Das Wort "Sucht" leitet sich bekanntlich von "siech = krank(haft)" ab, wie etwa an den Begriffen "Gelbsucht", "Schwindsucht" oder "Wassersucht" gut zu erkennen ist. Seit einiger Zeit aber gilt derjenige als süchtig, der sich mit einer für andere unverständlichen Intensität einer Sache zuwendet, so dass mittlerweile viele meinen, "Sucht" habe etwas mit "suchen" zu tun. Deutlich wird das beispielsweise in dem schönen Satz "Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft". In der Werbung für Computerspiele gilt ein hoher "Suchtfaktor" (mit anderen Worten also ein Anreiz, sich sehr lange und begeistert mit ihm zu befassen) als wichtiges Qualitätsmerkmal. Wie schön für geborene Schulmeister, wenn sie ihre Vorbehalte und die aus ihnen folgenden Interventionen gegenüber ihnen unverständlichen Interessen anderer mit der Sorge um deren Gesundheit und Seelenheil begründen können! Dabei hilft ihnen auch der Umstand, dass es keine verbindlichen Kriterien dafür gibt, wann die von ihnen als solche definierte Sucht eigentlich beginnt. Ab wie vielen heruntergeladenen Pornos bin ich denn pornosüchtig? Wie oft muss ich es täglich treiben, um als sexsüchtig zu gelten? Wahrscheinlich haben Sie, lieber Zettel, in Ihrer Kindheit als "lesesüchtig" gegolten, wenngleich der Begriff "Leseratte" durchaus auch positive Assoziationen auslösen konnte; heute könnte man Sie vielleicht als "blogsüchtig" bezeichnen, da Sie ganz offensichtlich fast täglich bereits in aller Herrgottsfrühe einen ausführlichen Beitrag verfassen und auf fast jeden Kommentar auch noch antworten müssen. Von einem, der Freude an Machtausübung hat (um das Adjektiv "machtsüchtig" zu vermeiden) und dem es Spaß macht, andere zu gängeln, kann man wahrscheinlich nicht erwarten, dass er sich an die von Ludwig v. Mises wunderbar formulierte Selbstverständlichkeit hält: "Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen".
Man möge die fragliche Behörde doch schlicht umbenennen in ... sagen wir mal ... Amt für Das Gute Leben. Da wären dann alle Weiterungen bereits im vorhinein abgedeckt, und die Behördenleitung könnte mit erneuertem Elan darangehen, ihren Kompetenzbereich zu bestimmen.
Ich muss leider gestehen, dass auch ich anscheinend betroffen bin. Sie kam harmlos, die Sucht. Es war ja auch soo spannend am Anfang ... Chats mit Unbekannten, e-shopping, Dienstleistungen übers Netz buchen - alles noch harmlos. Dann kamen die Foren und Online-Games, die Abwärtsspirale begann sich zu drehen. Ich fing an, mir meine Informationen im Netz zu suchen, kündigte Zeitschriftenabos ... ja, ich nutzte nichtmal mehr meinen schicken, großen Fernseher regelmäßig. Stattdessen sitze ich hier nach der Nachtschicht am Rechner und surfe auf den Seiten der Drogenbeauftragten der Bundesregierung rum (btw, wieso hat ihre Homepage eigentlich keinen gendermainstreaming-konformen Namen???). Das ist doch krank!
Sogar meine jetzige Freundin lernte ich zuerst als Avatar kennen. Das ist doch nicht normal! Oder vielleicht doch? Muss ich mal googlen ... gibt bestimmt ein Forum dazu.
Das ist einmal mehr, lieber Friedel, einer dieser schönen Beiträge voller Einsichten, die mich immer besonders freuen.
Eigentlich kann ich Ihnen in allem nur zustimmen; also nur eine kleine persönliche Reaktion:
Zitat von Friedel B.Wahrscheinlich haben Sie, lieber Zettel, in Ihrer Kindheit als "lesesüchtig" gegolten, wenngleich der Begriff "Leseratte" durchaus auch positive Assoziationen auslösen konnte; heute könnte man Sie vielleicht als "blogsüchtig" bezeichnen, da Sie ganz offensichtlich fast täglich bereits in aller Herrgottsfrühe einen ausführlichen Beitrag verfassen und auf fast jeden Kommentar auch noch antworten müssen.
Ja, gewiß war und bin ich eine Leseratte. Für eine Sucht hat das in meiner Kindheit niemand gehalten und halte ich es auch heute nicht.
Was nun aber ZR angeht: Nein, lieber Friedel, das würde ich nicht so einstufen. Eher fällt es mir manschmal schwer, etwas zu schreiben. Oft finde ich kein Thema, oder ich habe eigentlich keine Lust. Aber es ist nun mal so, daß ZR inzwischen viele Leser hat, und im Augenblick nehmen sie wieder deutlich zu. Die möchte ich schon gern halten; sie erwarten ja, daß der Blog ihnen etwas bietet.
Da entsteht halt eine gewisse Eigendynamik, die ich nicht erwartet hätte und schon gar nicht wollte, als ich vor drei Jahren angefangen habe. Aber so ist das nun mal, und oft macht es ja auch Spaß.
Vielen Dank für den Link zu dem Bericht, lieber Calimero! Ich habe ihn mir jetzt angesehen.
Wissenschaftlich solide, aber auch bezeichnend dafür, wie man nach Belieben neue Syndrome, Störungen usw. erfinden kann. Man definiert sie, entwirft entsprechende Tests (hier den von DQ von Young 1998 und einen neuen, holländischen (CIUS), den Thomasius und Mitarbeiter empfehlen) und kann nun munter forschen.
Zwangsläufig, oder vielmehr zwanglos gelangt man zu wissenschaftlichen Ergebnissen. Wer fünf von acht Fragen bejaht, der ist internetsüchtig. (An anderer Stelle lehnen die Autoren allerdings den Suchtbegriff ab und möchten lieber von Pathologischem Internetgebrauch sprechen). Jetzt kann man also munter forschen und Forschungsgelder einwerben. Wie hängt der Pathologische Internetgebrauch vom Alter ab, vom Sozialstatus, vom Erziehungsverhalten der Eltern usw. usw.? Was kann man dagegen tun?
Generationen von Diplomanden, BA- Aspiranten und Doktoranden können sich damit befassen. Nur die Frage, ob die ursprüngliche Defintion überhaupt sinnvoll war, verschwindet meist schnell aus dem Blick.
Man kann Leute fragen, ob sie nach ihrer Ansicht zu viel telefonieren und eine Skala für Pathologiosches Telefonieren entwickeln. Ob sie zu viel Sport treiben, sich zu viel mit ihrem Äußeren beschäftigen, zu sehr um die Gunst des anderen Geschlechts bemüht sind, zu viel basteln oder sich zu viel Sorgen um ihre Schulnoten machen.
Immer wird man dann Skalen konstruieren können, mit deren Hilfe man dann "belegen" kann, daß fünf oder sieben oder zehn Prozent der Jugendlichen unter Pathologischem Telefonieren, Pathologischem Sporttreiben, Pathologischem Basteln, Pathologischer Schulnotensorge usw. leiden.
Die Autoren schreiben:
Zitat von Thomasius et.al.Es ist ebenso wenig sinnvoll, von „Mediensucht“ zu sprechen, wenn ein spezifisches Störungsbild gemeint ist, das sich auf die Internetnutzung und nur auf diese bezieht. Der Begriff der „Computersucht“ wird gleichfalls als ungeeigneter Fachbegriff eingeschätzt, da nicht der Computer, sondern das interaktive Medium Internet für die Störung charakteristisch ist.
Und woher weiß man das, wo man die Störung noch gar nicht untersucht hat? (In Deutschland gibt es noch nicht einmal einen Test).
Auch ich befinde mich voll und ganz in der von Frau Bätzing anvisierten Zielgruppe. Meine Süchte wie folgt: - Internetsucht - Lesesucht - Nachrichtensucht - Spielsucht - Kaffeesucht - Sportsucht - Alkoholsucht - Kaugummisucht - Lecker - Essen - Sucht - Zettels Raum - Sucht
Wenn ich so genauer darüber nachdenke erinnert mich das eher an eine "Meine Hobbys" - Sektion.
Und außerdem habe ich das allgemeine und schlimmste Symptom der Süchte schon bei mir bemerkt: Starke Depressionen, ausgelöst durch die Klassifizierung als "Süchtiger" ;)
Zitat von ZettelDa entsteht halt eine gewisse Eigendynamik
Lieber Zettel, da haben Sie sich selbst ins Bein geschossen und Friedels These bestätigt . Gerade die Eigendynamik ist ein wichtiges Merkmal der Sucht. Ich zünde mir manchmal zwei Zigaretten hintereinander an, obwohl meine Sucht nach der ersten Zigarette doch schon vorübergehend befriedigt sein müsste. Ich setze mich manchmal vor den PC, obwohl ich eigentlich gar nicht vorhabe, mich vor den PC zu setzen ... Eigendynamik, die Sucht nach der Sucht (positives Feedback=Eigendynamik) und dann die Suche nach der Befriedigung der Sucht.
Zitat von ZettelDa entsteht halt eine gewisse Eigendynamik
Lieber Zettel, da haben Sie sich selbst ins Bein geschossen und Friedels These bestätigt . Gerade die Eigendynamik ist ein wichtiges Merkmal der Sucht.
Nein, da haben Sie mich mißverstanden, lieber vivendi.
Ich schreibe ja nicht einfach so, weil ich drauf lustig bin. Ich schreibe, weil ich möchte, daß es gelesen wird, vielleicht auch die eine oder andere kleine aufklärende Wirkung hat. Die Eigendynamik, die ich meinte, ist eben gerade nicht die einer Sucht, sondern die einer gewissen Verpflichtung. Für die ich natürlich selbst verantwortlich bin.
Aber belassen wir's dabei. War ja nur eine kleine Anmerkung, und ich will das nicht vertiefen oder weiter darüber diskutieren.
Die Begriffe Drogen, Sucht und Abhängigkeit wurden in der Tat immer wieder "überarbeitet" und manipuliert, um den Absichten interessierter Kreise entgegen zu kommen. Der Kampf gegen Tabak, Alkohol, Cannabis u. ä. war dabei jeweils der Auslöser. Gerade bei Tabak war das Interesse gross, die Defintion neu zu formulieren, denn weder physiologisch noch aufgrund der Verhaltensmuster liess er sich in die ursprüngliche Definition einordnen
Von virtuellen Süchten ist in diesen Definitionen nichts zu finden, ihre Assoziation mit dem Suchtbegriff wird nicht über die Ursachen oder physiologischen Wirkungen, sondern über die Symptome (Verhaltensweisen) hergestellt.
1957 erstellte die Weltgesundheitsorganisation WHO eine allgemein anerkannte Unterscheidung zwischen suchterzeugenden und gewohnheitsbildenden Stoffen: Drogensucht ist ein Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, die durch den wiederholten Konsum einer (natürlichen oder synthetischen) Droge entsteht. Drogengewöhnung (Gewohnheit) ist ein Zustand, der durch den wiederholten Konsum einer Droge entsteht.
1964 gab die WHO die Trennung zwischen Sucht und Gewöhnung auf und führte den neuen Begriff „Abhängigkeit“ ein, definiert als: „…ein Zustand, der durch die wiederholte Verabreichung einer Droge auf periodischer oder fortgesetzter Basis entsteht. […] Das Expertenkomitee empfiehlt, die Begriffe‚Drogensucht’ und‚Drogengewöhnung’ durch den Begriff ‚Drogenabhängigkeit’ zu ersetzen. Es muß hervorgehoben werden, daß Drogenabhängigkeit ein allgemeiner Begriff ist, der aufgrund seiner Anwendbarkeit auf alle Arten von Drogenmißbrauch gewählt wurde, und nicht den Risikograd für die Volksgesundheit anzeigt oder die Notwendigkeit einer bestimmten Art von Drogenkontrolle beinhaltet.“
Eine weitere allgemeine Definition von Abhängigkeit präsentierte die WHO 1977 mit ICD-9 (ICD = International Classification of Diseases) wie folgt: „Ein psychischer und manchmal auch physischer Zustand, der durch das Einnehmen einer Droge entsteht, charakterisiert wird durch Verhaltens- und andere Reaktionen, die immer einen Zwang beinhalten, die Droge auf einer fortgesetzten oder periodischen Basis einzunehmen um ihre psychischen Effekte zu erfahren und manchmal, um die Unannehmlichkeit ihrer Abwesenheit zu vermeiden. Toleranz kann oder kann nicht vorhanden sein.“
Diese Definition – von der übrigens Tabak explizit ausgeschlossen worden und stattdessen unter „nichtabhängigem Missbrauch“ aufgeführt worden war - legt jedoch keine belastbaren oder klar einzugrenzenden Kriterien fest.
„Die meisten mißbräuchlich genutzten Drogen steigern die Dopaminfreisetzung und lösen so Euphorie und Wohlbehagen aus, das wiederum verhaltensverstärkend wirkt.“ Nikotin wirke ebenso wie Amphetamine, Ecstasy und Kokain im Nucleus accumbens. „Ein Nikotinentzug führt zur Reduktion der Dopaminfreisetzung und scheint mit negativen Affekten im Entzug verbunden zu sein“, schreibt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen – wobei schon das harmlos klingende Wort „scheint“ andeutet, daß hier durchaus Fragen von Ursache und Wirkung weiterhin offen sind. Immerhin: „Hunger, Essen, Durst, Trinken, Sex, Schmerz und alle Arten von harmlosen alltäglichen Ereignissen setzen Dopamin frei.“
Die Freisetzung von Dopamin im Gehirn mag eine Voraussetzung für die süchtigmachende Wirkung einer Substanz oder einer Verhaltensweise sein, doch für sich genommen sagt auch dieses Kriterium nichts aus. Wenn Dopamin diese Wirkung hat und im menschlichen Organismus vorkommt, muss es wohl einen biologischen Grund dafür geben.
Versuche, diese Wirkung zu unterbinden, wurden bereits an Menschen unternommen, mit katastrophalen Folgen. Die Raucherentwöhnungsdroge Champix unterdrückt die "Lust" und fördert damit Depressionen und Selbstmordneigung. Sie scheint neben der Lebenslust auch die Lust auf Schokolade und Alkohol zu unterdrücken.
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