Zitat von Zettel Vortragstechnik ist heute eine der wichtigsten Fertigkeiten in den meisten akademischen Berufen. Sie sollte an den Unis geübt werden. Stattdessen passiert es immer noch, daß jemand sich ein Referat aufgeschrieben hat und das dann monoton abliest. Wie will der Betreffende im Berufsleben bestehen? Herzlich, Zettel
Habe ich nur bei Geisteswissenschaftlern (Studenten vom 2. bis 8ten Semester und einmal eine Doktorandin oder PostDoc in Kunstgeschichte) erlebt. Mein Physikreferate-Counter: 4 Seminarvortraege in 8 Semestern. 2 haetten gereicht, lt. Pruefungsordnung.
Ja, mir scheint auch, daß es da einen Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern gibt, und ich habe auch eine Theorie, woran das liegt.
Als ich in den siebziger Jahren angefangen habe, erste Vorträge auf Tagungen zu halten, war es auch unter Naturwissenschaftlern noch üblich, das sehr steif, sehr deutsch zu machen. Dann bekamen wir immer mehr Kontakt mit der angelsächsischen Vortragskultur, und der Stil änderte sich. Man redete frei, machte Witze, scheute sich nicht, sich einfach auszudrücken und auch einfache Dinge zu erklären.
Ich werde nie den Vortrag eines Kollegen aus Oxford vergessen, der ein hochangesehener Mann war, damals aber noch Reader. Der erschien zu seinem Vortrag in einem Burnus, den er in Nordafrika gekauft hatte. Nachdem sich Staunen und Lachen gelegt hatten, zog er ihn aus und stand wieder im Pullover da. Dann begann er seinen Vortrag damit, daß er das Thema mit der Technik verknüpfte, in der so ein Burnus gewebt wird.
Also, diese Lockerheit haben wir damals dank Kontakts mit den Angelsachsen allmählich übernommen. Bei Geisteswissenschaftlern waren jedenfalls damals solche Kontakte seltener (da finden ja selbst heute noch Tagungen auf deutsch statt). Ich denke, das ist einer der Gründe, warum sich dort die, sagen wir, altfränkische Vortragskultur mehr gehalten hat.
Meine Theorie war immer, dass Geisteswissenschaftler jedes Wort auf die Goldwaage legen und Naturwissenschaftler nicht. Ist bei uns Naturwissenschaftler etwas unklar, kann man (meist) kurz nachfragen und (idealerweise) mit einer kleinen Rechnung oder Skizze die Unklarheiten beseitigen. Dank Mathematik gibt es ueber die einzelnen Schritte meist keine Diskussion, sondern nur ueber die gemachten Annahmen und ueber die Gueltigkeit gewisser Regeln, Schluesse, Ergebnisse. Bei den Geisteswissenschaften fuehrt ein unklar oder zweideutig verwendeter Begriff dazu, den Vortrag zu zerlegen, dem Referenten die Wissenschaftlichkeit abzusprechen.
Zitat von DagnyMeine Theorie war immer, dass Geisteswissenschaftler jedes Wort auf die Goldwaage legen und Naturwissenschaftler nicht.
Das ist wohl auch ein Faktor, liebe Dagny. Aber der kulturelle ist, glaube ich, wichtiger.
Ich habe interdisziplinär gearbeitet, auch mit Philosophen, und in internationalen Arbeitsgruppen. Auch amerikanische Philosophen sind überwiegend locker; manche (wie Searle und Dennett) sind sogar regelrechte Genies eines lockeren Vortrags. Immer frei gehalten.
Und bei den Naturwissenschaftlern ist es eine Altersfrage. Die Jüngeren (also sagen wir, wer nach ungefähr 1965, 1970 seine Karriere begann) sind locker; auch die Deutschen. Die älteren Deutschen waren in dieser Zeit noch überwiegend professoral.
Viele so sehr, daß die Angelsachsen sich über sie lustig machten. Ich erinnere mich, wie vielleicht 1985 ein Deutscher, eine anerkannte Kapazität in seinem Fach, mal wieder ex kathedra verkündet hatte, wie alles ist, und dann ein Brite, auch er sehr anerkannt, lächelnd anmerkte: "When X says "we have proven" he means "there is some evidence"; and when he says "there is evidence" he means "we don't have the faintest idea". Großes, internationales Gelächter.
Zitat von ZettelJa, mir scheint auch, daß es da einen Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern gibt, und ich habe auch eine Theorie, woran das liegt.
Werter Zettel,
geben Sie es doch zu: Sie benutzen genau diese Forumsoftware doch nur, weil Sie hier Ihren Lieblings-Smiley verwenden können
Weil es gerade in die Diskussion passt: Wenn es darum geht, Gutachten (ueber angehende Doktoranden etwa) miteinander zu vergleichen wurde mir gesagt, ein Deutsches Gutachten werde erstmal aufgewertet und ein Amerikanisches abgewertet um Vergleichbarkeit herzustellen. Der Amerikaner lobe in den hoechsten Toenen, wo der Deutsche etwas bescheiden auf Defizite hinweist und beide Bewerten den gleichen Studenten.
Zitat von DagnyWeil es gerade in die Diskussion passt: Wenn es darum geht, Gutachten (ueber angehende Doktoranden etwa) miteinander zu vergleichen wurde mir gesagt, ein Deutsches Gutachten werde erstmal aufgewertet und ein Amerikanisches abgewertet um Vergleichbarkeit herzustellen. Der Amerikaner lobe in den hoechsten Toenen, wo der Deutsche etwas bescheiden auf Defizite hinweist und beide Bewerten den gleichen Studenten.
Das entspricht meiner Erfahrung, liebe Dagny. Und vor allem sind die deutschen Gutachten kürzer.
Noch schlimmer ist das bei den Habil-Gutachten. Da haben deutsche Gutachter die Neigung, vor allem ihr eigenes Wissen und ihre subtile Urteilsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Zitat von ZettelJa, mir scheint auch, daß es da einen Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern gibt, und ich habe auch eine Theorie, woran das liegt.
Werter Zettel, geben Sie es doch zu: Sie benutzen genau diese Forumsoftware doch nur, weil Sie hier Ihren Lieblings-Smiley verwenden können
Getroffen! Ich bin, lieber Gorgasal, wohl sowas wie ein Knowaholic: Wissen aufnehmen, es organisieren, es weitergeben, das macht mich high.
(Mein Lieblings-Smilie ist aber, glaube ich, das Lachteufelchen: )
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