Wir haben darüber hier schon mehrfach diskutiert, unter anderem in diesem sehr umfangreichen Thread und noch einmal in diesem kürzeren: Wie steht es mit Verantworung, mit Schuld und Strafe, wenn wir den Neuro- und Sozialwissenschaften folgen und das Verhalten des Menschen als durch Gene und Umwelt determiniert annehmen?
Dazu ist in der heutigen "Süddeutschen Zeitung" ein Artikel über ein "Manifest" von Psychiatern und Psychologen erschienen, der mir einen längeren Kommentar wert zu sein schien.
Sie haben den Kern des Artikels leider weggelassen:
In Antwort auf: Schläger wie die aus der Münchner U-Bahn gehören zu jenen 7,5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen, die unter behandlungsbedürftigen "Störungen des Sozialverhaltens" leiden.
Diese psychiatrischen Störungen zeichnen sich in der Regel bereits im Vor- oder Grundschulalter ab. Etwa zwei Prozent aller Kinder stellen den harten Kern jener dar, die sich langfristig zu gewalttätigen Intensivtätern entwickeln, sagt der Psychologe Wolfgang Ihle von der Universität Potsdam.
Diese Kinder sind bereits früh aufsässig, impulsiv und aggressiv. Sie schlagen, zerstören, lügen oder stehlen und haben Probleme, sich in Gruppen einzuordnen. Viele zeigen bereits mit zwei Jahren erste Symptome.
Kombiniert mit den Faktoren Erblichkeit und Familiensituation ergibt sich daraus eine Prognosemöglichkeit, die eventuell zur Prävention benutzt werden könnte. Wie die aussehen sollte, berichten die Autoren natürlich nicht, denn das hängt unter anderem vom Hirn der Querschläger ab. Das wäre aber der nächste interessante Punkt gewesen.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Bevor auch noch genetische Ursachen bei der Erklärung der Neigung zu Gewalt bei ausländischen Jugendlichen aus dem Hut gezaubert werden, sollte doch mal eine Untersuchung auf Gewaltneigung oder starkem sozialen Fehlverhalten z.B. in der Türkei oder arabischen Ländern durchgührt werden. Ich vermute, das Ergebnis lässt dann eher auf ein Problem schließen, das irgendwie mit der deutschen Gesellschaft oder der Schulerziehung zu tun hat.
Ich vermute ein Grundproblem liegt darin, dass vielen Ausländern ganz einfach der Respekt vor deutschen Autoritätspersonen fehlt, mit eine Folge des allzu großen Verständnisses für die armen Halbstarken über viele viele Jahre. Die heutigen Verhältnisse waren vor 40 Jahren undenkbar. Da hatten die Zuwanderer noch großen Respekt.
Die genetische Neigung zu Aggression ist keine völkische These, sie dürfte auch bei Schimpansen und anderen Primaten nachweisbar sein. Möglicherweise auch quer durch die ganze Tierwelt. Für Schizoidie beispielsweise gibt es Anzeichen für genetische Neigung, ebenso kann ein hoher Adrenalin- oder Testosteronspiegel vererbt werden. Die hohe Auffälligkeit moslemischer Jugendlicher dürfte subkulturell begründet sein. Schlechte Erziehung, Minderwertigkeitsgefühl, die Erfahrung, daß man mit Gewalt und Diebstahl Macht bekommt und nicht ernsthaft gestoppt wird.
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Hallo Zettel, mich macht dieses Thema auch ziemlich wütend. Ein entfernter Verwandter von mir wurde vor ein paar Jahren auf einer kleinen holländischen Insel von Raubmördern erschossen. Bei diesem Beispiel wird deutlich, dass es eben nicht immer "schon so" gewesen ist. Das Problem ist eskaliert, als die Sichtweise der Soziologen usw. sich durchgesetzt hat. Ja, 68er-Bashing ist nicht neu oder kreativ, aber zutreffend. Vor lauter Mitgefühl für die Täter versäumte man es, in ihnen AUCH grundsätzlich selbstbestimmte Individuen zu sehen. Für die Opfer hat man sich darüber natürlich erst recht nicht interessiert. Ja, ich bin in einer normalen, guten Familie aufgewachsen und ich kann nicht sagen, was aus mir geworden wäre, wenn ich auch in so schlimme Verhältnisse hineingeboren worden wäre. Was die Linken aber verkennen, ist, dass sie mit ihrer Rhetorik die bösen Instinkte der (potenziellen)Täter stärken. Wenn man Problemfällen das Gefühl gibt, man könne es ihnen eigentlich nicht verdenken, wenn sie straffällig werden, dann kann das in Zweifelsfällen durchaus schon mal den Ausschlag geben. Was diese Gutachten angeht, die über Täter erstellt werden: Bei Theodore Dalrymple hab ich gelesen, dass viele Häftlinge in England eine "acab"-Tätowierung haben. Sie behaupten dann gegenüber Richtern usw., dies stehe für "always carry a bible", gegenüber Mitgefangenen geben sie es als "all coppers are bastards" aus. Das heißt, dass auch sehr dumme Leute wissen, was man von ihnen hören will. Viele Grüße, Chripa P.S.: Der zitierte Dalrymple ist ein englischer Gefängnisarzt, die Artikel gehen oft um solche Themen, wirklich sehr interessant. Hier zum Beispiel: http://www.city-journal.org/html/15_1_oh_to_be.html
Gibt es ernsthaft Richter, die ACAB noch nicht kennen? Die Parole ist doch mindestens 30-40 Jahre alt.
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Ich glaube, was die Soziologen übersehen ist, dass sie nicht nur Betrachter von aussen sind sondern zum System dazu gehören. Sie mögen sogar Recht haben, wenn sie das Verhalten eines Täters allein durch äußere Umstände erklären. Dadurch aber, dass diese Weltsicht Praxis geworden ist, ist sie aber auch Teil der Umstände und damit mitverantwortlich für die Entwicklung zum Intensivtäter. Will sagen: Wenn man die Menschen nicht als selbstverantwortliche Wesen behandelt, werden sie die Verantwortung auch nicht wahrnehmen. Im anderen Fall unter Umständen ((-:) schon.
Hallo Califax, das sollte eigentlich nur ein Beispiel für eine Geisteshaltung sein. Mir war das schon neu, aber ich bin ja auch kein englischer Richter. Gefunden hab ich das in einem Artikel, der zwar noch nicht 40, aber doch schon 10 Jahre alt ist. http://www.city-journal.org/html/8_3_oh_to_be.html Grüße, Chripa
Zitat von dirkWill sagen: Wenn man die Menschen nicht als selbstverantwortliche Wesen behandelt, werden sie die Verantwortung auch nicht wahrnehmen. Im anderen Fall unter Umständen ((-:) schon.
Exakt so sehe ich das auch, lieber Dirk.
Viele - bis in die oberen Etagen wissenschaftlichen Ansehens hinein, die Neurobiologen Singer in Frankfurt und Roth in Bremen sind zwei Beispiele - übersehen, daß die Zuschreibung oder Nicht-Zuschreibung von Freiheit und Verantwortlichkeit selbst ein Kausalfaktor ist ("causal power" hat).
Dasselbe gilt für Soziologen, die für Verbrechen nicht den Verbrecher, sondern die kausale Wirksamkeit sozialer Faktoren verantwortlich machen wollen.
Sie haben ja völlig Recht damit, daß diese Kausalfaktoren wirken; wie auch die minimalen Hirnschädigungen, von denen es sehr wahrscheinlich ist, daß sie bei Gewaltkriminalität eine erhebliche Rolle spielen (siehe den Beitrag von Califax).
Aber ein empirischer Faktor, der eine kausale Rolle spielt, ist es eben auch, ob jemand in der Überzeugung erzogen wird, ein selbstverantwortlicher Mensch zu sein, der für sein Tun geradestehen muß. Wer die Existenz von Willensfreiheit und Verantwortlichkeit bestreitet, muß einräumen, daß er damit kausal auf das Verhalten von Menschen einwirkt; und zwar in der Weise, daß er sie zu unverantwortlichem Verhalten ermuntert.
Anderer Aspekt: Die sozialwissenschaftliche Kriminologie fragt sozusagen liebevoll, warum manche Menschen deviantes, asoziales Verhalten zeigen. Seltsamerweise fragt kaum einer, warum eigentlich die meisten Menschen normales, sozial angepaßtes Verhalten zeigen.
Warum begehen wir eigentlich nicht alle ständig Verbrechen? Aus Mitleid mit einem potentiellen Opfer, aus Angst vor dem Erwischtwerden, aus ethischen Abwägungen heraus, weil es uns unsere Moral schlicht "verbietet"?
Wir brauchen, lieber Dirk, meines Erachtens eine bessere Forschung zu den Ursachen gesetzestreuen Verhaltens; statt daß alles wie das Kaninchen auf die Schlange darauf starrt, warum Menschen straffällig werden.
Hah, da sind wir wohl wieder, anders als beim Beitrag zum Elfmeterschiessen, einer Meinung. Aus Deinen Beiträgen schliesse ich, dass Du studierter Psychologe bist. Korrekt?
In dem Beitrag fehlt eine Definition von Zufall. Allgemein kann man Zufall von deterministischem Verhalten nicht unterscheiden. Ein Computer zum Beispiel spuckt Zufallszahlen aus, die alle nach einem festen Algorithmus berechnet werden.
In dem Fall des Fussballspiels würde ich Zufall dann indirekt definieren: Es gibt ein gewisses fussballerisches Können, aber das alleine entscheidet nicht über den Ausgang des Spiels. Da gibt es noch eine Störgröße. Also Zufall ist alles das, was nicht durch Fussballerisches Können erklärt werden kann.
Und beim Elfmeterschießen spielen die Nerven eine Rolle. Also nicht nur fussballerisches Können, sprich Zufall im obigen Sinne. Im Elfmeterschiessen kann die schlechtere Mannschaft genauso gut gewinnen. ("Es sind alle Karten gleich verteilt")
Umgekehrt ist der Zufall in einzelnen Spielsituationen (Pfosten statt Tor) vielleicht da. Aber ein Spiel dauert ja 90 Minuten, so dass viele Situationen zu erwarten sind, sich der Zufall wegmittelt und das (fussballerische) Können einen höhren Anteil am Erfolg erhält.
Elfmeterschiessen ist ein wenig so wie Klausuren schreiben. Das sind zwar auch Laborbedingungen, aber der Beste schneidet nicht unbedingt am besten ab.
Kurz: Ihr Beitrag hängt im wesentlichen davon ab, dass sie ein anderes Verständnis von "Zufall" haben als diejenigen, die die Behauptung "Elfmeterschiessen=Zufall" aufstellen. Und die Diskussion krankt daran, dass nicht klar ist was "Zufall" in diesem Zusammenhang bedeuten soll.
Lieber Dirk, ich gehöre der Zunft an, von der Sie vermuten, dass sie auch diejenige des verehrten Zettel sei; möglicherweise ist das der Grund dafür, dass ich nie geglaubt habe, Zettel könne möglicherweise ein Kollege sein (ich vermute eher, dass er Naturwissenschaftler ist). Zwar verfügt er auch hinsichtlich der Psychologie über einen Wissensumfang, der dem vieler meiner Kollegen überlegen sein dürfte, jedoch argumentieren Psychologen anders, als es Zettel tut. Ich kann mich an kaum einen Kollegen erinnern, der bei den Tausenden von Fallgesprächen , an denen ich im Laufe meines Berufslebens teilgenommen habe, auch auf die persönliche Verantwortung bei Fehlverhalten hingewiesen hätte; für die meisten war es sonnenklar, dass neben aktuellen Faktoren vor allem die frühkindliche Sozialisation für das zu verhandelnde Problem ursächlich war. Auch Zettels mir überaus sympathische Frage, wie gedeihliches Sozialverhalten bei Menschen zustande kommt, die auf mindestens ebenso viele Verletzungen in der Kindheit zurückblicken können wie die Devianten, stellt ein Psychologe in der Alltagsarbeit üblicherweise nicht (was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass abweichendes Verhalten deutlich seltener und damit wesentlich spektakulärer ist als angepasstes). In der wissenschaftlichen Forschung ist die von Zettel angesprochene Fragestellung jedoch durchaus ein Thema; das Stichwort lautet "Resilienz" und wird u.a. bei Wikipedia in einem ausführlichen Artikel beschrieben. Da derjenige, der sucht, bekanntlich findet, sind in ihm auch eine Reihe von Umweltfaktoren aufgeführt, die die Resilienz (übersetzt etwa "Unverwüstlichkeit") möglicherweise beeinflussen; die Quintessenz lautet aber bislang offenbar "nichts Genaues weiß man nicht". Man muss staunend zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die durch den schlimmsten Sumpf waten können, ohne dass der Schmutz ihnen etwas anhaben kann (ich habe übrigens einmal jemanden kennen gelernt, bei dem das auch wörtlich so zutraf).
Nebenbei: Computer spucken keine Zufallszahlen aus, sondern so genannte "Pseudozufallszahlen", also Ziffernfolgen, die lediglich so aussehen, als seinen sie zufällig. Von einem "Zufallsereignis" kann man zum Beispiel dann sprechen, wenn es aufgrund vieler, unabhängig voneinander wirksamer Ursachen zustande kommt und Vorhersagen daher nicht möglich sind. Der Zufall spielt auch bezüglich der unser Verhalten bestimmenden Umweltfaktoren eine erstaunlich große Rolle; jedenfalls sind die Einflüsse von Elternhaus und Schule wesentlich weniger wirksam, als die beiden Institutionen selbst glauben.
In Antwort auf:Nebenbei: Computer spucken keine Zufallszahlen aus, sondern so genannte "Pseudozufallszahlen", also Ziffernfolgen, die lediglich so aussehen, als seinen sie zufällig. Von einem "Zufallsereignis" kann man zum Beispiel dann sprechen, wenn es aufgrund vieler, unabhängig voneinander wirksamer Ursachen zustande kommt und Vorhersagen daher nicht möglich sind. Der Zufall spielt auch bezüglich der unser Verhalten bestimmenden Umweltfaktoren eine erstaunlich große Rolle; jedenfalls sind die Einflüsse von Elternhaus und Schule wesentlich weniger wirksam, als die beiden Institutionen selbst glauben.
Lieber Friedel,
bei "Zufallsereignissen" sind Vorhersagen im Einzelfall zwar nicht möglich, die Verteilung vieler Einzelfälle schon. Und aus der Tatsache, dass menschliches Verhalten im Einzelfall nicht vorhersagbar ist, sollte nicht notwendigerweise geschlossen werden, dass menschliches Verhalten ein Zufallsereignis ist. Nicht-Vorhersagbarkeit macht aus einem Ereignis nicht automatisch ein zufälliges.
Ich sehe kompatibles und nicht-kompatibles Verhalten etwas mechanistisch: Dazwischen liegt die Hemmschwelle. So mancher Mensch liegt sehr marginal unter dieser, sodass auch der kleinste Anstoss reicht, um darüberzuspringen. Die Marginalität ist es hier, die eine Vorhersage so schwierig macht.
Nichtsdestotrotz sollte in der gesellschaftlichen Diskussion klar sein, dass die Hemmschwelle in der Gesellschaft durch diese selbst beeinflusst wird. So dürfte ein prinzipiell geringes Strafmaß, die Möglichkeit strafmildernder Gutachten über die verminderte Schuldfähigkeit, vorzeitiger Straferlass ganz sicher nicht die Hemmschwelle für nicht-kompatibles Verhalten erhöhen (aus lauter Dankbarkeit für die verständnisvollen Richter?). Im Vorfeld nicht-kompatiblen Verhaltens spielt die individuelle Marge natürlich eine entscheidende Rolle. Und da sind mit Sicherheit die emotionalen Bindungen, und damit das Elternaus eine wichtiger, als Sie dies oben andeuten. Die individuelle Marge wird selbstverständlich auch durch die Erziehung zu Selbstverantwortlichkeit beeinflusst, bei der Elternhaus und Schule einen großen Beitrag liefern können, sofern dies nicht durch die Realität des Alltags konterkariert wird.
Da Sie aber, lieber Dirk, mit dieser Antwort wahrscheinlich nicht glücklich sind (sie vielleicht gar, was sie keinesfalls sein soll, als unhöflich empfinden könnten), will ich Ihnen noch erzählen, wie ich das in jüngeren Jahren gehalten habe, als ich gern das eine oder andere Bierchen dort trank, wo man ein Schweinchen und einen Durch bestellt und wo man weiß, was beim Knobeln Meier 1 ist.
Wenn da am Tresen die unvermeidliche Frage kam: "Und wo malochst du?", habe ich wahrheitsgemäßg gesacht: "In der Uni". Und wenn dann der Frager weiterbohrte: "Und was machste da?" habe ich gesagt, ebenfalls wahrheitsgemäß: "Ich gehe in die Hörsäle und wische die Tafel ab". - "Also so ne Art Hausmeister?" - "Kannste so nennen".
Denn jeder, lieber Dirk, ist ja frei, wie er was nennt.
Herzlich, Zettel
PS: Auf Ihre sehr interessanten Überlegungen zum Zufall und zum Elfmeter antworte ich im dortigen Thread, wenn ich Zeit habe.
Dass Sie Dozent sind, dachte ich mir auch schon. Da gab es einige versteckte Hinweise. Mein Bruder studiert Psychologie und von Diskussionen mit ihm bin ich an das Vokabular gewöhnt, das auch Sie verwenden. Daher meine Vermutung. Ist aber auch egal, schliesslich ist es nicht allein der Erfahrungshintergrund, der das Denken eines Menschen bestimmt (-:
Ist die Frage zwischen persönlicher Schuld und gesellschaftlicher Schuld nicht schon uralt? Büchners "Woyzeck" (zumindest wurde es mir von meinem damaligen Deutschlehrer so dargestellt) reflektiert doch schon die Frage, ob man den Mörder Woyzeck voll verantwortlich machen kann, oder ob es nicht auch seine Lebensumstände sind und seine Sozialisation, die ihn dazu erst befähigt/getrieben haben. Aber was ich nicht verstehe ist jetzt, wieso ein Widerspruch zu Juristen besteht. Zum einen ist auch ein wegen gesellschaftlichem Versagen ausgeführtes Verbrechen ein Verbrechen, zum anderen spiegeln sich diese gesellschaftlichen Fragen doch auch im Urteil wider. Ein mehrfach straffällig gewordener Jugendlicher wird anders verurteilt, als ein Ersttäter. Selbst wenn wir den freien Willen negieren würde, müssten wir immer noch jene Leute, die Verbrechen begehen, festnehmen und verurteilen. Immerhin hat unser Strafvollzug die Zielsetzung zu resozialisieren. Resozialisiert werden muss auch der, der keinen freien Willen besitzt.
Zitat von OmniIst die Frage zwischen persönlicher Schuld und gesellschaftlicher Schuld nicht schon uralt? Büchners "Woyzeck" (zumindest wurde es mir von meinem damaligen Deutschlehrer so dargestellt) reflektiert doch schon die Frage, ob man den Mörder Woyzeck voll verantwortlich machen kann, oder ob es nicht auch seine Lebensumstände sind und seine Sozialisation, die ihn dazu erst befähigt/getrieben haben.
Das stimmt, lieber Omni. Das Thema ist uralt.
In anderer Form bestimmte es ja geradezu die antike Tragödie: Das Schicksal, das von den Göttern Beschlossene, dem der Mensch nicht entrinnen kann, auch wenn er sich frei wähnt.
Zum Beispiel in der Ödipus-Geschichte: Das Orakel von Delphi sagt dem König Laios vorher, daß, wenn er einen Sohn zeugt, dieser ihn töten und seine Mutter heiraten wird. Laois tut alles, um das unmöglich machen und läßt das Kind Ödipus im wilden Gebirge aussetzen. Am Ende aber kommt alles, wie es prophezeit war.
Was den Altvorderen das Schicksal und die Götter, was den Menschen des Mittelalters Gottes unerforschlicher Ratschluß war, das ist den heutigen Sozialwissenschaftlern in gewisser Weise die Gesellschaft.
Zitat von OmniAber was ich nicht verstehe ist jetzt, wieso ein Widerspruch zu Juristen besteht. Zum einen ist auch ein wegen gesellschaftlichem Versagen ausgeführtes Verbrechen ein Verbrechen, zum anderen spiegeln sich diese gesellschaftlichen Fragen doch auch im Urteil wider. Ein mehrfach straffällig gewordener Jugendlicher wird anders verurteilt, als ein Ersttäter.
Es stimmt, daß das Jugendstrafrecht mehr auf Resozialisierung und Prävention als auf Sühne ausgerichtet ist. Es ist ein Täterstrafrecht, kein Tatstrafrecht. Es sieht nicht nur Strafen, sondern vor allem auch Maßnahmen vor.
Es gibt sicherlich auch viele Jugendrichter, die sich im Grunde mehr als Psychologen, als Sozialarbeiter verstehen. Aber es geht doch immer noch um Strafrecht. Es geht darum, daß jemand für sein Tun verantwortlich ist und eine Strafe auf sich nehmen muß, wenn er in dieser Verantwortung versagt.
Das, lieber Omni, ist ein Denken, das den meisten Sozialwissenschaftlern und Psycholögen ganz fremd ist; Friedel B. hat gerade darauf hingewiesen.
Zitat von OmniSelbst wenn wir den freien Willen negieren würde, müssten wir immer noch jene Leute, die Verbrechen begehen, festnehmen und verurteilen. Immerhin hat unser Strafvollzug die Zielsetzung zu resozialisieren. Resozialisiert werden muss auch der, der keinen freien Willen besitzt.
Auch da stimme ich zu. Aber die, sagen wir Bemesssungsgrundlage wäre eine ganz andere.
Ich verwende in solchen Diskussionen garn das Beispiel der NS-Verbrecher, sagen wir in KZs. Die meisten waren gesetzestreue Bürger, bevor sie KZ-Wächter wurden, und sie waren es wieder danach. Kein Resozialisierungsbedarf, keine Gefahr für die Allgemeinheit. Warum also sollte man sie bestrafen, wenn es nicht auch um Sühne ginge?
Inzwischen ist das Beispiel a bisserl obsolet; nehmen wir stattdessen die SED-Täter.
Zitat von Friedel B. [die Frage] ... wie gedeihliches Sozialverhalten bei Menschen zustande kommt, die auf mindestens ebenso viele Verletzungen in der Kindheit zurückblicken können wie die Devianten, stellt ein Psychologe in der Alltagsarbeit üblicherweise nicht (was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass abweichendes Verhalten deutlich seltener und damit wesentlich spektakulärer ist als angepasstes).
Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein, lieber Friedel B. Es ist ja in vielen Wissenschaften so, daß man vor allem das Abweichende sieht und als erklärungsbedürftig betrachtet. Ein Beispiel in der Psychologie sind die geometrisch-optischen Täuschungen. Sicherlich interessant; aber interessant ist doch vor allem, wieso wir normalerweise die Länge, Orientierung usw. von Strecken und dergleichen richtig wahrnehmen.
Zitat von Friedel B.Man muss staunend zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die durch den schlimmsten Sumpf waten können, ohne dass der Schmutz ihnen etwas anhaben kann (ich habe übrigens einmal jemanden kennen gelernt, bei dem das auch wörtlich so zutraf).
Und die nicht nur nicht korrumpierbar, sondern auch nicht verletzbar sind ("invulnerability").
Es ist halt wohl so, daß die Varianz, die durch Umwelteinflüsse aufgeklärt wird, keine feste Größe ist, sondern ihrerseits von (u.a.) genetischen Faktoren abhängt.
So ist es ja vermutlich auch bei der Intelligenz: Wer hochbegabt ist, für dessen Intelligenzentwicklung spielt die Umwelt eine vergleichsweise geringe Rolle. Arno Schmidt wuchs in dürftigen Verhältnissen auf. Bei geringer Begabung kann aber die Umwelt sehr viel bewirken; der Anteil der Varianz, der durch Umweltfaktoren aufgeklärt wird, ist dann groß.
Zitat von Friedel B.Nebenbei: Computer spucken keine Zufallszahlen aus, sondern so genannte "Pseudozufallszahlen", also Ziffernfolgen, die lediglich so aussehen, als seinen sie zufällig. Von einem "Zufallsereignis" kann man zum Beispiel dann sprechen, wenn es aufgrund vieler, unabhängig voneinander wirksamer Ursachen zustande kommt und Vorhersagen daher nicht möglich sind.
Das hatte ich mir auch anzumerken vorgenommen, lieber Friedel B. Als ich in den sechziger Jahren mit meinen ersten Experimenten angefangen habe, gab es natürlich noch keine Rechner, die Zufallszahlen lieferten. Sondern es gab die Tables of Random Numbers. Da schlug man - zufällig - eine Seite auf, wie beim Bibelstechen, nahm dann vielleicht die erste Zahl die da stand, schlug die Seite auf, die in der Paginierung diese Zahl trug, und schrieb dann die Zufallszahlen ab, wie sie da standen.
Das hieß aber, wenn man es korrekt in das Manuscrkript schrieb, eben nicht "zufällig", sondern man sprach - wie Sie schreiben - von einer "pseudo random sequence".
Zitat von Friedel B. Der Zufall spielt auch bezüglich der unser Verhalten bestimmenden Umweltfaktoren eine erstaunlich große Rolle; jedenfalls sind die Einflüsse von Elternhaus und Schule wesentlich weniger wirksam, als die beiden Institutionen selbst glauben.
Bei der Intelligenz und einigen Persönlichkeitsdimensionen wie Neurotizismus und Extraversion liegt, glaubt man den Zwillingsstudien, der genetisch bedingte Varianzanteil bei ungefähr 50 Prozent. Aber die andereen 50 Prozent sind eben nicht durch die Umweltfaktoren aufklärbar, die man erfassen kann (Erziehungsstil der Eltern, sozioökonomischer Status usw.).
Es sind vielleicht trotzem Umweltweinflüsse, aber man kann sie halt nicht leicht quantifizieren: Ein Lehrer, der einen starken Einfluß hatte, eine Liebesbeziehung, ein Todesfall in der Familie, ein Umzug; dergleichen.
Herzlich, Zettel
PS: Ich habe eben gesehen, lieber Friedel B., daß Sie hier erst 15 Beiträge geschrieben haben (früher natürlich auch welche, als man das noch in ZR konnte). Mir kommt das viel mehr vor; was zeigt, daß jeder Ihrer Beiträge sich auf mich als Umwelteinfluß auswirkt.
>>Nebenbei: Computer spucken keine Zufallszahlen aus, sondern so genannte "Pseudozufallszahlen",
Ja eben. Zahlen, die deterministisch berechnet werden. Man kann leider nicht zwischen Zufall und einem bisher verborgenen Determinismus unterscheiden. Deswegen brauchen wir m.E. in solchen Diskussionen wie hier ein eher statistisches Verständnis von Zufall (=unerklärte Varianz z.B.).
Vielleicht ist das hier ja bereits Konvention und mein Einwand damit unnötig: Aussagen der Art "Der Zufall spielt im Leben eine sehr große Rolle" verstehe ich nicht bloss im Sinne von "wir können das Leben einer Person nicht gewisse Parameter erklären" sondern ich ich lese darin eine philosophische Aussage der Art "Dass Du so bist, wie Du bist, hast Du nicht Dir selbst zu verdanken sondern hätte gut und gerne anders sein können. Wenn damals die Würfel anders gefallen wären, würdest Du heute auch einen auf dem Boden liegenden Menschen treten". Und genau ist eine unzulässige Schlussfolgerung. Unzulässig, weil es einen Determinismus (z.B. meinen Willen!) geben kann, der uns beim reinen Anblick der Daten verborgen ist.
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