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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 12 Antworten
und wurde 3.494 mal aufgerufen
 Pro und Contra
califax Offline




Beiträge: 1.502

16.12.2009 15:16
Regietheater Antworten

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/d...blut_und_kotze/

Diesem Artikel möchte ich stehend applaudieren.
Zettel hat hier irgendwo schon einmal beschrieben, wie die freche Auslegung von Theaterstücken das steife Spießerzeremoniell der authoritären Epoche gebrochen und durchgelüftet hat.
Ich gehöre zu einer Generation, die nie eine Chance hatte, einen Schiller, Goethe oder gar Wagner so zu sehen, wie er mal gedacht und erfolgreich war.
Klischeenazis, schlechtester Porno, müder Abklatsch der Lightshows von Rockkonzerten, verspießerte Möchtegernpunks, eine Regie, die uns für so dumm hält, daß wir unmöglich selbst über ein Stück nachdenken könnten, und überall die dämlichsten Marxismusversuche.
Das ist es, was man uns bietet, wenn wir mal eine Oper von Verdi sehen wollen.
Sich vorher über die Handlung oder gar die Texte zu informieren, ist sinnlos - die Inszenierung hält sich ja eh nicht dran.
Wir können überall nur Parodie, Uminterpretation, Ruine und Dekonstruktion von Stücken sehen,
doch die Stücke selbst gibt es nur noch im Ausland.
Deutsches Theater sollte man besser außerhalb Deutschlands versuchen.
Russische Goethefans, die sich nach jahrelangem Sparen den Traum erfüllen, eine mühsame und teure Pilgerfahrt nach Deutschland zu unternehmen, müssen enttäuscht und abgezockt feststellen, daß der Meister bei ihnen zu Hause besser gegeben, vor allem aber als Künstler respektiert wird.

--
Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

16.12.2009 15:49
#2 RE: Regietheater Antworten

Vorsicht!!!! Diskussionen über das Regietheater arten in Musik-Foren regelmäßíg in Schlachten aus, gegen die sich der 30jährige Krieg wie die Wochenendbalgerei eines Altersheims ausnimmt...

Klonovskys Beitrag ist übrigens schon länger auf seiner Homepage zu lesen.

califax Offline




Beiträge: 1.502

16.12.2009 15:54
#3 RE: Regietheater Antworten

Zitat von JeffDavis
Vorsicht!!!! Diskussionen über das Regietheater arten in Musik-Foren regelmäßíg in Schlachten aus, gegen die sich der 30jährige Krieg wie die Wochenendbalgerei eines Altersheims ausnimmt...



Dann hat Kritik an ihnen wohl in etwa den Mut, den sich die Regisseure einbilden.

--
Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.12.2009 18:27
#4 RE: Regietheater Antworten

Zitat von califax
Zettel hat hier irgendwo schon einmal beschrieben, wie die freche Auslegung von Theaterstücken das steife Spießerzeremoniell der authoritären Epoche gebrochen und durchgelüftet hat.


Ja, es gibt in ZR zwei Artikel zum Regietheater; vom Juni 2007 und im August 2007.

Herzlich, Zettel

califax Offline




Beiträge: 1.502

16.12.2009 19:14
#5 RE: Regietheater Antworten

Zitat von Zettel

Ja, es gibt in ZR zwei Artikel zum Regietheater; vom Juni 2007 und im August 2007.



Danke, daß Sie diese beiden aus dem Archiv gekramt haben.
Ich meinte aber einen anderen, bei dem es freilich nicht so sehr um das Regietheater und mehr um ein Haus und dessen
belebenden Einfluß auf die Theaterlandschaft ging.

--
Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

17.12.2009 08:59
#6 RE: Regietheater Antworten

Zitat von califax
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/mit_sperma_blut_und_kotze/
Diesem Artikel möchte ich stehend applaudieren.


Da stelle ich mich auch sehr gerne applaudierend hin!

Ich habe es über Jahrzehnte vermieden, nicht immer ohne schlechtes Gewissen, mir eines dieser Regietheater-Produkte komplett anzusehen - die gelegentlich gezeigten Ausschnitte in "Kulturmagazinen" reichten mir völlig. Das Problem ist doch, daß man (oder zumindest ich) Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommt, die dort einmal angekommen sind. Insbesondere die extremen. Und daß solche Bilder nur Abstumpfung und Gehirnwäsche bewirken können. Es ist sehr wohltuend festzustellen, daß das schlechte Gewissen in der Regel unbegründet und die eigene Einschätzung richtig war. Das mir dadurch manche wichtige klassische Theaterstücke verborgen geblieben sind, ist natürlich sehr schade, ich hätte es ohne das deutsche Schulprogramm nötiger gehabt als Andere.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

17.12.2009 10:12
#7 RE: Regietheater Antworten

Wer sich aber weder dem Lager der Regietheaterfreunde noch dem der Anhänger musealer Aufführungen zugehörig fühlt, der sitzt zwischen den weltanschaulichen Stühlen. Denn meistens geht es den Diskutanten gar nicht um die Kunst, sondern um das Rechthaben und -behalten. Jedes Lager fokussiert sich auf Extremfälle der anderen Seite, um dann allein damit alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Differenziert wird nicht. In Wirklichkeit verläuft die Trennline nicht zwischen Regietheater und traditionell-romantisierender Auffassung, sondern zwischen schlechter und guter Kunst. Beide Begriffe sind zwar kein Musterbeispiel an begrifflicher Schärfe, machen aber doch klar, daß sich die Qualität eines künstlerischen Konzepts nicht danach bemißt, wie weit und wie plakativ sich ein Regisseur vom eigentlichen Stück entfernt.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

17.12.2009 10:28
#8 RE: Regietheater Antworten

Zitat von JeffDavis
In Wirklichkeit verläuft die Trennline nicht zwischen Regietheater und traditionell-romantisierender Auffassung, sondern zwischen schlechter und guter Kunst.


Ja, da haben Sie ganz gewiß Recht, lieber JeffDavis.

Ich habe tolle Inszenierungen zB von Zadek und Peymann gesehen, die man dem "Regietheater" zurechnen könnte. Aber sie waren immer von Respekt vor dem Werk bestimmt. Zadek hat während der Proben ständig mit den Schauspielern darüber diskutiert, wie denn dies und jenes bei Shakespeare, bei Ibsen gemeint sein könnte, wie es zu verstehen sei.

Die Inszenierung des Tartuffe, auf die ich in dem verlinkten Artikel eingegangen bin, war von völlig anderer Art. Sie ließ nicht den geringsten Respekt für das Werk erkennen; sondern der Regisseur bediente sich des Werks, um seine eigenen mehr oder weniger grandiosen Einfälle umzusetzen. Das ist so, als würde man Händel als Rap darbieten.

Übrigens sind werkgetreue Aufführunge mit das Schwerste, was es gibt. In Frankreich noch viel mehr üblich als in Deutschland. Ich habe in dem Artikel Bessons Tartuffe erwähnt.

Und sie sind so wenig museal, wie jemand, der Haydn werkgetreu spielen läßt, deshalb museal ist.

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

17.12.2009 11:07
#9 RE: Regietheater Antworten

Zitat von JeffDavis
Denn meistens geht es den Diskutanten gar nicht um die Kunst, sondern um das Rechthaben und -behalten

Im Prinzip kann ich Ihnen schon zustimmen. Ich habe auch nur meine eigene Perspektive geschildert und daher ist auch das "Rechthaben und -behalten" sicher nicht ganz unbedeutend. Ich hoffe aber, daß Sie auch dafür Verständnis aufbringen können - wenn Sie sich Jahrzehnte innerhalb einer "kleinen unzeitgemäßen Minderheit" befinden, ist einfach eine gewisse Freude nicht zu unterdrücken, wenn sich die Tore dieses Ghettos endlich zu öffnen scheinen.

Zitat von JeffDavis
Wer sich aber weder dem Lager der Regietheaterfreunde noch dem der Anhänger musealer Aufführungen zugehörig fühlt, der sitzt zwischen den weltanschaulichen Stühlen.

Ich empfehle diesen Artikel zum Thema "entweder-oder". Die Ablehnung des gängigen Regietheaters bedeutet auch für mich nicht, ein "Anhänger musealer Aufführungen" zu sein. Ich bevorzuge aber den unrsprünglichen Text und möchte nicht durch sich in den Vordergrund drängende Bilder abgelenkt und "zugedröhnt" werden. Notfalls mache ich mir dazu schon meine eigenen Bilder im Kopf.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

17.12.2009 12:16
#10 RE: Regietheater Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von JeffDavis
In Wirklichkeit verläuft die Trennline nicht zwischen Regietheater und traditionell-romantisierender Auffassung, sondern zwischen schlechter und guter Kunst.


...Respekt vor dem Werk bestimmt. Zadek hat während der Proben ständig mit den Schauspielern darüber diskutiert, wie denn dies und jenes bei Shakespeare, bei Ibsen gemeint sein könnte, wie es zu verstehen sei.




Das ist der beste Begriff: Respekt vor dem Werk!

Ergänzend möchte ich vielleicht hinzufügen die Authentizität der Auffassung des Regisseurs. Auch so ein schillernder Begriff, aber man merkt doch recht schnell, ob es sich um gewollt-provokative oder gewollt-abstoßende Einfälle oder um ein in sich überzeugendes Konzept handelt (selbst wenn man es im Ergebnis nicht teilen mag).


Zitat von Zettel

Übrigens sind werkgetreue Aufführunge mit das Schwerste, was es gibt. In Frankreich noch viel mehr üblich als in Deutschland. Ich habe in dem Artikel Bessons Tartuffe erwähnt.
Und sie sind so wenig museal, wie jemand, der Haydn werkgetreu spielen läßt, deshalb museal ist.



Die Problematik beim Theater kenne ich persönlich nicht, ich komme von der Oper her. Da kann der Regisseur wengistens die Musik nicht nach freiem Gusto verändern.

Bei der Aufführung sog. alter Musik spielt ja die historische Aufführungspraxis eine wesentliche Rolle (da gibt es übrigens auch den Streit zwsichen der romantisierend-traditionellen Fraktion der HOPs von der Böhm-Furtwängler-Karajan Fraktion einerseits, und den HIPs der Gardiner-Jacobs-Christie Fraktion andererseits).

Eine werkgetreue Wiedergabe, da stimme ich Ihnen zu, ist sehr schwer zu realisieren. Im Grunde gibt es sie garnicht, da man die Verhältnisse der Aufführungszeit nicht vollständig nachahmen, die Hörerfahrung des modernen Publikums (Konzert, CDs, Videos, Fernsehen) nicht eliminieren, und oft mangels authentischer Autographen nicht mit Gewißheit sagen kann, wie das Stück ursprünglich gespielt worden ist. Jeder realistische HIP wird deshalb nur eine möglichst genaue Annäherung an das Stück versuchen, und es bleibt genügend Spielraum für eine künstlerisch überzeugende Interpretation. So sollte es idealerweise auch im Theater sein, oder?

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

17.12.2009 12:23
#11 RE: Regietheater Antworten

Lieber Ungelt,

mein Beitrag war auch nicht gegen Sie persönlich gerichtet. Jeder mag sich zum Regietheater stellen wie er es für richtig hält. Nichts ist in der Kunst schlimmer als ideologische Borniertheit oder Angst vor jeder Veränderung.

Übrigens findet man in den einschlägigen Musikforen wie Prospero (Schwerpunkt undogmatisch HIP), Tamino (Schwerpunkt dogmatisch HOP) oder Capriccio (beides, mit Neigung zu HOP)jede Menge Threads zum Regietheater und zur historisch informierten Aufführungspraxis. Da kann man - neben viel Unsinn - auch vernünftige Stimmen lesen...

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

17.12.2009 12:31
#12 RE: Regietheater Antworten

Zitat von JeffDavis
Eine werkgetreue Wiedergabe, da stimme ich Ihnen zu, ist sehr schwer zu realisieren. Im Grunde gibt es sie garnicht, da man die Verhältnisse der Aufführungszeit nicht vollständig nachahmen, die Hörerfahrung des modernen Publikums (Konzert, CDs, Videos, Fernsehen) nicht eliminieren, und oft mangels authentischer Autographen nicht mit Gewißheit sagen kann, wie das Stück ursprünglich gespielt worden ist. Jeder realistische HIP wird deshalb nur eine möglichst genaue Annäherung an das Stück versuchen, und es bleibt genügend Spielraum für eine künstlerisch überzeugende Interpretation. So sollte es idealerweise auch im Theater sein, oder?


Genausio sehe ich das auch.

Aber es ist ja im Theater überhaupt nicht so. Das Stück wird als ein Steinbruch genommen, aus dem man sich irgendwas herausholt. Kaum jemanden würde es interessieren, was XYZ sich ausgedacht hat, wenn er nicht darüber schreiben würde: Molière.

Das ist mein Vorwurf. Man erschleicht sich Publikum.

Herzlich, Zettel

califax Offline




Beiträge: 1.502

17.12.2009 12:57
#13 RE: Regietheater Antworten

Zitat von JeffDavis
Wer sich aber weder dem Lager der Regietheaterfreunde noch dem der Anhänger musealer Aufführungen zugehörig fühlt, der sitzt zwischen den weltanschaulichen Stühlen. Denn meistens geht es den Diskutanten gar nicht um die Kunst, sondern um das Rechthaben und -behalten. Jedes Lager fokussiert sich auf Extremfälle der anderen Seite, um dann allein damit alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Differenziert wird nicht. In Wirklichkeit verläuft die Trennline nicht zwischen Regietheater und traditionell-romantisierender Auffassung, sondern zwischen schlechter und guter Kunst. Beide Begriffe sind zwar kein Musterbeispiel an begrifflicher Schärfe, machen aber doch klar, daß sich die Qualität eines künstlerischen Konzepts nicht danach bemißt, wie weit und wie plakativ sich ein Regisseur vom eigentlichen Stück entfernt.



Da gibt es durchaus zwei orthogionale Trennlinien: gut/schlecht Werkstreue/Regietheater.
Was mich stört, ist daß ich gar keine Wahl habe.
Es scheint keinen Wagner nach seinen Regieanweisungen zu geben. Nicht ohne hohe Reisekosten.
Die Chefideologen sollen ruhig ihre albernen Grabenkämpfe austragen, solange sie mich damit in Ruhe lassen.
Ich möchte selbst entscheiden, was ich mir anschaue.
Und bei vielen Stücken bietet man nur noch die Dekonstruktion, aber nicht das Dekonstruierte.
Das ist keine Bereicherung sondern eine Verarmung, zumal ja auch nichts neues kommt, sondern immer nur dieselben alten Klischees wiedergekäut werden. Nichts ist so engstirnig und gleichförmig wie Revoluzzergeschwätz...
Und wenn man einen Goethe marxistisch interpretiert, ist das noch dazu eine Vergewaltigung.

--
Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.

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