Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
aus Ihren kundigen Beiträgen habe ich schon viel über Sprache gelernt; vor allem über ihre Veränderungen.
Ehrlich gesagt, was Sie geschrieben haben, kam mir weit klüger und informativer vor als dieser Artikel von Tanja Dückers.
Was die Autorin schreibt, kommt mit so vor, als hätte ich es alles schon gelesen, schon oft. Es ist die Standard-Diskussion, Stufe 2.
Auf Stufe 1 sagen die Sprachkritiker, es würde alles immer schlechter. Weil Regeln nicht eingehalten werden, weil fragwürdige Wortneubildungen auftauchen, weil man sich bedenkenlos aus fremden Sprachen bedient usw.
Und darauf folgt unweigerlich die Replik auf Stufe 2, wie sie jetzt die Autorin bietet: Aber die Sprache sei nun mal dynamisch, etwas Lebendiges. Man müsse in den Neuschöpfungen das Kreative sehen statt die Regelverletzung, die Bereicherung statt der Abweichung. Und außerdem hätten schon die alten Griechen den Sprachverfall bejammert.
Mir scheint, lieber Califax, daß die Diskussion erst interessant wird, wenn man über diese beiden Standard-Stufen hinausgeht. Also fragt, nach welchen Regeln oder gar Gesetzmäßigkeiten sich denn diese Änderungen vollziehen (da habe ich viel von Ihnen gelernt), in welchem pragmatischen Kontext sie stattfinden usw.
Vor allem aber scheint mir, wenn es um's Bewerten geht, ein Schritt über die Stufen 1 und 2 hinaus erforderlich. Nicht jede Veränderung ist schlecht; aber nicht jede Veränderung ist ja auch eine Bereicherung.
Aus meiner Sicht sind vor allem dumme Anglizismen keine Bereicherung.
Wenn ich bei der Deutschen Bahn eine halbe Stunde am Counter warten muß, bis ich endlich deren Service in Anspruch nehmen kann, dann ist das genauso ärgerlich, wie wenn ich früher am Schalter darauf gewartet habe, bedient zu werden.
Wenn man neuerdings einen Nobelpreis gewinnt wie 500 Euro im Gewinnspiel von 9 Live, statt ihn zuerkannt zu bekommen, dann ist das keinen Bereicherung, sondern eine Verarmung der Sprache, nämlich das Abschleifen einer Differenzierung.
Ebenso ist es aus meiner Sicht mit der Jugendsprache. Sie kann kreativ sein, ist oft witzig. Aber meist wird nur das eine Modewort, das sich verbraucht hat, durch ein neues ersetzt. Was in den zwanziger Jahren "knorke" war, wurde dann "toll", dann "klasse" und "super", irgendwann "geil" und "cool". Was gerade aktuell ist, weiß ich nicht.
Das ist kein Fort- und auch kein Rückschritt, sondern einfach der Wechsel, so wie die Kleider mal kurz und mal lang sind.
Nach meiner Beobachtung erkennt man jemanden, der nicht in der Umwelt einer Sprache lebt, sehr schnell daran, daß er bei diesem ständigen Wechsel nicht auf dem Laufenden ist. Ich habe zum Beispiel in Frankreich gern als verstärkendes Adjektiv "vachement" verwendet, zu deutsch also etwa "tierisch", als das schon längst durch war.
Ich hatte das in den sechziger Jahren aufgeschnappt und nicht mitbekommen, daß es längst passé war (wie vermutlich auch das Wort passé, dessen aktuellen Nachfolger ich aber nicht kenne).
Damit, daß ich vachement benutzte, als es schon durch war, habe ich mich sofort als Boche geoutet.
Nunja, es ist ein Artikel in einer normalen Zeitung. Wenn da jemand allzu deutlich anfängt, Fachwissen einzubringen, gibt es ein großes Risiko, sich durch Verkürzung oder fehlerhafte Wiedergabe zu blamieren. Bei meinen Kommentaren hier spiele ich auch an der Grenze zur schlimmen Vereinfachung. Vor allem ist der Artikel, wie für solche Beiträge üblich, natürlich sehr oberflächlich. Das entspricht dem vermuteten Interesse der Leserschaft - oberflächliches Interesse an einer Meinung aber nicht an den Fakten. Der Artikel verweist deshalb nur auf ungenannte Studien (die ich gerne mal lesen würde) und, das hätte man ruhig ausbauen können, weil es auch amüsant sein kann, auf die verblichene Angst vor zu viel französischem Einfluß auf unsere Sprache. Das war m.E. eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Anglizismenflut heutzutage: Jeder Depp versucht sich an Fremdwörtern der Trendsprache. Das Ergebnis ist Deppensprache.
Es wird meiner Meinung nach auch diesmal ähnlich ausgehen, wie damals mit dem Französisch. Es ist fast nichts übriggeblieben, die Überreste haben eine Funktion, wurden und werden vom Volksmund auf brutal-anarchische Weise ins System der deutschen Sprache gepresst. Solche Wellen wird es immer wieder geben. Ein Großteil unseres heutigen Deutsch ist das Ergebnis von Latinisierung. Und dabei ist es auch nicht klar, welchen Vorteil ein Fenster gegenüber einer Luke haben soll. Bei diesem Beispiel bin ich übrigens gerade enorm ins Trudeln gekommen, weil die ursprünglichen Alternativen zu den Latinismen von Antike und Frühmittelalter scheinbar fast alle ausgestorben sind. Wir haben nur noch die lateinischen Wörter. Und die, an die ich mich sofort erinnere (wie Zöllner, Käufer oder Keller) haben sicherlich Dinge beschrieben, für die es noch keine passenden germanischen Begriffe gab. Und der Import und Reimport von (pseudo-)lateinischen Wörtern geht ja immer noch weiter. Auch schon etwas älter aber immerhin nicht antik: Effekt für Wirkung, Effektivität für Wirksamkeit und Effizienz für Sparsamkeit. Da wollte jemand besonders intelligent klingen, oder? ;-) Klugheit, Weisheit und erst recht Witz hätte wohl nicht gereicht.
Es wäre natürlich interessant zu wissen, wie das westgermanische vor der Latinisierung klang. Aber so richtig zerstört hat sie "unsere" Sprache nun auch nicht. Kam halt Deutsch bei raus, und ich hab das Ergebnis eigentlich recht gern. Das ist also der worst case, der uns droht. Die dauerhafte radikale Eingemeindung von englischen Ausdrücken. Aber angesichts des Widerstands, der sich bei vielen (bei weitem nicht nur älteren oder konservativen) Menschen gegen unnötige Anglizismen zeigt, werden viele buzzwords vermutlich in ein sprachliches Ghetto gleich neben der persönlichen Anrede 'Er' oder den schönen Verben 'fabrizieren' und 'dilettieren' abgedrängt werden. Sie werden als Deppensprache oder als unbeliebte Überheblichkeit markiert werden.
Ich glaube, es wird ein Mittelweg zwischen Latinisierung und "Effeminisierung" werden. Der wahre Tod des Deutschen wäre eine starre Normierung. Dann hätte man irgendwann die tote Sprache Deutsch und eine Volkssprache, die einen neue Namen bräuchte. Und in der Schule würden sich alle fragen, wann genau eigentlich Deutsch ausgestorben sei. Mit Goethe? Mit Grass? Oder etwa mit Ernst Jandl? Gar durch Jandl? :)
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Noch etwas zum Gewinnen eines Nobelpreises. Gewinnen und Verlieren haben ja nicht nur die Konnotation eines Glücksspiels, sondern auch die Konnotation des Erringens oder Versagens. Und diese zweite Bedeutung ist sehr stark. Man muss sich nur einmal die Nörgeleien in der Presse durchlesen, wenn es um Gewinner und Verlierer geht. Da ist Gewinnen fast immer mit der Klage verbunden, Leistung ersetze heutzutage die Menschlichkeit. Gleichzeitig wird oft genug bejammert, daß bei vielen Jugendlichen Verlierer ein Synonym für Versager geworden sei. Das Bild des sportlichen Hochleistungswettkampfs ist sehr stark bei diesen Begriffen. Ich halte dieses Bild beim Nobelpreis für angemessen. Es ist ein Wettkampf unter Wissenschaftlern, bei dem es eben nicht nur um Erkenntnisse, sondern ganz menschlich auch um Ruhm und Anerkennung geht. Das Nobelpreiskommitee ist eine Jury von vielen, aber eine der wichtigsten, für viele Menschen die wichtigste überhaupt. Und es gibt auch immer noch die Redewendung, daß man einen Preis verliehen bekommt. Auch nicht schlecht, oder?
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Zitat von califaxDer Artikel verweist deshalb nur auf ungenannte Studien (die ich gerne mal lesen würde) und, das hätte man ruhig ausbauen können, weil es auch amüsant sein kann, auf die verblichene Angst vor zu viel französischem Einfluß auf unsere Sprache.
War sie nicht berechtigt? Wenn ich gegen Anglizismen wettere, dann habe ich immer diese Texte aus dem Barock vor Augen, in denen es von heute längst vergessenen Franzözismen nur so wimmelte; "necessitiret" und dergleichen. Die Sprachreiniger des frühen 19. Jahrhunderts à la (!) Turnvater Jahn haben zwar manches hervorgebracht, was heute amüsant klingt; aber viele ihrer Neuschöpfungen sind doch auch in den heute selbstverständlichen Sprachschatz eingegangen.
Zitat von califaxDas war m.E. eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Anglizismenflut heutzutage: Jeder Depp versucht sich an Fremdwörtern der Trendsprache. Das Ergebnis ist Deppensprache.
Schön gesagt. Und man kann auch im Rückblick daran noch leicht die Deppen von den Normalen und diese von den Genies unterscheiden.
Noch um 1740, als die "Wunderlichen Fata" von Schnabel erschien, schrieb dieser (ja kein schlechter Schriftsteller) in diesem barocken, heute kaum noch genießbaren Stil; so daß man die "Insel Felsenburg" eigentlich nur in der Bearbeitung von Tieck noch genießen kann. Aber der "Werther", keine vierzig Jahre später erschienen, ist schon in einer auch aus heutiger Sicht wunderbaren Sprache geschrieben. Aber Zeitgenossen minderen Rangs schrieben um 1775 herum durchaus noch in dem französisch durchsetzten Stil.
Zitat von califaxEs wird meiner Meinung nach auch diesmal ähnlich ausgehen, wie damals mit dem Französisch. Es ist fast nichts übriggeblieben, die Überreste haben eine Funktion, wurden und werden vom Volksmund auf brutal-anarchische Weise ins System der deutschen Sprache gepresst.
Hat "die Sprache" das sozusagen selbstreinigend ausgeschieden, oder war es das Werk der Sprachreiniger?
Zitat von califaxSolche Wellen wird es immer wieder geben. Ein Großteil unseres heutigen Deutsch ist das Ergebnis von Latinisierung. Und dabei ist es auch nicht klar, welchen Vorteil ein Fenster gegenüber einer Luke haben soll.
Die Scheibe?
Zitat von califax Bei diesem Beispiel bin ich übrigens gerade enorm ins Trudeln gekommen, weil die ursprünglichen Alternativen zu den Latinismen von Antike und Frühmittelalter scheinbar fast alle ausgestorben sind.
Anders im Englischen - Sky und Heaven, Mind und Soul, Beef und Ox, Hound und Dog usw.
Zitat von califaxWir haben nur noch die lateinischen Wörter. Und die, an die ich mich sofort erinnere (wie Zöllner, Käufer oder Keller) haben sicherlich Dinge beschrieben, für die es noch keine passenden germanischen Begriffe gab.
Oder wo die lateinische Variante vornehmer klang, schicker? Pforte statt Tür oder Tor, Pokal statt Becher?
Zitat von califaxUnd der Import und Reimport von (pseudo-)lateinischen Wörtern geht ja immer noch weiter. Auch schon etwas älter aber immerhin nicht antik: Effekt für Wirkung, Effektivität für Wirksamkeit und Effizienz für Sparsamkeit.
Der Reimport geht natürlich oft über das Englische. Ich bin gespannt, wann wir statt "Stadion" "Stadium" sagen und "Data" (wie die Amis) für Femininum Singular halten.
Zitat von califaxEs wäre natürlich interessant zu wissen, wie das westgermanische vor der Latinisierung klang. Aber so richtig zerstört hat sie "unsere" Sprache nun auch nicht. Kam halt Deutsch bei raus, und ich hab das Ergebnis eigentlich recht gern.
Diese Mischung scheint ja sozusagen das Natürliche zu sein. Gibt es Theorien darüber, warum sich in Gallien und Iberien das Latein völlig der Sprache der Ureinwohner überlagert hat? Das hat mich immer gewundert; denn die Römer traten ja auch dort nur als Soldaten und Händler auf, und als Bewohner einiger weniger Städte, die mehr Garnisonen waren. Wie konnte sich ihre Sprache dort so völlig durchsetzen?
Sie sehen, lieber Califax, ich beute ungehemmt Ihre Sachkenntnis aus. Weil mir solche Dialoge, bei denen ich was, lerne, besondere Freude machen.
Nur kurz, weil die Russen besser spielen als erwartet:
Zitat von Zettel
Zitat von califaxDer Artikel verweist deshalb nur auf ungenannte Studien (die ich gerne mal lesen würde) und, das hätte man ruhig ausbauen können, weil es auch amüsant sein kann, auf die verblichene Angst vor zu viel französischem Einfluß auf unsere Sprache.
War sie nicht berechtigt?
Sicher! Aber das ist eine Stilfrage, die innerhalb der Sprachgemeinschaft immer wieder neu verhandelt wird. Es ist ein bisschen wie auf einem völlig chaotischen Marktplatz - manche Produkte setzen sich durch, andere sind Rohrkrepierer, viele bleiben Eintagsfliegen. Und derzeit sieht es nicht danach aus, als ob sich starkes Denglisch allzu lange halten könnte. Wir importieren natürlich fleißig. Aber was davon übrigbleibt, steht in den Sternen. Viele importierte Ausdrücke sind ja auch Modebegriffe, die mit ihren Moden leben und sterben. Ich bin da ziemlich gelassen. Nach Latein und Französisch wird Deutsch auch Englisch verdauen.
Zitat von Zettel Hat "die Sprache" das sozusagen selbstreinigend ausgeschieden, oder war es das Werk der Sprachreiniger?
Die Sprachreiniger überschätzen regelmäßig ihre Macht und unterschätzen (oder fürchten gar oft) die Macht der Sprachgemeinschaft. Letztlich entscheidet immer die Sprachgemeinschaft darüber, ob sich etwas durchsetzt. Das Ergebnis muss einem nicht immer gefallen, aber gegen die Gewohnheiten, Affekte und Assoziationen von Millionen aktiver Sprecher kommt kein PRler und kein Purist an. Dabei zeigt sich das Problem schon in der Wortwahl: Wie will man denn eine Sprache reinigen? Da gibt es ja kein 'sauber'. Hat es nie gegeben. Letztlich will da also jemand seinen persönlichen Sprachstil gegen Millionen von Sprechern durchsetzen. Das kann nicht funktionieren. Man kann eine Sprache nicht reinigen, sondern nur bereichern, indem man sich an der Konkurrenz der Wörter mit Witz und Geschick beteiligt. Da sind Komiker und Schriftsteller aber besser gerüstet als Vereine mit erhobenem Zeigefinger. ;) Turnvater Jahn hatte Glück, er schwamm auf einer gesellschaftlichen Protestwelle und konnte so viele junge Menschen beeinflussen.
Zitat von Zettel
Zitat von califax Solche Wellen wird es immer wieder geben. Ein Großteil unseres heutigen Deutsch ist das Ergebnis von Latinisierung. Und dabei ist es auch nicht klar, welchen Vorteil ein Fenster gegenüber einer Luke haben soll.
Die Scheibe?
:-)
Hatten die Römer Fensterscheiben? Ich habe nicht nachgeschaut, würde aber den Import von fenestra bei einer Wette auf vor- bzw. frühmittelalterliche Zeit legen. Vielleicht liege ich da völlig daneben.
Zum übrigen: Eleganz liegt im Auge des Betrachters. Heute meinen viele, es wäre elegant, sich hinter Anglizismen und Latinismen zu verschanzen. Das wird sich wieder ändern, wenn das Pendel wieder von der Mode in Richtung Verständlichkeit und Einfachheit wandert.
Zu Iberien kann ich gar nichts sagen, weil ich von Romanistik keine Ahnung habe. Zu Gallien werde ich noch etwas schreiben, das wird aber weniger mit Sprache und mehr mit meiner Spekulation über den imperialen Sog des Römischen Reiches zu tun haben.
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Ich habe nochmal kurz bei der Wikipedia nachgeschaut, und wenn der Eintrag nicht völliger Unsinn ist, war die Unterwerfung Galliens ein ziemliches Blutbad, bei dem die Widerstand leistenden Gallier immer wieder vernichtend geschlagen wurden und die ganze Region gründlich ausgeplündert wurde. Auf die Vorbildfunktion der gallischen Eliten muss der Kriegsverlauf eine verheerende Wirkung gehabt haben. Nach dem Krieg wurde die Region konsequent ins Reich integriert: römische Gesetze, römische Schutztruppen, römische Infrastrukturmaßnahmen, römische Waren, Amtssprache Latein. Vermutlich hat man auch wieder fleißig das Prinzip der Kindergeiseln genutzt und so künftige gallische Oberschichtangehörige römisiert. Der Widerstand war irgendwann gebrochen, damit müssen starke Unterlegenheitsgefühle der Bevölkerung einhergegangen sein. Viele Angehörige der bisherigen Eliten waren tot, pleite oder wenigstens in einer geschwächten Position. Es gab also einen neuen Wettlauf um sozialen Aufstieg und um Anerkennung. Und hier setzt das imperiale Versprechen Roms an:
Der Frieden Roms - das militärisch wehrlos gewordene Gallien brauchte Schutz vor Nachbarvölkern und vor den Auswirkungen kriegerischer Krisen auf Handelsbeziehungen, Volkswanderungen, etc. Roms Heer bot diesen Schutz. Die Herrschaft Roms - Rom integrierte Gallien unter anderem mit Straßen und Brücken ins Reich. Diese Bauwerke erzeugten nicht nur Bewunderung, sondern erleichterten auch den Handel. Gleichzeitig schloss Rom ein gefährliches Machtvakuum aus und dämmte so die Kriminalität ein. Rom benötigte auch überall Übersetzer, Vermittler und lokale Unterstützer. Diese konnten ein gutes Auskommen verdienen. Durch die Integration ins Reich wurde Gallien an einen selbst für heutige Maßstäbe gewaltigen Binnenmarkt angeschlossen. Das ergab fast unbegrenzte Möglichkeiten für Handel, Absatz und Konsum. Roms Glanz - Gallische Herrscher werden vor der Unterwerfung sicherlich gemütlich gelebt haben, aber gegen den Wohnluxus der römischen Oberschicht konnten sie nicht anstinken. Das erzeugt Bewunderung, Neid und den Wunsch, auch so reich zu werden. Und die Nachrichten! Rom erzeugte ja Unmengen von Skandalen. Da war was los.
Der Schlüssel zu dieser versprochenen Schatztruhe, Gallien war ja vorher ausgeblutet, ausgeplündert und politisch durcheinandergerüttelt worden, war die Beherrschung der lateinischen Sprache. Ohne Latein kein Recht vor dem Richter, ohne Latein kein erfolgreicher Handel auf römischen Märkten. Latein war der Schlüssel zu einem neuen sozialen Aufstieg und versprach einen Wohlstand, den man vor der Eroberung nicht hatte. Latein war im Alltag schlicht für alle notwendig, die nicht länger Amboß sondern Hammer sein wollten. Rom bot viele Möglichkeiten, Widerstand gegen Rom bot nur grausame Todesstrafen. Man musste sich arrangieren. Römische Lebensart - also zum einen römischer Wohlstand, zum anderen die Mode der strahlenden Sieger, wurde so zum Zeichen des gesellschaftlichen Erfolges. Beharren auf vorrömischen Traditionen wurde zum Merkmal von Unterschicht und ewigen Verlierern. Kurz gedengelt: Latein hatte ein Winnerimage, Gallisch ein Loserimage. Und die Sprachen der vorher von den Galliern beherrschten Leute rutschten wohl noch tiefer ab.
Es war also eine Mischung aus Zwang, Vorteil und Image, die die Gallier bewogen hat, ihre Sprache zugunsten von Latein aufzugeben. Die Aufstrebenden und Nachwachsenden wurden wie von einem gewaltigen kulturellen, wirtschaftlichem und politischen Strudel in Richtung Rom gezogen. Dieser Sog hat sich selbst verstärkt und wurde vom imperialen Zentrum aus gefördert. Zentrifugale Kräfte wurden gezielt geschwächt. Und irgendwann nach den gallischen Kriegen wuchs eine Generation heran, die mehrheitlich nicht mehr Gallier sondern Römer sein wollte.
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Zitat von califaxaber gegen den Wohnluxus der römischen Oberschicht konnten sie nicht anstinken.
Nicht vergessen: Im römischen Imperium gab es eine hochqualititive Massenproduktion von Alltagsgegenständen, die das Leben auch für die Unterschichten erheblich leichter machten. Nach dem Abzug der Römer aus England verschwanden dort in kürzester Zeit die Dachziegel die Haushaltsgegenstände wurden wieder recht armselig und unansehnlich. Ich könnte mit denken, daß die römische Zivilisation in der Praxis sehr leicht akzeptiert wurde, weil sie bequemer und reicher war.
Zitat von Zettel Hat "die Sprache" das sozusagen selbstreinigend ausgeschieden, oder war es das Werk der Sprachreiniger?
Die Sprachreiniger überschätzen regelmäßig ihre Macht und unterschätzen (oder fürchten gar oft) die Macht der Sprachgemeinschaft. Letztlich entscheidet immer die Sprachgemeinschaft darüber, ob sich etwas durchsetzt. Das Ergebnis muss einem nicht immer gefallen, aber gegen die Gewohnheiten, Affekte und Assoziationen von Millionen aktiver Sprecher kommt kein PRler und kein Purist an.
Das leuchtet mir einerseits ein, lieber Califax. Andererseits ist da zB die Académie Française, die wie ein Schloßhund über die französische Sprache wacht.
Das verhindert nicht, daß es auch dort die diversesten Sprachregister gibt; schon als ich Französisch lernte, gab es die Bezeichnung Petit Nègre für ein pidginisiertes Französisch. Es gibt eine Jugendsprache wie bei uns, von der ich kaum ein Wort verstehe, es gibt ein Nordafrikaner- und ein Schwarzafrikaner-Französisch.
Aber es gibt eben auch das Französisch, das der Gebildete spricht, das man im Abituraufsatz verwenden muß, das die besseren Zeitungen schreiben. Und das ist weitgehend frei von Anglizismen, überhaupt von Abweichungen von den Normen, die nun einmal die Académie Française festlegt. Da wird noch immer korrekt der Konjunktiv geschrieben, auch wenn der im Französischen nicht ganz einfach ist.
Zitat von califaxMan kann eine Sprache nicht reinigen, sondern nur bereichern, indem man sich an der Konkurrenz der Wörter mit Witz und Geschick beteiligt. Da sind Komiker und Schriftsteller aber besser gerüstet als Vereine mit erhobenem Zeigefinger. ;)
Das Letztere glaube ich auch. Aber ist nicht Reinigung im Grunde immer Bereicherung, wenn man nämlich gute Übersetzungen findet und sie durchsetzt?
Es ist ja interessant, sich zu überlegen, wo das geklappt hat und wo nicht.
Nehmen wir die Eisenbahn. Da gab es früher den Perron und den Kondukteur, das Coupé und den Wagon. Die sind verschwunden. Bahnsteig und Schaffner, Abteil und Wagen haben sich durchgesetzt.
Aber der Fernsprecher hat sich nicht für das Telefon durchgesetzt, der Empfänger nicht für das Radio . Warum?
Zitat von Zettel Es ist ja interessant, sich zu überlegen, wo das geklappt hat und wo nicht.
Nehmen wir die Eisenbahn. Da gab es früher den Perron und den Kondukteur, das Coupé und den Wagon. Die sind verschwunden. Bahnsteig und Schaffner, Abteil und Wagen haben sich durchgesetzt.
Aber der Fernsprecher hat sich nicht für das Telefon durchgesetzt, der Empfänger nicht für das Radio .
Hm, lieber Zettel, darauf habe ich auch keine rechte Antwort. In meiner Abteilung beutzen wir häufig das Wort "Rechner" für unsere Computer, und das Wort "Computer" sprechen wir als "Komputer" und nicht, wie jeder Depp , als "Kompjuter" aus. Letzteres erschien uns als zu affig, weil es von jedem Laien benutzt wurde. Der Wille zur Abgrenzung ist ja ein starkes Motiv für die Entstehung von Jargon. In diesem Falle war's eine Gegenbewegung zum jargongeschwängerten Geschwurbel, die selbst einen Jargon hervorgebracht hat. Wahrscheinlich ist es mit den Sprachfiguren wie bei den Video-Normen - kein Mensch weiß, warum sich irgendetwas durchsetzt, es passiert einfach.
Zitat von Thomas PauliIn meiner Abteilung beutzen wir häufig das Wort "Rechner" für unsere Computer, und das Wort "Computer" sprechen wir als "Komputer" und nicht, wie jeder Depp , als "Kompjuter" aus. Letzteres erschien uns als zu affig, weil es von jedem Laien benutzt wurde.
"Rechner" ist auch mir geläufig; der Komputer ohne j - das ist originell; habe ich noch nie gehört.
Anderes Beispiel: Auf einmal fingen die Formel-1-Fahrer an, von ihrem "Auto" zu sprechen. Zuvor schon war "Flieger", ein in den zwanziger Jahren gebräuchliches Wort für Flugzeug, zurückgekehrt.
Da spielt so etwas wie der Chic der Schlichtheit eine Rolle. So, wie man auf einmal seine Kinder "Anna" und "Max" nannte.
Oder diese Einladungen, zu denen gesagt wird: Also, ganz einfach. Nur frisches Gemüse, bester Schafskäse, frsich gebackenes Brot, ein Rotwein aus der Toscana ...
Zitat von califaxNoch etwas zum Gewinnen eines Nobelpreises.
Dabei dürfte auch schlicht die größere Kürze gegenüber "zuerkannt bekommen" und "verliehen bekommen" eine Rolle spielen.
Ein Beispiel für diesen Faktor habe ich eben gehört. Das Fußballspiel ist derart langweilig, daß ich jetzt schon auf die Ausdrucksweise des Sprechers achte. Und der sagte eben: "Noch nehmen sie nicht mehr Risiko als nötig, die Kroaten".
They don't take a greater risk than necessary. Wahrscheinlich wird sich dieses "ein Risiko nehmen" gegenüber dem korrekten "ein Risiko eingehen" durchsetzen, weil es a bisserl kürzer ist.
Und weil es nicht getrennt werden muß wie in "sie gehen kein Risiko, das für sie zu hoch wäre, so daß sie in Schwierigkeiten kommen könnten, ein." Mark Twain hat sich darüber ja mal sehr lustig lustig gemacht.
Schön ist das vor allem dann, wenn man erst durch das nachgestellte Präfix erfährt, um welches Verb es überhaupt geht, so wie hier:
Er schlug, nachdem sie ihn schwer beleidigt hatte und er seine Wut kaum noch bezähmen konnte, und als sie auch noch einen Witz über ihn gemacht hatte, und nachdem er noch einmal kurz nachgedacht und seine Situation erwogen hatte, vor, erst einmal ein Bier zu trinken.
Danke, lieber Califax. Ich verstehe das jetzt besser.
Es scheint also zu zeigen, daß eine Sprache sich durchsetzen kann, auch wenn sie zunächst nur von einer kleinen Minderheit gesprochen wird. Vielleicht ähnlich wie das Englische in Indien, obwohl der Vergleich in mehrfacher Hinsicht nicht paßt: Erstens wurde Indien nie von Briten besiedelt, zweitens war die britische Kultur der indischen nicht überlegen und drittens gab es viele, sehr viele Landessprachen.
Und dieses Dritte war vermutlich das Entscheidende - daß das Englische sich als Verkehrssprache durchsetzte.
Ob das zusätzlich zu den von Ihnen genannten Gründen vielleicht auch in Gallien ein Faktor war? Daß die Stämme so lange keine gemeinsame Verkehrssprache brauchten, wie sie eben wenig Handelsverkehr hatten; daß aber mit dem Entstehen einer Infrastruktur auch die Kommunikation zunahm und damit der Bedarf für eine gemeinsame Sprache?
Mein Halbwissen sagt mir, daß nach Aussagen von Archeologen, die Kelten allgemein sehr viel von Handel hielten. Zollgrenzen und zersplitterte Machtstrukturen haben den natürlich behindert. Innerhalb der keltischen Kultur gab es durchaus eine gemeinsame Verkehrssprache, Keltisch eben, wenn diese auch sicherlich durch Dialekte variiert war. Vor allem sehe ich nach der Zwangsintegration ins römische Reich einen starken Zwang, Latein zu lernen, weil es die Amtssprache war, und gewaltige Karrierechancen durch Lateinkenntnisse in praktisch allen Berufen. Und die römische Kultur musste, nachdem man sie erstmal aus der Nähe sah, der einheimischen traditionellen Kultur weit überlegen erscheinen. Rom hat Wohlstand gebracht. Gallisch bracte einfach keinen Vorteil. Wenn eh alle, auf die es ankommt, Latein können und die Kultur sowieso zunehmend römisch ist, also auch alle wichtigen Wörter lateinisch sind - warum soll man dann Gallisch benutzen? Dieses Problem haben viele vom Aussterben bedrohte Sprachen, wie in Deutschland zum Beispiel das Sorbische.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Zitat von califax Wenn eh alle, auf die es ankommt, Latein können und die Kultur sowieso zunehmend römisch ist, also auch alle wichtigen Wörter lateinisch sind - warum soll man dann Gallisch benutzen? Dieses Problem haben viele vom Aussterben bedrohte Sprachen, wie in Deutschland zum Beispiel das Sorbische.
Das ist die Sprache einer Minderheit. Mir scheint in diesem Fall das Aussterben etwas Ähnliches zu sein wie die sprachliche Assimilation von Einwanderern. Die erste Generation spricht natürlich die Muttersprache und benutzt sie auch zum Hause. Die zweite Generation ist meist zweisprachig. Ab der dritten Generation überwieg dann in der Regel - soweit ich das weiß - die Sprache des Einwanderungslands.
Die Enkel der Einwanderer verstehen meist die Muttersprache der Großeltern noch, aber oft geht die aktive Beherrschung bereits verloren. (Bei den türkischen Einwanderern nach Deutschland scheint das regional unterschiedlich zu sein; aber insgesamt hält sich das Türkische erstaunlich lang).
Was mich an Gallien und Iberien wunderte, lieber Califax, das ist der Umstand, daß die Sprache einer kleinen Minderheit zur Volkssprache werden konnte. Was zB in Indien nicht stattgefunden hat, auch wenn Englisch Verkehrssprache ist.
Mir fällt überhaupt kein Beispiel aus der Neuzeit für eine solche Entwicklung ein. Im Osmanischen Reich hat sich Türkisch nicht als Volkssprache durchgesetzt, im k.u.k. Österreiche-Ungarn nicht das Deutsche, im Zarenreich nicht das Russische. Selbst die Italiener mit ihrer massiven Assimilationspolitik konnten in Südtirol das Deutsche als Volkssprache nicht eliminieren.
Am Weitesten sind meines Wissens die russischen Kommunisten mit dem Versuch gekommen, ihre Kolonialvölker zu russifizieren.
Aber selbst sie schafften nicht, was den Römern offenbar in Gallien gelang. Auf dem Baltikum beispielsweise hielt sich die Volkssprache, so sehr sie auch unterdrückt wurde, und war sofort wieder da, als die Esten, Letten, Litauer sich vom Kommunismus befreit hatten.
Insofern, lieber Califax, kommt mir die Sprachentwicklung in Gallien und Iberien immer noch erstaunlich vor. Vielleicht war die lange Zeit der römischen Besatzung der entscheidende Faktor?
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