Zitat von ZRDie Mittelpassage des Romans, mit 20 Seiten nur knapp ein Zehntel des Textes umfassend, ist in der Geschichte der englischen Literatur wegen ihrer Form zurecht berühmt: sie beginnt wie ein Tableau vivant (oder a-vivant): eine geisterhafte Beschwörung der nächtlichen Stille und Reglosigkeit nach dem mißglückten Dinner, die Schläfer wie tot unter ihren Bettdecken, und dann, im Telegrammstil, eine Aufzählung der äußeren Ereignisse, die folgen: der Weltkrieg bricht aus, Tochter Prue stirbt im Kindbett, Sohn Andrew fällt auf den Schlachtfeldern Flanderns, Frau Ramsay erliegt einem Herzinfarkt - um dann wieder im nächtliche Reglosigkeit auszumünden.
Im Zug der Rettungsaktion betreffs der in den Keller ausgelagerten Teile meiner Bibliothek - erstaunlicherweise haben 80% der Bücher, in Umzugkartons gebunkert, die stundenlange Verrauchung relativ schadlos überstanden - fällt mir in die Hände: Hilde Spiel, Das Haus des Dichters. Literarische Essays, Interpretationen, Rezensionen, Paul List Verlag, 1992; ein Band der Werkausgabe, die Anfang der 90er Jahre bei List erschienen ist. Ich schlage auf, und stoße in der Abteilung "Rezensionen II: Englische Literatur und ihr Umkreis" auf diese Buchkritik: "Die Fahrt zum Leuchtturm. Zur deutschen Erstausgabe des Romans von Virginia Woolf". Und da heißt es:
Zitat von "Das Haus des Dichters," S. 273"Die Fahrt zum Leuchtturm" [hat] doch eine augenfällige Fabel. Sie ist in drei Teile gegliedert, die Musiksätzen gleichen, und in det Tat hat man dieses Buch häufig einen Roman in Sonatenform genannt. ... Im kurzen zweiten Satz, "Die Zeit vergeht," ziehen zehn Jahre vorüber in unaufhaltsamem Wechsel und Zerfall, da der Krieg ausbricht und das Sommerhaus verwaist, Staubwolken und Spinnweben sich niedersenken, Schwalbe, Ratte und Distel in Winkeln und Spalten nisten, der Seewind den Garten zerzaust und die Jahreszeiten aufeinanderfolgen, während nur in Parenthesen, unerbittlich wie die Natur, sich das Menschenschicksal erfüllt - Mrs. Ramsay stirbt, ihr Sohn Andrew an der Front fällt, ihre Tochter Prue im Kindbett dahingeht. Denn die Menschen sind nur Wellen, die sich heben und wieder vergehen im Strom der Zeit. Erst im dritten Satz, "Der Leuchtturm," findet man sie wieder in ihrer eigenen Dimension, und der Faden wird dort angeknüpft, wo er abgerissen war.
Erschienen ist die Besprechung zuerst in der Süddeutschen Zeitung vom 26. Januar 1957. Vor allem könnte ich diverse Eide darauf schwören, daß ich DIESEN Text nicht gelesen habe, als ich das Buch vor gut 25 Jahren in der Grabbelkiste eines Antiquariats gefunden habe.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.