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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 24 Antworten
und wurde 1.775 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.07.2009 00:08
Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Nein, es ging nicht um einen "Röhm-Putsch". Es ging überhaupt nicht nur um die SA. Sondern Hitler hat in dieser Mordnacht des 30. Juni 1934 seine Machtergreifung abgeschlossen, indem er Vertreter aller Gruppen liquidieren ließ, die ihm noch hätten gefährlich werden können.

Zum ersten Mal erwies sich Hitler nicht nur als Extremist und Diktator, sondern auch als kaltblütiger Massennörder. Jeder wußte von diesem Tag an, daß Widerstand das potentielle Todesurteil bedeutete.

Als zynisches Nachspiel ließ Hitler den Reichstag auch noch nachträglich beschließen, daß alle diese Morde "als Staatsnotwehr rechtens" gewesen seien.

Damit war nicht nur jeder sich irgendwie noch öffentlich artikulierenden Opposition das Genick gebrochen, sondern der Reichstags als eine halbwegs legitimierte Istanz hatte sich ebenfalls selbst desavouiert. Mit dem 30. Juni 1934 begann die absolute Macht Hitlers und die totalitäre Herrschaft der Nazis.

Und zwar der Nationalsozialisten. Denn daß Hitler nach dem Ausschalten der SA ganz zum "Büttel des Kapitals" wurde, ist eine (kommunistisch inspirierte) Legende.



Den Tag über hatte ich keine Zeit, diesen Artikel zu schreiben. Immerhin hat es gereicht, ihn noch vor Mitternacht zu publizieren.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

01.07.2009 07:18
#2 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

In Antwort auf:
Auf sie war die Mordnacht vom 30. Juni gezielt; mindestens so sehr wie auf die SA. Danach gab es keinen sich offen artikulierenden Widerstand mehr. Die Machtergreifung war abgeschlossen.

Interessant. Hitler scheint den Empfehlungen Machiavellis gefolgt zu sein.
In Antwort auf:
Wie Walker im einzelnen darlegt, begann die NSDAP im Gegenteil nach der Mordnacht, sich nach links zu bewegen.

Das war mir neu. Also nicht, dass Hitlers Truppe eine linke Bewegung war ... aber, dass ihre Steuerpolitik nach der Machtergreifung so eindeutig sozialistisch geprägt war, war mir bisher nicht bekannt.

Diskus Offline



Beiträge: 206

01.07.2009 08:54
#3 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Ich staune immer wieder, lieber Zettel, was für Selbstverständlichkeiten, die jedem Deutschen bekannt sein müßten, mir völlig unbekannt sind. Vermutlich bin ich nicht das einzige Dummerchen (hoffe ich zumindest ) und daher herzlichen Dank, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, erneut eine Lügengeschichte mit Fakten zu untergraben.

Herzlich,
Diskus

Jorad Offline



Beiträge: 45

01.07.2009 09:42
#4 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Hmm, ist es nicht falsch es, wie Bruce Walker es tut, einen "War on Christianity" zu nennen den die Nazis auch betrieben haben?
Es wurde den Kirchen die Macht genommen wenn sie nicht mitspielten, aber deshalb waren die Nazis noch keine Atheisten.

EDIT: Dazu fällt mir maximal ein, dass es besonders in den USA üblich ist, bei "Christianity" immer nur von den guten Christen zu sprechen und jeder der Christ war und was Böses getan hat ist ja kein echter Christ. Ist meine einzige Erklärung für so eine Wortwahl.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

01.07.2009 10:55
#5 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

In Antwort auf:
was für Selbstverständlichkeiten, die jedem Deutschen bekannt sein müßten, mir völlig unbekannt sind.

Da muß ich mich anschließen (obwohl mir das als Historiker etwas peinlich sein müßte).
Auch von mir vielen Dank an Zettel für diese Darstellung.

Eltov Offline




Beiträge: 152

01.07.2009 10:58
#6 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

In Antwort auf:
Das war mir neu. Also nicht, dass Hitlers Truppe eine linke Bewegung war ... aber, dass ihre Steuerpolitik nach der Machtergreifung so eindeutig sozialistisch geprägt war, war mir bisher nicht bekannt.


Vermutlich weil es -- bei allem Respekt -- unsinnig ist. Sicher, am S im Namen der NSDAP ist mehr Ehrlichkeit als die Originalsozialisten wahr haben wollen. Aber das an Steuererhöhungen fest zu machen ist doch wirklich absurd. Man setzte halt auf Weltkrieg und auf keynesianische Nachfragepolitik. Sowas finanziert man nicht mit Steuersenkungen.

Jetzt mal ganz im Ernst: Da wird mir vorgeworfen ich würde mit Elsässer den Linken zum Rechten machen und jetzt sowas.

C.K. Offline



Beiträge: 149

01.07.2009 11:40
#7 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Da empfehle ich mal:
Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus von Götz Aly

Umstrittene Schlussfolgerungen, aber sehr faktenreich belegt.
Wenn man ihn in Diskussionen in die Arena wirft, wird zwar immer etwas süffisant gelächelt, aber die Quellen die er ausgegraben hat, sind schon spannend. Vor dem Hintergrund ist Zettels These vom "Linksruck" m.E. durchaus vertretbar.
Zettels Aufzählung von der Erhöhung der Belastung für Unternehmer und "Reiche" kann man noch um die Liste der Vergünstigungen für die "Massen" ergänzen:
Vorschläge des Finazministerium von '39 einen 25%igen Wehrbeitrag auf alle Einkommen natürlicher Personen zu erheben wurde von Hitler kassiert. Stattdessen sollten die besetzten Gebiete stärker geschröpft werden.
Ab 11/39 Steuerfreiheit für Überstunden und Nachtzuschläge
41 Rentenerhöhung und durchschnittlich 15%
Erhebliche Ausgaben für die "Familienhilfe", insg. 27 Mrd Reichsmark während des Krieges.

Die Leitlinie war schon "Milde gegen die Massen" und "Härte gegen die Bourgeoisie". Allerdings ist die Enteignungspolitik, neben den pragmatischen Erwägungen die sich aus der enormen Verschuldung durch die Kriegsvorbereitungen ergab, eben vor allem rassistisch begründet. Was ein signifikanter Unterschied zur Linken ist. Und ich denke, dass bei den sTreicheleinheiten für "das Volk", vor allem die Erfahrung des 1. WK eine Rolle gespielt haben. Hitlers panische Angst vor dem Wanken der Heimatfront durch Mangelerfahrungen, dürfte bei allen Maßnahmen die Hauptrolle gespielt haben. Deshalb scheinen durchaus auch Zweifel an der "Linksruckthese" angebracht. Denn sich Mittel zu bedienen, derer sich auch Linke aber eben aus anderen Gründen bedienen, macht noch nicht links, oder?

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

01.07.2009 11:40
#8 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Zitat von Eltov
Zitat:Sicher, am S im Namen der NSDAP ist mehr Ehrlichkeit als die Originalsozialisten wahr haben wollen. Aber das an Steuererhöhungen fest zu machen ist doch wirklich absurd.

Die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft beschränkten sich beileibe nicht auf massive Steuererhöhungen. Dass beispielsweise Aktionäre durch das neue Aktiengesetz faktisch enteignet wurden, da sie Dividenden (die seinerzeit viel wichtiger waren als heutzutage) nur noch in Staatsanleihen "anlegen" durften, hat Zettel schon ausgeführt. Preis- und Devisenkontrollen gab es zuhauf, ebenso massiven Druck auf Unternehmer, im Sinne des Regimes zu produzieren. Sehr gutes Buch dazu: "The Wages of Destruction" von Adam Tooze.

Natürlich gab es keine VEBs, und die Unternehmer und Manager wurden nicht wie in der Sowjetunion liquidiert und durch Sowjets ersetzt - aber das eben, weil spätestens nach 1934 auch jedem Manager und Unternehmer klar war, dass er sich den Weisungen des Regimes fügen musste, sonst war er und seine Familie dran. Und Emigration war nur unter Zurücklassung fast des gesamten Vermögens möglich: aufgrund der Devisenkontrollen.

Wenn das kein linkes Programm war, dann weiß ich nicht, was ein linkes Programm ist. Muss denn unbedingt "VEB" auf den faktisch verstaatlichten Unternehmen draufstehen?

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

Eltov Offline




Beiträge: 152

01.07.2009 12:32
#9 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Moment, um das mal festzuhalten: Weil auch Unternehmer im Dritten Reich Willkürmaßnahmen zu erdultden hatten und weil ihnen hohe Steuern aufgebrummt wurden, unterstellst ein "linkes" Programm? Dafür war der Unternehmer als "Betriebsführer" mehr Herr im Haus als er es die 50 Jahre zuvor gewesen war. Vom sozialrevolutionären Gehalt gesehen liegen zwischen der Machtübertragung an Hitler und der Oktoberrevolution jedenfalls Welten.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

01.07.2009 12:48
#10 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Zitat von Eltov
Moment, um das mal festzuhalten: Weil auch Unternehmer im Dritten Reich Willkürmaßnahmen zu erdultden hatten und weil ihnen hohe Steuern aufgebrummt wurden, unterstellst ein "linkes" Programm?

Öhm, ja, genau das tue ich. Wobei ich oben nicht nur die Willkürmaßnahmen und die Steuern angeführt habe - wichtiger ist aus meiner Sicht, dass Unternehmer sowohl in ihrer Führung des Unternehmens als auch im Genuss daraus erwachsender wirtschaftlicher Vorteile und schließlich auch im wirtschaftlichen Risiko, das mit der Führung eines Unternehmens in einer freien Wirtschaft verbunden ist, massiv eingeschränkt wurden (gut, "eingeschränkt" ist beim Risiko vielleicht nicht das richtige Wort ).

Zitat von Eltov
Dafür war der Unternehmer als "Betriebsführer" mehr Herr im Haus als er es die 50 Jahre zuvor gewesen war.

Nicht, wenn es beispielsweise um die Bildung von Arbeitgeberverbänden oder die Entlassung von Mitarbeitern ging.

Zitat von Eltov
Vom sozialrevolutionären Gehalt gesehen liegen zwischen der Machtübertragung an Hitler und der Oktoberrevolution jedenfalls Welten.

Hm.

Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei. Wollen Sie mir vielleicht kurz definieren, was Sie als "links" sehen? Ich zitiere hier mal als Anfang die Wikipedia:

Zitat von Wikipedia
Sozialisten betonen besonders die Grundwerte Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität und legen meist Wert auf eine enge Wechselbeziehung zwischen praktischen sozialen Bewegungen und theoretischer Gesellschaftskritik, um beide miteinander in Richtung einer sozial gerechten Wirtschafts- und Sozialordnung weiterzuentwickeln. Dabei vertreten sie meist eine Gesellschaftsauffassung, die im Privateigentum der Produktionsmittel die Wurzel des Übels sieht und deshalb die Vergesellschaftung desselben erstrebt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialismus

"Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität": passt auf die Nazis mit ihrem Volksgemeinschaftstum. Da tut es meines Erachtens nichts zur Sache, dass Juden ausgegrenzt waren - in der Sowjetunion war Solidarität mit den Kulaken auch nicht gegeben, was nichts am Sozialismus der Veranstaltung geändert hätte.

"Sozial gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung": mal abgesehen davon, dass der sozialistische Begriff von "Gerechtigkeit" nichts mit meinem gemein hat, passt das meines Erachtens auch auf das Wirtschaftsprogramm der Nazis. Hohe Steuern, Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel, massive Bezuschussung von "Volkswagen" (respektive massiver Druck auf Autohersteller, solch einen Wagen herzustellen, auch gegen die wirtschaftliche Vernunft).

"Privateigentum der Produktionsmittel die Wurzel des Übels": nu, pro forma blieb das Privateigentum zugegebenermaßen erhalten. Aber wie oben ausgeführt, hatte der "Privateigentümer" weder die Hoheit über die Verwendung seiner Produktionsmittel, noch über die seiner Dividende. Womit da nix mehr "privat" war - "privat" von lateinisch privare, jemanden ausschließen von etwas, nämlich Nichteigentümer von der Entscheidung über mein Privateigentum.

Wahrscheinlich haben wir unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein "linkes" oder "sozialistisches" Programm ausmacht. Wollen Sie mir die Ihre erläutern?

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.07.2009 13:36
#11 Setzte Hitler auf Weltkrieg? Antworten

Zitat von Eltov
Man setzte halt auf Weltkrieg und auf keynesianische Nachfragepolitik. Sowas finanziert man nicht mit Steuersenkungen.

Auf Weltkrieg ganz gewiß nicht, lieber Eltov. Hitler hat nichts mehr gefürchtet als einen erneuten Zweifrontenkrieg; das kann man schon in "Mein Kampf" nachlesen.

Er wollte den Raubzug Richtung Osten, um "Lebensraum für das deutsche Volk" zu gewinnen. Auch das beschreibt und begründet er schon in "Mein Kampf": Um Weltmacht zu werden, müsse Deutschland demographisch wachsen. Eine wachsende Bevölkerung sei aber vom Ertrag des deutschen Bodens allein nicht zu ernähren. Also brauche man eben jenen "Lebensraum" in den fruchtbaren Weiten des Ostens.

Mit GB wollte sich Hitler arrangieren; das hat er ja bis unmittelbar vor der britischen Kriegserklärung noch versucht, die ihn tief getroffen hat; sie war im Grunde das Scheitern seiner Politik. Frankreich wollte er niederhalten.

Herzlich, Zettel

Eltov Offline




Beiträge: 152

01.07.2009 14:24
#12 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

In Antwort auf:
Öhm, ja, genau das tue ich. Wobei ich oben nicht nur die Willkürmaßnahmen und die Steuern angeführt habe - wichtiger ist aus meiner Sicht, dass Unternehmer sowohl in ihrer Führung des Unternehmens als auch im Genuss daraus erwachsender wirtschaftlicher Vorteile und schließlich auch im wirtschaftlichen Risiko, das mit der Führung eines Unternehmens in einer freien Wirtschaft verbunden ist, massiv eingeschränkt wurden (gut, "eingeschränkt" ist beim Risiko vielleicht nicht das richtige Wort).


Sicher, ein freier Markt nach der reinen Lehre war das sicher nicht, und die Unternehmer wurden dem Staatszweck wesentlich direkter unterworfen als es zuvor der Fall war. Nun ist eine massive Einschränkung -- wie massiv sie war müsste an anderer Stelle genauer diskutiert werden -- noch lange keine Aufhebung. Der Staat hat ja auch schon im ersten Weltkrieg massiv ins Wirtschaftsleben eingegriffen, und auch in England und Amerika lief die Umstellung auf die Kriegswirtschaft sicher nicht über angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Du vergleichst die NS Wirtschaft mit dem liberalen Ideal und siehst das arg weit davon entfernt ist, und erst darüber kommst du auf den Vergleich zum Sozialismus, weil auch der von diesem ziemlich weit entfernt ist.

Zu Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität: Das ist doch ein Taschenspielertrick, weil die Begriffe so furchtbar allgemein sind, dass praktisch alles irgendwie darunter fällt. Lies dir mal das Grundgesetz durch, da wirst du all diese Begriffe finden, ohne das du auf die Idee kommen würdest, hier Parallelen zum dritten Reich herzustellen. Wer wird sich denn hinstellen und sagen: "Nein, Gerechtigkeit lehne ich ab". Gleichheit in der Volksgemeinschaft bedeutet doch nichts mehr als rassisch definierte Gleichheit, also die Vernichtung aller als rassenfremd Definierten. Gerechtigkeit und Solidarität bedeutet, dass jeder seinen fest angestammten Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie zugewiesen bekommt, aus- und abhängig von dem ihm gewisse Ansprüche zukommen.

Ziel des Sozialismus hingegen war die vollständige Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Rasse, Geschlecht und sogar individueller Leistungsfähigkeit: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen".

Diese unterschiedlichen Zielsetzungen bedingten dann auch zwangsläufig eine unterschiedliche Vorgehensweise. Dem Volksgemeinschaftskonzept wurde mit einer Kombination aus zunächst Vergrätzungspolitik, später KZ zur Herstellung der rassischen Gleichheit, und typisch sozialstaatlichen Umverteilungsmethoden zur Befriedigung der "berechtigten" Ansprüche der unteren Schichten Rechnung getragen. Die staatliche Gewalt richtete sich also in allererster Linie gegen "Volksfremde". Ich möchte hier überhaupt nicht in Abrede stellen, dass auch Unternehmer Staatsunterworfene waren, die gezwungen wurden, "ihren" Tribut abzuliefern. Allerdings ist trotz Steuern und Dividendenklau keine Proletarisierung dieser Schicht eingetreten. Die Klassenstruktur blieb praktisch unangetastet.

An eine Umsetzung des sozialistischen Programms war ohne eine soziale Revolution überhaupt nicht zu denken. Die staatliche Gewalt richtete sich daher mit aller Wucht gegen diejenigen Klassen, deren Existenz (nicht notwendigerweise physisch zu verstehen) der Errichtung der klassenlosen Gesellschaft im Wege standen. Innerhalb kürzester Zeit veränderte sich die Klassenstruktur durch Landreform und Enteignung vollständig.

In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die -- ansonsten in ihrer Bedeutung maßlos übertrieben dargestellten -- Industriespenden an die NSDAP erhellend, beweisen sie doch, dass man ganz eindeutig die Möglichkeit sah, sich mit einer nationalsozialistischen Herrschaft zu arrangieren. Das Ausbleiben derartiger Unterstützung an die KPD macht deutlich, dass man einen gewaltigen Unterschied sah, obwohl doch beide angeblich auf "Sozialismus" hinarbeiteten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.07.2009 14:31
#13 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Zitat von Jorad
Es wurde den Kirchen die Macht genommen wenn sie nicht mitspielten, aber deshalb waren die Nazis noch keine Atheisten.

Nein, das waren sie nicht. Die meisten waren "gottgläubig"; so stand's auch - ich habe das in geerbten Dokumenten gesehen - im Personalausweis. Andere waren evangelisch, wenige katholisch. Die evangelischen nannten sich "Deutsche Christen".

Das Buch von Walker kenne ich, lieber Jorad, nicht. Ich weiß nicht, ob man aus dem Titel viel über seinen Inhalt herauslesen kann.

Herzlich, Zettel

Eltov Offline




Beiträge: 152

01.07.2009 14:32
#14 RE: Setzte Hitler auf Weltkrieg? Antworten

In Antwort auf:
Auf Weltkrieg ganz gewiß nicht, lieber Eltov. Hitler hat nichts mehr gefürchtet als einen erneuten Zweifrontenkrieg; das kann man schon in "Mein Kampf" nachlesen.


Gut, falsch formuliert. Man wollte einen Weltkrieg sicher vermeiden, trotzdem -- und allein darum geht es mir in diesem Zusammenhang -- war massive Aufrüstung doch ganz eindeutig das Ziel nachdem die Wirtschaftspolitik ausgerichtet wurde. Bei dir liest sich das Ganze aber so (oder zumindest verstehe ich es so), als hätte man die staatswirtschaftlichen Elemente zum Zwecke der Sozialisierung eingeführt.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.07.2009 14:54
#15 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Zitat von Eltov
Die Klassenstruktur blieb praktisch unangetastet.

Da habe ich meine Zweifel, lieber Eltov. Die - nennen wir sie so - Nomenklatura des Dritten Reichs rekrutierte sich keineswegs aus dem gehobenen Bürgertum und dem Adel, also der "herrschenden Klasse" im Kaiserreich und größtenteils auch noch in der Weimarer Republik. Sondern das waren Kleinbürger, Aufsteiger. Für die mittlere und untere Funktionärsschicht typisch war der "wildgewordene Volksschullehrer", wie mein Vater gern sagte.

Man benutzte das Bürgertum, weil man es - in der Verwaltung, in der Wirtschaft, an den Hochschulen - brauchte. Aber das Ziel war eine egalitäre Gesellschaft.



Ja, gewiß war das kein Sozialismus, der die Gleichheit aller Menschen anstrebte. Sondern es war eben eine nationale Variante des Sozialismus.

Aber es war Sozialismus, und zwar totalitärer Sozialismus. Das Herrschaftssystem der Nazis war mit dem der Kommunisten bis in die Einzelheiten (Gestapo - MfS, FDGB - KdF, Gleichschaltung aller Vereine, Massenaufmärsche, "heldische" Kunst, Reichsschrifttumskammer - Schriftstellerverband der DDR, Hitlerjugend - Junge Pioniere, FDJ usw. usw.) identisch.

Ich wundere mich immer wieder, daß diese weitgehend Identität der nationalsozialistischen mit der kommunistischen Variante des Sozialismus, die doch eigentlich ins Auge springt, so oft geleugnet wird.

Stattdessen wird, ohne jeden Beleg, behauptet, die Nazis seien "vom Kapital" an die Macht gebracht worden und hätten als dessen "Büttel" fungiert. Ja, natürlich hat es Spenden aus der Industrie gegeben. Die haben viele Parteien bekommen.

Mir scheint, lieber Eltov, daß das überhaupt keine wissenschaftliche Geschichtsschreibung ist, sondern Agitprop. Der wahre Gegensatz zwischen sozialistischen Diktaturen und kapitalistischen Demokratien soll verschleiert werden und durch einen angeblichen Gegensatz zwischen "fortschrittlichen" und "reaktionären" Gesellschaftsformen ersetzt werden; wobei die der Nazis dann zu den letzteren gerechnet wird. Die Absicht liegt auf der Hand (und da berührt sich dieser Thread mit dem über Konservativismus und Nazismus).

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.07.2009 15:02
#16 RE: Setzte Hitler auf Weltkrieg? Antworten

Zitat von Eltov
In Antwort auf:
Auf Weltkrieg ganz gewiß nicht, lieber Eltov. Hitler hat nichts mehr gefürchtet als einen erneuten Zweifrontenkrieg; das kann man schon in "Mein Kampf" nachlesen.

Gut, falsch formuliert. Man wollte einen Weltkrieg sicher vermeiden, trotzdem -- und allein darum geht es mir in diesem Zusammenhang -- war massive Aufrüstung doch ganz eindeutig das Ziel nachdem die Wirtschaftspolitik ausgerichtet wurde. Bei dir liest sich das Ganze aber so (oder zumindest verstehe ich es so), als hätte man die staatswirtschaftlichen Elemente zum Zwecke der Sozialisierung eingeführt.

Das eine schließt ja das andere nicht aus, lieber Eltov.

Die Wirtschaft sollte nicht nach dem Prinzip des freien Wettbewerbs, sondern nach dem Führerprinzip organsiert werden (wie übrigens sogar die Evangelische Kirche; ich habe das gerade zum Stichwort "Deutsche Christen" nachgelesen). Das war Ideologie, ganz unabhängig von der Aufrüstung. Aber es erleichterte natürlich die Ausrichtung der Wirtschaft auf die Aufrüstung.

Herzlich, Zettel

PS: Führerprinzip und "demokratischer Zentralismus" - das ist auch eine solche Parallele, wie ich sie gerade in einem anderen Beitrag aufgezählt habe.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

01.07.2009 15:13
#17 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Danke für die Erläuterungen! Ich glaube, jetzt verstehe ich besser, worüber wir reden. Während es mir (und Zettel in seinen Ausführungen) hauptsächlich um die wirtschaftlichen Dimensionen des Sozialismus geht, geht es Ihnen anscheinend hauptsächlich um die soziale Dimension, kann ich das so sagen? Zumindest entnehme ich das dem folgenden Absatz:

Zitat von Eltov
An eine Umsetzung des sozialistischen Programms war ohne eine soziale Revolution überhaupt nicht zu denken. Die staatliche Gewalt richtete sich daher mit aller Wucht gegen diejenigen Klassen, deren Existenz (nicht notwendigerweise physisch zu verstehen) der Errichtung der klassenlosen Gesellschaft im Wege standen. Innerhalb kürzester Zeit veränderte sich die Klassenstruktur durch Landreform und Enteignung vollständig.

In diesem Sinne waren die Nazis dann also in der Tat keine Sozialisten, da gebe ich Ihnen völlig recht.

Aber ich widerspreche Ihnen, wenn Sie den Sozialismus auf die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft reduzieren. Erstens ist das allein schon eine Mogelpackung (siehe unten), und zweitens ist mindestens ebenso wichtig, was Sozialisten in wirtschaftlicher Hinsicht anrichten. Und hier, glaube ich, kann man die Verbindung zwischen Nazis und Sozialisten sehr wohl herstellen.

Können wir uns darauf einigen?

Zitat von Eltov
Zu Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität: Das ist doch ein Taschenspielertrick, weil die Begriffe so furchtbar allgemein sind, dass praktisch alles irgendwie darunter fällt.

Oh, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Allerdings halte ich diese Worthülsen für einen Taschenspielertrick der Sozialisten. Auf diese positiv konnotierten Begriffe kann jeder projizieren, was ihm genehm ist... und dann erst nach der Weltrevolution oder dem Sieg des Sozialismus in einem Lande feststellen, dass die konkreten Diktatoren des Proletariats darunter möglicherweise etwas anderes verstehen als ein guter Teil ihrer Unterstützer.

Zitat von Eltov
Wer wird sich denn hinstellen und sagen: "Nein, Gerechtigkeit lehne ich ab".

Den Gerechtigkeitsbegriff der Sozialisten lehne ich in der Tat ab.

Zitat von Eltov
Gleichheit in der Volksgemeinschaft bedeutet doch nichts mehr als rassisch definierte Gleichheit, also die Vernichtung aller als rassenfremd Definierten.

Da wäre ich mir nicht ganz so sicher, aber da kenne ich mich zu wenig aus, um zu argumentieren.

Zitat von Eltov
Gerechtigkeit und Solidarität bedeutet, dass jeder seinen fest angestammten Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie zugewiesen bekommt, aus- und abhängig von dem ihm gewisse Ansprüche zukommen.

Öhm, ja. Zu den Ansprüchen gehörten klassische gewerkschaftliche Forderungen wie die 40-Stunden-Woche und Urlaub. Das war zumindest für die damalige Zeit ein klassisch (wirtschafts-)sozialistisches Programm.

Zitat von Eltov
Ziel des Sozialismus hingegen war die vollständige Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Rasse, Geschlecht und sogar individueller Leistungsfähigkeit: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen".

Hm, wir betrachten hier ja auch den praktisch verwirklichten Nationalsozialismus, nicht etwaige theoretische Konstrukte (die es in mit dem Internationalsozialismus vergleichbarer Form ohnehin nicht gab). Insofern darf ich doch darauf hinweisen, dass auch im real existierenden Sozialismus zwar alle gleich waren, aber frei nach Orwell manche gleicher als die anderen. Und das in jeder Variante des Sozialismus.

Hinzu kommt, dass Sie sich hier selbst widersprechen. "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" ist eben nicht Gleichheit, und mir erscheint das so offensichtlich, dass ich mich frage, ob ich unglaubliche Scheuklappen aufhabe - vielleicht können Sie es mir erklären. Wenn ich größere Fähigkeiten als mein Nachbar habe, dann wird doch mein Arbeitspensum höher sein als meins, und nicht gleich hoch, oder? Und wenn mein Nachbar größere Bedürfnisse hat als ich (oder diese zumindest gegenüber der Instanz glaubhaft machen kann, die über die Bedürfnisse entscheidet, vielleicht ist das ja zufällig sein Schwager?), dann wird er doch mehr bekommen als ich, oder?

Ich erlaube mir, hier auf die Geschichte der Twentieth Century Motor Company in Ayn Rands Atlas Shrugged hinzuweisen, die "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" einmal richtig schön logisch zu Ende gedacht und literarisch aufbereitet hat.

Zitat von Eltov
Diese unterschiedlichen Zielsetzungen bedingten dann auch zwangsläufig eine unterschiedliche Vorgehensweise. Dem Volksgemeinschaftskonzept wurde mit einer Kombination aus zunächst Vergrätzungspolitik, später KZ zur Herstellung der rassischen Gleichheit, und typisch sozialstaatlichen Umverteilungsmethoden zur Befriedigung der "berechtigten" Ansprüche der unteren Schichten Rechnung getragen. Die staatliche Gewalt richtete sich also in allererster Linie gegen "Volksfremde".

Womit wir wieder bei Zettels Blogeintrag wären. Die staatliche Gewalt richtete sich in keinster Weise zuerst gegen Juden oder sonstige Volksfremde, sondern gegen potentielle oder tatsächliche Regimegegner.

Zitat von Eltov
Ich möchte hier überhaupt nicht in Abrede stellen, dass auch Unternehmer Staatsunterworfene waren, die gezwungen wurden, "ihren" Tribut abzuliefern. Allerdings ist trotz Steuern und Dividendenklau keine Proletarisierung dieser Schicht eingetreten. Die Klassenstruktur blieb praktisch unangetastet.

Die "Klassenstruktur" ja - man ging weiter in die Oper. Aber das Eigentümliche der Unternehmer, mit ihrem eigenen Kapital wirtschaftliche Risiken einzugehen, die entstehenden Unternehmen zu lenken und die Früchte zu ernten, war völlig eingestampft. Also wieder "Ihre Klassenbrille" gegenüber "meiner Wirtschaftsbrille", wenn es um den Sozialismus geht.

Zitat von Eltov
In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die -- ansonsten in ihrer Bedeutung maßlos übertrieben dargestellten -- Industriespenden an die NSDAP erhellend, beweisen sie doch, dass man ganz eindeutig die Möglichkeit sah, sich mit einer nationalsozialistischen Herrschaft zu arrangieren. Das Ausbleiben derartiger Unterstützung an die KPD macht deutlich, dass man einen gewaltigen Unterschied sah, obwohl doch beide angeblich auf "Sozialismus" hinarbeiteten.

Da darf man aber gerechterweise nur die Spenden vor der Machtergreifung betrachten - danach war klar, was mit "Nichtspendern" geschah. Und das ganze Ausmaß dessen, was nach 1933 über die deutsche Industrie hereinbrach, war vor 1933 nicht klar. Man dachte ja noch, man könne Hitler "einrahmen".

--
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Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

01.07.2009 15:18
#18 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Zitat von Zettel
Zitat von Jorad
Es wurde den Kirchen die Macht genommen wenn sie nicht mitspielten, aber deshalb waren die Nazis noch keine Atheisten.

Nein, das waren sie nicht. Die meisten waren "gottgläubig"; so stand's auch - ich habe das in geerbten Dokumenten gesehen - im Personalausweis. Andere waren evangelisch, wenige katholisch. Die evangelischen nannten sich "Deutsche Christen".

Der Vollständigkeit halber sollten Sie aber schon darauf hinweisen, dass diese Gleichsetzung "wir nennen uns Christen, also sind wir keine Atheisten" ein bisschen sehr einfach ist:
http://83273.homepagemodules.de/t1988f14...e-Religion.html

--
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Eltov Offline




Beiträge: 152

01.07.2009 15:18
#19 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

In Antwort auf:
Da habe ich meine Zweifel, lieber Eltov. Die - nennen wir sie so - Nomenklatura des Dritten Reichs rekrutierte sich keineswegs aus dem gehobenen Bürgertum und dem Adel, also der "herrschenden Klasse" im Kaiserreich und größtenteils auch noch in der Weimarer Republik. Sondern das waren Kleinbürger, Aufsteiger. Für die mittlere und untere Funktionärsschicht typisch war der "wildgewordene Volksschullehrer", wie mein Vater gern sagte.

Man benutzte das Bürgertum, weil man es - in der Verwaltung, in der Wirtschaft, an den Hochschulen - brauchte. Aber das Ziel war eine egalitäre Gesellschaft.


Ich sehe nicht den geringsten Ansatzpunkt dafür das man über die Gleichheit im Sinne der Gleichheit arischer Volksgenossen in Richtung Egalitarismus hinausgehen wollte. Auch die Tatsache das es einer großen Zahl von opportunistischen Emporkömmlingen gelang, wichtige Posten in der Verwaltung zu übernehmen oder durch Korruption zu Reichtum zu kommen, impliziert doch noch keine soziale Revolution wie in der Sowjetunion.

Zu allem Weiteren:

Wir müssen uns nicht mehr über die marxistische Faschismustheorie streiten, das haben wir vor über fünf Jahren durchgekaut und ich stimme dir im Wesaentlchen zu; Ich habe ja auch geschrieben das diese Spenden in ihrer Bedeutung maßlos übertrieben dargestellt werden. Nichts desto trotz zeigen sie halt doch dass die Industrie damals wesentlich präziser zwischen den Programmen der Nationalsozialisten und der Kommunisten unterscheiden konnte als du es hier tust.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

01.07.2009 15:20
#20 RE: Setzte Hitler auf Weltkrieg? Antworten

Zitat von Eltov
In Antwort auf:
Auf Weltkrieg ganz gewiß nicht, lieber Eltov. Hitler hat nichts mehr gefürchtet als einen erneuten Zweifrontenkrieg; das kann man schon in "Mein Kampf" nachlesen.

Gut, falsch formuliert. Man wollte einen Weltkrieg sicher vermeiden, trotzdem -- und allein darum geht es mir in diesem Zusammenhang -- war massive Aufrüstung doch ganz eindeutig das Ziel nachdem die Wirtschaftspolitik ausgerichtet wurde. Bei dir liest sich das Ganze aber so (oder zumindest verstehe ich es so), als hätte man die staatswirtschaftlichen Elemente zum Zwecke der Sozialisierung eingeführt.

Umgekehrt gefragt: mal angenommen, Hitler hätte seinen "Lebensraum im Osten" nebst Frieden mit dem Rest der Welt bekommen - wäre der staatliche Interventionismus zurückgefahren worden, sobald die Aufrüstung nicht mehr dermaßen notwendig gewesen wäre?

Ich denke nein. Vertreter der "Büttel des Kapitals"-These werden mir da widersprechen.

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.07.2009 15:43
#21 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

Zitat von Eltov
Ich sehe nicht den geringsten Ansatzpunkt dafür das man über die Gleichheit im Sinne der Gleichheit arischer Volksgenossen in Richtung Egalitarismus hinausgehen wollte.

Ich auch nicht, lieber Eltov. Aber eine Gesellschaft, in der es nur noch arische Volksgenossen gibt und in der diese gleich sind - das ist doch eine egalitäre Gesellschaft, oder?

Was die kommunistische Praxis angeht - nicht das Wolkenkuckucksheim einer "kommunistischen Gesellschaft", das schon bei Marx ja kaum eine Rolle spielte, danach ohnehin nicht - , so war diese keineswegs egalitärer als diejenige der Nazis. Ganz und gar nicht in der UdSSR, in der ethnische Minderheiten bekanntlich nicht nur diskriminiert, sondern teilweise dezimiert wurden. Auch noch in der DDR wurden Gastarbeiter kaserniert und wie der letzte Dreck behandelt. Die Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Ländern hat in der Fremdenfeindlichkeit der DDR ihren Ursprung.
Zitat von Eltov
Auch die Tatsache das es einer großen Zahl von opportunistischen Emporkömmlingen gelang, wichtige Posten in der Verwaltung zu übernehmen oder durch Korruption zu Reichtum zu kommen, impliziert doch noch keine soziale Revolution wie in der Sowjetunion.

Die Methoden waren anders, das Ziel war dasselbe: die Entmachtung des Bürgertums. Die Sowjets taten das durch physische Vernichtung. Die Nazis setzten auf einen allmählichen Wandel; dazu sollte ihre Bildungsprolitik erheblich beitragen.
Zitat von Eltov
Wir müssen uns nicht mehr über die marxistische Faschismustheorie streiten, das haben wir vor über fünf Jahren durchgekaut

Ja, aber damals, lieber Eltov, hat kaum jemand von denen mitgelesen, die jetzt dieses Forum lesen.
Zitat von Eltov
Ich habe ja auch geschrieben das diese Spenden in ihrer Bedeutung maßlos übertrieben dargestellt werden. Nichts desto trotz zeigen sie halt doch dass die Industrie damals wesentlich präziser zwischen den Programmen der Nationalsozialisten und der Kommunisten unterscheiden konnte als du es hier tust.

Hehe. Ich behaupte ja nicht, daß die Nazis Kommunisten waren, gell.

Natürlich sahen viele in den Nazis das kleinere Übel.

Herzlich, Zettel

Eltov Offline




Beiträge: 152

01.07.2009 16:52
#22 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

In Antwort auf:
Danke für die Erläuterungen! Ich glaube, jetzt verstehe ich besser, worüber wir reden. Während es mir (und Zettel in seinen Ausführungen) hauptsächlich um die wirtschaftlichen Dimensionen des Sozialismus geht, geht es Ihnen anscheinend hauptsächlich um die soziale Dimension, kann ich das so sagen? Zumindest entnehme ich das dem folgenden Absatz:


Ja sicher! Welchen Inhalt hat denn der Sozialismusbegriff ohne die sozialen Implikationen? Welchen Sinn hat es von "linker" Politik zu sprechen ohne das soziale Programm zu betrachten? Man kann und sollte natürlich die Herrschaftsmethoden von Sozialismus und Nationalsozialismus betrachten -- gerade in der Auseinandersetzung mit Leuten die da Sympathien hegen -- aber kann doch nicht ernsthaft Beides unter Staatsinterventionismus verrühren. Allein schon die Tatsache das es im Nationalsozialismus anders als im Sowjetkommunismus Unternehmer gab, und die trotz gewisser Einschränkungen eben doch nach marktwirtschaftlichen Prinzipien wirtschaften konnten sollte stutzig machen. Wir werden da wohl auf keinen gemeinsamen Nenner kommen, weil wir anscheinend von anderen Fakten ausgehen. Soweit ich mich erinnern kann (ich beschäftige mich im Moment eher mit Syntaxbäumen:)) waren die staatlichen Eingriffe in das individuelle Wirtschaften zumindest vor der Mobilisierung sämtlicher Kräfte im Rahmen des "totalen Krieges", zumindest im Vergleich mit anderen Kriegswirtschaften, nicht außergewöhnlich. Vielleicht könntest du deine Quelle mal darauf abklopfen wann welche wie weitgehendenden Eingriffe stattfanden. Ich habe den Verdacht das es da um eine Zeit geht in der man nur noch mit wehenden Fahnen untergehen wollte und bis auf die Judenvernichtung nicht im Ansatz daran dachte (denken konnte!) ein irgendwie geartetes soziales Programm umzusetzen.




Ab hier nur noch Zusammenhangsloses. Das Zerfransen des Threads lässt sich wohl nicht mehr aufhalten :)

In Antwort auf:
Womit wir wieder bei Zettels Blogeintrag wären. Die staatliche Gewalt richtete sich in keinster Weise zuerst gegen Juden oder sonstige Volksfremde, sondern gegen potentielle oder tatsächliche Regimegegner.


Ja sicher, weil das Regime zumindest zu Anfang bei allem ideologischen Wahnsinn auch von Nützlichkeitserwägungen geleitet wurde. Natürlich wurde zunächst die politische Herrschaft gegen tatsächliche und vermeintliche Konkurrenten abgesichert. Die Vernichtung der "Kulaken" setzte ja auch erst nach der Festigung der kommunistischen Herrschaft ein. Ich denke aber nicht das die Reihenfolge der Opfer ein besonders sinnvolles Klassifizierungskriterium darstellt.


In Antwort auf:

Öhm, ja. Zu den Ansprüchen gehörten klassische gewerkschaftliche Forderungen wie die 40-Stunden-Woche und Urlaub. Das war zumindest für die damalige Zeit ein klassisch (wirtschafts-)sozialistisches Programm.

Ach wo. 40-Stunden-Woche und Urlaub gab es damals auch ohne Sozialismus und gibt es jetzt ohne Sozialismus. Genau wie heute Autobahnen oder Mutterschaftsurlaub ohne Nationalsozialismus. Man kann sich nicht einfach beliebige Fetzen herausgreifen und versuchen sie ohne ihre Einbettung in das gesamte politische Programm zu begreifen. Und das bestand damals eben anders als bei den Sozialisten in der Integration der Arbeiter in die Volksgemeinschaft mit dem Ziel ungestört von sozialen Konflikten die gesamte Energie im "Rassenkampf" nach außen zu richten.

In Antwort auf:
Hm, wir betrachten hier ja auch den praktisch verwirklichten Nationalsozialismus, nicht etwaige theoretische Konstrukte (die es in mit dem Internationalsozialismus vergleichbarer Form ohnehin nicht gab). Insofern darf ich doch darauf hinweisen, dass auch im real existierenden Sozialismus zwar alle gleich waren, aber frei nach Orwell manche gleicher als die anderen. Und das in jeder Variante des Sozialismus.



Nunja, zwar hatte der Nationalsozialismus kein besonders umfangreiches Programm, aber das bisschen was er versprochen hat hat er auch eingehalten bzw. nach Kräften versucht: Vernichtung der Juden, Befriedung der sozialen Konflikte, Eroberungskrieg im Osten. Es ist eigentlich unmöglich, den Nationalsozialismus am Widerspruch zwischen Versprechungen und Realtität zu blamieren. Das sieht beim Sozialismus ganz anders aus, da kann man wie du es schon andeutest darauf hinweisen das dieser Widerspruch bereits im Konzept angelegt ist. Unbestreitbar ist jedenfalls das er die Gesellschaft politisch wie auch sozial völlig auf den Kopf gestellt hat, was man dem Nationalsozialismus nicht nachsagen kann. Man kann ihm nicht einmal den Versuch vorwerfen.

völlig Off Topic aber trotzdem interessant


In Antwort auf:
Hinzu kommt, dass Sie sich hier selbst widersprechen. "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" ist eben nicht Gleichheit, und mir erscheint das so offensichtlich, dass ich mich frage, ob ich unglaubliche Scheuklappen aufhabe - vielleicht können Sie es mir erklären. Wenn ich größere Fähigkeiten als mein Nachbar habe, dann wird doch mein Arbeitspensum höher sein als meins, und nicht gleich hoch, oder? Und wenn mein Nachbar größere Bedürfnisse hat als ich (oder diese zumindest gegenüber der Instanz glaubhaft machen kann, die über die Bedürfnisse entscheidet, vielleicht ist das ja zufällig sein Schwager?), dann wird er doch mehr bekommen als ich, oder?


Ich denke Marx wird sich das ähnlich gedacht haben wie es von Ursula K. Le Guin in "Planet der Habenichtse" ausgemalt wird. Ohne das Konzept des "neuen Menschen" macht dieser Grundsatz jedenfalls wenig Sinn. Die Idee ist halt, dass die Menschen nach Aufhebung der Konkurrenz eben keine maßlosen Bedürfnisse mehr haben. Stell es dir einfach als Krankenversicherung für alles vor: Niemand kommt auf die Idee ohne Grund eine Darmspiegelung zu verlangen. Man darf natürlich nicht vergessen, dass dieses Konzept aus einer Zeit kommt, in der dabei wohl an ausreichend Wohnraum, Nahrung, Kleidung und ein bisschen Kultur und Unterhaltung gedacht wurde. Mit dieser Einschränkung ist das Ganze ja nachvollziehbar: Wieso sollte man mehr Nahrung nehmen als man zu sich nehmen kann, zumal der Anspruch darauf garantiert ist. Allerdings ist darin natürlich die Tendenz zur Entindividualisierung, zu öffentlichen Speisehallen, Uniformen Wohnblöcken und uniformer Kleidung, vorprogrammiert.

Eltov Offline




Beiträge: 152

01.07.2009 17:06
#23 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

In Antwort auf:
Ich auch nicht, lieber Eltov. Aber eine Gesellschaft, in der es nur noch arische Volksgenossen gibt und in der diese gleich sind - das ist doch eine egalitäre Gesellschaft, oder?

Was die kommunistische Praxis angeht - nicht das Wolkenkuckucksheim einer "kommunistischen Gesellschaft", das schon bei Marx ja kaum eine Rolle spielte, danach ohnehin nicht - , so war diese keineswegs egalitärer als diejenige der Nazis. Ganz und gar nicht in der UdSSR, in der ethnische Minderheiten bekanntlich nicht nur diskriminiert, sondern teilweise dezimiert wurden. Auch noch in der DDR wurden Gastarbeiter kaserniert und wie der letzte Dreck behandelt. Die Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Ländern hat in der Fremdenfeindlichkeit der DDR ihren Ursprung.



Kommt halt drauf an was man unter egalitär versteht. Wenn man egalitarismus auf eine herbeifantasierte rassische Gleichheit, auf gleiche Haar und Augenfarbe, auf gemeinsame Teilname an Massenaufmärschen beschränkt, dann ja. Gut, weiter sind die Kommunisten auch nicht gekommen. Allerdings kann man den Nationalsozialisten auf keinen Fall unterstellen sie hätten jemals etwas anderes versprochen.

In Antwort auf:
Hehe. Ich behaupte ja nicht, daß die Nazis Kommunisten waren, gell.

Huch? "Es waren halt Sozialisten". Vieleicht stehe ich auf dem Schlauch....

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

01.07.2009 17:14
#24 RE: Vor 75 Jahren: Hitlers Mordnacht Antworten

So, wieder ein Thread, in dem ich etwas gelernt habe

Zitat von Eltov
Welchen Inhalt hat denn der Sozialismusbegriff ohne die sozialen Implikationen? Welchen Sinn hat es von "linker" Politik zu sprechen ohne das soziale Programm zu betrachten?

Ich sage mal: insofern das sozialistische Ideal der klassenlosen Gesellschaft meines Erachtens ohnehin nie verwirklicht werden kann , konzentriere ich mich lieber auf die wirtschaftlichen Aspekte des Programms.

Aber ich verstehe, was Sie meinen.

Zitat von Eltov
Man kann und sollte natürlich die Herrschaftsmethoden von Sozialismus und Nationalsozialismus betrachten -- gerade in der Auseinandersetzung mit Leuten die da Sympathien hegen -- aber kann doch nicht ernsthaft Beides unter Staatsinterventionismus verrühren. Allein schon die Tatsache das es im Nationalsozialismus anders als im Sowjetkommunismus Unternehmer gab, und die trotz gewisser Einschränkungen eben doch nach marktwirtschaftlichen Prinzipien wirtschaften konnten sollte stutzig machen.

Im Sozialismus gibt es Werksleiter, die durchaus auch gewisse Befugnisse haben (soviel zum Thema "klassenlose Gesellschaft"), und wenn man sich das Handeln zwischen Betrieben in der UdSSR anschaut, dann hatte das durchaus auch marktwirtschaftliche Komponenten: "Leihst Du mir Deine Lkws, damit meine Ernte nicht verrottet, dafür schicke ich Dir ein paar meiner Bauern, die Deine Schubkarren schieben." Hatte auch was von Angebot und Nachfrage.

Und wie oben gesagt: den Staatsinterventionismus sehe ich durchaus als gemeinsamen Nenner.

Zitat von Eltov
Wir werden da wohl auf keinen gemeinsamen Nenner kommen, weil wir anscheinend von anderen Fakten ausgehen.

Ich hoffe eher, dass wir uns in der Bewertung der gleichen Fakten uneins sind...

Zitat von Eltov
Soweit ich mich erinnern kann (ich beschäftige mich im Moment eher mit Syntaxbäumen:)) waren die staatlichen Eingriffe in das individuelle Wirtschaften zumindest vor der Mobilisierung sämtlicher Kräfte im Rahmen des "totalen Krieges", zumindest im Vergleich mit anderen Kriegswirtschaften, nicht außergewöhnlich. Vielleicht könntest du deine Quelle mal darauf abklopfen wann welche wie weitgehendenden Eingriffe stattfanden. Ich habe den Verdacht das es da um eine Zeit geht in der man nur noch mit wehenden Fahnen untergehen wollte und bis auf die Judenvernichtung nicht im Ansatz daran dachte (denken konnte!) ein irgendwie geartetes soziales Programm umzusetzen.

Oh nein. Ich kann Tooze nur noch einmal empfehlen. Die völlig hahnebüchenen Eingriffe fanden schon sehr früh statt, und deutlich vor Krieg und Judenvernichtung.

Zitat von Eltov
In Antwort auf:
Hinzu kommt, dass Sie sich hier selbst widersprechen. "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" ist eben nicht Gleichheit, und mir erscheint das so offensichtlich, dass ich mich frage, ob ich unglaubliche Scheuklappen aufhabe - vielleicht können Sie es mir erklären. Wenn ich größere Fähigkeiten als mein Nachbar habe, dann wird doch mein Arbeitspensum höher sein als meins, und nicht gleich hoch, oder? Und wenn mein Nachbar größere Bedürfnisse hat als ich (oder diese zumindest gegenüber der Instanz glaubhaft machen kann, die über die Bedürfnisse entscheidet, vielleicht ist das ja zufällig sein Schwager?), dann wird er doch mehr bekommen als ich, oder?

Ich denke Marx wird sich das ähnlich gedacht haben wie es von Ursula K. Le Guin in "Planet der Habenichtse" ausgemalt wird. Ohne das Konzept des "neuen Menschen" macht dieser Grundsatz jedenfalls wenig Sinn. Die Idee ist halt, dass die Menschen nach Aufhebung der Konkurrenz eben keine maßlosen Bedürfnisse mehr haben.

"Idee" trifft es gut. Ich würde das ja für eine Wahnidee halten.

Zitat von Eltov
Stell es dir einfach als Krankenversicherung für alles vor: Niemand kommt auf die Idee ohne Grund eine Darmspiegelung zu verlangen.

Stimmt. Aber mehrere Tomographien bei jedem Bandscheibenvorfall, nur "um sicherzugehen". Und eine Jahresdosis Tamiflu in jedem Haushalt, "um sicherzugehen". Und eine krankenkassenfinanzierte Haushaltshilfe bei jedem Wehwehchen.

Sicher will das nicht jeder. Aber erstens gibt es durchaus eine Minderheit, die so ein System ausnutzt. Und zweitens führt die Umsetzung von "jedem nach seinem Bedürfnissen" zu einer langsamen Inflation der "Bedürfnisse".

Zitat von Eltov
Man darf natürlich nicht vergessen, dass dieses Konzept aus einer Zeit kommt, in der dabei wohl an ausreichend Wohnraum, Nahrung, Kleidung und ein bisschen Kultur und Unterhaltung gedacht wurde. Mit dieser Einschränkung ist das Ganze ja nachvollziehbar: Wieso sollte man mehr Nahrung nehmen als man zu sich nehmen kann, zumal der Anspruch darauf garantiert ist.

Mehr nicht unbedingt. Aber gerne besser.

Und mir kommt gerade in den Sinn, dass es auffallend nicht die sozialistischen, sondern eher die kapitalistischen Länder waren, in denen man sich ausreichend Wohnraum, Nahrung und Kleidung leisten konnte - der ärmste US-Amerikaner hatte von all dem mehr als die meisten Moskauer 1990.

Wir sind ja schon anerkanntermaßen off-topic

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.07.2009 17:36
#25 Herrschaftssystem und Wirtschaftsstruktur Antworten

Zitat von Eltov
Welchen Inhalt hat denn der Sozialismusbegriff ohne die sozialen Implikationen? Welchen Sinn hat es von "linker" Politik zu sprechen ohne das soziale Programm zu betrachten?

Ja, und darin waren die Nazis eben Sozialisten: Die Reichen höher besteuern und daraus soziale Wohltaten finanzieren. Darauf hat in diesem Thread ja schon C.K. hingewiesen.

Sie ware Sozialisten, aber keine Kommunisten. Sie wollten die Reichen nicht enteignen oder gar physisch vernichten, sonden nur zur Kasse bitten und kontrollieren. Die Fünfjahrespläne ware eine Investitionslenkung, so wie man heute links in der SPD sie erträumt. Die "Gier" sollte bekämpft, die "Macht des Kapitals" beschnitten, die Reichen dazu gezwungen werden, "dem Gemeinwohl zu dienen".

Bruce Walker zitiert eine Bemerkung von Fritz Thyssen aus dem Jahr 1940; in englischer Übersetzung:
Zitat von Fritz Thyssen
Soon Germany will not be any different from Bolshevik Russia; the heads of enterprises who do not fulfill the conditions which the ‘Plan' prescribes will be accused of treason against the German people, and shot."

Zitat von Eltov
Man kann und sollte natürlich die Herrschaftsmethoden von Sozialismus und Nationalsozialismus betrachten -- gerade in der Auseinandersetzung mit Leuten die da Sympathien hegen -- aber kann doch nicht ernsthaft Beides unter Staatsinterventionismus verrühren. Allein schon die Tatsache das es im Nationalsozialismus anders als im Sowjetkommunismus Unternehmer gab, und die trotz gewisser Einschränkungen eben doch nach marktwirtschaftlichen Prinzipien wirtschaften konnten sollte stutzig machen.

Das ist aber nicht eine Frage der Herrschaftsmethode, sondern der Wirtschaftsstruktur. Da leugnet ja niemand den Unterschied zwischen einer Staatswirtschaft und einer staatlich gelenkten Wirtschaft, die nach dem Führerprinzip funktionierte. In diesem Punkt glichen die Nazis mehr linken Sozialdemokraten als Kommunisten.

Es war eben kein Zufall, daß sie den "Tag der Arbeit" als gesetzlichen Feiertag einführten. Es wird immer wieder behauptet, das sei alles nur Tarnung gewesen. Ohne jeden Beleg. Es entsprach der Politik der Nazis.

Aber die Herrschaftsmethode (das, was ich an Gemeinsamkeiten aufgezählt hatte; man könnte noch viele andere nennen wie die Gleichschaltung der Justiz, die zwangsweise Politisierung der Kunst, die generelle Rechtlosigkeit, die Verfolgung von Minderheiten, der Zwang zum "gesellschaftlichen Engagemen", die Zensur usw. usw.) - die Herrschaftsmethode also glich aufs Haar derjenigen der Kommunisten.

Also: Herrschen wie die Kommunisten mit einer Wirtschaftsordnung, wie die linke Sozialdemokratie sie will - das wäre vielleicht eine Formel für den Charakter des Nationalsozialismus.

Herzlich, Zettel

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