Über Demoskopie wird ja hier im Forum immer einmal wieder diskutiert. Ich habe dabei dazu tendiert, die Demoskopie zu verteidigen. Wenn man die Daten nach den Regeln der Kunst erhebt, wenn man die statistischen Ergebnisse mit den Methoden der mathematischen Statistik aufbereitet und sie mit der durch sie gesetzten Vorsicht interpretiert, dann ist die Demoskopie ein Teil der empirischen Sozialwissenschaft wie andere auch.
Aber es gibt in der Demoskopie eine Schwachstelle: Die Formulierung der Fragen und der Antwortalternativen. Wenn man da nicht sorgsam und seriös arbeitet, ist alles, was danach an Erhebung und Analyse kommt, für die Katz.
In dieser Woche steht im "Spiegel" ein instruktives Beispiel.
Hm. Wie ist das bei derartigen Umfragen? Hat der Spiegel die Fragen vorgegeben? Oder zumindest die generelle Färbung der Fragen? Oder war der Auftraggeber gar nicht der Spiegel? Auf der TNS-Website heißt es:
* Ministerien und öffentliche Verwaltungen, von der EU-Ebene über Bund und Länder bis zu den Kommunen * Fachinstitute und universitäre Forschungsgruppen, die für ihre empirischen Forschungsvorhaben ein Kooperationsinstitut brauchen * Verbände und gemeinnützige Organisationen
Privatfirmen sind da nicht verzeichnet. Ist der Spiegel privat?
Zitat von http://www.tns-infratest.com/branchen_un...alforschung.aspDie TNS Infratest Sozialforschung arbeitet für ein breites Spektrum öffentlicher Auftraggeber. Sie kommen im wesentlichen aus drei Bereichen: * Ministerien und öffentliche Verwaltungen, von der EU-Ebene über Bund und Länder bis zu den Kommunen * Fachinstitute und universitäre Forschungsgruppen, die für ihre empirischen Forschungsvorhaben ein Kooperationsinstitut brauchen * Verbände und gemeinnützige Organisationen
Privatfirmen sind da nicht verzeichnet. Ist der Spiegel privat?
Ich vermute (und habe es in dem Artikel einfach vorausgesetzt; hoffentlich zu Recht ), daß die Umfrage von TNS Emnid durchgeführt wurde (im "Spiegel" steht nur "TNS Forschung"). Ich nehme das deshalb an, weil Emnid seit Jahrzehnten für den "Spiegel" arbeitet.
Bei TNS Emnid nun werden auch Zeitschriften als Auftraggeber genannt.
Interessant finde ich Ihre andere Frage:
Zitat von DiskusHm. Wie ist das bei derartigen Umfragen? Hat der Spiegel die Fragen vorgegeben? Oder zumindest die generelle Färbung der Fragen?
Im allgemeinen wird es meines Wissens so gehandhabt, daß der Auftraggeber nur das generelle Thema vorgibt (hier also: Wie stehen die Deutschen zum Thema "soziale Ungleichheit"?) und es den Profis des Instituts überläßt, die Fragen einwandfrei zu formulieren.
Vielleicht sind Sie, lieber Diskus, dem Link in meinem Artikel zu dem früheren Artikel gefolgt, in dem von einer Umfrage zur bemannten Raumfahrt berichtet wird. Eine kleine Änderung des Wortlauts der Frage - und man bekommt radikal verschiedene Ergebnisse.
Nur wer wirklich ein Profi ist, kann Fragen so formulieren, daß wirklich die Einstellung bzw. Meinung erfaßt wird.
Ein zweites Spiegel-Beispiel: Der aktuellen Ausgabe von Cicero liegt eine Spiegel-Umfrage bei, die u.A. folgende Frage beinhaltet:
Die neuen EU-Richtlinien zur CO2-Reduzierung setzen die deutsche Automobilindustrie unter Druck. Sind die europäischen Forderungen in Ihren Augen dennoch gerechtfertigt? (Ja/Nein/Keine Angabe)
Da wird dem Leser auch gleich ein ganzer Schwarm von Annahmen untergeschoben, zumindest wenn ich "nein" ankreuzen möchte. Im Übrigen ist es auch eine versteckte Abo-Verbung, denn als "Dankeschönpaket" gibt es ein "Vorzugspreis-Abo". Da kann man doch nur Verachtung empfinden. Das soll Leserwerbung sein? Welche Leser möchte man da haben?
Zitat von UngeltEin zweites Spiegel-Beispiel: Der aktuellen Ausgabe von Cicero liegt eine Spiegel-Umfrage bei, die u.A. folgende Frage beinhaltet:
Die neuen EU-Richtlinien zur CO2-Reduzierung setzen die deutsche Automobilindustrie unter Druck. Sind die europäischen Forderungen in Ihren Augen dennoch gerechtfertigt? (Ja/Nein/Keine Angabe)
Da wird dem Leser auch gleich ein ganzer Schwarm von Annahmen untergeschoben, zumindest wenn ich "nein" ankreuzen möchte.
Schönes Beispiel, lieber Ungelt.
Hier kommt noch etwas Weiteres hinzu: Es gibt eine generelle Tendenz, im Zweifelsfall eher zuzustimmen als "nein" zu sagen. Deshalb sind "Ja/Nein"-Fragen grundsätzlich problematisch. Es ist immer besser, stattdessen Alternativen anzubieten.
Und man sollte sich eigentlich auch immer erst einmal vergewissern, ob der Befragte den Sachverhalt überhaupt kennt. Sonst kann man so gut wie sicher sein, daß die meisten von denen, die von der Sache keine Ahnung haben, sich für "ja" entscheiden, wie immer man die Frage formuliert. Vor allem, wenn man ihrer Unwissenheit gezielt aufhilft.
Hier zwei Formulierungen der Frage, die mit großer Wahrscheinlichkeit eine ganz unterschiedliche "Meinung" in der Bevölkerung zutage fördern würden:
Fassung A:Die neuen EU-Richtlinien zur CO2-Reduzierung setzen die deutsche Automobilindustrie unter Druck. Durch die Umsetzung dieser Richtlinien würden sich deutsche Autos verteuern, und es würden damit möglicherweise Arbeitsplätze verlorengehen. Sollte in Ihren Augen die Bundesregierung diesen Forderungen deshalb entgegentreten? (Ja/Nein/Keine Angabe)
Fassung B:Die neuen EU-Richtlinien zur CO2-Reduzierung setzen die deutsche Automobilindustrie unter Druck. Durch die Umsetzung dieser Richtlinien könnte aber die CO2-Belastung der Luft deutlich gesenkt und damit der globalen Erwärmung entgegengewirkt werden. Sind die europäischen Forderungen in Ihren Augen deshalb berechtigt?(Ja/Nein/Keine Angabe)
Bei Fassung B würden sich mehr Befragte zugunsten der Richtlinien aussprechen als bei Fassung A. Erstens, weil jeweils unterschiedliche Argumente genannt werden. Zweitens, weil die Tendenz zum Bejahen einmal in die eine, einmal in die andere Richtung wirkt.
Gute Demoskopie berüchsichtigt solche Antworttendenzen (response tendencies). Schlechte beutet sie aus, um ein dem Auftraggeber genehmes Ergebnis zu bekommen.
Fassung C: Die neuen, im Zuge der aktuellen Klimahysterie eilig und kopflos zusammengezimmerten EU-Richlinien...
Aber im Ernst: Wie soll ich denn antworten, wenn ich unabhängig vom "Druck auf die Automobilindustrie" der Meinung bin, daß das Ganze ein Unsinn ist. Wenn ich auf die Frage eingehe, habe ich doch schon halb eingesehen, daß es einen menschengemachten Klimawandel gibt und entsprechende Richtlinien berechtigt sind. Und wenn man so etwas mehrfach macht, hat man es auch innerlich als Wahrheit akzeptiert.
Ihre Einstellung zum Klima-Thema ist mir natürlich bekannt, auch ich kann die Klimamodelle nicht persönlich überprüfen ;-) Und es ist alles möglich, auch das stimmt wohl. Aber für mich sind die Methoden verräterisch, die angewendet werden, die "einzig wahre Sicht der Dinge" durchzusetzen. Daher halte ich dagegen. Auf diese Mittel zur "Erziehung der Werktätigen" bin ich eben etwas allergisch.
Zitat von UngeltAber im Ernst: Wie soll ich denn antworten, wenn ich unabhängig vom "Druck auf die Automobilindustrie" der Meinung bin, daß das Ganze ein Unsinn ist. Wenn ich auf die Frage eingehe, habe ich doch schon halb eingesehen, daß es einen menschengemachten Klimawandel gibt und entsprechende Richtlinien berechtigt sind.
Stimmt. Es ist ein weiteres Beispiel für Plurium Interrogationum.
Zitat von UngeltUnd wenn man so etwas mehrfach macht, hat man es auch innerlich als Wahrheit akzeptiert. Ihre Einstellung zum Klima-Thema ist mir natürlich bekannt, auch ich kann die Klimamodelle nicht persönlich überprüfen ;-) Und es ist alles möglich, auch das stimmt wohl. Aber für mich sind die Methoden verräterisch, die angewendet werden, die "einzig wahre Sicht der Dinge" durchzusetzen. Daher halte ich dagegen. Auf diese Mittel zur "Erziehung der Werktätigen" bin ich eben etwas allergisch.
Das Dumme, lieber Ungelt, ist halt, daß ja globale Erwärmung und Treibhauseffekt trotz dieser Methoden, trotz dieser Hysterie reale Phänomene sein könnten.
Die Ökokorrekten (dieses Wort "ökokorrekt" habe ich kürzlich auf einer ökopkorrekten WebSite gelesen) glauben an den menschengemachten Klimawandel, weil sie sich von ihm die Kontrolle über die Gesellschaft versprechen, wenn nicht gar auf eine Ökodiktatur à la Harich hinarbeiten. Sie versuchen eine naturwissenschaftliche Frage aufgrund politischer Interessen zu beantworten.
Wir, lieber Ungelt, teilen diese politischen Interessen nicht, zurückhaltend gesagt. Aber auch unsere freiheitliche politische Einstellung erlaubt ja keine Rückschlüsse auf naturwissenschaftliche Sachverhalte, wie sie nun einmal sind.
Ich habe manchmal den Eindruck, als würde ein Teil der Klimaskeptiker - nicht Sie, nicht ich; aber es scheinen mir gar nicht so wenige zu sein - denselben Fehler machen wie ihre Antagonisten, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Sie glauben zu wissen, daß es keinen menschengemachten Klimawandel gibt, nur weil sie politisch wünschen, daß es so ist.
In Antwort auf:Das Dumme, lieber Ungelt, ist halt, daß ja globale Erwärmung und Treibhauseffekt trotz dieser Methoden, trotz dieser Hysterie reale Phänomene sein könnten.
Das stimmt natürlich, und mir ist auch klar, daß da meine Argumentation logisch nicht ganz schlüssig ist. Obwohl natürlich "wer einmal lügt, dem glaubt man nicht" in der Not auch eine relevante Größe sein kann.
Aber, da wir an diesem Punkt sind, etwas OT: Da sehe ich wieder den interessanten Unterschied zwischen Ihrer und meiner Denkweise: Sie argumentieren immer streng wissenschaftlich, und wenn die Argumente aus Mezopotamien von vor vier Tausend Jahren stammen sollten ;-) (Sagen sie jetzt bitte nicht, daß sie deswegen weniger relevant sein müssen, ich akzeptiere das ja. ;-) Und im Notfall (Klima) haben sie eben dezidiert keine Meinung zum Thema.
Ich sehe das nicht so eng, weil ich mich in der Regel bei so komplexen Dingen häufig auf meinen "Bauch" verlasse. Ich bin nicht in der Lage, die oft große Anzahl von "weichen" Argumenten irgendwie vernünftig zu gewichten. Nicht bei so "primitiven" Dingen wie sie in der Mathematik, Mechanik oder Physik vorkommen, natürlich ;-) Aber sonst habe ich leider das Gefühl, daß es eher selten möglich ist, etwas wirklich umfassend zu erklären oder vorherzusagen. Nur weil irgendwann in der Geschichte etwas einmal so "funktioniert" hat, muß es nicht unbedingt noch einmal so funktionieren. Das ist mir zu vielschichtig, man könnte auch sagen, daß es zu viele Freiheitsgrade hat, oder daß mir der Schmetterlingsflügeleffekt zu stark ausgeprägt ist. Ein "richtiges Wort" kann den Lauf der Geschichte ändern, denke ich. Und wenn es unausgesprochen bleibt, weil der vorgesehene "Sprecher" eine Grippe bekommt, nur weil ihn in der U-Bahn einer anhustet, der eigentlich in die falsche U-Bahn eingestiegen ist? Oder die häufigen "Schwungeffekte", daß etwas erst in die eine Richtung richtig ausschlagen muß, um dann zum Gegenpol zu gelangen? Aber dann manchmal doch kippt, in eine ganz andere Ebene?
Bitte verstehen Sie das nicht als Kritik, Ihre "Zettelei" ist sehr lehrreich und man kann in freundlicher Umgebung unter netten Menschen täglich neue Aspekte kennenlernen, die auch für mein "Bauchgefühl" sehr wichtig sind. Eine wahre "Universität des 3. Lebensalters", ist es für mich ;-)
Schönen Gruß, Ungelt
PS:
(wenn wir schon beim Klima angekommen sind)
In Antwort auf:Aber auch unsere freiheitliche politische Einstellung erlaubt ja keine Rückschlüsse auf naturwissenschaftliche Sachverhalte, wie sie nun einmal sind.
Das erlaubt sie sicher nicht, aber um auch einmal konkret zu werden: Sind Ihnen die Argumente der "Ökokorrekten" zu dem einfachen Einwand bekannt, daß es ja schon in der Vergangenheit wohl erwiesenermaßen Warmphasen ("grünes" Grönland, eisfreie Alpen im Mittelalter) gab, ohne daß "menschenbedingtes" CO² der Auslöser dafür hätte sein können? Ich habe leider noch kein einigermaßen zugängliches bzw. verständliches gefunden.
Ein weiteres Beispiel, die lange Liste fortzuführen (auch wenn Umfragen wie diese überhaupt kaum den Ansprüchen der Demoskopie genügen können):
Zitat von Umfrage auf welt.de Haben Sie Verständnis für den Lieferstopp deutscher Milchbauern? 71% Ja 29% Nein 4985 abgegebene Stimmen
Antworte ich mit "ja", so wird man vermuten, dass ich nicht nur mit dem Lieferstopp, sondern sowohl mit den Forderungen, die mit ihm verbunden sind, als auch mit den Methoden seiner Durchsetzung (Nötigung, Kartellbildung) einverstanden sei. Stimme ich aber mit "nein", so halte ich offenbar die Bauern für eine Art moderner Lohnsklaven, denen das Recht auf Vertragsfreiheit, so sie von dieser Gebrauch machen, nicht zugestanden wird.
Es fängt schon beim Wort "Verständnis" an. Verständnis habe ich eine Menge. Aber unterstützen oder zustimmen ist was anderes. Ich habe ja sogar vollstes Verständnis für manche Mörder. Deshalb braucht man für seriöse Umfragen immer Kontrollfragen, in denen alle möglichen Formulierungen überprüft werden.
Da gab es doch letztens irgendwo eine Umfrage bei Unternehmern. Eine Mehrheit der Befragten sprach sich gemäß Auswertung für Mindestlöhne in der eigenen Branche aus, um den Angestellten was gutes zu tun. Eine ungefähr genauso große Mehrheit sagte, sie würden bei Einführung dieses Mindestlohns sofort Leute entlassen und niemanden mehr einstellen. Da schau guckemal.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
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