"Betulich" wird sie oft genannt, die Neue Zürcher Zeitung. Nicht, was das Geständnis von Günter Grass angeht.
Da schreibt Roman Bucheli unter der Überschrift "Das Geständnis als Selbstinszenierung":
In der Pose des selbstgewissen und von Eitelkeit nicht freien Moralisten versucht Günter Grass noch aus seinem Schuldgeständnis ein ästhetisch-ethisches Kapital zu schlagen. In Wahrheit wohnen wir einer Selbstdemontage bei.
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Beschädigt jedoch ist vor allem die Glaubwürdigkeit des Intellektuellen, der nie ein Blatt vor den Mund nahm, der nie müde wurde, anzuklagen, wo er die Würde des Menschen in Gefahr sah. Nun müssen wir in dem moralischen Rigorismus gleichsam eine Ersatzhandlung erkennen, deren Polemiken vielleicht nie ausschliesslich und allein auf die Sache zielten, die sich vielmehr aus dem Glutkern von verschwiegener Scham und Schuld speiste.
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Deprimierend aber scheint uns anderes, das Günter Grass in dem langen Gespräch mit der «FAZ» auch noch äussert. Hier zeigt sich vielleicht nicht Niedertracht, aber doch eine gewisse Infamie. So liest man etwa Sätze wie diese: «Wir hatten Adenauer, grauenhaft, mit all den Lügen, mit dem ganzen katholischen Mief. Die damals propagierte Gesellschaft war durch eine Art von Spiessigkeit geprägt, die es nicht einmal bei den Nazis gegeben hatte.» Kein Wort davon, dass Grass ja selber Teil dieser auf die Lüge eingeschworenen Gesellschaft war, die er noch jetzt denunziert.
(...)
Der Hamburger Germanist Klaus Briegleb sprach vor einiger Zeit von der "angemassten moralischen Unbescholtenheit", die zusammen mit einer "einzigartigen Praxis des Vergessens" im Kreis der Gruppe 47, deren prominentes Mitglied Grass war, am Gedeihen eines deutschen Antisemitismus nach der Shoah mitgewirkt habe. Günter Grass liefert - mit etwas Verspätung - den schlagenden Beleg für die These.
Starker Tobak. Ich zitiere das, um es zur Diskussion zu stellen.
Ich selbst bin mir meiner Reaktion auf diese Affäre noch nicht sicher. Mir gefällt die Art nicht, wie Grass sich zumindest dem Verdacht aussetzt, sein Bekenntnis mit Propaganda für sein neues Buch zu verknüpfen. Mir gefällt auch die scheinheilige Empörtheit derjenigen nicht, die nun Grass ebenso maßlos verdammen, wie sie ihm zuvor, als er noch auf seinem Podest stand, zugestimmt haben.
Mir gefällt diese ganze Moralisiererei nicht, auf der einen Seite so wenig wie auf der anderen.
"Aber daß er sich nach dem Krieg auf die Seite der Sieger geschlagen hat und sich zu denen gesellte, die sich moralisch für besser hielten - das ist verwerflich"
Richtig - damit hat er nämlich genau das genacht, was die D"D"R-Führung auch getan hat... und andere wie Schröder ja auch, der, man erinnert sich ? bei der russischen Siegesparade anläßlich des 60. Jahrestags der deutschen Kapitulation anwesend war...
Zitat von Sparrowhawk"Aber daß er sich nach dem Krieg auf die Seite der Sieger geschlagen hat und sich zu denen gesellte, die sich moralisch für besser hielten - das ist verwerflich" Richtig - damit hat er nämlich genau das genacht, was die D"D"R-Führung auch getan hat... und andere wie Schröder ja auch, der, man erinnert sich ? bei der russischen Siegesparade anläßlich des 60. Jahrestags der deutschen Kapitulation anwesend war...
Was Schröder angeht, stimme ich dir zu. Er hatte - anders als Kohl - kein Geschichtsbewußtsein. Kohl hat sich ja auch beharrlich geweigert, an den Feiern zu D-Day teilzunehmen; dh hat verstehen lassen, daß er eine Einladung nicht annehmen würden.
Auch daß ein deutscher Bundeskanzler unmittelbar nach Ende seiner Amtszeit in die Dienste eines ausländischen Konzerns tritt, zeigt dieses mangelnde Geschichtsbewußtsein Schröders. Kein amerikanischer Präsident, kein britischer oder französischer Premierminister würde jemals so etwas tun. Es ist eine Frage der Würde des Amtes, von allen anderen Gesichtspunkten abgesehen.
Was Grass angeht, lieber Sparrowhawk, will und kann ich, wie schon im Blog geschrieben, sein Verhalten nicht bewerten.
Nur soviel: Er war in der Nachkriegszeit in einer Lage, in der Millionen waren: Man sah, daß man sich fürchterlich geirrt hatte, daß man von den Nazis verführt worden war .
Und da reagierte halt jeder auf seine Weise. Die einen verstummten politisch. Die anderen blieben Ewiggestrige und Unbelehrbare. Und dann gab es die, die aus ihrem Schuldbewußtsein heraus sich "engagierten".
Was ja nicht falsch ist. Auch Grass kann man ja nicht zum Vorwurf machen, daß er für die Demokratie und den Rechtsstaat eingetreten ist.
Nur brauchte er es nicht so penetrant zu tun. Ich finde dieses ganze ständige "Sich-zu-Wort-Melden" von Schriftstellern, Schauspielern usw. unerfreulich. Sie haben ja auch nicht mehr politischen Durchblick als die Rechtsanwälte, die Metzgermeister oder die Lokführer.
Nur können sie ihre Meinung vielleicht gefälliger formulieren und ausdrucksvoller vortragen.
Hi, alle miteinander, vielleicht ist es so, daß Grass nur nach dem rechten Zeitpunkt für sein Geständnis gesucht hatte. Er wird eine Menge schlechtes Gewissen gehabt haben, auch wenn er lediglich wie alle Soldaten "dabei" gewesen war.Und nun kann er sich über die übertriebenen negativen Bewertungen mokieren und indirekt sagen: Ihr seid auch nicht anders. Irgendwie kommt uns das doch auch nicht fremd vor. An einer Stelle habe ich gelesen, daß die Stasiakten freigegeben werden sollen, in denen solche Sachen wie SS Angehörigkeit u.ä. notiert sind, um die Personen bei Gelegenheit zu erpressen. Wenn das stimmt, kann ich verstehen, daß Graß das schnell selber beichten wollte. Grüßchen, Inger
Hatte ich doch gesagt, daß sich der Gute mokieren würde. Ja, die Gelegenheit war wirklich toll: Da hat GG die Erstlesung seiner Biographie sozusagen in Bert Brechts Wohnzimmer gestartet - auf der Bühne des Berliner Ensembles. Moderator Herles durfte ihn 100 Minuten lang "betreuen", dann knödderte GG noch etwas vor sich hin und inszenierte seinen Abgang hocherhobenen Hauptes. Die Szene muß so großartig gewesen sein, daß sie via Tageszeitung in mein Wohnzimmer schwappte. Grüßchen, Inger
Zitat von IngerDie Szene muß so großartig gewesen sein, daß sie via Tageszeitung in mein Wohnzimmer schwappte.
*lol* Mir fällt dazu Wilhelm Busch ein: Als der Rauch sich dann erhob, sah man Lämpel, der gottlob! lebend auf dem Rücken liegt - doch er hat was abgekriegt.
Sieht er dem Lehrer Lämpel nicht auch ähnlich, unser Staats- und Hofdichter? Vor allem, wenn er den Zeigefinger hebt?
Muß ich mal nachgucken, vielleicht habe ich den Lehrer Lämpel auch falsch in Erinnerung.
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