Zitat von Zettel Obama wollte also den Irak ebenso im Stich lassen, soe wie das ein demokratisch dominierter Kongreß einst mit Vietnam gemacht hatte. Jeder Politiker kann sich irren. Obama allerdings hat sich damals nicht geirrt, sondern er hat eine Entscheidung getroffen: Er war bereit, den Irak zu opfern.
Realpolitik. Auch im englischen wird dieses deutsche Wort verwendet, mit einer negativen Konnotation, die etwas stärker ist, als bei uns.
Ja. Es soll ja auf Bismarck zurückgehen.
Nur wäre ja Obamas Gesetz nicht nur ein Verrat an den Irakern gewesen, die mit den USA zusammenarbeiteten, die sich überhaupt für den demokratischen Irak einsetzten. Sondern der sofortige und bedingungslose Abzug bis zum 31. März 2008 (!) wäre ja auch außenpolitisch verheerend für die USA gewesen. Sie hätten sich von dieser vernichtenden Niederlage so langsam erholt wie von der in Vietnam.
Die Mehrheit der Demokraten, mit Obama als dem vermutlich radikalsten, hatte - so sehe ich das, beweisen kann man es nicht - die Innenpolitik im Auge. Die Amerikaner waren kriegsmüde. Sie waren für einen schnellen, erfolgreichen Feldzug gewesen und hatten nun einen Krieg am Hals, der ewig zu dauern versprach, ohne sichere Aussicht auf Erfolg. Sie wollten raus aus dem ganzen Abenteuer.
Das war die Stimmung im Frühjahr 2007. Im Herbst 2006 hatten die Demokraten u.a. mit dem Irak-Thema beide Häuser des Kongresses erobert. Jetzt wollten sie sich dort fest einrichten und ihre Chancen für die Präsidentschaftswahlen 2008 sichern. Also schwamm man populistisch auf dieser Welle des Raus-aus-dem-Irak. Obama ganz oben.
Zitat von DagnyFür Vietnam bin ich zu Jung. Würden Sie sagen, der Kongress habe Vietnam fallen gelassen?
Er hat den Todesstoß versetzt. Ob Kissinger beim Frieden vom 27. Januar 1973 daran glaubte, daß dessen Bestimmungen - im wesentlichen Wiederherstellung des Zustands vor dem Krieg - von den Kommunisten eingehalten werden würden, darüber kann man streiten.
Wahrscheinlich nicht, aber er dachte vermutlich, daß die südvietnamesische Armee mit amerikanischer Unterstützung allmählich stark genug sein würde, um das Land gegen eine Machtübernahme der Kommunisten zu schützen. Es war die Politik der sogenannten "Vietnamisierung des Kriegs", eine direkte Analogie zur jetzigen Übertragung der militärischen Aufgaben auf die Iraker.
Aber der Kongreß war trotz der Wahl Nixons demokratisch beherrscht; und dieser strich im Dezember 1974 jede Militärhilfe für Südvietnam. Damit stand der Sieg der Kommunisten fest.
Nein, liebe Dagny, so genau habe ich die Daten nicht im Kopf. Ich habe sie in "Zettels Raum" nachgelesen.
Und viele haben sich zu dem Zeitpunkt geirrt. Vielen dachten (ich damals auch), Irak würde ein ewiges Gemetzel werden, ohne Chance auf Frieden. Allein schon, weil die Kultur der irakischen Völker zu weit von einer demokratischen entfernt sei. Der Vielvölkerstaat. Der Bürgerkrieg. Der Islam. Der iranische Einfluss. Schien nicht alles gegen ein gutes Ende zu sprechen? Und dann die surge: 20.000 Soldaten mehr ... +10 %! Jon Stewart: "Ten percent? That's not a surge, that's a tip! And not even a good one, it's a german tip!" (O. s. ä., aus dem Gedächtnis zitiert.)
Ich bin ehrlich gesagt jetzt noch überrascht, wie erfolgreich das dann doch war.
In Antwort auf:Obama allerdings hat sich damals nicht geirrt, sondern er hat eine Entscheidung getroffen: Er war bereit, den Irak zu opfern.
Politiker bringen manchmal auch chancenlose Gesetzentwürfe ein, aus rein strategischen Gründen, ohne diese selbst ernst zu meinen. Eine Praxis, die ich keineswegs wertschätze, aber sie existiert nun mal, und gewisslich lässt sie sich nicht einem bestimmten politischen Spektrum zuordnen.
Und also kann man durchaus erwägen, ob Senator Obama dies tatsächlich wollte, oder ob er nur einen Vorteil im parteiinternen Kampf gegen Senatorin Clinton, die dem Irakkrieg zugestimmt hatte, erringen wollte.
In Antwort auf:Wo der Irak heute wäre, hätte dieser Entwurf Gesetzeskraft erlangt, kann man sich ausmalen: Im günstigeren Fall noch im Bürgerkrieg; im ungünstigsten Fall bereits zerfallen, teils von schiitischen und teils von sunnitischen Extremisten beherrscht.
Die Provinz Anbar war am Beginn des Surge bereits nahezu von der Kaida übernommen worden. Hätten die US-Truppen damals, statt die Offensive zu ergreifen, den Rückzug angetreten, dann hätte die Kaida dort heute ihr zweites Afghanistan, komplett mit Ausbildungslagern, in denen Terroristen auf weltweite Operationen vorbereitet werden würden.
Vorhersagen sind immer schwierig, selbst dann, wenn sie sich auf die Vergangenheit beziehen.
Und viele haben sich zu dem Zeitpunkt geirrt. Vielen dachten (ich damals auch), Irak würde ein ewiges Gemetzel werden, ohne Chance auf Frieden. Allein schon, weil die Kultur der irakischen Völker zu weit von einer demokratischen entfernt sei. Der Vielvölkerstaat. Der Bürgerkrieg. Der Islam. Der iranische Einfluss. Schien nicht alles gegen ein gutes Ende zu sprechen?
Am Anfang schien ja alles gut zu gehen, lieber Daddeldu. Man mußte sich freilich von dem Glauben frei machen, der "Spiegel", "Spiegel- Online" und alle, die ihne als Leitmedium folgten, würden journalistisch verantwortungsvoll berichten.
Schon während der Invasion war die Berichterstattung propagandistisch, und danach wurde alles Negative herausgestellt und der Aufbauerfolg verschwiegen. Das Muster war: Bush hat ein Land überfallen, und jetzt sieht er, was er davon hat.
Es gab dann zwei Phasen, in denen sich die Verhältnisse tatsächlich verschlechterten. Erstens begann das, was in Deutschland gern als "Widerstand" bezeichnet wird. Desperados und Terroristen diverser Art verübten Anschläge, veranstalteten Entführungen usw. Die wichtigsten waren Kaida-Leute, die sich mit der Hilfe des Iran von Afghanistan in den Irak hatten durchschlagen können, und Reste von Saddams Elitetruppen, die ihre Waffenlager hatten behalten können. (Dabei spielte eine entscheidende Rolle, daß die Türkei die Invasion von Norden her verhindert hatte, so daß dieser Teil des Invasionsplans nicht realisiert werden konnte).
Diese Phase behinderte den Wiederaufbau, geährdete ihn aber im Grunde nicht. Wirklich kritisch wurde es, als die Kaida ihre letzte Karte zog und die Konfessionen gegeneinander hetzte, indem sie Anschläge auf mal schiitische, mal sunnitische Heiligtümer, Prozessionen usw. verübte und das jeweils der anderen Seite in die Schuhe schob.
Dadurch wurde aus den Animositäten zwischen den Konfessionen erst die Angst voreinander und dann der Kampf zwischen ihnen. Dh nicht ihnen, sondern den jeweiligen Milizen und Freischärlern. Das brachte den Irak in der Tat an den Rand eines Bürgerkriegs.
Verloren, lieber Daddeldu, war der Krieg nie. Ich habe damals im Schrippe-Forum endlose Diskussionen mit denjenigen gehabt, die das behaupteten. Daß ich ihn nie als verloren betrachtet habe, können Sie, falls Sie Zeit und Lust haben, in der Serie "Ketzereien zum Irak" nachlesen.
Und noch eine Überlegung zu Obama und den anderen Demokraten, die damals die Flucht aus dem Irak (so muß man es wohl nennen) erwogen oder forderten. Hätten sie nicht gerade deshalb für den Surge sein müssen? Bevor man so etwas entscheidet, mit allen den Folgen für die Iraker, für Israel, für die USA selbst, hätte man doch noch ein letztes Mal versuchen müssen, ob man das Ruder nicht doch herumreißen kann. Erst wenn das gescheitert wäre, hätte man die Flucht rechtfertigen können.
Zitat von DaddelduUnd dann die surge: 20.000 Soldaten mehr ... +10 %! Jon Stewart: "Ten percent? That's not a surge, that's a tip! And not even a good one, it's a german tip!" (O. s. ä., aus dem Gedächtnis zitiert.)
Das ist, lieber Daddeldu, eine Milchmädchenrechnung.
Nehmen Sie ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich: Der Besatzung der ISS. Dort sind im Augenblick drei Mann Dauerbesatzung. Zweieinhalb Manntage werden für die Wartung der Station benötigt. Für die Wissenschaft steht im Augenblick ein halber Manntag zu Verfügung.
Demnächst soll die Besatzung auf sechs Mann aufgestockt werden. Dann werden für die Wissenschaft dreieinhalb Mann zur Verfügung stehen. Die Besatzung verdoppelt, die Arbeitszeit für die Wissenschaft versiebenfacht.
So ist es auch mit den Truppen im Irak gewesen. Ein großer Teil einer solchen Truppen sind ja keine Kampftruppen, sondern sie gehören zur "Etappe". Ich habe jetzt die Zahlen nicht nachgeschlagen, aber es ist weit mehr als die Hälfte. Wenn man jetzt 20.000 Mann Kampftruppen zusätztlich einsetzt, dann verstärkt man die Kampfkraft damit weit mehr, als es dem Verhältnis 140.000 zu 20.000 entspricht. Die Etappe muß zwar auch leicht verstärkt werden, aber nicht proportional; die Infrastruktur ist ja schon da.
Zitat von DaddelduPolitiker bringen manchmal auch chancenlose Gesetzentwürfe ein, aus rein strategischen Gründen, ohne diese selbst ernst zu meinen. Eine Praxis, die ich keineswegs wertschätze, aber sie existiert nun mal, und gewisslich lässt sie sich nicht einem bestimmten politischen Spektrum zuordnen.
Und also kann man durchaus erwägen, ob Senator Obama dies tatsächlich wollte, oder ob er nur einen Vorteil im parteiinternen Kampf gegen Senatorin Clinton, die dem Irakkrieg zugestimmt hatte, erringen wollte.
Mag sein; über die Gründe dieses Gesetzentwurfs ist ja wenig bekannt. Aber wenn er eine so schicksalhafte Frage auf diesem Niveau angegangen haben sollte, dann spricht das ja nicht gerade für Obama.
Übrigens kann man in der internationalen Wikipedia lesen, daß der Link zu diesem Gesetzentwurf im Wahlkampf stillscheigend von Obamas WebSite genommen wurde. Jedenfalls behauptet das die Wikipedia aufgrund eines dort zitierten Berichts der Chicago Tribune, den ich aber nicht verifizieren konnte. Deshalb habe ich das in dem Artikel nicht erwähnt.
Zitat von ZettelEin großer Teil einer solchen Truppen sind ja keine Kampftruppen, sondern sie gehören zur "Etappe". Ich habe jetzt die Zahlen nicht nachgeschlagen, aber es ist weit mehr als die Hälfte.
Ich habe gerade "Soldiers of the Sun" fertig gelesen. Darin wird angeführt, die USA hätten im Pazifikkrieg pro Mann Kampftruppe 18 Mann Logistik und Etappe gehabt. Bei den Japanern sei das Verhältnis eher 1:1 gewesen. Das hört sich dann viel martialischer an, bis man von der Ernährungslage bei US- vs. japanischen Truppen erfährt...
-- The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)
Zitat von ZettelÜbrigens kann man in der internationalen Wikipedia lesen, daß der Link zu diesem Gesetzentwurf im Wahlkampf stillscheigend von Obamas WebSite genommen wurde. Jedenfalls behauptet das die Wikipedia aufgrund eines dort zitierten Berichts der Chicago Tribune, den ich aber nicht verifizieren konnte. Deshalb habe ich das in dem Artikel nicht erwähnt.
Nu, dann schauen wir doch mal nach verlässlichen Quellen.
Zitat von ABC NewsAs first reported Tuesday by the New York Daily News, Obama's campaign removed a reference to the surge as part of "The Problem" section on the part of his Web site devoted to laying out his plan for Iraq.
...
The changes... include: ...
— A description of Obama's plan as "a responsible, phased withdrawal" that will be directed by military commanders and done in consultation with the Iraqis. Previously, the site had a sentence that has since been removed that flatly said, "Obama will immediately begin to remove our troops from Iraq." [Obama spokeswoman] Morigi said that his plan hasn't changed, but they wanted to expand the description. "There's not an intent to shift language," she said.
-- The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)
Zitat von ZettelWahlen im Irak - das waren vor einem, zwei Jahren noch Meldungen, die die Schlagzeilen beherrschten. Jetzt wird von den Medien kaum noch zur Kenntnis genommen, daß der Irak am kommenden Samstag wählt, und zwar die Provinzparlamente.
Lieber Herr Zettel
ich kann ihren Optimismus nicht teilen. Die Erwachsenen im Irak sind durch ihr Leben unter Saddam Hussein geprägt, wenn nicht gebranntmarkt. Der Tyrann ist tot, die Gewalterfahrungen bleiben. Die Gewalterfahrungen, die die Erwachsenen und Kinder erlebt haben, wird in ihren Seelen nachhallen. Die Nachkriegszeit beginnt jetzt erst. Gewalt aus heiterem Himmel bzw die ständig erwartete Gewalt führt immer zum Mißtrauen. Das Mißtrauen muß erst einmal schwinden.
Zitat von GorgasalIch habe gerade "Soldiers of the Sun" fertig gelesen. Darin wird angeführt, die USA hätten im Pazifikkrieg pro Mann Kampftruppe 18 Mann Logistik und Etappe gehabt.
Das würde bei 140.000 Mann, die vor dem Surge im Irak standen, weniger als 10.000 Mann Kampftruppen bedeuten. Falls die zusätzlichen 20.000 fast alles Kampftruppen waren, wären diese also verdreifacht worden.
Sicher werden die 20.000 auch ihre eigene Logistik, Verwaltung usw. mitgebracht haben, aber eben nur in geringem Umfang; sie fanden ja fast alles vor.
Kurz, es war eben wirklich ein Surge, auch rein quantitativ.
Zitat von Liberoich kann ihren Optimismus nicht teilen. Die Erwachsenen im Irak sind durch ihr Leben unter Saddam Hussein geprägt, wenn nicht gebranntmarkt. Der Tyrann ist tot, die Gewalterfahrungen bleiben. Die Gewalterfahrungen, die die Erwachsenen und Kinder erlebt haben, wird in ihren Seelen nachhallen. Die Nachkriegszeit beginnt jetzt erst. Gewalt aus heiterem Himmel bzw die ständig erwartete Gewalt führt immer zum Mißtrauen. Das Mißtrauen muß erst einmal schwinden.
Das sehe ich alles genauso, lieber Libero.
Aber dennoch bin ich (vorsichtig) optimistisch.
Schauen Sie, nur ideologische und religiöse Fanatiker führen Krieg, weil sie mit Gewalt ein Ziel erreichen wollen. Die meisten tun es in der Meinung, sich verteidigen zu müssen.
Das hat die Kaida ausgenutzt, als sie die beiden Konfessionen aufeinanderhetzte. Man wollte auf beiden Seiten Angst vor der anderen Seite erzeugen. Natürlich auf der Grundlage der Erfahrungen unter Saddam, als die Schiiten unterdrückt wurden. Die Sunniten fürchten, daß es jetzt genauso sie trifft. Die Schiiten fürchten, daß die Unterdrückung durch die Sunnis (die auch heute noch die Armee dominieren) wiederkehrt.
Jetzt entsteht allmählich so etwas wie die Einsicht, daß keine Seite vor der anderen diese Angst haben muß und daß man Konflikte auch friedlich austragen kann. Diese endlosen Verhandlungen, dieses Ringen um jedes Detail (siehe das Wahlgesetz) sehe ich als Ausdruck davon.
Natürlich kann alles immer noch fürchterlich schief gehen.
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