob nun Eskimos oder Baptisten, Bayern oder Schiiten - bei denen wäre es ein neutrales Thema gewesen (und bei den Gärtnern auch).

Aber nein, man sucht sich ausgerechnet die eine Minderheit aus, die seit Generationen mit Mord und Verfolgung überzogen wird unter dem Vorwurf "Inzest".

Und das halte ich auch nicht für dummen Zufall - wer überhaupt über so ein Milieu ein Stück macht, wird auch etwas recherchiert haben.
Aber die Infamie ihres Vorwurfs war der Autorin wohl egal. Denn die Aleviten sind eben friedlich und protestieren auch nur friedlich, die kann man eben beleidigen ohne etwas befürchten zu müssen.
Bei den Sunniten (bei denen das Thema Inzest real ein Problem ist!) hätte sich die ARD das schlicht nicht getraut.

Sehr lesenswert dazu auch die Ausführungen von Möhling bei der FDOG http://fdog.wordpress.com/2007/12/27/die...esen/#more-1674

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

31.12.2007 13:54
#16 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Zettel,

dann noch ein Nachtrag zu Deiner Antwort auf C.:

In Antwort auf:
Frau Maccarone bestreitet das allerdings vehement.

Mag sein - aber ich glaube ihr das nicht.
Sie hat sich mit dem Thema beschäftigt, will bewußt über die verschiedenen Gruppen etwas bringen, stellt Sunniten und Aleviten neben- und gegeneinander - und sapperlot, einen ganz zentralen Punkt will sie nicht mitbekommen haben?

Das ist etwa so glaubhaft als hätte sie mal was mit Juden machen wollen, und dazu auch Informationen gesammelt - und sich dann spontan entschlossen, mal so etwas wie Hostienschändung und Brunnenvergiftung zu thematisieren. Ist ihr leider nicht in ihren Recherchen untergekommen, so ein Pech aber auch.

In Antwort auf:
Daß sie die Aleviten aus dem Grund als Familie des Täters genommen hat, den du vermutest, ist denkbar - aber es muß ja nicht so gewesen sein.

Aus welchen Gründen denn sonst?
Wie kommt man denn darauf, eine ansonsten völlig unbekannte Gruppe ins Visier zu nehmen?

In Antwort auf:
Zumindest der Intention nach sollte also das Kopftuch nicht "das beste" sein.

Behauptet sie hinterher im Interview. Der Krimi dagegen - siehe FDOG-Link - könnte von Milli Görus stammen.

In Antwort auf:
Meine Perspektive war die, daß wie im Karikaturenstreit eine religiöse Gruppe sich mal wieder "beleidigt" sieht und mit Druck reagiert.

Das ist richtig, aber eine sehr oberflächliche Parallele.
Ich bin ja ansonsten genauso empfindlich, wenn PC-mäßig Druck gemacht wird.

Aber man sollte schon wesentliche Punkte sehen.
Zum Einen ist es jeder Gruppe erlaubt, sich beleidigt zu fühlen - solange sie friedlich bleibt und nur mit zulässigen (z. B. juristischen) Mitteln vorgeht.
Zum Anderen ist es ein Unterschied, ob irgend jemand eine beleidigende Sache bringt (z. B. eine dänische Zeitung, oder die Titanic, oder Monty Python) oder ob man es noch selber über die Zwangsgebühren finanzieren muß, wenn man vom Staatsfernsehen verleumdet wird.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

31.12.2007 14:09
#17 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber R.A.

bei Euch drüben läuft ja gerade die Diskussion über die M.A.-Arbeit von Tal Nitzan. Wir sind dort in aller Freundschaft verschiedener Meinung, wie auch hier.

Und der Grund für den Dissens scheint mir ähnlich zu sein: Ich neige, vielleicht aufgrund eines ziemlichen langen Trainings als empirischer Wissenschaftler, zur Vorsicht bei Schlußfolgerungen.

Wenn ich eine wissenschaftliche Arbeit nicht kenne, sondern nur einen einzigen Satz daraus, dann kann ich diese Arbeit nicht beurteilen. Wenn ich nicht weiß, was sich bei der Entstehung des Films "Wem Ehre gebührt" abgespielt hat, dann bin ich nicht in der Lage, der Autorin etwas zu unterstellen, was sie bestreitet.

Sollten sich überzeugende Hinweise darauf finden, daß Frau Maccarone lügt und daß sie Vorurteile gegen Aleviten schüren wollte oder daß sie das zumindest billigend in Kauf genommen hat, weil sie Angst vor einer eventuellen Reaktion von Sunniten hatte - sollte sich das hinreichend klar nachweisen lassen, lieber R.A., dann wäre ich sofort unter denen, die dagegen schreiben würden.

Aber ich finde, man kann - zumal die Autorin es vehement, ja geradezu entrüstet bestreitet - so etwas nicht einfach unterstellen.

Mit allen guten Wünschen für das Neue Jahr,

wie immer herzlich, Zettel

karstenduerotin Offline



Beiträge: 24

31.12.2007 16:39
#18 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Zettel,

gut, dann wollen wir ihr mal nicht vorwerfen, dass sie es gewusst hätte. Dann kann man ihr aber wohl schlampige Recherche unterstellen; wenn sie vielleicht einmal gegenüber den Aleviten, bei denen sie sich über deren Religion informiert hat (ich nehme doch an, dass sie das getan hat) erwähnt hätte, dass es sich um einen Krimi mit dem Thema Inzest handelt, hätte man sie sicherlich schnell aufgeklärt. Okay, und wenn sie wirklich mit keinen realen Aleviten gesprochen, sondern nur einige Sachen gelesen hat, dann ist die Recherche... nach wie vor schlampig.

Über ein Milieu zu schreiben, und das Ergebnis zu veröffentlichen, ohne Bewohner dieses Milieus mal drüberschauen zu lassen... das halte ich für äußerst leichtfertig.

In jedem Fall kann ich die Entrüstung der Aleviten schon gut verstehen. Und akzeptiere durchaus auch ihr Recht beleidigt zu sein, zu protestieren, zu schimpfen und zu klagen. Denn auch diese Reaktionen auf das, was jemand anderes zu sagen hat, gehören zu einer (meinungs-)freien Gesellschaft. Solange sie keine Feuer legen oder Leute misshandeln, ist doch alles in Ordnung, oder etwa nicht?

Liebe Grüße und einen "guten Rutsch",

Karsten

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

01.01.2008 14:07
#19 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Zettel,

sagen wir mal so: Es ist nicht mein Anliegen, die Motivation dieser Dame und die Vorgeschichte der Produktion zu erforschen oder zu beurteilen.
Wenn ich sage "das glaube ich nicht" ist das kein juristisches oder wissenschaftliches Urteil, sondern reines Bauchgefühl.

Wichtig ist mir nur das Ergebnis: Dieser Krimi ist eine Peinlichkeit, insbesondere für den angeblichen Qualitätsanspruch der Staatssender.
Und die Aleviten haben recht mit ihrer Kritik - und auch denen kann es völlig egal sein, ob das nun Absicht oder Schlamperei war.

Im übrigen bleibt auch zu beachten, daß die Aleviten VOR der Ausstrahlung gegen die Sendung protestiert hatten und die ARD also genau über die Problematik informiert war, aber nicht einmal eine Verschiebung vornahm, um die Sache mit den Betroffenen zu diskutieren oder ihnen Rechtsmittel zu ermöglichen. Kein guter Stil.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

01.01.2008 14:40
#20 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Noch zwei Klarstellungen: Bei "Absicht" vermute ich nicht, daß gezielt gegen die Aleviten gehetzt werden sollte. Sondern ich gehe davon aus, daß man sich absichtlich eine Zielgruppe ausgesucht hat, von der keine Randale als Reaktion zu erwarten war.
Bei umgekehrter Konstellation (Sunnite vergewaltigt die Tochter, und die flüchtet sich dann zum alevitischen Retter) hätte es nämlich den üblichen gewalttätigen Ärger gegeben, und dazu war die ARD wohl zu feige.

Und dann noch: Verschieben um Rechtsmittel zu ermöglichen ist natürlich Quatsch, aber das Gespräch hätte man bei einem solchen Thema abwarten müssen (so eine Programmänderung ist ja nichts Schwieriges). Aber der ARD waren die Reaktionen wohl nicht besonders wichtig, da meinte man wohl mit ein bißchen öffentlicher Betroffenheit durchzukommen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.01.2008 16:49
#21 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Lieber Karsten,

Zitat von karstenduerotin
Über ein Milieu zu schreiben, und das Ergebnis zu veröffentlichen, ohne Bewohner dieses Milieus mal drüberschauen zu lassen... das halte ich für äußerst leichtfertig.

Dem stimme ich zu. Aber ich bin der Meinung, daß auch nach solchen Recherchen ein solcher Film legitim gewesen wäre. Man kann - das habe ich ja in dem Artikel zu vertreten versucht - nicht alles aus einem Drehbuch verbannen, was irgendwelchen negativen Klischees entspricht. Dann dürfte es keine schlamperten Österreicher, keine autoritären Deutschen und keine mafiosen Italiener in den Filmen geben.

Es scheint allerdings "im Vorfeld" doch etwas stattgefunden zu haben. Ich habe den Film, wie geschrieben, nicht gesehen. Von jemandem, der ihn gesehen hat, habe ich aber erfahren, daß es einen Vorspann ungefähr des Inhalts gab, daß ein Einzelfall gezeigt werde, den man keineswegs auf die alevitische Gemeinschaft verallgemeinern dürfe. So ähnlich.

Schade, daß der Film jetzt vermutlich in den Archiven verschwinden wird. Eigentlich gäbe es ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, ihn gerade nach der jetzigen Diskussion noch einmal in genau der Form zu sehen, in der er ausgestrahlt worden ist.

Aber daß sich die öffentlich-rechtlichen Bedenkenträger das trauen - das halte ich für sehr unwahrscheinlich.
Zitat von karstenduerotin
In jedem Fall kann ich die Entrüstung der Aleviten schon gut verstehen. Und akzeptiere durchaus auch ihr Recht beleidigt zu sein, zu protestieren, zu schimpfen und zu klagen. Denn auch diese Reaktionen auf das, was jemand anderes zu sagen hat, gehören zu einer (meinungs-)freien Gesellschaft.

Dem stimme ich auch zu. Wobei ich allerdings hinzufügen will, daß ich als ein Deutscher, der die Zeit seit den fünfziger Jahren bewußt erlebt hat, in dieser Hinsicht kein besonderes Verständnis für Empfindlichkeiten habe.

Hätten wir Deutsche jedesmal auf die Straße gehen sollen, wenn in einem Film der Mörder, der Schurke, mal wieder ein Deutscher gewesen ist?

Ich fürchte, dann wären wir von der Straße gar nicht mehr runtergekommen.

Auch die Aleviten sollten sich meines Erachtens nicht so anstellen. Daß sie das Recht zu der jetzigen Reaktion haben, ist unbestreitbar. Und ihre Demonstration war ja auch vorbildlich friedlich und zurückhaltend.

Ob nicht manche die Gelegenheit ganz gern wahrgenommen haben, auf die Existenz der Alevitischen Gemeinde in Deutschland aufmerksam zu machen?

Mit allen guten Wünschen für 2008,

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.01.2008 17:05
#22 RE: Marginalie: "Tatort", Aleviten, Özcan Mutlu Antworten

Zitat von R.A.
Noch zwei Klarstellungen: Bei "Absicht" vermute ich nicht, daß gezielt gegen die Aleviten gehetzt werden sollte. Sondern ich gehe davon aus, daß man sich absichtlich eine Zielgruppe ausgesucht hat, von der keine Randale als Reaktion zu erwarten war. Bei umgekehrter Konstellation (Sunnite vergewaltigt die Tochter, und die flüchtet sich dann zum alevitischen Retter) hätte es nämlich den üblichen gewalttätigen Ärger gegeben, und dazu war die ARD wohl zu feige.

Lieber R.A., wie du ja in dem anderen Beitrag geschrieben hast, ist das dies, was du persönlich für plausibel hältst.

Gut möglich, daß es stimmt; C. hatte ja auch schon dieselbe Vermutung geäußert. Vielleicht läßt sich ja klären, ob es so war.

Was bei meiner Haltung im Vordergrund steht, lieber R.A., ist dies:

Wenn es um Freiheit geht, dürfen nach meiner Überzeugung keine Unterschiede zwischen den verschiedenen religiösen (auch politischen) Gruppen gemacht werden.

Nehmen wir an, der Inzest hätte in einer sunnitischen Familie gespielt und es hätte daraufhin Proteste von sunnitischen Organisationen gegeben - Hand aufs Herz, hätte dann nicht die ganze liberale Blogokugelzone sich hinter das Recht des Senders gestellt, eine solche Handlung auszustrahlen? Auch wenn es um ein - jetzt fiktiv gesprochen - den Sunniten traditionell vorgeworfenes Delikt gegangen wäre?

Die Aleviten genießen auch meine Sympathien, schon lange.

Aber es darf keine politischen, keine religiösen Pressionen auf TV-Sender geben, auch nicht hier.

Herzlich, Zettel

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