Aus Anlaß der jüngsten Erklärungen Tim Geithners über die Managervergütung, die der "Gehälterzar" Ken Feinberg vor einigen Wochen drastischen Einschnitten unterworfen hat, und der Ankündigung der "Bank of America", die Rettungsgelder zurückzuzahlen, diskutiere ich das Phänomen der sogenannten "Zaren" in der US-Regierung.
Also dass die Vereinigten Staaten einen Drogenzaren unter Vertrag haben finde ich ja allerliebst.
Das Spielchen "Und wenn ich mal nicht weiter weiß, bild' ich einen Arbeitskreis" kennt man ja auch von woanders her - aber ein Große-Seen-Beauftragter? Diese "Zaren-Ansammlung" ist schon echt funny. Ich denke, dass ihre "Krücken"-Analogie es genau trifft, lieber Kallias.
Schöne Story, Danke dafür.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat von Calimero - aber ein Große-Seen-Beauftragter?
Irgendwer muß sich ja mal um die Verschmutzung der Großen Seen kümmern. Zuerst glaubte ich, Obama wollte in erster Linie für die Kumpels aus seiner Heimatstadt sorgen; und richtig, Zar Cameron Davis ist Leiter einer Umweltorganisation in Chicago.
Das Problem wurde indessen schon von Bush erkannt: wie die "Seattle Times" schreibt, gab es im Dez. 2005 einen großen Plan zur Rettung der Großen Seen, der jedoch an Geldmangel litt.
Obama will in den kommenden zehn Jahren 5 Mrd. Dollar ausgeben. Auf dieses Geld warten bereits 140 staatliche Umweltschutzprogramme mit aufgesperrten Schnäbeln.
Der Zar soll nun sicherstellen, daß das Geld effizient eingesetzt wird. Wir alle sollten ihm viel Erfolg wünschen.
in der Bezeichnung "Zar" kann ich ja noch eine gewisse Ironie, ja, sogar Selbstironie erkennen; aber jedesmal, wenn ich von den brüsseler "Kommissaren" höre, läuft's mir kalt über der Rücken.
Zitat von Thomas Pauliin der Bezeichnung "Zar" kann ich ja noch eine gewisse Ironie, ja, sogar Selbstironie erkennen;
In der Wikipedia steht dazu die Vermutung, daß "King" für einen Amerikaner zu negativ besetzt sei; "Czar" sei ähnlich exotisch wie "Mogul" oder "Tycoon".
Zitat von Thomas Pauliaber jedesmal, wenn ich von den brüsseler "Kommissaren" höre, läuft's mir kalt über der Rücken.
Ich habe mich auch schon gefragt, lieber Thomas, was es mit dieser Amtsbezeichnung auf sich hat. Ein Kommissar ist ja der Wortbedeutung nach einfach ein Beauftragter oder Entsandter; und in der ursprünglichen EWG haben eben die sechs Regierungen ihre Vertreter nach Brüssel entsandt. Sie traten dort kommissarisch für ihre jeweilige Regierung auf, so wie zum Beispiel der Hochkommissare der Alliierten in der Besatzungszeit diese in Deutschland vertraten.
Heute paßt der Begriff nicht mehr; sie müßten Minister heißen. Obwohl von der Wortbedeutung her ...
Zitat von KalliasAus Anlaß der jüngsten Erklärungen Tim Geithners über die Managervergütung, die der "Gehälterzar" Ken Feinberg vor einigen Wochen drastischen Einschnitten unterworfen hat, und der Ankündigung der "Bank of America", die Rettungsgelder zurückzuzahlen, diskutiere ich das Phänomen der sogenannten "Zaren" in der US-Regierung.
Ich habe mich, lieber Kallias beim Lesen Ihres schönen Artikels an meinen Beitrag über Van Jones erinnert, der inzwischen freilich als Umweltzar gestürzt wurde.
Ich habe mich damals gefragt, wie ein solches Amt ohne unmittelbare Befugnisse eigentlich funktioniert. Wie kann jemand etwas bewirken, der außer in seinem eigenen Stab gar keine Weisungsbefugnis hat?
Manchmal findet man die Antwort auf eine Frage dadurch, daß sich eine weitere Frage stellt. Gestern habe ich in dem Afghanistan-Thread diesen Artikel der NYT verlinkt, in dem detailliert geschildert wird, wie es zu den jetzigen Afghanistan-Entscheidungen Obamas kam.
Da habe ich mich auch gefragt, wie solche verworrenen, parallelen, heterarchischen Entscheidungsstrukturen eigentlich funktionieren können.
Dort schien mir die Antwort zu sein: Divide et impera. Der Präsident läßt alle möglichen Ämter, Task Forces, vermutlich auch Zaren parallel arbeiten und sich mal mit- mal gegeneinander abmühen. Vieles hebt sich dabei gegenseitig auf. Am Ende gliedern sich einige Alternativen heraus, zwischen denen der Präsident dann selbstherrlich eine Entscheidung trifft.
Es scheint ungefähr so zu sein wie in einem amerikanischen Strafprozeß, in dem der Richter Anklage und Verteidigung sich miteinander herumschlagen läßt, nur gelegentlich einmal mahnend eingreift und am Ende entscheidet (sofern das nicht Sache der Geschworenen ist).
Aus europäischer Sicht, mit unseren klaren Zuständigkeiten und unserer Beamten-Hierarchie, erscheint das einigermaßen chaotisch. Aber vielleicht sind es ja im Grunde überlegenere Strukturen, parallel distributed processing.
Zitat Ein Kommissar ist ja der Wortbedeutung nach einfach ein Beauftragter oder Entsandter...
Lieber Zettel,
davon würde ich sicher keine Gänsehaut bekommen. Ich assoziiere damit immer noch kommunistische Massenerschießungen und ganz allgemein die kriegsmäßige Organisation einer Gesellschaft, die von Ernteschlacht zu Produktionsschlacht über Leichen geht.
Zum Thema vielleicht auch ganz interessant dieser Artikel in der gestrigen NYT. Danach hat die USA-Regierung mit dem Bailout der Banken sogar wahrscheinlich ein Geschäft gemacht:
Zitat von NYTBut the government is projecting a $19 billion profit and perhaps more on the $245 billion lent to banks, through interest, dividends and the sale of warrants the government received as collateral.
Auch hier scheint der vielgescholtene George W. Bush es richtig gemacht zu haben.
Zitat Es scheint ungefähr so zu sein wie in einem amerikanischen Strafprozeß, in dem der Richter Anklage und Verteidigung sich miteinander herumschlagen läßt, nur gelegentlich einmal mahnend eingreift und am Ende entscheidet
Lieber Zettel,
da ist sicher was dran: Die zahlreichen politischen Einflüsse solange mit sich ringen lassen, bis sich Sieger herauskristallisieren, zwischen denen (oder für die) man sich entscheidet. Das ganze moderiert durche einen Abgesandten, der die Entwicklungen verfolgt oder manipuliert ohne den Präsidenten zu belasten. Mir scheint jedoch, daß das auch für eine gewisse Sklerotisierung des politischen Prozesses in den USA spricht. Es gibt dort ein Hofschranzentum, das an Byzanz erinnert - mit einer Vielzahl an Behörden, Zuständigkeiten, Rangkämpfen und auch so einer Art Etikettepolizei in Gestalt einflußreicher Kolumnistinnen, die mit Klatsch vernichten können. Alles nicht zu belegen, weil hinter den Kulissen stattfindend, aber als Ganzes ahnbar. Vielleicht geht es ja dem einen oder anderen Kommentator hier genauso?
Zitat von Thomas PauliVielleicht geht es ja dem einen oder anderen Kommentator hier genauso?
Jupp, genauso! Auch ihre Abneigung gegen "Kommissare" teile ich hundertprozentig.
Wenn ich dieses Beauftragten(un)wesen mal von der ökonomischen Seite her betrachte, stehen mir die Haare zu Berge. Wer es sich als echter Chef (der den ganzen Zirkus auch bezahlt) leisten möchte, nach divide et impera zu agieren, der soll dies tun. Kann von Vorteil sein.
Bei einem bezahlten Angestellten (sowas Ähnliches ist der US-Präsident ja auch, bezahlt vom amerikanischen Volk) erwarte ich aber nicht, dass er sich auf unendlich viele "Krücken" stützt. Ich sehe da zwei Probleme.
Erstens wird eine einmal aufgeblähte Bürokratie, mit Spezialgebieten und Parallelstrukturen, wohl kaum wieder aufgelöst werden können - allenfalls mit all ihrem Personal woanders integriert. Es kostet also dauerhaft.
Und zweitens kann ein Chef, wenn er erstmal sämtliche Nebenthemen an Beauftragte delegiert hat, diese, sowie die Selbstbeschäftigung derselben, nicht mehr kontrollieren (Aus den Augen, aus dem Sinn!). Führung wird so zur Nebelwolke, in der abwechselnd Beteiligte mal zu Wort kommen, und mal abgewatscht werden können.
Von einem angestellten Chef würde ich anderes erwarten. Der soll keine Heerscharen von Beauftragten (nebst Mitarbeiterstab) installieren, sondern mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitarbeitern und deren Fachkompetenz zu Entscheidungen gelangen.
Beste Grüße, Calimero
P.S. Ich überlege, ob ich unsere Drogenbeauftragte Sabine Bätzing fürderhin als Drogenzarin bezeichnen sollte.
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Diese Vervielfältigung der Posten und Zuständigkeiten könnte mit der demokratischen Idee zu tun haben, die Exekutive parlamentarisch zu kontrollieren. Die ursprünglichen Gehilfen und Ratgeber des Präsidenten (oder Königs) sind die Minister: die sind inzwischen dem Parlament verantwortlich, und so liegt es für den Präsidenten nahe, sich einen neuen Kranz von Mitarbeitern zu schaffen, die ihm allein unterstehen.
Sodann kann sich das Spiel wiederholen. Zum Beispiel wird seit Juli im Kongress über ein "Czar Accountability and Reform (CZAR) Act of 2009" beraten, das dem Präsidenten die Bezahlung seiner Zaren verbieten soll, falls diese vom Senat nicht bestätigt worden sind.
Mit Ihrer Diagnose einer Sklerotisierung könnten Sie recht haben. Unverkennbar ist das Zarentum ja eine Reaktion auf die bereits bestehende Immobilität der Institutionen.
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