Ein wahrer Wasserfall an blöden Begriffen und Dämlichkeiten rauscht einem da spontan durch den Kopf. Viele fangen mit "Klima-" oder "Umwelt-" an (Klimaschutz, Umweltzone etc.). Andere sind Ergebnisse der immer schneller rotierenden Euphemismus-Tretmühle. Aus Taliban werden "Aufständische" (neuester Begriff: "Einheimische"); aus Brandstiftern werden "Zündler"; aus Land-/Hausfriedensbrechern und Sachbeschädigern werden "Aktivisten" etc.
Aber das ärgert mich ja schon seit Jahren.
2009 fand ich einen Begriff besonders misslungen: "Bildungsstreik".
Begründung: So ein Streik ist eigentlich eine durchkomponierte Auseinandersetzung zwischen zwei voneinander abhängigen Parteien (Friedenspflicht-Verhandlungen-Urabstimmung-Warnstreik-Streik). Beim "Bildungsstreik" gab es m.W. vor allem keine Urabstimmung. Da hat eine Minderheit die Mehrheit einfach mal mit hineingezogen.
Zweitens fehlt die Komponente der gegenseitigen Abhängigkeit. Ob nun ein Teil der Studenten statt in die Uni zu gehen, mit Protestplakaten davor steht, kann der Uni eigentlich egal sein. Die Gelder fließen weiterhin, die Studenten schaden sich eigentlich nur selbst, wenn sie ihr Recht auf Bildung in dieser Zeit nicht wahrnehmen.
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Natürlich fallen mir eine Menge Substantive ein, die für fehlgeleitete staatliche Interventionspolitik stehen. Die Umweltprämie ist dafür nur ein Beispiel. Reichensteuer, (Verschärfung der) Managerhaftung oder Verstaatlichung (der HRE) sind weitere Kandidaten.
All diese Vorschläge wurden stets gerechtfertigt mit dem Wort "alternativlos", weshalb das mein Unwort des Jahres ist.
Die inzwischen inflationäre Verwendung kann man mit google timeline gut nachvollziehen.
Zitat von EierkoppAll diese Vorschläge wurden stets gerechtfertigt mit dem Wort "alternativlos", weshalb das mein Unwort des Jahres ist.
Ausgezeichnet! Das ist sozusagen das Master-Unwort, denn vieles von dem, was durch die anderen Unwörter bezeichnet wird, wurde damit ja gerechtfertigt.
Danke für diesen Denkanstoß lieber Eierkopp (soll keine Beleidigung sein ).
Das unschuldige Wörtchen "alternativ" (mit diversen Anhängseln versehen) ist wohl überhaupt das Unwort der letzten zwanzig Jahre. Es drückt, wie kein zweites, die Sucht der selbsternannten Eliten, nach der Möglichkeit sich von den Normalos abheben zu können, aus.
Ob Alternativmedizin, alternative Landwirtschaft, alternative Stromerzeugung oder einfach nur ein alternatives Leben zu führen vorzugeben - es ist Ausdruck der Langeweile von Etablierten, Angekommenen, Wahrgenommenen und ihren Sprösslingen. Hier nochmal califax' großartiger Artikel zur Langeweile einer Gesellschaft, der es anscheinend zu gut geht.
Eine Alternative zu haben, oder wenigstens zu kennen, ist ja durchaus etwas Positives - aber aus Standesdünkel oder Verblendung alle Alternativen für besser zu halten als Konventionelles, Althergebrachtes, evolutionär Entwickeltes und Modernes ist Ausdruck gepflegter Arriviertheit und eingebildetem Revoluzzertum.
Wenn sich der Architekt und seine grafikdesignende Gattin einen Bauernhof kaufen, sich dort einen Esel in den Stall und zwei Schafe auf die Wiese stellen, mögen sie das für alternatives Leben halten (mit 'nem kleinen Kräuter- und Gemüsegarten punktet man auf der Cocktailparty noch mehr, weil man ja fast autark ist ).
Wenn sich jemand seine Magengeschwüre homöopathisch oder per Handauflegen wegkurieren kann ... bitteschön! Allein, mir fehlt der Glaube.
Der Öko-Strom-Konsument (welcher glaubt, dass seine Steckdose jetzt mit Norwegischer Wasserkraft beschickt wird), wie auch der zwanzigsemestrige Politologiestudent (mit elterlicher Unterstützung für die WG-Miete) glauben, dass sie alternativ leben und ein Beispiel für alle abgeben sollten. Nur ... alles Alternative, das sich nicht von selbst durchsetzen kann sattelt parasitär auf dem Funktionierenden auf. Ohne eine etablierte Basis keine Pseudo-Alternativen.
Jetzt habe ich aber weit ausgeholt . Also für mich ist jedenfalls Alternativ das Gruselwort der letzten Jahre. Brrh!
Beste Grüße, Calimero
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dass es Ihnen inzwischen gelungen ist die Sprachkritik von der Linguistik zu trennen, das finde ich richtig gut.
Dass Sie das Unwort "Unwort" auch nicht mehr soooo schlimm finden ist ebenfalls ein Fortschritt.
Dass Sie das als linke Gutmenschenaktion brandmarken ist in der Schärfe vielleicht nicht jedermanns Sache, geht aber in die richtige Richtung.
Dass Sie aber noch nicht verstanden haben, dass das "Unwort" schon immer und nur politischer Kommentar ist, das verwundert mich. Was soll es denn sonst sein? Was ist Sprachkritik denn anderes? Diese pseudo-gegenöffentliche Anschreiben wider allseits Bekanntes, finde ich immer sehr lächerlich. [Niemand macht einen Hehl daraus. - Edit: Kann gerne überlesen werden weil uneindeutig
Zitat von tagesschau.deDer Vorschlag kam von einem Mitarbeiter einer Baumarktkette. Er hatte berichtet, dieses Wort werde von Abteilungsleitern verwendet, wenn ein Beschäftigter von einer Filiale mit Betriebsrat in eine ohne wechseln will.
Ich glaub, den Quatsch braucht man echt nicht mehr ernst nehmen.
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Das nun erwählte Unwort ergibt bei einer Google-Suche genau 5(!) - in Worten: f ü n f - Treffer, die nicht im Zusammenhang mit der Preisverleihung stehen. Es wurde in einem Artikel der Berliner Zeitung und in einer ARD-Monitorsendung zitiert. Das soll nun ein (Un)wort des Jahres sein ???
Zitat von vielleichteinlinkerJa, so ist Sprachkritik. Es geht nicht um ein besonders prägendes oder häufig verwendetes sondern um ein besonders schlimmes Wort.
Sie haben den Smiley vergessen.
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Zitat von vielleichteinlinkerdass es Ihnen inzwischen gelungen ist die Sprachkritik von der Linguistik zu trennen, das finde ich richtig gut.
Oh, habe ich das getan? Das wollte ich nicht.
Die Linguistik hat viele Zweige, von der formalen Linguistik, wie sie von Saussure begründet wurde, über die Sprachgeschichte und die Psycholinguistik, ja die physiologische Linguistik, die sich mit der Anatomie und Funktionsweise des Sprechapparats befaßt, bis zur Pragmatik. Und der Pragmatik - dem Zweig, der sich mit der Verwendung von Sprache im kommunikativen und gesellschaftlichen Kontext befaßt - würde ich die Sprachkritik durchaus zuordnen.
Zitat von vielleichteinlinkerDass Sie das Unwort "Unwort" auch nicht mehr soooo schlimm finden ist ebenfalls ein Fortschritt.
Da haben Sie mich leider mißverstanden. Ich hatte ja früher geschrieben, daß ich "Unwort" für das schlimmste Unwort halte; so ähnlich. Daran hat sich nichts geändert.
Wenn ich jetzt selbst Unwörter gesucht und zur Suche aufgefordert habe, so in gewissermaßen parodistischer Absicht. Ich dachte eigentlich, ich hätte das in dem Artikel deutlich gemacht, als ich erst eine dieser grandiosen "Begründungen" zitiert und dann gesagt habe, daß ich jetzt analog verfahren würde.
Zitat von vielleichteinlinkerDass Sie aber noch nicht verstanden haben, dass das "Unwort" schon immer und nur politischer Kommentar ist, das verwundert mich. Was soll es denn sonst sein? Was ist Sprachkritik denn anderes?
Es geht nicht darum, lieber Vielleichteinlinker, was ich verstanden habe oder was nicht. Es geht darum, daß die Frankfurter Jury zuerst im Namen der "Deutschen Gesellschaft für Sprache" geurteilt hat und auch heute noch vorgibt, nicht linke Politik zu betreiben, sondern eben Sprachkritik.
Ihre Frage, was Sprachkritik denn anderes sei als ein politischer Kommentar, verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Die Académie Française beispielsweise übt Sprachkritik. Ich habe mich gelegentlich in Sprachkritik versucht, wenn ich dumme Anglizismen angeprangert habe. Die erste große Welle der Sprachkritik in Deutschland fand im frühen 18. Jahrhundert statt. Diese "Sprachreiniger" haben überhaupt erst die deutsche Sprache hervorgebracht, deren sich die Klassik bedienen konnte (und die sie freilich selbst geprägt hat).
Google berichtet übrigens im Moment (19.1.; 19:20 Uhr) von 60.000 Fundstellen. Wenn man allerdings in Google nach "betriebsratsverseucht" OHNE "Unwort" sucht, kommt man gerade mal auf 400 Fundstellen.
Das zeigt zweierlei:
Erstens dass da mal wieder ein toller Pappkamerad aufgebaut wurde, auf den man dann einschlägt: Vor der "Entdeckung" durch die Jury war dieses Wort nämlich überhaupt nicht gängig.
Und zweitens die publizistische Macht, die diese Jury hat, wenn sie es schafft, in wenigen Stunden zehntausende Google-Fundstellen zu schaffen.
Zitat Ja, es geht bei Sprachkritik nicht darum ein Wort zu nehmen das besonders oft verwendet wurde sondern (vermeintlich) besonders schlimm ist.
Nun ja. Die Jury selbst definiert ihren eigenen Anspruch wie folgt (auf deren Internetseite): "Bei der 1991 begründeten und seither jährlich stattfindenden Aktion »Unwort des Jahres« sind alle Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, sprachliche Missgriffe zu nennen, die im jeweiligen Jahr besonders negativ aufgefallen sind."
Jetzt mal im Ernst: Ist Ihnen der Begriff "betriebsratverseucht" im Jahr 2009 besonders negativ aufgefallen? Ich wage es zu bezweifeln.
Auch nach den eigenen Kriterien hat die Jury somit einen Fehlgriff getan.
Und wenn ich gerade schon am kritisieren bin: "Bürgerinnen und Bürger" ist eine ganz schlimme Floskel. Dass sie im vorliegenden Fall auch wirklich ohne Sinn und nur als Floskel benutzt wird, kann man daran erkennen, dass es ganz sicher nicht nur "Bürgerinnen und Bürger" sind, die Vorschläge machen dürfen. (Es dürfte wohl kaum geprüft werden, ob die deutsche Staatsbürgerschaft vorliegt). Kürzer und treffender hätte man schreiben können "Jeder" (oder meinetwegen "Jeder Mensch", wenn man eine männliche Form unbedingt vermeiden will, was aber grammatikalisch - und darauf sollte es der Jury wohl ankommen - nicht notwendig wäre).
Zitat von FlorianIst Ihnen der Begriff "betriebsratverseucht" im Jahr 2009 besonders negativ aufgefallen? Ich wage es zu bezweifeln.
Heute am frühen Abend meine ich in einem Blog gelesen zu haben, ich glaube, es war ein Artikel der „Achse“, dass das Wort nie gefallen ist, sondern nur auf „vom Hörensagen“, also auf einem Gerücht beruht. Sehr merkwürdig, das Ganze.
Uwe Richard
edit: Zettel hat einen eigenen Beitrag dieses Phänomen betreffend geschrieben. Damit ist meiner obsolet.
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