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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 24 Antworten
und wurde 1.711 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

11.02.2010 13:15
Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Bei Menschen findet man das nicht selten, daß sie selbst sich ganz anders wahrnehmen, als sie von anderen wahrgenommen werden. Bei Staaten kann das ähnlich sein; beispielsweise bei Deutschland.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.02.2010 14:06
#2 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Schon interessant.
Aber wie so oft: Manche Beobachtung sagt mehr über den Beobachter als über das Beobachtete.

Schon richtig, daß Deutschland wichtiger, finanzstärker und erfolgreicher ist als es hierzulande oft dargestellt oder wahrgenommen wird.

Aber die Stratfor-Experten unterstellen Deutschland hier Motive und Einsichten, die ihnen normal und selbstverständlich vorkommen - aber wohl nicht der hiesigen Denkweise entsprechen.

Es wird manche Politiker in Berlin geben, die manchmal an eine Führungsrolle Deutschlands denken. Immerhin gab es ja mal die Idee an einen Sitz im Sicherheitsrat.
Aber eigentlich ist das eine exotische Vorstellung, Deutschland will nicht wirklich eine Führungsrolle und wüßte auch kaum, was es damit anfangen sollte (und die Idee mit dem Sicherheitsrat ist ja auch sanft entschlafen, sie wurde nie ernsthaft betrieben).

Sollte sich nun Deutschland wirklich an einer Griechenlandhilfe beteiligen (was ich befürchte), dann bestimmt nicht, um eine Führungsrolle abzusichern oder gar "die Zügel in der Hand zu behalten".

Hajo Offline



Beiträge: 440

11.02.2010 15:14
#3 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Ein Staat ist ja nicht in einer Führungsrolle, weil er gerne in einer Führungsrolle sein möchte, sondern mit dieser Absicht verbinden sich ja Absichten. Will sagen: Die Führungsrolle ist ja nur Mittel zum Zweck. Welchen Zweck aber könnte Deutschland damit betreiben? Mir fiele keiner ein. Deutschland und Macht; das erscheint mir wie die Beziehung zwischen einem Eunuchen und einer Hure.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.02.2010 15:46
#4 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Hajo
Deutschland und Macht; das erscheint mir wie die Beziehung zwischen einem Eunuchen und einer Hure.


Ganz so ist es auch wieder nicht.
Deutschland benutzt seine Macht immer wieder ganz handfest, man denke da nur an die jüngsten Erpressungen in Richtung Schweiz/Liechtenstein oder Schröders Förderung der russischen Außenpolitik.

Aber das ist alles sporadisch. Die meiste Zeit läßt man alles passiv treiben, um dann ab und zu auf den Tisch zu hauen und recht undiplomatisch etwas einzufordern.

Zu einer "Führungsrolle" würde natürlich viel mehr gehören, insbesondere andere Staaten, die diese Rolle unterstützen, und auf deren Interessen die Führungsmacht dann auch Rücksicht nehmen bzw. diese fördern müßte.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

11.02.2010 16:08
#5 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Hajo
Deutschland und Macht; das erscheint mir wie die Beziehung zwischen einem Eunuchen und einer Hure.



Der Vergleich ist zwar ein bissl drastisch, aber er trifft doch schon ins Schwarze.

Mir erscheint Deutschland wie ein Klassenstreber, der immer seine Hausaufgaben macht, ständig Vorreiter sein will, und um seine (vermeintliche) Beliebtheit zu festigen auch noch demjenigen Zweimarkfuffzich rüberschiebt, der sein Essensgeld selbst verzockt hat - auch wenn das eigene Taschengeld schon fast weg ist.

Deutschland und Machtstreben? No way! Man will lediglich am Tisch der Mächtigen einen Platz haben, an dem man eventuell mal ein virtuelles Fäustchen gaaanz langsam auf die Tischplatte senken könnte.

Das berliner Kasperletheater duckt sich unter den EU-Ukas' weg, während die 16 Länderfürsten sich gegenseitig selbst, und auch noch die Bundesregierung blockieren oder zu Kompromissen zwingen.

Machtgeilheit sehe ich schon bei den politischen Protagonisten dieser Republik, aber Machtwille überhaupt nicht, denn dazu würde die Bereitschaft zu Angriffs- und Verteidigungsfähigkeit (die eigenen Standpunkte betreffend) gehören. Sowas sehe ich hier derzeit nicht.

Beste Grüße, Calimero

Nachtrag: Hab einmal Machtstreben durch Machtwille ersetzt.

----------------------------------------------------
Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

11.02.2010 16:41
#6 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Lieber Zettel,

dieser Satz von "einem der reichsten Länder" wird auch durch Wiederholung nicht wahrer. Haben Reiche denn wirklich so viele Schulden? Und eine reichhaltige Infrastruktur werden wir bein den verfallenden Grundlagen unseres Reichtums auch bald nicht mehr haben, denn wenn wir unsere Kinder von den "harten" Studiengängen fernhalten, unsere Jungen keine Männer mehr sein lassen und akzeptieren, daß ein hoher Prozentsatz der "Absolventen" unseres sagenhaft teuren Schulsystems nie in der Lage sein werden, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten, dann fehlen einfach die Mittel dazu. Die werden vom unproduktiven Sektor unserer Volkswirtschaft (und neuerdings andrerer Volkswitschaften) einfach aufgefressen.
Ich fürchte, man sieht uns als etwas, was wir nicht mehr sind.

Herzlich, Thomas

C.K. Offline



Beiträge: 149

11.02.2010 18:08
#7 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Deutschland hat Macht und setzt sie ein. Politiker, Botschaftern, Staatssekretären etc. ist das auch bewusst. Es wird nur nicht nach aussen kommuniziert und das aus sehr guten Gründen. Es ist dumm als größter Player einer Gemeinschaft ständig zu betonen dass man der Größte ist, das schafft Misstrauen und Widerstand. Also hält man sich bedeckt. Ich finde die Webers Definition ja noch immer unschlagbar: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." Das kann man m.E. auch ohne Probleme auf die zwischenstaatliche Ebene hieven.
Deutschland Problem ist, dass wir keine klare Strategie formulieren, was wir denn mit dieser Macht anfangen wollen. Grand Strategy nennen die Angelsachsen das. Zu welchen Zweck setzt man welche Mittel wie ein. Und welchen Prioritäten folgt man dabei.

Hajo Offline



Beiträge: 440

11.02.2010 19:25
#8 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von C.K.
Deutschland hat Macht und setzt sie ein. Politiker, Botschaftern, Staatssekretären etc. ist das auch bewusst. Es wird nur nicht nach aussen kommuniziert und das aus sehr guten Gründen. Es ist dumm als größter Player einer Gemeinschaft ständig zu betonen dass man der Größte ist, das schafft Misstrauen und Widerstand. Also hält man sich bedeckt. Ich finde die Webers Definition ja noch immer unschlagbar: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." Das kann man m.E. auch ohne Probleme auf die zwischenstaatliche Ebene hieven.
Deutschland Problem ist, dass wir keine klare Strategie formulieren, was wir denn mit dieser Macht anfangen wollen. Grand Strategy nennen die Angelsachsen das. Zu welchen Zweck setzt man welche Mittel wie ein. Und welchen Prioritäten folgt man dabei.



Welche Grand-Strategy sollten wir auch haben? Etwa die EU bzw. Europa zu dominieren? Hat schon zwei mal nicht so gut funktioniert.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

11.02.2010 20:13
#9 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Hajo
Welche Grand-Strategy sollten wir auch haben? Etwa die EU bzw. Europa zu dominieren? Hat schon zwei mal nicht so gut funktioniert.



Wieso? Hat doch gut funktioniert, wenn auch immer nur für ein paar Jahre.
Euro? Hatten wir schon 1943. Damals hieß er Reichskreditkassenschein...


Aber im Ernst: Grand Strategy heißt nicht, daß Frau Merkel sich in der Reichskanzlei mit ihren Bundeswehrgenerälen trifft und die Eroberung Europas plant (obwohl, bei der Schweiz wäre ich mir da nicht mehr so sicher...)

Im Rahmen einer deutschen Grand Strategy könnte/sollte/müßte man zB. folgende Dinge diskutieren:
- Wie reagiert man ernsthaft (nicht bloß mit uniformierten Sozialarbeitern) auf islamistischen Terror und die Gefährdung der Seewege durch Piraten?
- Unter welchen Bedingungen und aus welchen Beweggründen ist D bereit, im Ausland militärisch zu intervenieren?
- Wie verhält sich D gegenüber der russischen Außenpolitik?
- Wie läßt sich die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Rußland und den arabischen Staaten verringern?
- Braucht D nicht angesichts der zunehmenden Zahl von Staaten mit Atomwaffen selbst eine atomare Bewaffnung?

Numpy Offline



Beiträge: 113

11.02.2010 22:44
#10 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Es ist doch egal, wie viel Macht Deutschland denn nun hat, denn sie wird eh niemals zum Wohle des Volkes eingesetzt. Wir werden täglich verkauft an irgendwelchen, und wofür? Was hat die Deutsche Bevölkerung davon, daß Merkel Griechenland reinreden kann?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.02.2010 08:03
#11 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von R.A.
Aber eigentlich ist das eine exotische Vorstellung, Deutschland will nicht wirklich eine Führungsrolle und wüßte auch kaum, was es damit anfangen sollte (und die Idee mit dem Sicherheitsrat ist ja auch sanft entschlafen, sie wurde nie ernsthaft betrieben).


Sie ist, soweit ich das verfolgt habe, wohl daran gescheitert, daß man sich nicht einigen konnte, wer denn dann noch alles neben Deutschland Anspruch auf einen Sitz hätte. Fischer hat das, soweit ich mich erinnere, schon sehr ernsthaft betrieben.

Ich stimme Ihnen zu, lieber R.A.: Deutschland sträubt sich sozusagen mit Händen und Füßen gegen eine Rolle, wie sie die Stratfor-Autoren darlegen.

Warum sollten wir versuchen, Großmacht zu spielen?

Wir haben uns damit zweimal mehr als nur die Finger verbrannt. Wir sind andererseits seit 1949 mit der Rolle eines Landes ohne Machtambitionen bestens gefahren. Wie auch Japan, damals.

Denn so uneingeschränkt kann man das nur bis 1990 sagen. Ob sich das wiedervereinigte Deutschland auf Dauer der Rolle entziehen kann, die ihm durch seine Bevölkerungzszahl und seine Wirtschaftskraft nun einmal zukommt, das ist die Frage.

Sebastian Haffner hat Deutschland einmal ein Land von "unschicklicher Größe" genannt - zu groß, um nur einer unter europäischen Partnern zu sein; zu klein, um Hegemonie ausüben zu können. Eine von Haffners Einsichten.

Wenn Deutschland Machtpolitik betrieb, dann ist das immer schiefgegangen. Mit der Kanzlerin Merkel wird es das auch nicht versuchen. Aber was, wenn ihr ein unberechenbarer Polterer wie Sigmar Gabriel folgt?

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.02.2010 08:10
#12 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Thomas Pauli
Und eine reichhaltige Infrastruktur werden wir bein den verfallenden Grundlagen unseres Reichtums auch bald nicht mehr haben, denn wenn wir unsere Kinder von den "harten" Studiengängen fernhalten, unsere Jungen keine Männer mehr sein lassen und akzeptieren, daß ein hoher Prozentsatz der "Absolventen" unseres sagenhaft teuren Schulsystems nie in der Lage sein werden, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten, dann fehlen einfach die Mittel dazu. Die werden vom unproduktiven Sektor unserer Volkswirtschaft (und neuerdings andrerer Volkswitschaften) einfach aufgefressen.

Ich fürchte, man sieht uns als etwas, was wir nicht mehr sind.


Gut möglich, lieber Thomas. Andererseits tendiert die Geschichte dazu, eher zyklisch als monoton zu verlaufen.

Aus den deutschen Berserkern wurden nach 1945 die friedliebenden Deutschen; nur allzu verständlich. Eine Spätfolge ist aus meiner Sicht das, was du schilderst.

Könnte das Pendel nicht zurückschwingen? Mit der Einwanderung kehren "männliche Werte" in unsere Gesellschaft zurück. Daß Grüne sich einmal für den Afghanistan-Einsatz aussprechen würden, hätte ihnen 1980 auch niemand an der Wiege gesungen.

Wir sind ja hinter den USA immer einige Jahrzehnte zurück. Dort begann die konservative Wende in den achtziger Jahren.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.02.2010 08:15
#13 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Numpy
Es ist doch egal, wie viel Macht Deutschland denn nun hat, denn sie wird eh niemals zum Wohle des Volkes eingesetzt.


Dem kann ich überhaupt nicht folgen, lieber Numpy. Wie kommen Sie darauf, daß in Deutschland Macht nicht zum Wohle des Volks eingesetzt werde? Jede Regierung macht Fehler, aber daß die Kanzlerin und die Minister systematisch ihren Amtseid verletzten, kann ich nun wirklich nicht erkennen.

Herzlich, Zettel

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

12.02.2010 10:21
#14 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat
Könnte das Pendel nicht zurückschwingen? Mit der Einwanderung kehren "männliche Werte" in unsere Gesellschaft zurück...


Die Worte, lieber Zettel, hör' ich wohl - allein, mir fehlt der Glaube! Kehren diese Werte nicht eher in eine nichtintegrierbare Parallelwelt ein, die auf uns kulturell eher abschreckend wirkt? Wieviele Generationen braucht es, um unser Erziehungssystem wieder männlicher, leistungs- und konkurrenzorientierter zu machen?

Herzlich, Thomas

Hajo Offline



Beiträge: 440

12.02.2010 10:36
#15 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Zettel
Wenn Deutschland Machtpolitik betrieb, dann ist das immer schiefgegangen. Mit der Kanzlerin Merkel wird es das auch nicht versuchen. Aber was, wenn ihr ein unberechenbarer Polterer wie Sigmar Gabriel folgt?



Siggi Pop hielte ich im Vergleich zu seinen grünen und dunkelroten Weltbeglückern noch eher für ein harmloses Problem.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.083

12.02.2010 10:47
#16 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Hajo

Zitat von Zettel
Wenn Deutschland Machtpolitik betrieb, dann ist das immer schiefgegangen. Mit der Kanzlerin Merkel wird es das auch nicht versuchen. Aber was, wenn ihr ein unberechenbarer Polterer wie Sigmar Gabriel folgt?


Siggi Pop hielte ich im Vergleich zu seinen grünen und dunkelroten Weltbeglückern noch eher für ein harmloses Problem.



Zettel bringt gerne den lieben, netten, etwas weltfremden Lehrer, dem die Schüler auf der Nase herumtanzen, bis er einmal so hart durchgreift, wie es ein vernünftiger Lehrer gar nicht erst nötig hätte. Das münzt er auf Obama. Ich sehe Gabriel in der gleichen Schublade und will ihn ganz weit weg von Außenpolitik.

--
La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

12.02.2010 12:35
#17 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Zettel
Sie ist, soweit ich das verfolgt habe, wohl daran gescheitert, daß man sich nicht einigen konnte, wer denn dann noch alles neben Deutschland Anspruch auf einen Sitz hätte.


Unter anderem.
Die Sache hätte eigentlich nur nach der Wiedervereinigung funktionieren können, als der historische Bezug noch frisch war und sehr viele Staaten eine Rückkehr Deutschlands in die gewohnte Großmachtrolle als natürlich empfunden hätten. M. W. hat ja Kinkel diese Idee aufgebracht - sie wurde aber in Deutschland selber nicht wirklich unterstützt.

Als Schröder daß dann irgendwann wieder ausgrub (wie üblich aus innenpolitischen Motiven), da war der Zug schon abgefahren und es wurde unter dem Titel "Refom der UN" diskutiert und war damit chancenlos.

Zitat
Fischer hat das, soweit ich mich erinnere, schon sehr ernsthaft betrieben.


Nun sicher, das wäre dann mal EIN Erfolg für ihn gewesen (und durchaus ein großer). Aber diese Bemühungen wurden nach wie vor innerhalb Deutschlands nicht unterstützt und hatten außenpolitisch keine Chancen mehr. Aber das hat Fischer halt nicht kapiert.

Zitat
Warum sollten wir versuchen, Großmacht zu spielen?


Wenn man es "spielt", sollte man es besser lassen (um ihre Formulierung bewußt mißzuverstehen ;-).

Mit einer ernsthaften und verantwortungsbewußten Übernahme einer Führungsrolle könnte Deutschland schon etwas bewirken.
Aber ich sehe dafür keine Chancen, uns fehlen wesentliche Voraussetzungen dafür.

Zitat
Wir sind andererseits seit 1949 mit der Rolle eines Landes ohne Machtambitionen bestens gefahren.


Weil die USA unsere Interessen vertreten haben - und nicht zu schlecht.

Mit Obama ist inzwischen klar geworden, daß das ein Ende hat (verständlicherweise, wir haben es den USA ja nie gedankt). Die USA kümmern sich um ihre eigenen Interessen, orientieren sich an den wichtigen Ländern - von den Europäern (außer GB) ist da kaum noch die Rede. Wieso auch?

Zitat
Ob sich das wiedervereinigte Deutschland auf Dauer der Rolle entziehen kann, die ihm durch seine Bevölkerungzszahl und seine Wirtschaftskraft nun einmal zukommt, das ist die Frage.


Kann es und wird es - und wird dann auch die Konsequenzen tragen müssen.

Zitat
Wenn Deutschland Machtpolitik betrieb, dann ist das immer schiefgegangen.


Die Machtpolitik von Bismarck ist gut gegangen, die von Wilhelm II und Hitler schlecht.
Mehr Beispiele gibt es eigentlich aus 1100 Jahren Geschichte nicht.

Ich hatte ja schon bei einer anderen Diskussion ausgeführt, daß wir eine sehr merkwürdige Geschichte haben, die unsere Mentalität tief geprägt hat. Deutschland hat über viele Jahrhunderte nie wirklich Außenpolitik betrieben (wenn ein Kaiser mal auf Kreuzzug ging, war das eher Privatsache). Es fehlen uns sowohl die Erfahrungen der kleinen Staaten, die die Großen gut beobachten und sich rechtzeitig günstig positionieren. Und es fehlt uns die Erfahrung einer Großmacht, die gewohnt ist ihre Interessen zu formulieren und dann durchzusetzen - und dabei auf die Interessen der anderen Staaten zu achten.

Das Interesse der meisten Deutschen an anderen Ländern beschränkt sich auf folkloristische Oberflächlichkeiten. Unser Auslandsjournalismus ist entsprechend grottenschlecht. Und tief verwurzelt ist der Glaube, daß unterhalb der oberflächlichen Details die Menschen in anderen Ländern genauso ticken wie hierzulande und daß man Konflikte vor dem Verwaltungsgericht regeln sollte.

Mit dieser mentalen Basis kann keine Regierung wirklich gute Außenpolitik oder gar Großmachtpolitik betreiben. Die Profis müssen de facto ihre Manöver oder Positionen vor der eigenen Bevölkerung verbergen, um nicht dauernd populistisch ausgebremst zu werden.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.02.2010 13:24
#18 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Danke für diesen Beitrag, aus dem ich wieder einmal (bei Ihren Beiträgen ja nichts Besonderes) gelernt habe.

Zitat von R.A.
Mit Obama ist inzwischen klar geworden, daß das ein Ende hat (verständlicherweise, wir haben es den USA ja nie gedankt). Die USA kümmern sich um ihre eigenen Interessen, orientieren sich an den wichtigen Ländern - von den Europäern (außer GB) ist da kaum noch die Rede. Wieso auch?


Ja, das stimmt. Aber Obama wird hoffentlich in drei Jahren Geschichte sein. Falls wirklich die transatlantische Allianz zerbrechen sollte - dann allerdings wäre ein "Reset" fällig, um Clintons Wort zu benutzen.

Zitat von R.A.

Zitat
Wenn Deutschland Machtpolitik betrieb, dann ist das immer schiefgegangen.


Die Machtpolitik von Bismarck ist gut gegangen, die von Wilhelm II und Hitler schlecht.



Ja, Bismarck war eine Ausnahme. Er war kein Machtpolitiker in dem Sinn, in dem ich das meinte. Er wollte eben gerade nicht eine deutsche Vorherrschaft über Europa.

Warum eigentlich nicht? Bei der Lektüre von "Gedanken und Erinnerungen" ist mir aufgefallen, wie wenig deutschnational das Denken Bismarcks bis zum Schluß war. Im Grunde hatte er sich vielleicht nie von der Loyalität zu Preußen gelöst. Nationalismus - das war eine Sache der Demokraten; als Konservativer war man kein Nationalist.

Zitat von R.A.
Ich hatte ja schon bei einer anderen Diskussion ausgeführt, daß wir eine sehr merkwürdige Geschichte haben, die unsere Mentalität tief geprägt hat. Deutschland hat über viele Jahrhunderte nie wirklich Außenpolitik betrieben (wenn ein Kaiser mal auf Kreuzzug ging, war das eher Privatsache). Es fehlen uns sowohl die Erfahrungen der kleinen Staaten, die die Großen gut beobachten und sich rechtzeitig günstig positionieren. Und es fehlt uns die Erfahrung einer Großmacht, die gewohnt ist ihre Interessen zu formulieren und dann durchzusetzen - und dabei auf die Interessen der anderen Staaten zu achten.


Haffners "unschickliche Größe".

Herzlich, Zettel

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

12.02.2010 13:43
#19 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Zettel
Warum eigentlich nicht? Bei der Lektüre von "Gedanken und Erinnerungen" ist mir aufgefallen, wie wenig deutschnational das Denken Bismarcks bis zum Schluß war. Im Grunde hatte er sich vielleicht nie von der Loyalität zu Preußen gelöst. Nationalismus - das war eine Sache der Demokraten; als Konservativer war man kein Nationalist.



Auch wenn ich jetzt auf die Schnelle die Fundstelle nicht finde, aber ein Historiker hat mal bemerkt, Bismarck sei im Grunde jemand gewesen, der sein persönliches Treueverhältnis zum Monarchen (d.h. Wilhelm I) über alles andere gestellt hat. In ihm sah er die Verkörperung des monarchischen Gedankens und Preußens. Das habe für ihn immer an erster Stelle gestanden.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

12.02.2010 16:21
#20 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von Zettel
Aber Obama wird hoffentlich in drei Jahren Geschichte sein.


Davon gehe ich auch aus.
Aber eigentlich ist nicht Obama das Problem, bei ihm kommt es nur besonders rüde zum Ausdruck.
Entscheidend ist eher, daß sich Deutschland (wg. Schröder, aber auch aufgrund seiner inneren Verfaßtheit) nicht als zuverlässiger Partner erwiesen hat. Die Rolle als Frontstaat im kalten Krieg konnte es übernehmen, die Rolle eines Partners in der multipolaren Welt nur sehr bedingt.

Zitat
Ja, Bismarck war eine Ausnahme. Er war kein Machtpolitiker in dem Sinn, in dem ich das meinte. Er wollte eben gerade nicht eine deutsche Vorherrschaft über Europa.


Bismarck war ein Machtpolitiker erster Güte. Als solcher wollte er eine Großmachtrolle für das vergrößerte Preußen (in der Tat waren ihm deutsch-nationale Gefühle eher fremd) - aber er strebte eben keine Vorherrschaft an (weil das unrealistisch war).

Zwischen Großmacht und Vormacht ist schon noch ein großer Unterschied. Es gab immer mehrere Großmächte in Europa, aber wenn jemand davon Vormacht spielen wollte, ging das nicht lange gut. Deutschlands mißglückte Versuche in dieser Richtung unterscheiden sich strukturell nicht wesentlich von denen Spaniens oder Frankreichs vorher oder Rußlands nachher.

Zitat
Haffners "unschickliche Größe".


Ich bin mir nicht sicher, ob ich Haffner hier zustimmen würde.
Man muß halt seine Ziele und Methoden der Größe und den Möglichkeiten anpassen - dann gibt es eigentlich keine "unschickliche" Größe.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.02.2010 00:13
#21 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
Ja, Bismarck war eine Ausnahme. Er war kein Machtpolitiker in dem Sinn, in dem ich das meinte. Er wollte eben gerade nicht eine deutsche Vorherrschaft über Europa.


Bismarck war ein Machtpolitiker erster Güte. Als solcher wollte er eine Großmachtrolle für das vergrößerte Preußen (in der Tat waren ihm deutsch-nationale Gefühle eher fremd) - aber er strebte eben keine Vorherrschaft an (weil das unrealistisch war).

Zwischen Großmacht und Vormacht ist schon noch ein großer Unterschied. Es gab immer mehrere Großmächte in Europa, aber wenn jemand davon Vormacht spielen wollte, ging das nicht lange gut.



So ist es. Und ich meinte "Machtpolitik", wie erläutert, hier im Sinn von "Vormachtspolitik".

Zitat von R.A.
Deutschlands mißglückte Versuche in dieser Richtung unterscheiden sich strukturell nicht wesentlich von denen Spaniens oder Frankreichs vorher oder Rußlands nachher.


Die offensichtlichste Parallele ist die zwischen Bonaparte und Hitler. Zu den Ähnlichkeiten gehörte auch, daß sie mit ihren Hegemonialplänen England herausforderten und daran letztlich scheiterten.

Das deutsche Kaiserreich hatte solche Ambitionen nicht; auch nicht, nachdem man den Lotsen von Bord gejagt hatte.

Mit Rußland meinen Sie die UdSSR? Deren Politik war, soweit ich das sehe, im Grunde nicht sehr expansiv. Man suchte primär das eroberte Osteuropa einschließlich Ostdeutschlands und der CSSR zu halten. Was Westeuropa angeht, rechnete man vermutlich auf die Machtübernahme durch heimische Kommunisten, woraus sich dann eine Expansion des Sowjetreichs ergeben würde. Mit militärischen Mitteln, vielleicht. Man würde dann eben "zur Hilfe kommen", wie in Ungarn 1956 und in Prag 1968.

Herzlich, Zettel

AndreasJ Offline



Beiträge: 28

13.02.2010 19:44
#22 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Hallo.

Die Politik des Warschauer Paktes war vielleicht nicht expansiv. Man plante allerdings seit den Sechziger Jahren einen atomaren Erstschlag.

Die Hoffnung war, Europa als Kontrahenten auszuschalten ohne einen Gegenschlag der USA zu provozieren. Dazu sollte ein schneller konventioneller Angriff einer nuklearen Zerstörung der westlichen Verteidigungs- und Nuklear-Kapazitäten folgen.

Liebe Grüße,
Andreas

Hajo Offline



Beiträge: 440

13.02.2010 20:57
#23 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von AndreasJ
Hallo.
Die Politik des Warschauer Paktes war vielleicht nicht expansiv. Man plante allerdings seit den Sechziger Jahren einen atomaren Erstschlag.
Die Hoffnung war, Europa als Kontrahenten auszuschalten ohne einen Gegenschlag der USA zu provozieren. Dazu sollte ein schneller konventioneller Angriff einer nuklearen Zerstörung der westlichen Verteidigungs- und Nuklear-Kapazitäten folgen.
Liebe Grüße,
Andreas



Naja. Mir erscheinen solche Pläne immer sehr theoretisch. Durchgespielt haben alle Beteiligten natürlich alles, aber letztlich kann man dem Gleichgewicht des Schreckens nicht mit positiver Bilanz entkommen. Das wußten auch die Sowjets.

califax Offline




Beiträge: 1.502

17.02.2010 23:50
#24 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat von R.A.
Es fehlen uns sowohl die Erfahrungen der kleinen Staaten, die die Großen gut beobachten und sich rechtzeitig günstig positionieren. Und es fehlt uns die Erfahrung einer Großmacht, die gewohnt ist ihre Interessen zu formulieren und dann durchzusetzen - und dabei auf die Interessen der anderen Staaten zu achten.
Das Interesse der meisten Deutschen an anderen Ländern beschränkt sich auf folkloristische Oberflächlichkeiten. Unser Auslandsjournalismus ist entsprechend grottenschlecht. Und tief verwurzelt ist der Glaube, daß unterhalb der oberflächlichen Details die Menschen in anderen Ländern genauso ticken wie hierzulande und daß man Konflikte vor dem Verwaltungsgericht regeln sollte.
Mit dieser mentalen Basis kann keine Regierung wirklich gute Außenpolitik oder gar Großmachtpolitik betreiben. Die Profis müssen de facto ihre Manöver oder Positionen vor der eigenen Bevölkerung verbergen, um nicht dauernd populistisch ausgebremst zu werden.



Das sollte man einrahmen, noch besser als Diskussionsvorlage für Aufsätze in Geschichtsunterricht und in diversen Studienfächern verwenden.
Speziell die östlichen Nachbarn sind für uns viel wichtiger, als es die meisten Deutschen wahrhaben wollen.

--
Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

18.02.2010 08:47
#25 RE: Zitat des Tages: Deutschlands Macht Antworten

Zitat
Naja. Mir erscheinen solche Pläne immer sehr theoretisch.



Lieber Hajo,

so etwas wurde, zumindest bei den Panzertruppen der DDR, ständig geübt. Das war die stehende Doktrin, das Ziel der Aufklärung und Leitfaden der Übungen. Von 'theoretisch' keine Spur!

Herzlich, Thomas

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