Das wird vielleicht ganz kurzweilig, da es fünf kleine Referate geben wird, mit jeweils ein paar Minuten Diskussion dazwischen; anschließend jedoch Diskussion so lang sie dauert.
Ich bin Moderator des Abends und Koreferent beim ersten Vortrag, wo es um die Argumente geht, die (Links-)Anarchisten gerne aufbieten, um den Parlamentarismus abzulehnen.
Wer also nichts Besseres vorhat und einmal echte Anarchisten und einen voraussichtlich peinlich überforderten Kallias () erleben will, ist herzlich eingeladen. (Adresse)
Und, ja, ich hätte in diesem Zusammenhang noch eine Frage an das Forum: Gibt es tatsächlich gute Argumente, die gegen den Parlamentarismus sprechen? Und falls man ihn verteidigen will, wie kann man seine Vorzüge kurz und gut auf den Punkt bringen?
Das würd ich mir ja gerne ansehen ... leider bin ich da schon verplant.
Moderator bei den Anarchisten? Wie kommt man denn zu so einem Job?
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Zitat von CalimeroDas würd ich mir ja gerne ansehen ... leider bin ich da schon verplant.
Sehr schade, ich hätte Sie bei dieser Gelegenheit gerne kennengelernt.
Zitat von CalimeroModerator bei den Anarchisten? Wie kommt man denn zu so einem Job?
Nun, ich bin seit 1996 Mitarbeiter dieser Bibliothek. Daher wäre eher umgekehrt zu fragen, wie so jemand dazu kommt, hier im Kleinen Zimmer liberale Ansichten hochzuhalten. Die Antwort ist wie bei vielen anderen, die von links außen daherkommen: es fing an mit Ayn Rand. Ich hatte "Atlas wirft die Welt ab" für die Bibliothek gekauft und das Buch dann irgendwann gelesen. (Die EU-Kommission hat leider versäumt, Warnaufdrucke für Bücher wie "Lesen gefährdet Ihre Überzeugungen" vorzuschreiben, und so ist es passiert.)
Obwohl sich meine linken Ansichten weitgehend verflüchtigt haben, bin ich immer noch bei den "Freien", weil ich an den Freunden dort hänge. Und diese lieben Freunde haben mir den Moderatoren-Job aufgedrückt, als ich mich geweigert hatte, ein Referat zu übernehmen.
Zitat von KalliasGibt es tatsächlich gute Argumente, die gegen den Parlamentarismus sprechen?
Nö. Sonst wäre ich immer noch ein Anarcho. Es gibt die üblichen Argumente aus der (nach deutscher Nomenklatur) rechtsanarchistischen bzw. radikalliberalen Ecke, wonach grundsätzlich jede Aufgabe besser bei privaten Unternehmen in einem freien Markt aufgehoben sei, inklusive der Verhinderung von Monopolen und Privatkriegen. Das linksanarchistische Pendant dazu ist der Glaube an kleine möglichst autarke Kommunen mit basisdemokratischen Abstimmungen. Der Kern des anarchistischen Denkens ist der Freiheitsbegriff und die Suche nach der vollkommenen Freiheit. Im Parlamentarismus wird eine oligarchiche Hierarchieebene zwischen die Bürger und politische Entscheidungen gezogen, die erstens Insidrwissen und Insiderdebatten erzeugt, zweitens Korruption und Lobbyismus besonders erleichtert und drittens eine Minderheit zu Herrschern über die Mehrheit erhebt - und damit ist es keine Volksherrschaft sondern eine korrupte, klüngelnde Oligarchie.
Zitat von Kallias Und falls man ihn verteidigen will, wie kann man seine Vorzüge kurz und gut auf den Punkt bringen?
Tschingis Khan ist ganz basisdemokratisch in einer Gesellschaft entstanden, die aus selbstorganisierten, reichlich autarken, naturnah lebenden und ohne Kapitalzusammenballungen lebenden Kommunen bestand. Und er war bei weitem nicht der einzige Despot und Massenmörder, der aus diesen Zusammenhängen stammt. Machtkonzentrationen werden sich nie verhindern lassen, weil der Mensch ein Hordentier ist und entsprechend handelt. Machtstreben ist ebenso wie das Streben nach zeitweiligen Anführern, Vordenkern und Beschützern zutiefst menschlich. Die anarchistische Szene ist selbst ein Beispiel dafür, wie die in der Diskussion wohl reichlich auftauchenden Zitate von Vordenkern beweisen werden. Auch der Alltag in der Szene, vom Abwaschen bis zum Kampf gegen Nazis zeigt, daß es immer wieder einzelne die Führung übernehmen, diese aber im besten Falle wieder abgeben. Dasselbe gilt für die Macht, die aus Wohlstand folgt, da es immer geschicktere und ungeschicktere, klügere und dümmere Menschen geben wird. Wenn es also sowieso immer wieder zu Machtkonzentationen und Machtkämpfen kommt, ist es besser, die Macht auf konkurrierende Anführer und Institutionen zu verteilen, wobei die Machtkämpfe auf möglichst friedliche Weise ausgetragen werden müssen. Öffentlichkeit der parlamentarischen Machtkämpfe, Rechtsstaatlichkeit, Checks and Balances, regelmäßige Neuwahlen und allgemeines Wahlrecht bremsen dann die Machtkämpfe aus und dämmen die Macht Einzelner stark ein.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Zitat von KalliasNun, ich bin seit 1996 Mitarbeiter dieser Bibliothek. Daher wäre eher umgekehrt zu fragen, wie so jemand dazu kommt, hier im Kleinen Zimmer liberale Ansichten hochzuhalten. Die Antwort ist wie bei vielen anderen, die von links außen daherkommen: es fing an mit Ayn Rand.
Es wäre vielleicht interessant, lieber Kallias, einmal zu wissen, wer alles in diesem Forum einmal irgendwie "links" gewesen ist. Von mir weiß man es sozusagen zum Überdruß. Calimero und Califax haben es angedeutet, jetzt Sie. Ich vermute, wir sind nicht die einzigen.
Und da ich beim Vermuten bin, vermute ich gleich noch, daß der umgekehrte Weg selten ist. Liberale, die zu Linken werden? Da fällt mir überhaupt kein Beispiel ein; weder aus meinem Bekanntenkreis noch aus der Öffentlichkeit.
Ob man daraus etwas entnehmen kann?
Ansonsten wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Moderation!
An meine erste erinnere ich mich mit gemischten Gefühlen. Das war ungfähr 1967; es gärte schon. Ich hatte gedacht, ich brauchte nur moderat mit den Diskussionsteilnehmern umzugehen, dann mußte ich aber versuchen, ein arg aufmüpfiges Publikum zu bändigen.
Vor allem einer, offenbar unter irgendeinem chemischen Einfluß, war gar nicht zu beruhigen; später erfuhr ich, daß eine der Diskutantinnen, die er besonders attackierte, seine Psychoanalytikerin war. Klassischer Fall von Widerstand also.
Zitat von Kallias Die Antwort ist wie bei vielen anderen, die von links außen daherkommen: es fing an mit Ayn Rand.
Ist das echt so? Das ist der Weg für viele? Ich bin erst hier in der Blogosphäre darüber gestolpert. Hab den Titel so häufig irgendwo gelesen, dass ich's bei einer Bücherbestellung einfach mal mitgenommen habe, ohne mich vorher über Inhalt und Philosophie zu informieren.
Und ... ich war (bin) beeindruckt. Es würde mich wirklich interessieren, wie ich es aufgenommen hätte, wenn es mir jemand mit z.B. 20 Jahren in die Hand gedrückt hätte.
Beste Grüße, Calimero
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Zitat von Zettel Es wäre vielleicht interessant, lieber Kallias, einmal zu wissen, wer alles in diesem Forum einmal irgendwie "links" gewesen ist. Von mir weiß man es sozusagen zum Überdruß. Calimero und Califax haben es angedeutet, jetzt Sie.
Das ist wirklich eine interessante Frage. Vor allem, wie man dann doch auf "den rechten Weg gefunden hat".
Ich denke mal, dass die meisten jungen Menschen mit etwas Verstand und Empathiefähigkeit eine soziale und linke Denke haben, sofern sie nicht konservativ geprägt wurden (was ich übrigens mittlerweile sehr spannend finde, weil Courage dazu gehört sich dem Mainstream zu widersetzen).
Wenn dieser Jungmensch nun die Welt verändern und ihre Ungerechtigkeiten beseitigen will, kann ich das nachvollziehen. Aber wieso verlassen einige dann diese Denkschablone wenn sie älter werden, und manche bleiben bis ins hohe Alter hinein ihren Jugendidealen treu?
Sie, lieber Zettel, haben ihren Weg vom organisierten Linken zum Liberalkonservativen ja schon skizziert. Meiner ist weniger spektakulär, da ich ja nie ein organisierter, sondern nur ein "Gefühlslinker" mit Spaß an Anarcho-Punk war. Der "ungerechte Kapitalismus", "die bösen Amis"; dort "die Bosse", da "die Armen und Arbeitslosen" ... na ja, das Übliche halt. Und ... Helmut Kohl ging ja schonmal garnicht!
Ich habe mich also sehr über den Sieg von Schröder gefreut - aber ... ausgerechnet mit den Grünen, meinem persönlichen "roten Tuch". Uff! Jetzt konnten sich die linken Parteien endlich mal produzieren. Nur, es gefiel mir immer weniger. Ich wusste in einigen Fällen nicht, was mich da präzise abstößt, aber das war definitiv nicht meins.
Der erste Wahl-o-mat zeigte mir dann eindeutig, dass ich eigentlich ein FDP-Wähler sein sollte. Schockierend! Das ist doch die Zahnärztepartei, über die macht sich Harald Schmidt lustig, und der Spiegel, und der Stern ... und ... nee! Hab dann nochmal SPD gewählt. Letztmalig.
Dann wars leicht, die innere Hürde war überwunden. Über irgendein Broder-Buch die Achse des Guten entdeckt, von da in die Blogosphäre eingetaucht und z.B. ZR gefunden. Jetzt lerne ich, das zu formulieren was ich wahrscheinlich schon jahrelang mit mir rumschleppe. Ich bemühe mich jedenfalls.
Jetzt habe ich aber erstaunlich viel über mich rausgelassen. Gut, dass das hier nur ein kleiner Nebenraum vom kleinen Zimmer ist.
Beste Grüße, Calimero
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Zitat von KalliasDie Antwort ist wie bei vielen anderen, die von links außen daherkommen: es fing an mit Ayn Rand.
Ist das echt so? Das ist der Weg für viele?
In der Szene der amerikanischen Libertarians gibt es das Sprichwort: "It usually starts with Ayn Rand". (Tatsächlich ist es ein Buchtitel, und ob es zutrifft, weiß ich auch nicht so genau - dennoch würde der Zimmer-typische Ruf nach einer empirischen Untersuchung etwas weit führen, wo es doch so ein netter Spruch ist.) In Deutschland, wo Rand fast unbekannt ist, ist sie sicherlich selten der Ausgangspunkt.
Zitat von ZettelUnd da ich beim Vermuten bin, vermute ich gleich noch, daß der umgekehrte Weg selten ist. Liberale, die zu Linken werden? Da fällt mir überhaupt kein Beispiel ein; weder aus meinem Bekanntenkreis noch aus der Öffentlichkeit.
In meiner Jugend war ich liberal, wählte 1980 die FDP, wurde kurz danach von der grünen Welle erfasst und blieb Grünen-Wähler bis 1998. Seit 2002 wähle ich wieder liberal. Die freundlichste Deutung dieser Kurve lautet: die grüne Patina ging ab.
Zitat von ZettelAnsonsten wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Moderation! An meine erste erinnere ich mich mit gemischten Gefühlen. Das war ungfähr 1967; es gärte schon. Ich hatte gedacht, ich brauchte nur moderat mit den Diskussionsteilnehmern umzugehen, dann mußte ich aber versuchen, ein arg aufmüpfiges Publikum zu bändigen. (...) Na, das wird Ihnen ja nicht passieren.
Bestimmt nicht, die Jugend von heute ist ja soo brav.
Lieber Kallias, mit dem Ihnen eigenen Humor wird es sicher eine erfolgreiche Veranstaltung.
Wobei an folgendes Czenario gedacht, habe ich schon mal herzlich gelacht.
Wilhelm Busch (aus: Kritik des Herzens)
Er stellt sich vor sein Spiegelglas Und arrangiert noch dies und das. Er dreht hinaus des Bartes Spitzen, Sieht zu, wie seine Ringe blitzen.
Probiert auch mal, wie das sich macht, Wenn man so herzgewinnend lacht, Übt seines Auges Zauberkraft, Legt die Krawatte musterhaft.
Wirft einen süßen Scheideblick Auf sein geliebtes Bild zurück, Geht dann hinaus zur Promenade, Umschwebt vom Dufte der Pomade.
Und ärgert sich als wie ein Stint, Daß andre Leute eitel sind.
---------------------
... und ist der Abend dann zu Ende ...
Aus einer großen Gesellschaft heraus ging einst ein stiller Gelehrter zu Haus. Man fragte: Wie seid Ihr zufrieden gewesen? "Wären's Bücher", sagt' er, "ich würd' sie nicht lesen."
Johann Wolfgang Goethe
Ich hoffe mal das niemand der Gäste dann so denkt, liegt in der Hand dessen, der den Abend lenkt. Alles Gute, Kallias.
Vielen Dank, lieber califax, Sie haben drei gute sound bites geliefert:
Zitat von califaxIm Parlamentarismus wird eine oligarchiche Hierarchieebene zwischen die Bürger und politische Entscheidungen gezogen, die erstens Insiderwissen und Insiderdebatten erzeugt, zweitens Korruption und Lobbyismus besonders erleichtert und drittens eine Minderheit zu Herrschern über die Mehrheit erhebt - und damit ist es keine Volksherrschaft sondern eine korrupte, klüngelnde Oligarchie.
Anarchisten sehen das Parlament als Teil des Herrschaftsapparats und nicht als vermittelnde Instanz zwischen dem Apparat und dem Volk an (während Konservative im 19. Jh. dabei schon den Pöbel an der Macht sahen). Das Parlament als Zwischenebene zu betrachten dürfte ein guter Zug sein, um zu mehr analytischen als polemischen Aussagen zu kommen. Solche Zwischenstrukturen haben die Nachteile beider Seiten, aber auch die Vorzüge.
Was Insiderdebatten, Korruption und Lobbyismus betrifft, diese Dinge werden durch das Parlament ja nur vom direkten Antichambrieren bei Ihrer Majestät in einen halböffentlichen Raum zurückverlagert - was die Klüngelei etwas besser sichtbar macht.
Zitat von califaxTschingis Khan ist ganz basisdemokratisch in einer Gesellschaft entstanden, die aus selbstorganisierten, reichlich autarken, naturnah lebenden und ohne Kapitalzusammenballungen lebenden Kommunen bestand. Und er war bei weitem nicht der einzige Despot und Massenmörder, der aus diesen Zusammenhängen stammt.
Dh., die üblicherweise vorgeschlagenen Alternativen sind nicht unbedingt besser. Das ist eigentlich kein besonders starkes Argument, doch "Tschingis Khan" eignet sich natürlich prima zum Draufhauen, wenn jemand mit "Rätestrukturen" oder dgl. daherkommt.
Zitat von califaxWenn es also sowieso immer wieder zu Machtkonzentationen und Machtkämpfen kommt, ist es besser, die Macht auf konkurrierende Anführer und Institutionen zu verteilen, wobei die Machtkämpfe auf möglichst friedliche Weise ausgetragen werden müssen. Öffentlichkeit der parlamentarischen Machtkämpfe, Rechtsstaatlichkeit, Checks and Balances, regelmäßige Neuwahlen und allgemeines Wahlrecht bremsen dann die Machtkämpfe aus und dämmen die Macht Einzelner stark ein.
Gute Punkte. Informelle Hierarchien sind schwerer zu durchschauen als Wahloligarchien und De-Facto-Führer sind schwerer zur Verantwortung zu ziehen als gewählte Chefs. Politiker kungeln viel in Hinterzimmern herum, müssen sich dann aber der Öffentlichkeit stellen, während man in der Anarchie eine vollkommen intransparente Machtstruktur haben würde.
Vielen Dank für die Aufmunterung, liebe Nola! Nur fürchte ich, daß es den meisten mit diesem Thema bitterernst ist, so daß ich die Witzeleien vielleicht besser sein lasse. Wilhelm Buschs Hinweis auf den Wert sorgfältiger Vorbereitung will ich mir aber auf jeden Fall zu Herzen nehmen.
Zitat von KalliasWer also nichts Besseres vorhat und einmal echte Anarchisten und einen voraussichtlich peinlich überforderten Kallias () erleben will, ist herzlich eingeladen.
Ich würde auch sehr gerne kommen, aber Berlin liegt für mich leider jenseits jeder realen Möglichkeit. Sollte sich also einer mit "Ungelt" vorstellen, ich bin es nicht!
Zitat von KalliasUnd, ja, ich hätte in diesem Zusammenhang noch eine Frage an das Forum: Gibt es tatsächlich gute Argumente, die gegen den Parlamentarismus sprechen? Und falls man ihn verteidigen will, wie kann man seine Vorzüge kurz und gut auf den Punkt bringen?
Gerne, ich könnte (leider erst später) die Übersetzung eines Textes von Petr Stancík zu diesem Thema, den ich vor Kurzen auf seiner Webseite entdeckt hatte, beisteuern. Der Text "Kost Krve" ("Der Knochen der Blutes") aus dem Jahr 2003 mit dem Untertitel "Monoarchie als Ausweg und Zufluchtsort" (kein Tippfehler) bewegt sich irgendwo zwischen Literatur und Analyse, zwischen und
Wie sollte man dieses Thema auch anders behandeln?
Zitat von KalliasInformelle Hierarchien sind schwerer zu durchschauen als Wahloligarchien und De-Facto-Führer sind schwerer zur Verantwortung zu ziehen als gewählte Chefs. Politiker kungeln viel in Hinterzimmern herum, müssen sich dann aber der Öffentlichkeit stellen, während man in der Anarchie eine vollkommen intransparente Machtstruktur haben würde.
Es gab ja zu Beginn der Studentenbewegung auch anarchistische Ideen, jedenfalls räte- und basisdemokratische.
Alle Sitzungen aller Gremien sollten zum Beispiel stets öffentlich sein. Ich habe erlebt, was da passiert ist:
Erstens war die "Öffentlicheit" natürlich nicht still, sondern hat mehr oder weniger tatkräftig und stimmgewaltig auf das Geschehen in dem Gremium Einfluß zu nehmen versucht. Was dazu führte, daß einige sich einschüchtern ließen, andere - so habe ich es einmal gemacht - halt ihr Amt niedergelegt haben.
Das war keine sehr kluge Reaktion. Die kluge Reaktion bestand darin, alles außerhalb der Gremien zu besprechen und zu entscheiden. In den Gremien wurde dann nur noch zum Schein diskutiert. Und abgestimmt wurde so, wie man das zuvor ausgehandelt hatte.
Wenn es keine formalen Regeln für Gerichtsverfahren gibt, dann werden Missetäter so behandelt, wie es gerade der Stimmung des Volks entspricht. Wenn es keine formale Regelen für politische Entscheidungsprozesse gibt, dann werden sie halt in informellen Absprachen abgewickelt.
"Anarchie ist machbar, Herr Nachbar" prangte an der Wohnung eines jungen Mannes, mit dem wir mal a bisserl befreundet waren. Ich fürchte, das stimmt. Schlimmer ist aber das, was in der Anarchie alles machbar ist.
Zitat von UngeltGerne, ich könnte (leider erst später) die Übersetzung eines Textes von Petr Stancík zu diesem Thema, den ich vor Kurzen auf seiner Webseite entdeckt hatte, beisteuern. Der Text "Kost Krve" ("Der Knochen der Blutes") aus dem Jahr 2003 mit dem Untertitel "Monoarchie als Ausweg und Zufluchtsort" (kein Tippfehler) bewegt sich irgendwo zwischen Literatur und Analyse, zwischen und Wie sollte man dieses Thema auch anders behandeln?
Ja, steuern Sie bitte bei! Texte zwischen und sind mir sowieso die liebsten, abgesehen natürlich von .
Zitat von ZettelAlle Sitzungen aller Gremien sollten zum Beispiel stets öffentlich sein. Ich habe erlebt, was da passiert ist: Erstens war die "Öffentlicheit" natürlich nicht still, sondern hat mehr oder weniger tatkräftig und stimmgewaltig auf das Geschehen in dem Gremium Einfluß zu nehmen versucht. Was dazu führte, daß einige sich einschüchtern ließen, andere - so habe ich es einmal gemacht - halt ihr Amt niedergelegt haben. Das war keine sehr kluge Reaktion. Die kluge Reaktion bestand darin, alles außerhalb der Gremien zu besprechen und zu entscheiden. In den Gremien wurde dann nur noch zum Schein diskutiert. Und abgestimmt wurde so, wie man das zuvor ausgehandelt hatte.
Illusionen, wie schön es würde, wenn die Öffentlichkeit alles wüßte und von unten her dirigieren könnte, werden in Anarcho-Kreisen gerne gepflegt, da könnten solche Erfahrungen schon sehr wertvoll sein - leider interessieren sich Anarchisten, voluntaristisch, wie sie nunmal sind, nicht sehr für Erfahrungen.
Zitat von ZettelWenn es keine formalen Regeln für Gerichtsverfahren gibt, dann werden Missetäter so behandelt, wie es gerade der Stimmung des Volks entspricht. Wenn es keine formale Regelen für politische Entscheidungsprozesse gibt, dann werden sie halt in informellen Absprachen abgewickelt. "Anarchie ist machbar, Herr Nachbar" prangte an der Wohnung eines jungen Mannes, mit dem wir mal a bisserl befreundet waren. Ich fürchte, das stimmt. Schlimmer ist aber das, was in der Anarchie alles machbar ist.
Regeln kann es in einer Anarchie in beliebiger Menge geben, lieber Zettel, nur keine autoritären Regeln ("A hat Befugnis, B anzuweisen..." u.dgl., das ist tabu), weswegen ich für den Fall der Anarchie voraussage, daß die Machtverhältnisse intransparent sein dürften, mehr jedenfalls, als in der Demokratie. Das ist ein Nachteil, bedeutet aber noch lange nicht, daß in der Anarchie schlimmere Dinge machbar sein würden, als heutzutage. Keine Panik!
Zitat von janaAhoj Ungelte,bist Du Dir sicher, daß es die von Dir erwähnte Seite http://www.ardor.info/ wirklich gibt?
Ahoj Jano, bei mir geht es, auch wenn mit einer sehr langen Ladezeit und einem Zeichensatz der meinem Browser nicht schmeckt. Der letzte Eintrag ist von 2004 und "Odillo Stradický ze Strdic" benutzt zwischenzeitlich wieder seinen bürgerlichen Namen. Mej se hezky, Ungelt
Bei mir gabs gestern Gegrilltes und tschechisches Bier bis in den frühen Morgen. Wie mag es dem großen Moderator Kallias wohl ergangen sein?
Beste Grüße, Calimero
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Zitat von KalliasRegeln kann es in einer Anarchie in beliebiger Menge geben, lieber Zettel, nur keine autoritären Regeln ("A hat Befugnis, B anzuweisen..." u.dgl., das ist tabu), weswegen ich für den Fall der Anarchie voraussage, daß die Machtverhältnisse intransparent sein dürften, mehr jedenfalls, als in der Demokratie. Das ist ein Nachteil, bedeutet aber noch lange nicht, daß in der Anarchie schlimmere Dinge machbar sein würden, als heutzutage.
Mir fällt der Konditionalis auf, lieber Kallias. Hat es denn noch keine real existierende Anarchie gegeben?
Ich kenne mich da nicht aus, meine mich aber zu erinnern, daß es in Spanien vor und während dem Bügerkrieg eine ziemlich starke anarchistische Bewegung gab. Hat man es irgendwo - vielleicht in Cäsars Dorf in den Pyrenäen? - geschafft, anarchische Verhältnisse herzustellen?
Mein Verdacht, meine Befürchtung ist, daß jeder ernsthafte Versuch, Anarchie zu realisieren, nachgerade eine Einladung an die Totalitären ist, sich an die Macht zu begeben.
Im spanischen Bürgerkrieg haben ja, glaube ich, die Kommunisten mit ihren anarchistischen Verbündeten kurzen Prozeß gemacht. Ob nicht die Abwesenheit von Herrschaft die schlimmsten Formen der Herrschaft so ansaugt wie ein Vakuum die Luft?
Ach ja, und auch von mir die Frage, lieber Kallias: Wie war's denn?
Zitat von ZettelIch kenne mich da nicht aus, meine mich aber zu erinnern, daß es in Spanien vor und während dem Bügerkrieg eine ziemlich starke anarchistische Bewegung gab. Hat man es irgendwo - vielleicht in Cäsars Dorf in den Pyrenäen? - geschafft, anarchische Verhältnisse herzustellen?
Barcelona. Dazu würde mich die Einschätzung der Experten interessieren...
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Die Niederlage der Spanischen Anarchisten lässt sich schwer als Argument gegen die Anarchie an sich verwenden. Die Kommunisten waren ihnen nicht aus den von dir angedeuteten Gründen überlegen, sondern aufgrund besserer Waffen, ausländischer Unterstützung, effektiven Kommandostrukturen und politischer Beweglichkeit. Hinzu kam noch der Krieg gegen Franco. George Orwell hat das in "Mein Katalonien" recht anschaulich beschrieben.
Zitat von EltovDie Niederlage der Spanischen Anarchisten lässt sich schwer als Argument gegen die Anarchie an sich verwenden. Die Kommunisten waren ihnen nicht aus den von dir angedeuteten Gründen überlegen, sondern aufgrund besserer Waffen, ausländischer Unterstützung, effektiven Kommandostrukturen und politischer Beweglichkeit. Hinzu kam noch der Krieg gegen Franco. George Orwell hat das in "Mein Katalonien" recht anschaulich beschrieben.
Naja, bei ineffektiven Kommandostrukturen und politischer Unbeweglichkeit kann man schon argumentieren, dass die dem Anarchismus inhärent sind. Und Franco war den Kommunisten gegenüber nicht wirklich kooperativer als den Anarchisten gegenüber.
Die besseren Waffen und die ausländische Unterstützung (und vielleicht noch bessere Propaganda für die Internationalen Brigaden) kann ich aber nachvollziehen.
Mich hätte noch interessiert, wie anarchistisch die Anarchisten von Barcelona tatsächlich waren, da kenne ich mich viel zu wenig aus.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
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