Zwei Artikel, einer auf Focus Online und einer auf Spiegel Online, haben mich nun final dazu getrieben, eine geharnischte Polemik (allerdings streng auf Faktenbasis - nur die Wortwahl ist polemisch...) zur höchst verlogenen Argumentation in diversen Kreisen rund um den möglichen Beitrag der Kernenergie zum Klimaschutz zu verfassen.
Schöne Textwüste. Die Wiederauferstehung der Kernkraft war fast zwingend, und ich habe Moore's Film 'Planet of the humans' als Initialzündung für diese gesehen, eben, weil sie zwar nicht erwähnt, aber die einzige Schlussfolgerung blieb. Also rechtzeitig Cameco gekauft .
Gruß Martin
Ich muss mal in alten Bildern graben. Da habe ich irgendwo Neckarwestheim in der Bauphase.
Zitat Gegenüber der Endlagerung von dauerhaft giftigen Stoffen hat der atomare Abfall immerhin den Charme, dass er über die Zeit sehr viel weniger gefährlich wird.
Noch ein Grund, warum radioaktive Wertstoffe sicherer langzeitgelagert werden können als nichtradioaktiver Giftmüll: Man kann Leckagen berührungsfrei durch die Strahlung entdecken. Nichtradioaktive Giftstoffe kann man nur nachweisen, indem man mit Proben hantiert, an denen entweder eine chemische Nachweisreaktion oder Massenspektrometrie durchgeführt wird. Man muß also schon enger eingegrenzt haben, wonach man genau sucht.
Ich persönlich zweifle allerdings noch an der Sinnhaftigkeit der SMRs. Für diese ist meiner Meinung nach ein ähnlicher Aufwand zu betreiben wie für große Kraftwerke; auch der benötigte Platz ist nicht signifikant weniger da ja immer noch Peripherie und Betriebsmannschaft untergebracht werden müssen. An vollständig wartungsfreie SMRs glaube ich erstmal auch nicht, da in Kernkraftwerken eine vorbeugende Instandhaltung der "run to failure" Philosophie vorzuziehen ist. Auch die angeblich wartungsfreien Konzepte haben Komponenten die versagen können.
Zitat In contrast to full-scale nuclear power stations, the SMR would have a footprint of just two football pitches. But the key difference is that the small, modular design would allow the parts to be built in factories ready for quick assembly at the chosen location, making them much cheaper than the traditional large reactors.
Zwei Fußball Felder sind jetzt nicht sooo viel weniger als der Platz für eine 1 GW Anlage. Modulare Bauweise und Zusammenbau ist schon sehr vorteilhaft, wenn das auch vollständig durchdacht ist. Ansonsten läuft man in das Problem, dass wenn das detailed design nicht abgeschlossen ist und aber Module produziert werden, die gegenseitige Abhängigkeit so hoch ist, dass einerseits zeitliche Verzögerungen bei der Errichtung bei jedem Modul direkt auf den kritischen Pfad durchschlagen und auch spätere Änderungen nicht mehr möglich sind, bzw. Rückabwicklungen erfordern. Die First of a kind - Anlage kann daran scheitern.
Der (große) moderne Kraftwerkstyp AP1000 der Firma Westinghouse setzt beispielsweise auch auf eine modulare Bauweise, welche aus ebendiesen Gründen bei den FOAK - Anlagen in China zu starken Verzögerungen geführt hat. Aber im Gegensatz zu den SMRs gibt es jetzt schon Anlagen, von daher denke ich dass die Interessenten sich in der näheren Zukunft auch im nahen europäischen Ausland (vor allem Polen und Tschechien) eher mit großen Anlagen beschäftigen wird.
Zitat von Frode im Beitrag #4 Ich persönlich zweifle allerdings noch an der Sinnhaftigkeit der SMRs.
Tja, da kann man lange hin- und herphilosophieren - entscheidend ist "in der Praxis", und da sind die SMRs ihre Sinnhaftigkeit bislang schuldig geblieben, allerdings hat auch der ernsthafte erste Bauversuch gefehlt. Beim Kraftwerkskauf gibt es halt keinen "First Mover Advantage", sondern eher ein "lass' die anderen mal erst die Finger verbrennen, wir warten ab"-Vorteil.
M.E. ist in einem Strommarkt wie den USA der Vorteil der SMRs, dass auch kleinere Stromversorger auf Kernenergie setzen können. Selbst wenn die großen Kraftwerke einen Kostenvorteil haben/hätten, sind die Finanzierungskosten bei den SMRs eben eher überschaubar, das Risiko begrenzt, und man kann (so es denn tatsächlich mal zu einer Serienfertigung kommt) die Dinger tatsächlich nach und nach installieren. Und man braucht nicht zwingend den riesigen Strombedarf in Kraftwerksnähe wie bei den großen Reaktoren, die ja aus vielerlei Gründen auch meistens als mindestens Zwillinge gebaut werden. Das macht die SMRs geeignet auch für ländlich(er)e Regionen, sie passen einfach in viel mehr Netzsituationen. Attraktiv für den potenziellen Käufer ist sicher auch das Modell "erstmal einen bauen und betreiben, und mit dem Geld dann verdienten Geld den zweiten ordern, wenn der erste zuverlässig läuft". Und nicht zu vergessen: das Thema "Revision" bzw. "Refueling" ist bei den großen Brocken ja immer schwer zu handeln, es ist halt ein Unterschied ob Du mal für 2 Monate anderthalb GW vom Netz nimmst oder vielleicht nur 100-200 MW.
Tendenziell halte ich die SMRs für einfacher betreibbar und einfacher genehmigungsfähig, weil man sich bezüglich der Sicherstellung der Notkühlung die kostentreibende Redundanz sparen kann, wenn man sie wirklich "walk-away-safe" bekommt (was zu beweisen ist...). Und sowas wie den Core Catcher vom EPR kann man sich auch sparen, weil eine Kernschmelze schlicht unmöglich sein wird mangels ausreichender Nachzerfallswärme. Das völlig entspannte Risikoprofil könnte auch den Weg ebnen zu dezentralen Strukturen mit Fernwärmeauskopplung für Heizzwecke. Mal sehen, was die Russen in Sibirien treiben, da gibt es ja ein paar entsprechende Projekte.
Wird das Versprechen "Serienfertigung" und "kurze Bauzeiten" eingelöst, werden die SMRs auch eher für Regierungen/die Politik interessant, weil eine Beschaffung und Inbetriebnahme plötzlich in den politischen Planungshorizont passt. Die nukleare Erfolgsgeschichte beispielsweise der USA von den 70ern bis in die 90er oder der Franzosen oder Südkoreaner basiert ja darauf, dass wechselnde Regierungen jahrzehntelang an der Technologie festgehalten haben und durch regelmäßige Neubauten die Bau- und Lieferketten der Industrie intakt blieben. So gravierende Probleme mit Verzögerungen wie Olkiluoto, Flamanville oder Angra 2/Angra 3 macht es für kernenergiefreundliche Regierungen unmöglich, hier Investitionen zu tätigen, die nach einem Regierungswechsel gecancelt werden. Am Beispiel Tschechien, Polen und Südafrika kann man auch sehen, dass die gewaltigen Investitionen für so ein Großkraftwerk sehr schwer zu stemmen sind. Bis die Ausschreibungen durch sind, hat die Regierung schon wieder gewechselt.
Aber letztlich ist alles eine Frage des Preises. Wenn der passt, werden sich die SMRs durchsetzen, weil niemand 10 Jahre auf die Fertigstellung seines Reaktors warten will. Im Moment ist das Problem, dass ein Sieger im doch sehr breit aufgestellten Anbieterfeld sich nicht abzeichnet, und damit wird es schwer, auf Stückzahlen zu kommen, die tatsächlich eine signifikante Kostensenkung erlauben würden. Im Moment würde ich mein Geld auf Anbieter setzen, die im militärischen Bereich schon kleine Reaktoren gebaut und geliefert haben, also letztlich B&W und Rolls-Royce. An die exotischen Reaktorkonzepte vom Salzschmelzenreaktor über Dual-Fluid bis zum flüssigbleigekühlten Reaktor (und generell eigentlich alle schnellen Reaktoren) glaube ich ehrlich gesagt nicht in naher Zukunft, die mögen technisch noch so elegant sein, aufgrund fehlender Erfahrungswerte bei Konstruktion, Bau und Betrieb ist allein das Überzeugen der jeweiligen Regulierungsbehörden schwierig bis unmöglich. Und das ist generell aus meiner Sicht DAS Risiko schlechthin: wenn in den USA die NRC blockiert oder verschleppt, ist halt Essig mit SMRs.
Leider leider ist durch die spezielle Sonderbehandlung der Kerntechnik aufgrund der militärischen Abstammung die Totregulierung dieses Bereichs ständig in Reichweite einer missgünstigen Regierung. Wären hier faire Marktbedingungen, wäre der Siegeszug der Kernenergie sicherlich nicht aufzuhalten - die Vorteile sind einfach zu offensichtlich.
Zitat von Frode im Beitrag #4 Ich persönlich zweifle allerdings noch an der Sinnhaftigkeit der SMRs.
Tja, da kann man lange hin- und herphilosophieren - entscheidend ist "in der Praxis", und da sind die SMRs ihre Sinnhaftigkeit bislang schuldig geblieben, allerdings hat auch der ernsthafte erste Bauversuch gefehlt. Beim Kraftwerkskauf gibt es halt keinen "First Mover Advantage", sondern eher ein "lass' die anderen mal erst die Finger verbrennen, wir warten ab"-Vorteil.
Für die nächste Zeit empfehle ich eine genauere Beobachtung von NuScale und Rolls-Royce, die beide im Moment vielversprechende Ansätze im SMR-Bereich fahren und m.E. sowohl was Marktbearbeitung als auch Finanzierung, Entwicklung, Genehmigung und Produktion angeht am weitesten sind. Außenseiterchancen sehe ich bei BWXT/GE-Hitachi (aber politisch sehr abhängig von den Kanadiern) und Westinghouse mit dem eVinci.
Aus EU-Sicht bleibt interessant, ob die Niederländer Nägel mit Köpfen machen und was in Polen passiert. Und tatsächlich wird bestimmt demnächst Mitte 2022 der finnische EPR in den Regelbetrieb gehen...das glauben wir dann wenn es soweit ist. Das hat schon BER-ähnliche Ausmaße.
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