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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 2 Antworten
und wurde 226 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.568

14.03.2021 22:41
Algernon Blackwood, "Der Mann, der Milligan war" (1923) Antworten



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Johanes Offline




Beiträge: 2.424

15.03.2021 00:19
#2 Überführung in Malerei Antworten

Zunächst einmal: Dass diese Geschichte zum Teil in China spielt scheint mir doch ganz und gar zufällig. Genausogut könnte sie in Australien, Südamerika oder Indien spielen, hätte genauso gut oder genauso schlecht funktioniert.
China wird nur als sehr ferner Ort mit eigenen Kultur verwendet.

Der eigentliche Witz besteht doch in der Aufnahme des erfolglosen Drehbuchautoren in das Gemälde.

Und das hat mich dann doch ein Stück weit überrascht. Ich hatte in meiner Einfäligkeit damit gerechnet, dass die Pointe darauf hinausläuft, Milligan im Gemälde richtig glücklich zu sehen oder so etwas. Dafür sprach auch seine Aussage, er werde so lange bestehen wie das Gemälde besteht.
Sowohl die "Teleportation" nach China als auch der Tod der Figur waren für mich ein wenig überraschend. Nur, ein Grusel wollte sich bei mir nicht einstellen. Wenngleich der Text mich dann doch gebannt hatte.
Was mir auch aufgefallen ist, das Thema "Malerei" kommt in dieser Geschichte überhaupt nicht zur Sprache.
Grade die Konstellation Schriftsteller (oder Drehbuchautor) vs. Gemälde lädt ja nahezu dazu ein, das Verhältnis zwischen graphischer und sprachlicher Kunst anzuschneiden. Das Gemälde war ein Selbstporträt. Der Künstler hat sich damit in seiner Zeit unsterblich gemacht und will das nun auch mit seinen Künstlerkollegen teilen, über Zeit- und Kulturgrenzen hinweg. Dieser fürchtet sich anfangs, später ist es angenehm. Vielleicht packt man noch ein bisschen Daoismus oder Anspielungen auf eine andere nicht allzu triviale Mystik dazu.

Vielleicht ist es ja auch grade eine Auszeichnung für eine gute Geschichte, im Publikum selbst den Wunsch zu wecken, den Stoff weiterzuspinnen?

Eine Sache noch: "Es steht zu erwarten, daß die westliche Haltung zu China, die heute noch oft Züge eine identischen Einstellung erkennen läßt".

Das sehe ich nicht so.
Der Westen sieht China nicht als mysteriös-unverständlich und bedrohlich, sondern als wirtschaftliche Bedrohung. Die Angst entspricht mehr der Angst vor den Japanern vor der Asienkrise und dem Zusammenbruch der "Bubble Economy". Damals glaubten viele westliche Beobachter an die wirtschaftliche Überlegenheit Japans, was sich auch in (im weitesten Sinne) Kunstprodukten zeigte.
Manager pilgerten nach Japan, um dort die Produktions- und Managementmethoden zu lernen, die die Japaner häufig genug selbst zunächst aus dem Westen übernommen und modifiziert hatten. Teilweise von Denkern, die im Westen selbst unbekannt geblieben waren. Wahrscheinlich wird es mit dem Aufstieg Deutschlands im 19. Jahrhundert ähnlich gewesen sein und mit dem der USA danach.

Eventuell nimmt es ja dieses Mal den selben Ausgang? China erlebt irgendwann eine Krise und wirkt dann gleich nicht mehr so bedrohlich-unaufhaltsam, sondern mehr als irgendwie "interessant-anders". Der Anime-Boom folgte ja auch unmittelbar nach dem Ende des Schreckensbildes.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.568

15.03.2021 01:02
#3 RE: Überführung in Malerei Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #2
Das Gemälde war ein Selbstporträt. Der Künstler hat sich damit in seiner Zeit unsterblich gemacht und will das nun auch mit seinen Künstlerkollegen teilen, über Zeit- und Kulturgrenzen hinweg.


In diesem Fall steht die Erzählung in einer anderen, aber durchaus ausgeprägten Tradition. Und hier ist es unwichtig, welches Medium Anwendung findet. Das ist nur ein "McGuffin," um Hitchcocks Terminus zu verwenden. Neben Hearns Erzählung rekurriert "The Man Who Was Milligan" unübersehbar auf einen zweiten Text, der kurz vorher erschienen ist - nämlich M. R. James' "The Mezzotint" aus den "Ghost Stories of an Antiquary" (1904). Darin geht es um eine Radierung, die ein mondbeschienenes einsames Haus zeigt; das Bild verändert sich im Lauf der Zeit und zeigt den Ablauf eines Verbrechens. Bei James ist der eigentlich unaufgelöste Faktor (abgesehen davon, WODURCH die magische Veränderung in Gang gesetzt wird), daß der Täter nach der Tat auf den Betrachter zukommt und allem Anschein nach aus dem Bild in den Raum getreten ist, in dem es jetzt hängt.

Das Betreten des Bildes, also eine Funktion als Portal - die sich wahlweise als dem Dargestellten identisch erweisen kann oder jenseits des Dargestellten in veränderter Form fortsetzt, habe wir in dieser Form auch in Lewis Carrolls zweitem Alice-Buch (dort sind es Spiegel, die ja aufgrund der Lebendigkeit des Gespiegelten eher die Portal-Funktion zugeschrieben bekommen). Die gemalte Landschaft kann es Locus amoenus fungieren (etwa in dem Garten, den die Muminmutter an die Wände des verlassenen Leuchtturms im vorletzten Band von Tove Jansson malt) als Seelenspiegel - wie in Akira Kurosawas "Träume/Yume" (wo der Träumer die Gemälde von Goghs betritt) oder als Gefängnis/Verbannungsort, wie in Nicholas Roegs "The Witches" (1990) nach Roald Dahl.

PS.

Zitat
Dass diese Geschichte zum Teil in China spielt scheint mir doch ganz und gar zufällig.



Abgesehen davon, daß Blackwood das Motiv bei Lafcadio Hearn entlehnt hat: Ganz zufällig ist die Verknüpfung mit dem Thema China nicht; es gibt da eine Brücke, die durchaus interkulturell changierend, unter anderem die folgenden Glieder einer "catena aurea" einschließt: Ernst Bloch, Lafcadio Hearn, Marguerite Yourcenars kleine Novelle "Comment Wang-Fô fut sauvé" aus ihren "Nouvelles orientales" (1938), Kosai Ishikawas (石川鴻斎1833-1918) Erzählungssammlung "Yasó Kidan" von 1889, aus der Hearn seinen Stoff adaptiert hat, und die (genuin chinesische) Legende über das Verschwinden des Malers Wu Daozi, 吴道子 (780-840) in einem seiner Bilder.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

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