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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 23 Antworten
und wurde 1.329 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.06.2009 07:01
Rezession und Geografie Antworten
Ein provokativer Artikel ist das, den ich hier zur Diskussion stelle.

Ich bin gespannt, was Sie dazu meinen.
Chripa Offline



Beiträge: 132

04.06.2009 08:51
#2 RE: Rezession und Geografie Antworten

Lieber Zettel,
ich halte diese Analyse für ziemlich hanebüchen.
Wo man hinguckt, sieht man, dass es am Ende nicht
auf materielle Umstände ankommt, sondern auf menschlichen
Geist (zB Südafrika,Israel,Korea). Als Negativbeispiel könnte
man Russland nennen, da hat man schon zur Zeit von Peter dem
Großen gesagt, die würden die Welt beherrschen, wenn sie sich
erstmal ihre ganzen Naturschätze zu eigen machen.

Auch die Aussage, was sollte man mit "so einem großen Batzen Land",
also den USA, denn anderes anfangen als wirtschaftliche Freiheit
zu gewähren ist nicht gerade von bestechender Logik. Gerade so,
als ob politische Prozesse immer vernunftgeleitet wären.

Das ist doch das gleiche Institut, dem Sie neulich schonmal einen
Artikel gewidmet haben, oder? Das Buch hieß glaube ich "Rückblick
auf das 21.Jahrhundert" oder so ähnlich. Dessen Thesen fand ich auch
überwiegend nicht überzeugend.
Ich kann mich nur nochmal wiederholen, es kommt alles auf die geistigen
und kulturellen Grundlagen an. Und die USA sind gerade dabei,
sich den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Nicht in erster Linie durch
die Außenpolitik, sondern wegen interner Umwälzungen.
Bei PISA sind sie zB 25. von 30 Ländern.

Viele Grüße,
Chripa

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

04.06.2009 09:42
#3 RE: Rezession und Geografie Antworten

Ähnliche Thesen finden sich auch bei Jared Diamond, etwa in Guns, Germs and Steel. Beispielsweise habe auch Afrika damit zu kämpfen, dass es viel weniger gut navigierbare Flüsse gibt als in Europa. Die Ost-West-Orientierung der eurasischen Landmasse habe zu größeren zusammenhängenden gemäßigten Klimazonen geführt als etwa die Nord-Süd-Orientierung Amerikas, wo die gemäßigten Breiten im Norden und Süden durch die Tropen getrennt sind. Dadurch hätte sich in Eurasien eine größere genetische Vielfalt entwickelt, mit dem Ergebnis, dass europäische Bazillen stärker waren als amerikanische Immunsysteme.

Mir erscheint diese Art von Analyse als, wie Zettel das immer so schön ausdrückt, wissenschaftlich unfruchtbar. Im Nachhinein kann man immer viel erklären. Und sich gegebenenfalls Fakten zurechtbiegen. Vielleicht sollte man sich einmal auf den kontrafaktischen Standpunkt stellen, die aktuellen Zustände Afrikas und Europas seien vertauscht, und dann erklären, warum Europa zurückgeblieben ist. Da würde mir schon einiges einfallen.

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

04.06.2009 11:32
#4 RE: Rezession und Geografie Antworten

Das ist bemerkenswert unsinnig, was Stratfor hier behauptet.

Die Erschließung des Landes über Wasserstraßen ist in Mitteleuropa deutlich besser als in den USA und diese haben bei uns auch historisch eine viel größere Rolle gespielt.
Die wirtschaftlichen Zentren der USA liegen ohnehin nicht im mittleren Westen, sondern an den Küsten. Die geographisch in sehr lästiger Weise durch die Appalachen bzw. die Rocky Mountains vom Rest des Landes abgetrennt sind.
Die entscheidenden Verkehrsträger waren deswegen die Eisenbahnen, heute die Flugzeuge.

Die USA haben generell vom Ressourcenreichtum des Landes profitiert - ansonsten aber waren die geographischen Voraussetzungen nicht so günstig wie in Europa.
Dichte Besiedlung (sobald man die agrarischen Ressourcen hat, um das zu ernähren) sind ja ein deutlicher Vorteil für wirtschaftliche Entwicklung, weil man deutlich weniger Verkehrswege braucht.

Mit der aktuellen Rezession hat das alles sowieso überhaupt nichts zu tun.

Abstrus ist die Behauptung, mangelnde Konkurrenz durch Kanada und Mexiko wäre ein Vorteil. Üblicherweise gilt das Gegenteil: Konkurrenz belebt das Geschäft, und es ist insbesondere von Vorteil, möglichst viele andere prosperierende Volkswirtschaften gut erreichen zu können.

Und die (bisher übliche) wirtschaftliche Freiheit bzw. die Nicht-Einmischung des Staates auf die Landesgröße zurückzuführen ist auch grottig.
Erstens einmal sind diese Prinzipien entstanden, als die Kolonien noch relativ dicht beieinander an der Ostküste hockten.
Und zweitens sieht man an Beispielen wie in Rußland, daß große Flächen eher zu einer despotischeren Regierungsform führen. Einfach deshalb, weil man dem Regierungsdruck eher durch Ausweichen entgeht, und nicht so die Notwendigkeit besteht, Freiheitsrechte zu formulieren und zu verteidigen.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

04.06.2009 12:01
#5 RE: Rezession und Geografie Antworten

Lieber Zettel,

dieser Stratfor-Artikel ist offenbar ein Irrtum, da hat jemand ins Archiv gegriffen, Jahrgang 1855 oder so, als man noch so engstirnig nationalstaatlich dachte, das ist dann wohl versehentlich zur Publikation gelangt. Territoriale Geographie! Berge! Flüsse! Ach, die guten alten Zeiten! Jetzt, am Ende des 19. Jahrhunderts, da geht es natürlich um Weltmeere, Weltwirtschaft, transkontinentale Eisenbahnlinien, transozeanische Kabel, demnächst vielleicht sogar Luftfahrt - das sind heute die Themen der Zeit! Nichts gegen Flüsse und Kanäle, aber im 20. Jahrhundert werden die keine große Bedeutung mehr haben.

Betrachten wir die Erdhalbkugel mit der größten Wassermasse: dort befinden sich die holländische Insulinde, Australien, die Antarktis und die Südhälfte Südamerikas. Sonstiges Land ist alles auf der Halbkugel der größten Landmasse zu finden, und die Mitte dieser Halbkugel liegt im Ärmelkanal. Nehmen wir die guten Häfen Europens, den kürzlich gebauten Suezkanal und das in ferner Zukunft vielleicht einmal eisfreie Nordmeer, und wir erkennen, daß Europa die kürzesten und kostengünstigsten Wege zur Welt hat, und es von daher schon verständlich ist, daß das größte Reich der Weltgeschichte von Großbritannien aus regiert wird. Und sollte sich Europa einmal vom militärischen stärker aufs wirtschaftliche Gebiet verlegen, dann dürfte es als Zentralregion der Erde auch die größte wirtschaftliche Dynamik entfalten, spätestens sobald die Kolonien einmal in die Unabhängigkeit entlassen sind, was ja irgendwann doch der Fall sein muß.

Selbstredend kann man sich dieser Entwicklungen nicht sicher sein. Man muß sich vielleicht um die Deutschen Sorgen machen: die gucken abwechslend mit großen Augen in die öden Weiten Rußlands oder in ihre Puppenstuben, was soll das werden? Oder um die Franzosen, die so gerne wie schon Anfang unseres Jahrhunderts den Kontinent mit einer Kruste von Vorschriften, Behörden und Vizekönigreichen überziehen würden.

Es könnte ja auch alles ganz anders kommen. Heute ist die Hohe Pforte der kranke Mann Europas, doch liegt das türkische Reich immerhin an vier Meeren und an der Verbindungsstelle dreier Kontinente - daraus ließe sich doch was machen! Man könnte z.B., nur so ein Gedanke, eine Eisenbahn von Konstantinopel nach Bagdad bauen, und der Aufstieg des türkischen Reichs zur Weltmacht dürfte kaum noch aufzuhalten sein!

Dergleichen wollte Stratfor bestimmt in Wirklichkeit analysieren, statt von Flüssen zu reden. Ganz sicher ein Versehen.


Gruß,
Kallias

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

04.06.2009 12:09
#6 RE: Rezession und Geografie Antworten

Zitat von R.A.
Das ist bemerkenswert unsinnig, was Stratfor hier behauptet.

Die Erschließung des Landes über Wasserstraßen ist in Mitteleuropa deutlich besser als in den USA und diese haben bei uns auch historisch eine viel größere Rolle gespielt.
Die wirtschaftlichen Zentren der USA liegen ohnehin nicht im mittleren Westen, sondern an den Küsten. Die geographisch in sehr lästiger Weise durch die Appalachen bzw. die Rocky Mountains vom Rest des Landes abgetrennt sind.
Die entscheidenden Verkehrsträger waren deswegen die Eisenbahnen, heute die Flugzeuge.

Stimmt, darauf wollte ich auch noch eingehen. Der Stratfor-Artikel gibt keine Statistiken an, um seine These zu stützen, der Transport in den USA sei besonders einfach über Flüsse möglich. Hier gibt es solch eine Statistik ab 1960. 2003 wurden 1.264.000 Mio. Tonnenmeilen per Intercity Truck transportiert, 1.551.438 Mio. per Class I Rail, 606.146 per Wasser (davon nur 47.539 Lakewise und 278.352 Internal). Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2007 335.868 Mio. Tonnenkilometer per Straße, 114.614 per Schiene und 64.717 per Inland Waterways transportiert. Der Unterschied ist jetzt nicht wirklich ausreichend frappierend, um die Stratfor-These zu stützen.

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

jana Offline




Beiträge: 348

04.06.2009 13:19
#7 RE: Rezession und Geografie Antworten

In Antwort auf:
Während die meisten Länder Kapital zusammenkratzen müssen, um Straßen und Schienen zu bauen, so daß überhaupt erst einmal eine Grundlage für die Wirtschaft - nämlich Verkehrsverbindungen - entsteht, hat die Geografie den USA ein fast perfektes System kostenlos gewährt.


Lieber Zettel,
der Hauptgrund fỹr die diesbezỹgl. Ŷberlegenheyt Nordamerikas war nicht die Geographie, sondern viel > die Zoologie, namentlich die Bisons. Welche nämlich die nöthigen Wasserquellen auftháten & daran entlang die Route 66 schaufelten - & das auch noch völlig gratis & aufem Vorwege, sozusagen. (So, jetzt kennen Sie die Wahre Geschichte!)

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

04.06.2009 14:02
#8 RE: Rezession und Geografie Antworten

Zitat von jana
Welche nämlich die nöthigen Wasserquellen auftháten & daran entlang die Route 66 schaufelten - & das auch noch völlig gratis
Wir hätten also den Auerochsen nicht ausrotten sollen, dann hätten wir nämlich die Autobahnen schon vorher gehabt.

Gruß,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.06.2009 14:27
#9 Warum sind die USA denn so erfolgreich? Antworten

Liebe Diskutanten,

ich dachte mir ja, ehrlich gesagt, daß Sie Zeihan ungefähr so liebevoll zerlegen würden, wie Michael Tsokos seine Leichen seziert.

Ich gebe zu, daß ich eine Schwäche für solche Ideen habe; Jana hat das sehr hübsch auf die Spitze getrieben.

Ich glaube, das hat denselben Grund, aus dem ich immer gern Sigmund Freud lese, und eine Zeitlang auch gern Karl Marx gelesen habe: Es ist diese Frage "Warum eigentlich?" Natürlich sind diese Theorien hochspekulativ, oft nachweislich falsch, simplifizierend. Aber sie geben doch zu denken.

Sie machen zumindest darauf aufmerksam, daß da eine Erklärungslücke ist. Auch wenn sie grottenfalsch sind, können sie insofern hilfreich sein.



Die USA sind die, wenn der Komparativ erlaubt ist, kapitalistischste, die freieste, die liberalste und ergo die erfolgreichste Gesellschaft auf diesem weiten Erdenrund. Und das seit - ja, ich weiß es nicht genau; im Grunde ging das wohl mit dem Ende des Sezessionskriegs los.

Warum ist das so? Weil es die Klügsten, die Stärksten, die Freiesten waren, die in die USA auswanderten? Vielleicht. Aber die wanderten vermutlich auch nach Argentinien und Neuseeland aus. Weil die USA geniale Verfassungsväter hatten? Sicher ein wichtiger Faktor. Aber der Kapitalismus war nicht in diese Verfassung geschrieben.

Liegt es also nicht vielleicht doch an der Geografie? Ich frage ja nur, in Erwartung besserer Antworten.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

04.06.2009 14:39
#10 RE: Warum sind die USA denn so erfolgreich? Antworten

Zitat von Zettel
Die USA sind die, wenn der Komparativ erlaubt ist, kapitalistischste, die freieste, die liberalste und ergo die erfolgreichste Gesellschaft auf diesem weiten Erdenrund. Und das seit - ja, ich weiß es nicht genau; im Grunde ging das wohl mit dem Ende des Sezessionskriegs los.

Schauen Sie, manche Kommentatoren würden das genau anders herum sehen: gerade mit dem Sezessionskrieg wurde ein wichtiges Stück Liberalismus in den USA eingestampft, nämlich die Rechte der Einzelstaaten, bis hin zum Recht, aus den USA auszuscheiden.

Und: mein Eindruck wäre, dass England um 1900 freier war als die USA es heute sind. Keine stehende Armee, niedrige Staatsquote, minimale Eingriffe des Staates in das Leben seiner Bürger.

Liegt wahrscheinlich an den englischen Flüssen und Kanälen

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

john j Offline




Beiträge: 591

04.06.2009 14:40
#11 RE: Warum sind die USA denn so erfolgreich? Antworten

"Liegt es also nicht vielleicht doch an der Geografie? Ich frage ja nur, in Erwartung besserer Antworten."

An der Geographie lag es unter anderem vielleicht bis vor 100 Jahren, aber sicher nicht heute und ganz sicher nicht morgen. Dear god, wer der Meinung ist dass Fluesse heute ein wichtiger Bestandteil der taeglichen Transports sind der hat nicht nur schon lange nichts mehr verschickt, der war auch schon laenger nicht mehr am Missouri oder Ohio River. Und der Intracoastal Waterway, der hat heute mehr Verkehr durch Yachten und pleasure crafts als durch commercial vessels.

Was die Greunde fuer den Auftsieg der USA sind? Sicherlich viele, dazu gehoeren die Verfassung und die Demokratie, das wenn man so will, calvinistisch-britische Wirtschafts- und Leistungsethos, der andauernde Wettbewerb auf allen Ebenen, Rohstoffreichtum, weitgehende Freiheit, ebenfalls auf allen Ebenen, die Anerkennung und Foerderung von Innovation, und schliesslich auch eine Portion Glueck: Glueck dass der Sezessionskrieg nicht mit einem Sieg des Suedens endete, Glueck dass Russland den USA Alaska verkaufte, Glueck dass in entscheidenden Momenten der Geschichte Praesidenten wie Wilson, Roosevelt, Eisenhower etc an der Macht waren. Glueck dass die Feinde der USA, Japan, die Sowjetunion, Irak etc ihren (kurzfristigen) Vorteil nie voll ausnuetzten...usw

Der Erfolg einer Nation haengt nie nur von einem Faktor ab. Wenn ja dann ist dieser Erfolg nicht von langer Dauer.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

04.06.2009 14:56
#12 RE: Warum sind die USA denn so erfolgreich? Antworten

Zitat von john j
Glueck dass Russland den USA Alaska verkaufte

Warum war das wichtig? Waren die dortigen Bodenschätze so wichtig? Hinsichtlich Öl schien mir Texas relevanter, Alaska fing da meines dürftigen Wissens erst in den 1960er Jahren an.

Allerdings haben Sie recht, dass Russland auch gut Interesse an der amerikanischen Westküste hätte haben können, immerhin gab es orthodoxe Missionare im heutigen Kalifornien. Insofern hatten die USA sicher Glück, dass sie nicht mit Russland in einen Konflikt um die Westküste kamen.

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

john j Offline




Beiträge: 591

04.06.2009 15:28
#13 RE: Warum sind die USA denn so erfolgreich? Antworten

Der Kauf Alaska ist nur ein Beispiel fuer die oft gluecklichen Umstaende der USA. Mitte des 19 Jhdt war es in der Tat nicht sehr bedeutsam, daher auch der name Seward's Folly und die Bereitschaft Russlands es an die USA zu verkaufen. Aber im 20. Jhdt war dann klar dass es sich aus strategischer und wirtschaftlicher Sicht um einen immensen Gluecksfall gehandelt hatte.

Florian Offline



Beiträge: 3.136

04.06.2009 16:38
#14 RE: Rezession und Geografie Antworten

In Antwort auf:
Das ist bemerkenswert unsinnig, was Stratfor hier behauptet.



Sehe ich auch so.
Selten habe ich einen Artikel gelesen, bei dem ich praktisch jeden einzelnen Detailaspekt anders sehe als der Autor (abgesehen von Prantl-Kommentaren in der SZ natürlich).

Aber hier:

Erstens einmal wird hier Konjunktur und Wachstum vermischt.
(Konjunktur = die aktuelle Ausnutzung des vorhandenen Potenzials. Wachstum = Zunahme dieses Potenzials).
Auch wenn ein Land besonderes Wachstumspotenzial hat, kann es trotzdem hart von einer Rezession getroffen werden.

Zweitens war die Geographie für die USA historisch eher ein Nachteil, soweit es den Aufwand betrifft, um verschiedene Zentren miteinander zu verbinden. Gegenüber anderen Flächenstaaten wie Kanada oder Russland steht die USA in diesem Aspekt sicher nicht schlecht da - gegenüber dem dicht besiedelten Europa ist es aber auf jeden Fall benachteiligt.

Auch das Argument mit den vergleichsweise geringen Militärausgaben ist falsch. Historisch (bis zum 2. Weltkrieg) mag das richtig gewesen sein. Aktuell sind die US-Militärausgaben in % des BIP höher als in der EU.
(Wobei aber ohnehin nicht klar ist, warum höhere Militärausgaben Auswirkungen in einer Rezession haben sollen. Wenn überhaupt, würde ein höherer Anteil an fixen Staatsausgaben, die nicht konjunkturabhängig sind - wie etwa Militärausgaben - einen dämpfenden Effekt auf Konjunkturschwankungen haben).

Und so weiter und so fort. Praktisch jedem Detail des Artikels würde ich widersprechen.

Florian Offline



Beiträge: 3.136

04.06.2009 17:05
#15 RE: Warum sind die USA denn so erfolgreich? Antworten

Der Kauf Alaskas war sicher nicht so sehr bedeutend. (Im Zweifel könnten die USA die Bodenschätze aus Alaska auch einfach kaufen, statt sie selbst abzubauen).

Was aber wirklich entscheidend war, war der Louisiana Purchase 1803.
Dabei wurde das gesamte (damalige!) Lousisiana Napoloeon abgekauft (der dringend Geld für seine europäischen Kriege brauchte).
Für (auch damals schon lächerliche) 15 Mio. $ wurde ein Territorium gekauft, aus dem später dann insgesamt 15 US-Bundesstaaten (zumindest teilweise) herausgeschnitten wurden. Sogar kleine Teile des heutigen Kanadas lagen noch im damaligen Louisiana.
Die Fläche der USA wurde auf einen Schlag verdoppelt und der Weg wurde frei für die Expansion über die Great Plains an den Pazifik.

Abendlaender Offline




Beiträge: 103

04.06.2009 17:20
#16 Zustimmung zu Zeihan Antworten

Meiner Ansicht nach bringt der Verfasser eine durchaus recht differenzierte Begründung vor, in der es nicht allein auf Wasserwege oder andere oberflächliche Vorteile ankommt. Was ich seinem Artikel entnehme, ist, daß der Einfluß von Geländeeigenschaften in jeweils entscheidenden Entwicklungsstufen geholfen hat, die Institutionen eines Wirtschaftsraumes zu prägen. Von der Erdkunde in die Wirtschaftslehre übersetzt, geht es ihm z.B. um die absolute Höhe des Kapitalbedarfs, um den Mindestanteil öffentlicher Güter am Inlandsprodukt und um die Transparenz des Kapitalmarktes (Börse oder Lokalbank). Wenn Zeihan diese institutionellen Weichenstellungen (unter anderem) auf natürliche Gegebenheiten zurückführt, dann liegt er nach meinem Dafürhalten damit richtig. Gewiß haben auch andere Einflüsse mitgewirkt, aber diese fügen sich in sein Gesamtbild ein und widersprechen ihm nicht.

Florian Offline



Beiträge: 3.136

04.06.2009 18:06
#17 RE: Zustimmung zu Zeihan Antworten

Abendländer:

Dass natürliche Gegebenheiten einee Ursache für das Potenzial einer Volkswirtschaft sind, ist sicher richtig.
Zum Beispiel ist die Tatsache, dass weite Teile der afrikanischen Küste für Hochseehäfen ungeeignet sind, sicher ein Aspekt für die dortigen Entwicklungsprobleme.
(Wenn auch andere Faktoren sicher noch bedeutsamer sind).

Mein Kritikpunkt ist allerdings, dass die natürlichen Gegebenheiten in den USA gerade NICHT zu besonders niedrigen Transportkosten führen und dass somit die gesamte Argumentationskette obsolet ist.

Und im übrigen ist es ohnehin verfehlt, aus einer Argumentation über die Wachstumspotenziale zu schlussfolgern, dass die USA aus der aktuellen Rezession leichter herauskommen werden.

Extrembeispiel:
Nordkorea hat viele eingebaute Wachstums-Hemmnisse (wie etwa seine starke Isolierung).
Aber es ist kaum zu erwarten, dass Nordkorea aufgrund dieser Wachstums-Hemmnisse überporportional von der Wirtschaftskrise getroffen sein wird. (Eher im Gegenteil - wiederum aufgrund seiner Abgeschiedenheit).

jana Offline




Beiträge: 348

04.06.2009 18:24
#18 RE: Rezession und Geografie Antworten

In Antwort auf:
Wir hätten also den Auerochsen nicht ausrotten sollen, dann hätten wir nämlich die Autobahnen schon vorher gehabt.


Huch, schon vorher? Vor was denn, lieber Kallias?? Sie wollen doch nicht etwa sagen ...?! Nein, ich weiß, Sie meinen natỷrlich vor den USA & nicht vor dem DingsH. Die Frage drängte sich aber auf, vermutlich von Ihnen beabsichtigt, nich? ;-)

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

04.06.2009 22:40
#19 RE: Rezession und Geografie Antworten

Zitat von jana
In Antwort auf:
Wir hätten also den Auerochsen nicht ausrotten sollen, dann hätten wir nämlich die Autobahnen schon vorher gehabt.

Huch, schon vorher? Vor was denn, lieber Kallias?? Sie wollen doch nicht etwa sagen ...?! Nein, ich weiß, Sie meinen natỷrlich vor den USA & nicht vor dem DingsH. Die Frage drängte sich aber auf, vermutlich von Ihnen beabsichtigt, nich? ;-)
Offensichtlich konnte ich mich auf Sie als genaue Leserin verlassen.

Gruß,
Kallias

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

08.06.2009 12:08
#20 RE: Rezession und Geografie Antworten

Anscheinend gab es unlängst einen Blog-Austausch zwischen Jeffrey Sachs und William Easterly auf huffingtonpost.com zum Thema "Armut und Afrika" - hier eine grobe (nicht ganz ernst gemeinte) Übersicht:
http://blogs.nyu.edu/fas/dri/aidwatch/20..._after_blo.html

Zum aktuellen Thema gefällt mir ein Absatz aus Easterlys letztem Beitrag:

Zitat von William Easterly
Explaining poverty with a flexible theory of geography when you already know the outcome is similarly easy. First, you notice that Africa had the worst poverty in the world. Second, you notice that Africa also was the only region that had a particular mosquito species, had a lot of landlocked countries, had a particular soil type, had a large share of continent in the tropics, and did not have snowmelt-irrigated agriculture. Third, you define the worst geography as consisting of exactly these mosquitoes, landlocked locations, soil types, tropical locations, and non-snowmelt-irrigated fields. Fourth, presto, you have proven that the worst geography causes the worst poverty!

... Try this at home to impress your friends! If they object that you are just using hindsight, tell them they don't understand "complex systems."

http://www.huffingtonpost.com/william-ea...d_b_209989.html

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.06.2009 13:20
#21 The benefit of hindsight Antworten

Zitat von Gorgasal
[quote="William Easterly"]... Try this at home to impress your friends! If they object that you are just using hindsight, tell them they don't understand "complex systems."

Wohl wahr!

Und ein riesiges Problem für Modellierer. "Gib mir fünf freie Parameter, und ich modelliere einen Elefanten", hat mir jemand mal gesagt, der in diesem Geschäft war.

Am Ende hilft nur die Vorhersage. The eating is the proof of the pudding.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

08.06.2009 13:24
#22 RE: The benefit of hindsight Antworten

Zitat von Zettel
[Und ein riesiges Problem für Modellierer. "Gib mir fünf freie Parameter, und ich modelliere einen Elefanten", hat mir jemand mal gesagt, der in diesem Geschäft war.

In der Tat. Aber wenn alles erst einmal schön quantifiziert und formalisiert ist, kann man sich hier mit verschiedenen Informationskriterien (AIC, BIC, etc.) gut behelfen. Dann bleiben meist keine fünf Parameter mehr übrig, und man hat nicht mehr so das Overfitting-Problem.

Ab und zu muss ich ja hier die Ehre der Modellierer retten

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

08.06.2009 15:43
#23 RE: The benefit of hindsight Antworten
Zitat von Zettel
Und ein riesiges Problem für Modellierer. "Gib mir fünf freie Parameter, und ich modelliere einen Elefanten", hat mir jemand mal gesagt, der in diesem Geschäft war.


Im Original (laut Wikipedia) von John von Neumann:
"With four parameters I can fit an elephant, and with five I can make him wiggle his trunk."

Gruß,
hubersn
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.06.2009 15:58
#24 RE: The benefit of hindsight Antworten

Zitat von hubersn
Zitat von Zettel
Und ein riesiges Problem für Modellierer. "Gib mir fünf freie Parameter, und ich modelliere einen Elefanten", hat mir jemand mal gesagt, der in diesem Geschäft war.

Im Original (laut Wikipedia) von John von Neumann:
"With four parameters I can fit an elephant, and with five I can make him wiggle his trunk.

Aha! Da hatte mein Kollege es also her. Und ich dachte, er hätte es erfunden.

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