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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 10 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.02.2008 12:07
Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten

Eigentlich sollte es nur eine Marginalie werden; der Hinweis auf einen Artikel in der heutigen FAZ.

Dann ist der Beitrag mir aber doch etwas länger geraten; mit dem Versuch, ein wenig den Kontext herzustellen.

Manche mögen finden - ich auch, als ich ihn Korrektur gelesen habe -, daß dieser Beitrag sehr allgemein ausgefallen ist, daß er vermutlich bei vielen Lesern offene Türen einrennt. Aber wer weiß - vielleicht ist hier und da die eine oder andere Tür doch nocht geschlossen; oder nur angelehnt?

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

09.02.2008 13:32
#2 RE: Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten
Oh ja, lieber Zettel, ich kann mich noch gut an Diskussionen in kreuzberger Kneipen erinnern, in denen (eingeborene) Frauen plötzlich Vergewaltigungen rechtfertigten, wenn sie von Ausländern begangen wurden! Ich war darüber damals genauso sprachlos wie ich es heute bin. Ich meine darin nämlich eine so heillose Tendenz zur Unterwerfung zu erkennen, daß jede Grundlage zu einem Gespräch verschwunden ist.

Herzlich, Thomas
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.02.2008 14:48
#3 RE: Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten
Lieber Thomas,
Zitat von Thomas Pauli
ich kann mich noch gut an Diskussionen in kreuzberger Kneipen erinnern, in denen (eingeborene) Frauen plötzlich Vergewaltigungen rechtfertigten, wenn sie von Ausländern begangen wurden!

So heftig habe ich es zwar nicht erlebt. (Vielleicht, weil ich nie in Kreuzberger Kneipen unterwegs war, sondern nur im Ruhrgebiet. ) Aber an diese Leute, die ein Leuchten in den Augen bekamen, wenn sie von den "intakten" türkischen Familien schwärmten, kann ich mich noch gut erinnern.

Dieselben Leute, die das deutsche Familienleben als spießig ablehnten. Ich hatte schon damals den Eindruck, daß die guten Türken als eine Projektionsfläche dienten für alles, was man sich selbst versagte. Im Grunde das alte Phänomen des Edlen Wilden. Jane schwärmt für Tarzan.

Da paßt das, was du schreibst, im Grunde ganz gut hinein.

Herzlich, Zettel
Kaa Offline




Beiträge: 658

09.02.2008 22:37
#4 RE: Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten

In Antwort auf:
Aber wer weiß - vielleicht ist hier und da die eine oder andere Tür doch nocht geschlossen; oder nur angelehnt?

Oder vielleicht bist Du in einem Haus und ich auf einem Treck und der nächste Leser bei einer Geburtsvorbereitung. Wohlgemerkt: Vielleicht. Manchmal, wenn ich Vermutungen äußere, vermute ich nur. Meistens eigentlich. Ich müßte natürlich nichts vermuten, was mein Gesprächspartner nicht vorlegt, wenn er in meiner Welt sprechen würde.

In Antwort auf:
Als diese Bewegung Mitte der sechziger Jahre begann, war die deutsche Gesellschaft alles andere als unfrei und autoritär. Aber es gab noch Reste autoritären Denkens; es gab noch - beispielsweise in den Universitäten - Strukturen, die als nicht freiheitlich gesehen wurden.


Wenn Du Freiheit in absolutem Maß mißt, machst Du einen Denkfehler. Denken ist hier nämlich gar nicht angebracht. Keine Ironie. Es geht um gefühlte Freiheit, empfundene Freiheit. Und die kann man sich faktisch zurechtlügen, ..., eventuell sind dem möglichen Maß der Lüge hier keine Grenzen gesetzt. Ich glaube, Du bist ca zwanzig Jahre älter als ich. Ich glaube, Du hast noch Flucht und Hunger erlebt. Du hast Eckpunkte der Freiheit, die einfach nicht zur Diskussion stehen. (Ich sage nicht, daß sie zur Diskussion stehen müßten, sollten).

Für mich war Freiheit subjektiv. Wir hatten kein wirkliches Problem der Freiheit im Außen, z.B. mit Kreuzigung, Steinigung, AusgestoßenSein, oder solchen Sachen. _ABER_ - man hat uns Worte erzählt: Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Verantwortung. Eventuell hat man uns diese Worte in einem Alter erzählt, wo wir Sinn machen. In einem anderen Alter hatte ich mal am Radio gedreht (Mittelwelle glaube ich) und da sprudelte dauernd die Worte "Solidarität" und ich glaube auch "Selbstkritik" durch den Äther. Also, was Solidarität war, da mußte ich nachfragen. Hat mich nicht angeturned. Bevor ich am Radio drehte hatte ich aber ein Buch gelesen. Vielen in meiner Generation wird es so gegangen sein. Meinen Kinder ist es noch so gegangen. Wir haben über die KZs gelesen. Wir konnten es nicht glauben. Wir waren Kinder auf dem Weg ins Erwachsenenalter. Daß Menschen so etwas tun konnten. Schon damals habe ich nicht geglaubt, daß nur Deutsche so etwas tun können.
Das war aber zum Glück vorbei, diese finstere Zeit war überwunden, so wie die Scheiterhaufen der Hexenverbrennung und die Inquisition. Es waren nur noch ein paar Hindernisse auf dem Weg zur wirklichen Freiheit zurückgeblieben. Die Todesstrafe in Amerika zum Beispiel. Ich weiß eigentlich nicht mehr, was sonst noch - aber das Gefühl war: Sie lügen über die Freiheit. Sie sagen Freiheit und meinen etwas, was nicht Freiheit bedeutet. Und ich bin mir heute noch sicher, daß ich damit richtig lag. Ich meine, man kann einer Wohlstandsgeneration nicht erzählen, daß das Tolle an unserem Gesellschaftssystem Freiheit wäre. Wenn die Backfische die Unfreiheit die im Gegensatz dazu gemeint ist, nicht kennen, werden sie die Unfreiheit, die sie kennen, nehmen. Und natürlich kannten wir Unfreiheit. Jeder Jugendliche kennt gefühlte Unfreiheit. Und Ungerechtigkeit gab es auch. Auf jedenfall irgendwo in der Welt. Und irgendwer wird uns schon darüber aufgeklärt haben.

Ich war subjektiv. Mit 18. Mit 30. Ich bin heute noch hochgradig subjektiv. Sind die Jugendlichen heute objektiv? Waren die Jugendlichen zu Deiner Zeit objektiv? Sie haben von der FDGO geschwätzt und sie haben gelogen. Haben sie - keine Frage - sie haben unter Freiheit was anderes verstanden als wir und hielten es nicht für nötig, die Mißverständnisse anzusprechen.


In Antwort auf:
Es war zugleich aber auch ihr Überdrehen, ihre Infantilisierung bis in die Lächerlichkeit hinein.

Damit dienst Du niemandem! Was um alles in der Welt sollen die Worte Infantilisierung und Lächerlichkeit in diesem Zusammenhang? Deine damaligen Feinde sind jetzt fünzig. Ich bin Dein damaliger Feind. Wieso beleidigst Du mich? Soll ich zu Kreuze kriechen? Soll ich sagen, ja, ich war infantil? Ja, das war lächerlich? Täte ich, wenn es was bringen würde. Bringt aber nichts. Dir nicht, uns nicht. Denn so war es nicht wirklich. Nur in Deinem Koordinatensystem. Du aber hast nicht die Definitionshoheit für Freiheit gebucht. Das war Euer Fehler, Zettel.

Du machst ihn heute noch immer. Und Du kannst es tun, ohne Dein Gesicht zu verlieren. Es gibt nichts besseres, als diesen Fehler zu machen. Ich verliere lieber mein Gesicht und suche das bessere. Das klingt jetzt heroisch, eigentlich habe ich kein Gesicht zu verlieren, also ist es einfach Gewohnheit. Wie bei Dir. Keine Tugend.

Euer Fehler _IST_: Ihr wißt, was richtig ist. Das ist absolut notwendig in der Politik, in den Gesetzen, in allen Bereichen, die mir gerade einfallen - ich möchte nicht, daß Ihr aufhört, zu wissen, was richtig ist (und Euch dabei zu widersprechen). Aber es gibt einen Bereich, wo das verkehrt ist. Ich kann den Bereich nicht benennen - es hat was mit Wahrheit zu tun. Es hat auch was mit Menschlichkeit zu tun. Es hat was mit diesem Satz zu tun:

In Antwort auf:
Es war zugleich aber auch ihr Überdrehen, ihre Infantilisierung bis in die Lächerlichkeit hinein.
Du schießt auf einen toten Feind.

Es hat was mit diesem Satz zu tun:
In Antwort auf:
Personifiziert wurde diese Zeit nicht mehr durch große Intellektuelle wie Tucholsky und Augstein (die "Achtundsechziger Bewegung" hat keinen einzigen bedeutenden Intellektuellen hervorgebracht), sondern durch zottelbärtige und wuschelhaarige Figuren wie Fritz Teufel und Rainer Langhans.

Ich bestreite den Inhalt nicht. Ich frage mich nur, was hat es für einen Zweck, das zu behaupten. Es kann sich nur um einen psychologischen handeln. Der Feind, die 68Bewegung, ist inexistent. Niemand kann mehr aus der 68er Bewegung einen großen Intellektuellen hervorbringen. Der Vorwurf kann niemals anstachelnd wirken. Die Eltern damals haben versagt. Wie fühlt sich das an? Das ist genauso wahr. Als Vorwurf ist es genauso sinnlos. Als Analyse genauso inhaltsleer. Was hätten sie besser machen können. Was waren die Mechansimen des Versagens? War Intellektualität ein Wert für die 68Jugend? Was waren Werte für sie? Wieso?

In Antwort auf:
Eine antiautoritäre Grundhaltung war nun nicht mehr nur die Sache einer kleinen Minderheit oder des fortgeschrittenen Teils der Bevölkerung. Jetzt, als Folge des Siegs der Achtundsechziger und ihres "Langen Marschs durch die Institutionen", durchdrangen Freiheit und Autoritätsferne allmählich die ganze Gesellschaft; bis hinunter zu den bildungsfernen Schichten, die sich nachmittags Krawall- Talkshows reinziehen und abends den neuesten Porno genießen.
Das stimmt natürlich nicht geradlinig. Zwar war die antiautoritäre Bewegung für den Porno in RTL nach 24 Uhr notwendig, aber das alleine hat dazu nicht gereicht.

In Antwort auf:
Denn der Erfolg der antiautoritären Bewegung ist die zwar nicht einzige, aber eine wesentliche Ursache dafür, daß wir heute in Millionen deutschen, jedenfalls in Deutschland lebender Familien wieder autoritäre Strukturen haben, schlimmer als im Kaiserreich.

Wie das? Weil zu den Grundüberzeugungen dieser Antiautoritären der Multikulturalismus gehörte und gehört.


Ich fürchte nein. Jetzt werden wir konstruktiv. Und damit das klar unterschieden ist, im nächsten Beitrag.

Kaa Offline




Beiträge: 658

09.02.2008 22:56
#5 RE: Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten
In Antwort auf:
Wie das? Weil zu den Grundüberzeugungen dieser Antiautoritären der Multikulturalismus gehörte und gehört.


Ich bleibe jetzt beim Spekulieren. Und schnellen Pinselstrichen aus der flüchtigen Erinnerung. So genau wollten wir es nämlich schon damals nicht wissen. Es sollte sich nur sicher anfühlen.

Ich persönlich liebte Volkstanz. Egal, von wem. Aber sogar mir war mit 18 oder 20 klar, daß ich das nicht erwähnen durfte. Bayerischer Dorfvolkstanz war zurückgeblieben, sudetendeutscher so schlimm wie ein Hakenkreuz. Doch schon damals fanden wir fernöstlichen Volkstanz oder griechischen, italienischen, türkischen Volkstanz gut. Gefühlt gut. Über die Unlogik müßen wir uns gar nicht auseinandersetzen - sie ist so offensichtlich, das wir uns fragen wollen, wieso sie möglich war.

Ich spekuliere aus erinnerter Innerlichkeit. Irgendwo auf der Welt müßen die Menschen doch gut sein. Irgendwo muß die Welt doch heile sein. Irgendwo auf der Welt muß Volkstanz doch Ausdruck für das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe friedlicher, gleichwertiger Menschen einer Gemeinschaft sein.

Ist blöd, nicht - aber irgendwie muß dieser Floh doch in unser Ohr gesetzt worden sein. Irgendjemand muß uns doch etwas erzählt haben, was wir dahingehend mißverstehen konnten, daß ein friedliches, gleichberechtigtes, freiheitliches Zusammenleben von Menschen möglich ist.

Ich bin mir sicher, daß es nicht Multikulturalismus war. Es ging tiefer, eher in die Richtung - das, was wir wollten, gab es in Deutschland nicht. Irgendwo muß es das doch geben. Wir können doch nicht alle Welt kritisieren. Wir sind doch noch keine zwanzig. Irgendwo brauchen wir Ideale. Irgendwo brauchen wir Erwachsene, denen wir nacheifern wollen. Irgendwo muß es die heile Welt geben, die wir mit unseren Freunden und unseren Kindern bauen wollen. Wir haben keinen Krieg erlebt. Wir mußten die Welt nicht neu erfinden.

So irgendwie war das.

Kaa
str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

10.02.2008 18:46
#6 RE: Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten

In Antwort auf:
Aber es gab noch Reste autoritären Denkens; es gab noch - beispielsweise in den Universitäten - Strukturen, die als nicht freiheitlich gesehen wurden.


Es scheint mir hier ein Gegensatz zwischen autoritären Strukturen und einem totalitären, nicht außer sich selbst geltenlassenden Liberalismus zu bestehen.

Feynman ( gelöscht )
Beiträge:

10.02.2008 20:16
#7 RE: Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten

Lieber str1977

Ich geb zu die zweite Hälfte ihres Satzes verstehe ich nicht, wenn es Ihnen nicht ausmacht erbitte ich eine Erklärung.
Grundsätzlich habe ich gegen autoritäre Strukturen einmal nichts, man denke nur an das Verhältnis Student/Schüler zu Professor/Lehrer, es mag andere Lehrmöglichkeiten geben, aber in einer Klasse mit 30+ oder einem Hörsaal mit 100+, ist für einen Vortragenden eine gewisse Autorität hilfreich, um die Konzentration der Anwesenden auf sich zu sammeln.

Herzlich Feynman

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

11.02.2008 11:27
#8 RE: Antiautoritäre Bewegung und autoritäre Strukturen Antworten

Hallo Feynmann,

also das Zitat stammt natürlich aus dem Kontext der Achtundsechziger.

Sie trifft aber auch alle, die seitdem immerzu nach Demokratisierung und Liberalisierung von diesem und jenem schreien.

Beides hat sicherlich in manchen Bereichen seine Berechtigung. Am Beispiel: der Staat soll demokratisch sein und ist das ja auch (nur nebenbei: "demokratisch" ist ein weites Feld und m. A. soll der Staat genau so demokratisch sein, wie das GG es vorsieht, und eben nicht "mehr wagen".). Aber die Gesellschaft? Soll das heißen, die Gesellschaft unter Volksherrschaft zu stellen? Oder in der Familie?

Ähnliches hat man ja auch schon in der Französischen Revolution erlebt - wenn auch wesentlich gewalttätiger. Und beide Kräfte stehen nun mal in der Tradition des Liberalismus.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

11.02.2008 13:26
#9 Liberalismus und "Demokratisierung der Gesellschaft" Antworten

Lieber str1977,

bis ich zum letzten Satz gekommen bin, habe ich Ihnen innerlich voll zugestimmt und mir beim Lesen vorgenommen, das auch gleich zu schreiben; schon weil wir ja sonst (was ich schätze) nicht immer einer Meinung sind.

Aber dann ...

Zitat von str1977
Am Beispiel: der Staat soll demokratisch sein und ist das ja auch (nur nebenbei: "demokratisch" ist ein weites Feld und m. A. soll der Staat genau so demokratisch sein, wie das GG es vorsieht, und eben nicht "mehr wagen".). Aber die Gesellschaft? Soll das heißen, die Gesellschaft unter Volksherrschaft zu stellen? Oder in der Familie?

So ist es. "Demokratisierung der Gesellschaft" ist nicht freiheitlich, sondern bedeutet mindestens in der Tendenz, daß der Staat überall in die Gesellschaft hineinregiert. Das ist freiheitsfeindlich.
Zitat von str1977
Ähnliches hat man ja auch schon in der Französischen Revolution erlebt - wenn auch wesentlich gewalttätiger.

Exakt. Weil diese Revolution zunehmend von jakobinischen Tendenzen beherrscht wurde. Damals wurde erstmals durchexerziert, wie eine anfangs freiheitliche Bewegung in kurzer Zeit in eine blutige Diktatur mündet.
Zitat von str1977
Und beide Kräfte stehen nun mal in der Tradition des Liberalismus.

Das, lieber str1977, ist der Satz, den ich gemeint hatte. Ein Satz, bei dem sich mir die Haare sträuben. (So ein Haarsträube-Smilie könnten wir auch noch brauchen; also nehmen wir dieses: )

Ja, es gab die Jakobiner, die sich auf einen Autor der Aufklärung berufen haben, auf Rousseau.

Aber was ist liberal an Rousseau? Die Liberalen unter den Aufklärern - Hobbes, Adam Smith, Hume - waren die geistigen Wegbereiter nicht der Französischen, sondern der Amerikanischen Revolution.



Lieber str1977, ich nehme Ihnen Ihren Irrtum ja nicht übel. Die Marxisten haben eifrig an der Legende gestrickt, erst die Französische Revolution und dann sie selbst seien die Erben der Aufklärung. Und konservative Kritiker der Marxisten haben das übernommen; nur jetzt als Vorwurf. Dabei wurde die Aufklärung als eine breite Bewegung einfach mit dem Liberalismus gleichgesetzt, der aber nur eine ihrer Strömungen gewesen ist.

Der einzige Staat, dessen Verfassung wirklich und unmittelbar vom Liberalismus bestimmt war und ist, sind die USA. Also das Land, in dem es von allen westlichen Ländern am wenigsten "Demokratisierung der Gesellschaft" gibt. Gottseidank.

Herzlich, Zettel


str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

26.02.2008 10:52
#10 RE: Liberalismus und "Demokratisierung der Gesellschaft" Antworten

Nun, lieber Zettel, ganz unrecht haben Sie natürlich nicht, aber

In Antwort auf:
Exakt. Weil diese Revolution zunehmend von jakobinischen Tendenzen beherrscht wurde. Damals wurde erstmals durchexerziert, wie eine anfangs freiheitliche Bewegung in kurzer Zeit in eine blutige Diktatur mündet.


Die Revolution ist nicht erst durch die Jakobiner gewalttätig geworden sondern war dies von Anfang an. Ihre Prinzipien verratend, wenn es opportun erschien (wie war das noch, erst Menschenrechte inklusive Religionsfreiheit und Eigentum verkünden, um dann tags drauf die Kirchengüter zu verstaatlichen?) Das die Jakobiner das alles zu neuen Höhen getrieben hat steht außer Frage. Übrigens, auch nach ihrem Sturz 1794 bzw. 1795 war Frankreich noch immer eine Diktatur.

In Antwort auf:
Das, lieber str1977, ist der Satz, den ich gemeint hatte. Ein Satz, bei dem sich mir die Haare sträuben. (So ein Haarsträube-Smilie könnten wir auch noch brauchen; also nehmen wir dieses: )

Ja, es gab die Jakobiner, die sich auf einen Autor der Aufklärung berufen haben, auf Rousseau.

Aber was ist liberal an Rousseau? Die Liberalen unter den Aufklärern - Hobbes, Adam Smith, Hume - waren die geistigen Wegbereiter nicht der Französischen, sondern der Amerikanischen Revolution.


Liberalismus, mein lieber Zettel, ist ein weites Feld und so unverwandt sind die Französischen Revolutionäre dem Liberalismus nicht. Mit Rousseau haben Sie natürlich Recht - dieser gilt ja auch als Vater einer politischen Strömung die man "Integrismus" nennt und die schließlich in den Kommunismus mündet. Aber einen Aufklärer handelt es sich auf jeden Fall.


Lieber str1977, ich nehme Ihnen Ihren Irrtum ja nicht übel. Die Marxisten haben eifrig an der Legende gestrickt, erst die Französische Revolution und dann sie selbst seien die Erben der Aufklärung. Und konservative Kritiker der Marxisten haben das übernommen; nur jetzt als Vorwurf. Dabei wurde die Aufklärung als eine breite Bewegung einfach mit dem Liberalismus gleichgesetzt, der aber nur eine ihrer Strömungen gewesen ist.

Der einzige Staat, dessen Verfassung wirklich und unmittelbar vom Liberalismus bestimmt war und ist, sind die USA. Also das Land, in dem es von allen westlichen Ländern am wenigsten "Demokratisierung der Gesellschaft" gibt. Gottseidank.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.02.2008 17:18
#11 RE: Liberalismus und "Demokratisierung der Gesellschaft" Antworten

Zitat von str1977
Liberalismus, mein lieber Zettel, ist ein weites Feld und so unverwandt sind die Französischen Revolutionäre dem Liberalismus nicht. Mit Rousseau haben Sie natürlich Recht - dieser gilt ja auch als Vater einer politischen Strömung die man "Integrismus" nennt und die schließlich in den Kommunismus mündet. Aber einen Aufklärer handelt es sich auf jeden Fall.

Das bestreite ich ja nicht, lieber str1977.

Nur war er eben nicht repräsentativ für die Hauptströmungen der Aufklärung. Er hatte wenig Gemeinsamkeiten mit den britischen und den deutschen Aufkläreren.

Und selbst mit den französischen nicht, die - wie die britischen und die deutschen - ja vor allem Männer der Wissenschaft gewesen sind. Nicht zufällig war es eine ihrer wichtigsten Leistungen, eine Enzyklopädie zu verfassen. Mit Leuten wie d'Alembert, Diderot, Condillac oder gar LaMettrie hat Rousseau so gut wie keine Berührungspunkte. Außer eben dem Bestreben aufzuklären.

Er war ein Extremist. Ein Extremist der rücksichtslosen Selbstentblößung in den "Confessions". Ein Extremist auch in der Staatstheorie, mit der er die französischen Revolutionäre allerdings in der Tat nachhaltig beeinflußt hat.



Nochmal gesagt, lieber str1977:

Daß die Marxisten die Französische Revolution in die Tradition der Aufklärung stellen, so wie sich selbst als Fortsetzer der Aufklärung sehen, kann man ihnen ja nicht übelnehmen. Jeder möchte gern angesehene Vorfahren haben.

Aber daß ihnen auch Konservative das abkaufen und ihrerseits die Aufklärung oder gar den Liberalismus für die Französische Revolution verantwortlich machen - das ist mindestens so absurd, als würde man Nietzsche für die Nazis verantwortlich machen.

Herzlich, Zettel

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