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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 8 Antworten
und wurde 959 mal aufgerufen
 Pro und Contra
Calimero ( gelöscht )
Beiträge:

05.10.2009 18:17
Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Es wird sicherlich jedem manchmal so gehen, dass man über irgendwelche Ereignisse, „Skandale“, oder Äußerungen unserer „Eliten“ nur noch fassungslos den Kopf schütteln kann. Auch diverse politische Entscheidungen lassen manchmal am Verstand unserer Würdenträger zweifeln.

Mir drängt sich seit geraumer Zeit der Begriff Dekadenz dazu auf. Da ich mir aber nicht sicher war, ob dieser Begriff auch der Richtige für mein unbestimmtes Gefühl ist, habe ich mal die Wikipedia konsultiert. Und siehe da:

Zitat von Wikipedia
Der Begriff gehörte ursprünglich einer Weltsicht an, welche die Existenz von Menschen, Institutionen und Staatsgebilden als einem natürlichen Werde- und Untergangsprozess unterworfen betrachtet. Die ursprünglich zum Aufstieg der Familie, des Staates, der Institution führenden Eigenschaften entarten danach zwangsläufig ins Feine, Sensible, kurz: Degenerierte.



Das triffts. Sind wir da mittlerweile angekommen? Schauen wir gerade einer Nation beim Untergang zu?

Ich habe, wie gesagt, dieses Gefühl schon seit längerem, und wollte dazu auch schon etwas schreiben, aber dann kam Zettels Beitrag zum Land des Lächelns, welcher mir auch wieder ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat.
Nun haben wir aber diese Sarrazin-Debatte (ab hier nachzulesen) und den vorausschauenden Gehorsam unserer Kulturschickeria, den Zettel so trefflich beschreibt.

Sieht so eine selbstbewusste, virile Nation aus? Eher nicht, oder?



Wir könnens uns ja leisten … wir sind schließlich Exportweltmeister und so. Da können die Eliten gut um sich selbst kreisen.
Aber, wir sind eine Gesellschaft in Angst. Angst, dass der Status quo gefährdet werden könnte. Der Status quo, der nicht von diesen Eliten geschaffen wurde, sondern von den Generationen vor ihnen. Wenn jetzt Sarrazin, als Überbringer der Wahrheit, von den Kollegen seiner eigenen Kaste verurteilt wird, zeigt das ebendiese Angst. Genauso wie die Angst es verlangt vorauseilend gehorsam zu sein. Niemand soll den Status quo infrage stellen. Eine Gesellschaft, die auf der Stelle tritt.

Wir haben Angst vor Technik und Fortschritt, Angst vor Gentechnik und Kernenergie beispielsweise, Angst vor robusten Kampfeinsätzen unserer Armee, Angst vor Chemie und Schulmedizin … und nicht zuletzt – Angst vor Terrorismus und einem freien Internet.

Es ist einfach nur noch erbärmlich.




Als "Fortschritt" wird uns mittelalterliche Technik empfohlen, die uns die Technologieführerschaft im Öko-Segment sichern soll.
Warum haben eigentlich die Müller damals von Windmühlen auf Motormühlen umgestellt? Warum haben die Bauern irgendwann den Hakenpflug in die Ecke gestellt und die Landwirtschaft immer weiter intensiviert?
Dieses Öko-, Bio-, „back to the Roots“-Geschwurbel kann sich nur eine Gesellschaft leisten, die sich ihres Reichtums sicher ist. Wie gesagt, eines Reichtums, den die Vorgänger erarbeitet haben. Das ist in meinen Augen dekadent.

Schön zu beobachten war in den letzten Monaten die „Rettung“ von Opel und Karstadt-Quelle. Ikonen der Wirtschaftwunderjahre, aber mittlerweile im Sinkflug begriffen. Man fühlt sich bemüßigt, da jetzt Staatsknete (wieviel Schulden hat Deutschland mittlerweile?) reinzupumpen. Toll! Während ichs bei Opel ja noch ein bisschen einsehe, kommen mir bei einem Warenhauskonzern und einem Versandhändler doch echt Zweifel. Naja, man kann sichs halt leisten.

Dieses Land ist - technologisch und sozial - strukturkonservativ. Das ist nicht gut, denn Stillstand heißt immer Rückschritt.




Wir haben auch keine Helden mehr. Ich empfehle dazu die Lektüre dieses großartigen Artikels von Michael Klonovsky.

Wer sind die Helden unserer Tage? DSDS-Sternchen? Dieter Bohlen? Irgendwelche Fußballer und Schauspieler?

Ich will gar keine Kriegshelden, aber Wirtschaftshelden fände ich super. Typen, die eine Marktnische entdecken und diese ausfüllen. Typen, die Wachstum und Arbeitsplätze schaffen, indem sie sich erfolgreich am Markt durchsetzen. Wir mögen über die Amis lachen, weil sie kaum noch fortschrittliche Autos bauen, aber wo wurde z.B. Google entwickelt? Wo kommt Amazon her, und wo muss Quelle gerettet werden?
Es gibt solche Helden im Mittelstand, ich weiß … aber wird das anerkannt? Nee, die werden von einer sich immer mehr aufblähenden Bürokratie ausgebremst. Immer mehr Vorschriften, immer mehr Papiere, immer mehr Unfreiheit.

Das muss sich eine Gesellschaft erstmal leisten können. Wir können es anscheinend … noch! Es wird aber wohl nicht mehr lange gut gehen, man muss sich nur die demographische Entwicklung ansehen.

Ich bin skeptisch, wenn ich auf Deutschland schaue. Die Leistungsträger wandern in Scharen ab, die Zuzügler sind großenteils unqualifiziert und bringen auch ihren Nachwuchs nicht dazu zu leistungsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft zu werden.

Ein Land im Abwärtstrend, ein Land in Dekadenz verfallen. Traurig, aber noch therapierbar?

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... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

05.10.2009 19:25
#2 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Lieber Calimero, Sie haben da viele gute Gedanken und Überlegungen zusammengefaßt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Bravo!

♥lich Nola




Kaa Offline




Beiträge: 658

06.10.2009 21:07
#3 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Zitat von Calimero

Ein Land im Abwärtstrend, ein Land in Dekadenz verfallen. Traurig, aber noch therapierbar?


Nein. Trotzdem wird es besser werden. Wenn es im Tatsächlichen schlimmer geworden ist. Im Krieg gibt es weniger Neurosen. Ich glaube nicht, daß es Krieg gibt, doch auch in Notzeiten nimmt der Luxus der Neurosen ab. Und auch die staatlich gepflegten Verrücktheiten werden abnehmen, wenn das Geld noch knapper wird.
Ich will beides noch erleben. Den Untergang und die Gesundung.


Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.10.2009 00:19
#4 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Zitat von Kaa

Zitat von Calimero

Ein Land im Abwärtstrend, ein Land in Dekadenz verfallen. Traurig, aber noch therapierbar?


Nein. Trotzdem wird es besser werden. Wenn es im Tatsächlichen schlimmer geworden ist. Im Krieg gibt es weniger Neurosen. Ich glaube nicht, daß es Krieg gibt, doch auch in Notzeiten nimmt der Luxus der Neurosen ab. Und auch die staatlich gepflegten Verrücktheiten werden abnehmen, wenn das Geld noch knapper wird.
Ich will beides noch erleben. Den Untergang und die Gesundung.



Ich bin noch optimistischer, liebe Kaa. Ich bin von der Gesundung auch ohne den Weg über einen Untergang überzeugt.

Das liegt daran, daß alles das, was zum Pessimismus Anlaß gibt - die fehlende Leistungsmotivation, die Ideologisierung, die Versuche, aus freien Bürgern gehorsame Untertanen zu machen - ja nicht die gesamte Gesellschaft kennzeichnet.

Es kennzeichnet das linke Milieu und das Milieu derer, die vom linken Milieu profitieren; also Transferempfänger aller Art. Aber das ist ja nur die eine Hälfte der Gesellschaft. Auf der anderen Seite haben wir ein Land mit exzellent ausgebildeten und hochmotivierten Arbeitern und Angestellten; mit einer in Bereichen hervorragenden Forschung; mit einer Industrie, die ja nicht zufällig an der Spitze der Exporteure steht.

Wir haben in ganz Süddeutschland und in großen Teilen Westdeutschlands intakte "bürgerliche" Milieus, mit Nachbarschaftshilfe, den vielen Vereinen; auch mit einer Freundlichkeit im Umgang miteinander, wie sie im linken Milieu selten ist. In zahlreichen Wahlkreisen in Baden-Württemberg lag die FDP am 27. September bereits vor der SPD.



Das Problem, lieber Calimero und liebe Kaa, liegt aus meiner Sicht allein darin, daß von diesen beiden ungefähr gleichstarken "Lagern" in unserer Gesellschaft das linke seit 1998 domniert. Das war bis ungefähr 1970 anders gewesen; und es war in den achtziger und den frühen neunziger Jahren anders gewesen. Das waren liberalkonservativ dominierte Jahrzehnte. Dazwischen lag das soziallliberale Jahrzehnt der siebziger Jahre, das aber längst nicht die Verschnarchtheit aufwies wie die elf Jahre seit 1998. (Der Niedergang begann schon ein paar Jahre zuvor, als die Regierung Kohl immer sklerotischer wurde und Lafontaine über den Bundesrat jede Reform blockierte).

Jetzt beginnt das Pendel wieder nach rechts zu schwingen. So, wie auf den Niedergang der USA nach dem Vietnam-Krieg das Aufblühen unter Ronald Reagan folgte. So, wie das unter der Vierten Republik im Niedergang befindliche Frankreich mit dem Beginn der Fünften Republik 1958 aufblühte.

Angela Merkel hatte im Wahlkampf 2005 genau eine solche Perspektive entwickelt. Sie hat sich ja in vier Jahren nicht in eine andere verwandelt. Nur hat sie gelernt, strategisch und vor allem taktisch geschickter zu sein. Aber daß eine Regierung aus Union und FDP grundsätzlich die Möglichkeit bietet, daß Deutschland gesundet - davon bin ich allerdings überzeugt.

Herzlich, Zettel

Calimero ( gelöscht )
Beiträge:

07.10.2009 10:54
#5 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Lieber Zettel,

danke für diesen optimistischen Beitrag. Ich hatte sowas von ihnen auch erwartet. Wie schon "Das Land des Lächelns" muntert er mich wieder etwas auf.

Sie haben mich aber damit dazu gebracht, über etwas ganz anderes nachzudenken. Ich bin ja eigentlich auch ein Anhänger der "Pendel-Theorie" (der manchmal Schlimmstes befürchtet, je dämlicher die Ausschwünge sind), aber in unserer Politik- und Medienkultur sehe ich uns unabwendbar talwärts fahren. Woran liegt das?

Sie haben das Jahr 1998 als Zeitenwende angesprochen - 11 Jahre her - also ca ein Drittel meines Lebens. Ich habe damals, mit Anfang 20, diese Zeitenwende herbeigesehnt. Der "ewige" Kohl ... das konnte es nicht sein. Dann ist es passiert, und seitdem gehts bergab. Das ist es, was ich als Dekadenz ausgemacht habe.

Ja nun, ich muss konstatieren, dass ich erst einen einzigen Pendelschwung miterlebt habe. Auch muss ich gestehen, dass man, je jünger man ist, eher zu Schwarz-Weiß-Denke neigt. Mein inneres, persönliches Pendel ist anscheinend gerade im Umschwung ... von "links-euphorisch" nach "rechts-zweifelnd". Glücklicherweise hat mein Erwachsenwerden mir eine Totalitarismus-Bremse wachsen lassen, da sind keine extremen Ausschwünge mehr zu erwarten. Das aber nur am Rande.

Nun ist mir aufgefallen, dass sie, lieber Zettel, viel optimistischer auf die Welt blicken als ich. Sie haben ja schon einige Pendelschwünge erlebt ... sollte ich es "Altersweisheit" nennen? Ich sehe diese Altersweisheit auch bei Personen des öffentlichen Lebens, sobald sie keinen, oder kaum noch Einfluss haben. Wolfgang Clement, Thilo Sarrazin und nicht zuletzt der großartige Helmut Schmidt sind solche Typen.
Wir haben aber die ungünstige Konstellation, dass die Medien von ewig-linken 68-ern beherrscht werden, die auch nur ebensolchen Nachwuchs unter sich dulden.

Auf der anderen Seite wird das junge Medium Internet vor allem von jungen, engagierten Menschen dominiert, die noch ihrer Schwarz-Weiß-Denke verhaftet sind, und, sofern intelligent und empathiefähig, auch eher links zu verorten sind. Wer soll da den Umschwung einleiten? Die unpolitische Zwischengeneration?

Auch in die sozialdemokratisierte Merkel-Seehofer-Union setze ich da kaum Hoffnung. Die FDP beißt bei denen ja momentan ganz schön auf Granit, wenn ich den Medien glauben schenken soll. Hm ... ich hoffe, dass sie Recht behalten, wenn sie jetzt einen Umschwung erkennen.


Herzlich, Calimero

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... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.10.2009 22:58
#6 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Zitat von Calimero
Mein inneres, persönliches Pendel ist anscheinend gerade im Umschwung ... von "links-euphorisch" nach "rechts-zweifelnd".


Es gibt auch noch "liberal-optimistisch".

Zitat von Calimero
Nun ist mir aufgefallen, dass sie, lieber Zettel, viel optimistischer auf die Welt blicken als ich. Sie haben ja schon einige Pendelschwünge erlebt ... sollte ich es "Altersweisheit" nennen?


Eher nicht, denn das war schon immer mein Blick auf vielleicht nicht die Welt, aber die Bundesrepublik Deutschland.

Ich habe es nie verstanden, wie man unser Land negativ sehen kann. Es hätte anders kommen können. Die Nazis hätten in den fünfziger Jahren politisch so einflußreich werden können, wie es heute die Kommunisten wieder sind. Es hätte auch eine Herrschaft der Linken geben können. Wir hätten wieder Weimarer Verhältnisse bekommen können.

Das alles ist nicht passiert, sondern wir hatten das unglaubliche Glück, mit Adenauer und Heuß zwei herausragende Demokraten - der eine konservativ, der andere liberal - an der Spitze zu haben, und mit Ludwig Erhard einen mutigen Wirtschaftsliberalen.

Seither hat sich die Bundesrepublik zu einem Land entwickelt, in dem mehr Freiheit und mehr Wohlstand herrschen als fast überall auf der Welt. Warum sollte man da nicht optimistisch sein, mit oder ohne Altersweisheit?

Zitat von Calimero
Wir haben aber die ungünstige Konstellation, dass die Medien von ewig-linken 68-ern beherrscht werden, die auch nur ebensolchen Nachwuchs unter sich dulden.


Die Achtundsechziger sind, lieber Calimero, im Ruhestand oder auf dem Weg dorthin. In den nachrückenden Generationen ist, scheint mir, viel in Bewegung. Und zwar in Richtung auf weniger Dogmatismus, auf mehr Freiheit. Der Wahlerfolg der FDP ist ja kein Zufall.

Zitat von Calimero
Auch in die sozialdemokratisierte Merkel-Seehofer-Union setze ich da kaum Hoffnung.


Ich halte die leider verbreitete Auffassung, die Union sei sozialdemokratisiert, für falsch. Eine Partei ändert sich doch nicht radikal innerhalb von wenigen Jahren. Das liberale Leipzig Programm ist gerade mal sechs Jahre alt; 2005 hat Angela Merkel einen Wahlkampf mit ausgesprochen liberalen Zielen geführt.

Die Union hat nur in der Koalition mit der SPD vieles "mittragen" müssen, was sie in einer Koalition mit der FDP nie gewollt hätte. Und zweitens hat allerdings die Kanzlerin aus der Fast-Niederlage 2005 die Konsequenz gezogen, daß CDU und FDP keine Mehrheit erlangen können, wenn sie um dieselben Wähler kämpfen. Sie hat also das Liberale in der Union hintan gestellt, das Soziale betont und war damit ja auch erfolgreich.

Herzlich, Zettel

FAB. Offline



Beiträge: 523

13.10.2009 07:53
#7 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Zitat von Calimero
Schauen wir gerade einer Nation beim Untergang zu?


Die Antwort auf diese Frage wird offensichtlich, wenn man in diesen Tagen in einem vormals konservativen Presseorgan wie der FAZ liest:

Zitat von FAZ 10.10.2009
Bereits in fünf Jahren wird in jeder deutschen Großstadt im Durchschnitt die Hälfte der Grundschulkinder nichtdeutscher Herkunft sein. Deutschland wird eine Multi-Minoritäten-Gesellschaft werden. Die deutsche Ethnie wird auf lange Sicht vielerorts auf eine der großen Minderheiten schrumpfen. So wird es aussehen - ob es dem Notenbanker Sarrazin gefällt oder nicht.


Ein solches Faktum, das nach den in der Geschichte der europäischen Völker bislang üblichen Maßstäben doch wohl eine Ungeheuerlichkeit darstellt, in dieser schnoddrigen Gleichgültigkeit nebenbei fallenzulassen, offenbart eine Geisteshaltung, die dem "gezierten Achselzucken der Kavaliere von Versailles" vor der Guillotine entspricht. Die Geisteshaltung einer Gesellschaft, die ihrem selbstverschuldeten Ende in einer abscheulichen Mischung aus Frivolität und Abgestumpftheit entgegensieht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.10.2009 09:44
#8 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

Zitat von FAB.
Ein solches Faktum, das nach den in der Geschichte der europäischen Völker bislang üblichen Maßstäben doch wohl eine Ungeheuerlichkeit darstellt, in dieser schnoddrigen Gleichgültigkeit nebenbei fallenzulassen, offenbart eine Geisteshaltung, die dem "gezierten Achselzucken der Kavaliere von Versailles" vor der Guillotine entspricht. Die Geisteshaltung einer Gesellschaft, die ihrem selbstverschuldeten Ende in einer abscheulichen Mischung aus Frivolität und Abgestumpftheit entgegensieht.


Ich teile, lieber FAB., Ihren tiefen Pessimismus nicht. Wir stehen meines Erachtens am Scheideweg: Entweder wird endlich eine aktive nicht nur Integrations- , sondern Assimilationspolitik in Angriff genommen. Oder wir werden zwar nicht das Ende unserer Gesellschaft erleben (dafür sehe ich eigentlich kein Indiz), sondern eine multiethnische Zweiklassengesellschaft mit allen damit einhergehenden Problemen.

Was unsere Kultur angeht, halte ich sie - schon weil sie ja nur ein Teil der abendländischen Kultur ist, zu der auch die sehr vitale amerikanische Kultur gehört - für nicht gefährdet. Sie wird auch im schlimmsten Fall die in Deutschland dominierende Kultur bleiben. Die Frage ist aber, ob es gelingt, die Mehrzahl der Einwanderer an unsere Kultur zu assimilieren (so wie das in den USA immer noch gelingt; wie es in Frankreich besser gelingt, als viele meinen), oder ob wir eine Unterklasse mit ihren eigenen Kulturen bekommen. Es wären dann ja viele.

Das ist aus meiner Sicht eine Frage des politischen Willens. Ich hoffe, daß die neue Regierung auch hier einen Neuanfang wagt.



Um die Dimensionen des Problems richtig einzuschätzen - sie nicht zu überschätzen -, muß man sehen, daß ja, wie Sarrazin richtig schreibt, keineswegs alle Einwanderer Integrationsprobleme haben. Es sind vor allem Araber, Türken und teilweise Jugoslawen.

Die größte Gruppe sind - das wird auch in dem von Ihnen verlinkten Artikel erwähnt - die Osteuropäer; viele Deutschstämmige, viele Juden mit Bindungen an die westeuropäische Kultur. Diese haben überwiegend nicht nur kein Integrationsproblem, sondern sind assimilationswillig.

Von den 15,3 Millionen "Menschen mit Migrationshintergrund" (warum nennt man sie nicht einfach Einwanderer) sind nur drei Millionen Türken. Betrachtet man die Einwanderer insgesamt, dann sehen die Zahlen so aus (Grafik auf S. 33 des aktuellen "Spiegel"): 90,4 Prozent haben einen Schulabschluß (Deutsche: 98,5 Prozent). Davon haben 15,2 Prozent die Allgemeine Hochschulreife - sogar etwas mehr als die eingesessenen Deutschen (15,0 Prozent). Erwerbslos sind 14,1 Prozent - ein doppelt so hoher Prozentsatz wie bei den Deutschen (7,5 Prozent). Das sind Daten des Mikrozensus 2005; über die niedrige Arbeitslosenquote wundere ich mich etwas.



Das eigentliche Problem, lieber FAB., sind aus meiner Sicht also nicht die Einwanderer schlechthin, sondern die drei genannten Problemgruppen. Besonders bei den Türken besteht die Gefahr, daß sie in einigen Regionen und Städten (Berlin ist sicherlich der krasseste Fall) abgeschlossene Gemeinschaften bilden, die nicht mehr integrations- geschweige denn assimilationswillig sind und die zu einem erheblichen Teil von Sozialhilfe leben. In Berlin leben (laut einer anderen Grafik im "Spiegel"; S. 35 mit Daten des DIW Berlin von 2008) 33,9 Prozent der Türkischstämmigen von Arbeitslosengeld I oder II, aber nur 11,6 Prozent der Deutschen).

Sarrazin hat die Hand in diese Wunde gelegt. Man sollte ihm dafür eine Stufe des Bundesverdienstkreuzes verleihen, die er noch nicht hat. Daß er stattdessen öffentlich heruntergemacht wurde, ist nicht nur eine Schande, sondern es ist auch eine Dummheit. Denn wenn dieses Problem jetzt nicht endlich angepackt wird, dann werden die Folgen auch diejenigen nicht freuen, die jetzt Sarrazin attackieren.

Solange in Berlin Sozialisten und Kommunisten regieren, gibt es dafür freilich keine Chance. Wie im Bund ist die Voraussetzung für eine Besserung ein Regierungswechsel.

Und deshalb mein ceterum censeo, lieber FAB.: Es ist sinnvoll und notwendig, zur Wahl zu gehen und die FDP oder die Union zu wählen. Es wird in Zukunft noch wichtiger sein als bisher, weil die Alternative in der Regel eine Regierung unter Beteiligung der Kommunisten sein wird, die, was die Ablehnung einer Assimilationspolitik angeht, die Grünen weit in den Schatten stellen. Ein Marxist hat kein Verhältnis zur Kultur, schon gar nicht zu seiner Nationalkultur.

Herzlich, Zettel

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

14.10.2009 14:37
#9 RE: Niedergang einer Nation, oder doch nicht? Antworten

In Antwort auf:
Ein solches Faktum, das nach den in der Geschichte der europäischen Völker bislang üblichen Maßstäben doch wohl eine Ungeheuerlichkeit darstellt, in dieser schnoddrigen Gleichgültigkeit nebenbei fallenzulassen, offenbart eine Geisteshaltung, die dem "gezierten Achselzucken der Kavaliere von Versailles" vor der Guillotine entspricht. Die Geisteshaltung einer Gesellschaft, die ihrem selbstverschuldeten Ende in einer abscheulichen Mischung aus Frivolität und Abgestumpftheit entgegensieht.



Lieber FAB,

zufällig las ich gestern im Internet etwas zu Ihrem Thema. Es ist eine Kernthese Dalrymples, daß durch den modischen Relativismus Unterschiede, etwa zwischen Kulturen, für unbedeutend erklärt werden und damit gleichgültig werden. Dann gibt es natürlich auch keinen Grund, die eigene Kultur zu schätzen oder gar zu verteidigen (geschweige denn überhaupt zu kennen). All dies ist nur möglich, wenn man die gewaltigen Unterschiede einfach nicht sehen will, genausowenig, wie die literarischen Reisenden der Zwanzigerjahre die grausame Realität der Sowjetunion einfach nicht wahrnehmen wollten. Die Kavaliere zeigten vor der Guilloetine Contenance, unsere Meinungsführer eher Ignoranz!

Herzlich, Thomas

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