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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 2 Antworten
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 Pro und Contra
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.09.2006 23:52
9/11 und die Folgen Antworten

Wieder hat Reader auf einen sehr lesenswerten Artikel aus der US-Presse aufmerksam gemacht; "Lost Love" von Hendrik Hertzberg, im "New Yorker" (übrigens dem Heft mit Erscheinungsdatum 11. September).

Verlorene Liebe - die sieht Hertzberg bei den Europäern, ja weltweit nach den Anschlägen vom 9. September. Er weist darauf hin, daß damals eine Welle der Solidarität mit den USA durch die Welt ging. Selbst Syrien und Libyen erklärten ihre Empörung. In ganz Europa wehten die Flaggen auf Halbmast. "Le Monde" titelte: "Nous sommes tous des Américains". Uns so fort.

Die These von Hertzberg ist, daß die Regierung Bush diese Sympathien durch ihre Politik schnell verspielt habe, speziell durch die Invasion des Irak: "What few expected was how comprehensively that initial spirit would be ruined by the policies and the behavior of our government, culminating in, though hardly limited to, the disastrous occupation of Iraq."

Hertzberg weist dann darauf hin, wie drastisch die Beliebtheit der USA seither gesunken sei, und daß jetzt auch die US-Bevölkerung in ihrer Mehrheit gegen diesen Krieg sei.



Kommentar: Das stimmt sicher alles. Nur:
  • Die Welle der Sympathie nach 9/11 überlagerte nur kurzfristig eine antiamerikanische Einstellung, die zuvor dagewesen war und die - allerdings in der Tat durch den Irak-Krieg verstärkt - danach wiederkehrte. Das ist, wie wenn einem Menschen, den man verabscheut, ein schweres Unglück zustößt - kurzfristig siegt das Mitleid über die Abneigung.

  • In den USA hatte Bush bei der Invasion ja eine überwältigende Unterstützung. Viele demokratische Senatoren, die ihn damals unterstützt haben, wollen daran heute nicht mehr gern erinnert werden.

  • Was die heutig Unpopularität der Irak-Invasion ausmacht, ist nicht die Tatsache, daß sie stattfand, sondern der Umstand, daß der demokratische Aufbau im Irak nicht so vorankommt, wie man es erwartet hatte. So sind halt viele Menschen - sie jubeln einem Staatsmann zu, wenn er Erfolg hat, und verlassen ihn, wenn es Schwierigkeiten gibt.

  • Auch Hertzberg sagt ja nicht, was Bush hätte anders machen sollen. Wäre ein Naher Osten, in dem Saddam Hussein die dominierende Figur ist, wirklich der heutigen Lage vorzuziehen gewesen? Würden die Iraker wirklich unter der Diktatur Saddams besser gelebt haben als jetzt, in einem freien Land, in dem freilich der Terrorismus noch nicht besiegt ist? Es geht der Mehrheit der Bevölkerung im Irak heute ungleich besser als unter Saddam. Auch wenn manchen angesichts der jetzigen Sicherheitslage die Friedhofsruhe unter einer barbarischen Diktatur als das geringere Übel erscheinen mag.




  • Was wäre gewesen, wenn ...? ist immer eine reizvolle Frage, aber natürlich auch eine Frage, die ins Spekulieren führt. Meine Überzeugung ist es, daß über die Nahost-Politik der Regierung Bush erst die Zukunft urteilen wird. Vielleicht scheitert sie, und die Region versinkt in Armut und Kriegen. Vielleicht - das halte ich für wahrscheinlicher - gelingt die Demokratisierung auch der arabischen Welt eben doch; auch wenn die Schwierigkeiten größer sind als vorhergesehen.











    Zettel Offline




    Beiträge: 20.200

    06.09.2006 19:14
    #2 RE: 9/11 und die Folgen Antworten

    Zum bevorstehenden Jahrestag von 9/11 hat hier Klaus-Dieter Frankenberger, außenpolitischer Redakteur der FAZ und USA-Kenner aus seiner Zeit als Mitarbeiter des US-Kongresses, ein lesenswertes Fazit gezogen.

  • Zum Irak-Krieg schreibt er:
    Regimewechsel in Bagdad - das war schon unter Bill Clinton offizielle Politik der Vereinigten Staaten. Und der neuen Regierung Bush gehörten prominente Leute an, die in den neunziger Jahren genau dafür geworben hatten, die aber bis zum Tag des Massenmords nicht das Ohr des Präsidenten hatten. Das änderte sich unter dem Eindruck dieses Massenmords auf amerikanischem Boden schlagartig, auch deshalb, weil sie ein Konzept anbieten konnten: die Modernisierung des den Terror gebärenden islamisch-arabischen Milieus. (...) Es war ein Krieg, von dem selbst Bushs Gegner wußten, daß er kommen werde, für den der „wahre“ Grund bis heute gesucht wird. In der Praxis war er die Ausführung der Bush-Doktrin, einer Kombination von demokratischer Mission mit realpolitischer Vorwärtsverteidigung.

  • Über die Motivation der Terroristen:
    (...)Islamisten haben immer die politische Expansion des Islamismus propagiert, also die Wiederherstellung eines Kalifats, und den Terror als Mittel zum Zweck gerechtfertigt. Ließen sich die Attentäter des „11. September“ und jene, die ihnen nacheiferten, von solchen Aspirationen leiten? Der New Yorker Intellektuelle Paul Berman etwa bezweifelt das und sieht dieselbe nihilistische Phantasie von revolutionärer Macht und dem Abschlachten von Massen am Werk, die schon die Nazis und die Russen im vergangenen Jahrhundert angetrieben habe. Dieser Nihilismus freilich ist gepaart mit einem spezifischen moralischen Überlegenheitsgefühl gegenüber dem amerikanisierten Westen auf der einen und einem Opfermythos auf der anderen Seite. (...) Der Westen muß sich darauf einstellen, daß ein bestimmtes islamistisch-politisch-kulturelles Milieu mörderische Leidenschaften gebiert, die nicht sozialpflegerisch wegzutherapieren sind.

  • Bedenkenswerte Beurteilungen, finde ich. Auch sonst ist der Artikel unbedingt lesenswert.

    (Hervorhebungen von Zettel)

    Zettel Offline




    Beiträge: 20.200

    06.09.2006 20:19
    #3 RE: 9/11 und die Folgen Antworten

    Noch eine kleine Ergänzung zu dieser Passage in Frankenbergs Artikel:

    "Regimewechsel in Bagdad - das war schon unter Bill Clinton offizielle Politik der Vereinigten Staaten. Und der neuen Regierung Bush gehörten prominente Leute an, die in den neunziger Jahren genau dafür geworben hatten, die aber bis zum Tag des Massenmords nicht das Ohr des Präsidenten hatten. Das änderte sich unter dem Eindruck dieses Massenmords auf amerikanischem Boden schlagartig, auch deshalb, weil sie ein Konzept anbieten konnten: die Modernisierung des den Terror gebärenden islamisch-arabischen Milieus. (...) Es war ein Krieg, von dem selbst Bushs Gegner wußten, daß er kommen werde, für den der „wahre“ Grund bis heute gesucht wird. In der Praxis war er die Ausführung der Bush-Doktrin, einer Kombination von demokratischer Mission mit realpolitischer Vorwärtsverteidigung."

    Ich habe eben einmal nachgesehen, was ich im Infotalk-Forum dazu vor dem Krieg geschrieben habe; am 20. Februar 2003. Ich denke, das stimmt ganz gut mit dem überein, was Frankenberger schreibt.

     Sprung  



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