Vergleicht man die beiden Artikel, denen ich die Zitate des Tages entnommen habe, dann fällt zunächst der Unterschied im intellektuellen Niveau auf: Seidl schreibt flapsig, polemisch, undurchdacht. Kelek argumentiert sachlich und folgerichtig.
Nicht darum geht es mir aber bei der Gegenüberstellung der beiden Zitate. Ich möche darauf aufmerksam machen, daß Seidl die von ihm angegriffene Kelek mißversteht: Er schreibt ihr zu, den Islam für wesensmäßig totalitär zu halten; während sie gerade seine Reform verlangt, um ihn mit einer freien und aufgeklärten Gesellschaft vereinbar zu machen.
Wie kann man jemanden so fundamental mißverstehen? Ich versuche, eine Antwort zu skizzieren.
Die Abkehr vom absolutistischen Monarchen von Gottes Gnaden duerfte der Punkt sein, an dem sich Staat und Religion im Westen getrennt haben. Der Kolonialismus, The Withe Man's Burden und diese Dinge haben damit nur bedingt zu tun; wenn sie mich fragen.
Nola
(
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22.01.2010 15:05
#3 RE: Zitate des Tages: Claudius Seidl und Necla Kelek
Zitat Zitat Zettel Schwerer wiegt schon die Forderung, der Islam solle sich gefälligst endlich selbst aufklären; solle seinen Anspruch auf die Scharia und das Supremat über den Staat aufgeben und die universalen Menschen- und Freiheitsrechte anerkennen. Das klingt einerseits vernünftig - und übersieht doch, dass die Aufklärung und Säkularisation des christlichen Abendlandes nicht im Vatikan beschlossen und in den Bistümern und Gemeinden exekutiert wurde, sondern dass dieser Prozess fast tausend Jahre dauerte und dass der Weg dahin gesäumt war mit Scheiterhaufen und Bannflüchen, der heiligen Inquisition und Ketzerprozessen, deren Urteile erst im 20. Jahrhundert aufgehoben wurden.
Bedingt das denn, lieber Zettel, das wir ebenso lange warten müssen, bis der Islam im Westen mit dessen Werten angekommen ist? Ich sehe das so: wenn ein Volk innerhalb seiner, für unsere Wertmaßstäbe, unfreien und z.T. unmenschlichen Religion leben will, kann man es nicht verwehren. Aber man kann darauf achten, das es in ihrem eigenen Terretorium geschieht und nicht in einigen Ländern durch Immigration und Einwanderung unter Ausnutzung der dortigen demokratischen Lebensweise und Gesetze geschieht. Wir haben aktuell eine Wirtschafts- und für viele eine Existenzkrise zu bewältigen, da können wir nicht ins Steinzeitalter zurückkehren und diese Probleme auch noch schultern. Einwanderer waren insofern willkommen, daß sie sich hier ein besseres Leben aufbauen können, nicht aber unseres verändern. Meine wohl "unbedeutende" aber ehrliche Meinung.
Zitat von DagnyDie Abkehr vom absolutistischen Monarchen von Gottes Gnaden duerfte der Punkt sein, an dem sich Staat und Religion im Westen getrennt haben. Der Kolonialismus, The Withe Man's Burden und diese Dinge haben damit nur bedingt zu tun; wenn sie mich fragen.
Man kann einen solchen historischen Prozeß wohl zu verschiedenen Zeitpunkten beginnen lassen; freilich erscheint mir Seidls "fast tausend Jahre" a bisserl seltsam - der Beginng der Aufklärung im 11. nachchristlichen Jahrhundert?
Zäsuren, an denenen man ihn vernünftigerweise ansetzen könnte, sind die Frührenaissance (Egon Friedell läßt die "Inkubationszeit" der Neuzeit mit der Schwarzen Pest in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts beginnen), der Humanismus (ungefähr zur Zeit Luthers), die "Frühaufklärung" des 17. Jahrhunderts (Descartes, Newton, Leibniz, Locke); oder aber eben erst die eigentliche Aufklärung im 18. Jahrhundert, die - aus meiner Sicht - in Kant gipfelte.
Dort etwa setzen Sie, liebe Dagny, den Punkt an, wo sich Staat und Religion im Westen getrennt haben. Das wäre dann die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts; also erst die amerikanische und dann die (weit weniger der Aufklärung verpflichtete; sie vielmehr ruinierende) französische Revolution.
Zitat von NolaIch sehe das so: wenn ein Volk innerhalb seiner, für unsere Wertmaßstäbe, unfreien und z.T. unmenschlichen Religion leben will, kann man es nicht verwehren.
Ja, wenn, liebe Nola. Nur erscheint es mir sehr schwer herauszufinden, ob.
Denn es liegt ja im Wesen des islamistischen Fundamentalismus (nur er ist unmenschlich, nicht der Islam als Religion, zu dem sich z.B. auch Necla Kelek bekennt), daß er den Menschen nicht erlaubt, sich frei zu äußern.
Wieviel Prozent der Afghanen standen der Herrschaft der Taliban positiv gegegenüber? Wieviel Prozent der Iraner wollen das Regime der Mullahs? Wer möchte in Saudi-Arabien gern nach den Vorschriften der Wahabiten leben, und wer lieber in einer freien Gesellschaft?
Wir wissen es nicht, liebe Nola. Wir haben nur Indizien. Ein Indiz ist zum Beispiel die Entwicklung im Irak. Dort konnten sich alle Richtungen nach der Befreiung frei entwickeln, einschließlich der schiitischen und sunnitischen Extremisten. In einer Umfrage im Irak, über die ich vor einiger Zeit berichtet habe, sprach sich nur ein Bruchteil der Befragten für eine Gesellschaft nach den Vorschriften der Scharia aus; die meisten traten für eine pluralistische Demokratie ein.
Erst recht gilt das natürlich für die Moslems, die in Europa leben. Sie haben die Vorteile einer freien Gesellschaft kennengelernt und wollen sie in ihrer großen Mehrheit nicht abschaffen. Das kann man daraus schließen, daß sie in ihrer Mehrhheit kaum religiöser sind als die europäischen Christen und daß nur kleine Minderheiten den Islamisten folgen.
Zitat von NolaAber man kann darauf achten, das es in ihrem eigenen Terretorium geschieht und nicht in einigen Ländern durch Immigration und Einwanderung unter Ausnutzung der dortigen demokratischen Lebensweise und Gesetze geschieht.
Auch in den islamischen Ländern, liebe Nola, sollte "es nicht geschehen". Auch hier liegt es - einmal von allen humanitären Überlegungen abgesehen; von dem aus meiner Sicht berechtigten Streben , die Aufklärung zu verbreiten - schlicht in unserem Interesse, daß in islamischen Ländern nicht Islamisten Fuß fassen; schon, weil sie damit zu einem safe heaven für Terroristen werden würden.
Erst recht müssen wir natürlich gegen den Islamismus vorgehen, den einige Bornierte nach Europa zu exportieren versuchen; wir müssen zusammen mit der großen Mehrheit der Moslems gegen ihn vorgehen, die ihn ebenso ablehnen wie wir.
Zitat von NolaWir haben aktuell eine Wirtschafts- und für viele eine Existenzkrise zu bewältigen, da können wir nicht ins Steinzeitalter zurückkehren und diese Probleme auch noch schultern. Einwanderer waren insofern willkommen, daß sie sich hier ein besseres Leben aufbauen können, nicht aber unseres verändern. Meine wohl "unbedeutende" aber ehrliche Meinung.
Das ist auch meine Meinung. Wer versuchen würde, unser Leben im Sinn des Islamismus zu verändern, dem müßten wir entschlossenen Widerstand entgegensetzen.
Allerdings sehe ich diesen Versuch nicht, jedenfalls nicht als erfolgreichen Versuch. Die Zahl der Konvertiten, die der Islam bisher in Deutschland gefunden hat, dürfte verschwindend klein sein. (Leider habe ich keine Zahlen parat. Kennen Sie, oder kennt sonst jemand, Zahlen über die Zahl der Konvertiten in Deutschland, in Europa?).
Mir scheint, liebe Nola, die unbegründete und die Assimilation von Moslems erschwerende Angst vor einer "Islamisierung Europas" ein Irrtum zu sein, der eine gedeihliche Entwicklung, der die Integration und schließliche Assimilation der Einwanderer unnötig erschwert. Aber diese meine Meinung kennen Sie ja; so wie ich zu wissen meine, daß Sie sie nicht teilen.
Zitat von ZettelWieviel Prozent der Afghanen standen der Herrschaft der Taliban positiv gegegenüber? Wieviel Prozent der Iraner wollen das Regime der Mullahs? Wer möchte in Saudi-Arabien gern nach den Vorschriften der Wahabiten leben, und wer lieber in einer freien Gesellschaft?
Wir wissen es nicht, liebe Nola. Wir haben nur Indizien. Ein Indiz ist zum Beispiel die Entwicklung im Irak. Dort konnten sich alle Richtungen nach der Befreiung frei entwickeln, einschließlich der schiitischen und sunnitischen Extremisten. In einer Umfrage im Irak, über die ich vor einiger Zeit berichtet habe, sprach sich nur ein Bruchteil der Befragten für eine Gesellschaft nach den Vorschriften der Scharia aus; die meisten traten für eine pluralistische Demokratie ein.
Ich habe das jetzt nachgesehen. Es gab eine Umfrage im Irak, die im März 2008 veröffentlich wurde, und aus der hervorging, wie sehr der Surge die Lebensbedingungen im Irak verbessert hatte. Ich meinte aber eine Umfrage ein Jahr später, zu der ich dieses kleine Quiz angeboten hatte.
Eine der Fragen - Frage 15 -lautete in meiner Übersetzung:
Zitat von Frage 15Es gibt Unterschiede darin, wie die Regierung in einem Land beschaffen ist. Man nennt dies das politische System. Ich lese Ihnen jetzt drei Möglichkeiten vor. Welche, glauben Sie, wäre für den Irak heute die beste?
(A) Starker Führer: Eine Regierung, die von einer einzigen Person auf Lebenszeit geführt wird
(B) Islamischer Staat: In ihm regieren Politiker nach religiösen Prinzipien
(C) Demokratie: Eine Regierungform mit der Möglichkeit, daß man die Regierung von Zeit zu Zeit durch eine andere ersetzen kann.
Ich hatte in dem Quiz verschiedene Fragen dazu gestellt. Die richtigen Antworten konnte man hier finden. Für (B) - den islamischen Staat - sprachen sich 26 Prozent der Schiiten, 15 Prozent der Kurden und 11 Prozent der Sunniten aus.
64 Prozent der Befragten wählten Option (C), also die pluralistische Demokratie.
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