Zitat von Florian Dieses Muster gab es schon in der Antike. Es galt auch im Mittelalter. (Ein Adliger der etwas auf sich hielt, leistete für seinen Lehnsherrn zwar Militärdienst. Allerdings ohne Bezahlung. Bezahlt wurden nur die Unterschichten. Der Adlige selbst lebte von seinen Gütern). Wann genau der Wechsel kam, weiß ich nicht. Vielleicht im Zuge der protestantischen Ethik.
Danke fuer den Beitrag. Kann man diesen Wechsel am Ubergang von der Agrar zur Dienstleistungsgesellschaft festmachen? In ersterer sind es Laendereien und Latifundien, auf denen andere die koerperliche Arbeit machen, die Wertschoepfung darstellen. In letzterer sind es intellektuelle Prozesse und Entscheidungen als Anwalt, Manager etc. pp. die die Wertschoepfung begruenden?
Interessant waere vielleicht noch der Vergleich zum alten Rom, einer zwar agraischen, aber durchaus kapitalistischen Gesellschaft. Cicero war Anwalt, Caesar Feldherr ?? (Aber Cicero vermutlich ein Aufsteiger und kein alter Patrizier?)
Zitat von FlorianAuf jeden Fall kann man heutzutage einen Angehörigen der Oberschicht tendenziell daran erkennen, dass er WENIG Freizeit hat.
Ebenso hat sich ja auch das Erscheinungsbild umgekehrt: Nur in Karikaturen sieht man noch den fetten Boß mit der Zigarre und den ausgemergelten Arbeiter. Heute ist die Unterschicht fett, und die Oberschicht trimmt sich auf schlank.
Weiterer Aspekt: Früher (dh vor der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) trug man in der Oberschicht auffällige, bunte Kleidung und in der Unterschicht schlichte Wamse und Kappen. Heute herrscht bei den Herren der Oberschicht dezente Unauffälligkeit vor (auch, wenn sie in der Freizeit Jeans und Kaschmirpullover tragen, oder die Cordjacke). Die Unterschicht dagegen hat das Pagageienhafte angenommen.
Und noch ein Weiteres, das wir, glaube ich, irgendwann schon einmal diskutiert haben: Früher breiteten sich Sitten, Kleidungsgewohnheiten usw. von oben nach unten aus. Heute ist das weitgehend umgekehrt:
Tätowierung, einmal das Zeichen der kriminellen Unterschicht und der Seeleute, ist bis in die Oberschicht hinein schick geworden. Die Gossensprache der Unterschicht hat das Idiom der Mittel- und teils wohl auch der Oberschicht heftig verändert ("geil", "Knast", "Klamotten" usw.).
Das geht bis zur Haarmode. Den Schädel rasiert haben sich bekanntlich zuerst Jugendliche der Unterschicht, heute hat das schon die Vorstandsetagen erreicht. Dieses seltsame hochgegelte Tolle bei Männern stammt auch aus irgendeiner Subkultur der Unterschicht und hat sich von dort ausgebreitet.
Und das Wichtigste, lieber Florian: Früher ließ die Oberschicht andere für sich arbeiten ...
Welches Land betreibt eine den wirtschaftlichen und politischen Interessen seiner Bevölkerung angemessene, keinerlei supranationalen Durchgriffen unterliegende Einwanderungs-/Ausländerpolitik?
Plain and simple.
Die ersten beiden Fragen werden einen "Zeit"-Leser sicher sehr verwirren. Ich gebe zu, dass auch ich zunächst in beiden Fällen dem Kurzschluss "mehr Geld - mehr (sinnfreier) Konsum" erlegen war. Bei Frage 1 habe ich mich dann aber gleich intuitiv korrigieren können.
Zitat Tätowierung, einmal das Zeichen der kriminellen Unterschicht und der Seeleute, ist bis in die Oberschicht hinein schick geworden. Die Gossensprache der Unterschicht hat das Idiom der Mittel- und teils wohl auch der Oberschicht heftig verändert ("geil", "Knast", "Klamotten" usw.)
Ich vermute mal, dass Ihr "heftig" "echt" ironisch gemeint war.
Zitat von Zettel1. Wo ist der Anteil der Kinder am höchsten, die einen eigenen Fernseher haben? 2. Wo ist der Anteil der Kinder am höchsten, die keinen eigenen Computer haben?
Die FAZ liest hier mit und bringt gleich den passenden Artikel:
Zitat von FAZDie neunte Klasse macht der 15 Jahre alte Hauptschüler nun schon zum zweiten Mal. Auf dem letzten Zeugnis hatte er zwei Fünfen, sechs Vieren und vier Dreien. Regelmäßig schwänzt Pascal die Schule. Seit den Herbstferien hat er die meisten Vormittage zu Hause verbracht.
...
Der Computer steht in seinem Zimmer, auch einen Fernseher hat er dort.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat Interessant waere vielleicht noch der Vergleich zum alten Rom, einer zwar agraischen, aber durchaus kapitalistischen Gesellschaft. Cicero war Anwalt, Caesar Feldherr ?? (Aber Cicero vermutlich ein Aufsteiger und kein alter Patrizier?)
Jetzt bewege ich mich auf dünnem Eis, weil ich die römische Gesellschaftsstruktur nicht gut genug kenne.
Aber wenn ich mich recht entsinne, dann gab es doch das Prinzip, dass die Patrizier jeweils "Klienten" hatten. Wenn ein solcher Klient (also ein normaler Bürger) ein rechtliches Problem hatte (sei es straf- zivil- oder verwaltungsrechtlich), wurde er vom Patrizier vertreten. Allerdings (glaube ich) erfolgte das ohne unmittelbarer Bezahlung dieser juristischen Dienstleistung durch den Patron. Sondern das begründete eher ein allgemeines Abhängigkeitsverhältnis. Vom System her also eher in Richtung eines Lehensystems. War womöglich Cicero in diesem Sinne Anwalt? Wenn ja, wäre das eher die Stützung meiner These.
Und was Cäsar betrifft: Cäsar hat vermute ich einmal für seinen Militärdienst eben gerade keinen Sold bezogen wie ein gemeiner Soldat. Eine (unentgeltiche) Tätigkeit für das Gemeinwesen ist für die Oberschicht in Antike und Mittelalter ja durchaus angemessen. Aber eben keine profane Arbeit.
Eine Tätigkeit als Manager, d.h. als Verwalter fremden Vermögens, wäre für einen Patrizier oder einen Adligen bis vor relativ kurzer Zeit kaum vorstellbar gewesen.
Zitat von Zettel 6. In welchem von 18 untersuchten Ländern liegt der Anteil der 15-Jährigen, die später einen geringqualifizierten Job erwarten, mit 24,6 Prozent am höchsten? (A) Deutschland (B) Polen (C) USA 7. In welchem Land liegt er mit 8,6 Prozent am niedrigsten? (A) Deutschland (B) Polen (C) USA
Entschuldigung, aber ich stehe auf dem Schlauch: Geht es in der Frage darum, was die Betreffenden von ihrem Leben erwarten? Oder was irgendein Experte für deren Zukunft erwartet?
Zitat von FlorianAber wenn ich mich recht entsinne, dann gab es doch das Prinzip, dass die Patrizier jeweils "Klienten" hatten.
Richtig, auch Deine weiteren Ausführungen dazu (nur beachten: "Patrizier" waren in Rom nur die alten Adelshäuser, in unserer Diskussion hier reden wir über die senatorischen Oberschicht).
Zitat War womöglich Cicero in diesem Sinne Anwalt?
Auch, er hatte natürlich seine Klienten und war diesen gegebenenfalls behilflich. Aber er war auch als Anwalt für seine Freunde und Kollegen tätig. Und weil ein Senator nicht gegen Entgelt arbeiten durfte (weil das eben für die römische Oberschicht genauso unschicklich war wie in späteren Beispielen), half er ihnen offiziell immer nur freundschaftshalber. Und wie vereinbart schenkten ihm seine Freunde dann z. B. eine kostbare Vase oder ähnliches - das war mit der Schicklichkeit vereinbar.
Daß er diese Geschenke dann verkauft hat, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, war dann eine ganz andere Sache und eben nicht unedler Gelderwerb.
Zitat Cäsar hat vermute ich einmal für seinen Militärdienst eben gerade keinen Sold bezogen wie ein gemeiner Soldat.
Richtig. Aber er profitierte ganz maßgeblich von gemachter Beute - was Kriegszüge für einen römischen Adligen viel interessanter machte als friedlichen Wachdienst (von Ruhm und Ehre ganz abgesehen).
Zitat Eine (unentgeltiche) Tätigkeit für das Gemeinwesen ist für die Oberschicht in Antike und Mittelalter ja durchaus angemessen.
Korrekt. Die öffentlichen Ämter der Senatorenklasse (cursus honorum) bis hin zum Konsul waren alles Ehrenämter. Oder auch die Abgeordneten in den Parlamenten bis ins 20. Jahrhundert hinein.
Zitat Cäsar hat vermute ich einmal für seinen Militärdienst eben gerade keinen Sold bezogen wie ein gemeiner Soldat.
Richtig. Aber er profitierte ganz maßgeblich von gemachter Beute - was Kriegszüge für einen römischen Adligen viel interessanter machte als friedlichen Wachdienst (von Ruhm und Ehre ganz abgesehen).
Und man hatte die Aussicht, einen Statthalterposten zu ergattern und die Bevölkerung auf Jahre hinaus auszuquetschen (wenn man es nicht gar zu wild trieb).
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Zitat von automatDie Betroffenen. Geht aus der Frage klar hervor.
Von der Formulierung her, habe ich mir das auch gedacht. Allerdings würde mich in diesem Fall ebenfalls die Quelle dieser Umfragedaten und die genaue Fragestellung an die Befragten interessieren. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit unter "geringqualifiziert" in den genannten Ländern dasselbe verstanden wird. Interessant wird natürlich auch sein, welcher Prozentsatz in 10 Jahren tatsächlich in besagten Jobs arbeitet, v.a. um es dann dem "eigentlichen Inhalt" der Frage gegenüberzustellen.
Zitat von automatDie Betroffenen. Geht aus der Frage klar hervor.
Von der Formulierung her, habe ich mir das auch gedacht. Allerdings würde mich in diesem Fall ebenfalls die Quelle dieser Umfragedaten und die genaue Fragestellung an die Befragten interessieren. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit unter "geringqualifiziert" in den genannten Ländern dasselbe verstanden wird.
Und gerade weil dieser Begriff so schwammig und subjektiv ist, ist die Genauigkeit lächerlich, mit der die Ergebnisse dargestellt werden. 8,6% - aber nicht 8,5$ oder 8,7%. Unfug. 8% oder 9% sind das einzige, was man hier halbwegs sinnvoll aussagen kann.
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Zitat von GorgasalUnd man hatte die Aussicht, einen Statthalterposten zu ergattern und die Bevölkerung auf Jahre hinaus auszuquetschen (wenn man es nicht gar zu wild trieb).
Richtig - aber das war nicht direkt an ein Militärkommando gekoppelt, sondern das waren die Pfründen, wenn man ein Konsulat ergattert hatte.
Natürlich gab es "früher" (d.h. bis in die frühe Neuzeit hinein) immer Leute aus der Oberschicht, die gewerblich tätig waren. Genauso wie es heutzutage Leute aus der Oberschicht gibt, die NICHT gewerblich tätig sind.
Allerdings - und das ist mein Punkt - verhalten sich diese Leute gesellschaftlich nicht schicklich.
Wenn ein verarmter Adliger im 18. Jahrhundert (sagen wir mal) Kämmerer bei einem Fürsten wurde, war das ein gesellschaftlicher Abstieg. Wenn heutzutage ein (sagen wir mal) 38-jähriger mehrfacher Millionär einfach nur sein Leben genießt, wird er ebenso schief angeschaut.
Ich kenne einige sehr wohlhabende Leute, die wahrlich nicht arbeiten müssten. Sie tun es aber ausnahmslos alle. Zum Teil im eigenen Unternehmen (was in früheren Jahrhunderten sicher einem Verwalter übertragen worden wäre). Zum Teil auch nur als Alibi-Beschäftigung, etwa als "Pelz-Designer" o.ä. Es geht hier wahrlich nicht um die finanzielle Notwendigkeit. Und man sollte meinen, dass ein wohlhabender Mensch viele angenehmere Möglichkeiten für seine Lebenszeit finden könnte, als in einem Büro rumzusitzen. Der entscheidende Punkt ist das Sozial-Prestige. Und das ist heutzutage anders als früher eben sehr stark an einen Beruf gekettet.
Zitat von JeffDavisNur die Sache mit dem Fußball... Ich habe nie verstanden, wieso 22 erwachsene Männer hinter einem Ball herrennen, wenn jeder einen eigenen haben könnte
Jaja, oder wieso zwei ebenfalls Erwachsene einen Ball ständig über ein Netz hin- und herschlagen. Oder eine Geigerin permanent mit mit einem Bogen auf Saiten hin- und herschubbert. Oder ein Dirigent mit einem Stock in der Luft herumfuchtelt, als sei er von Dämonen besessen. Oder im Wester monoton geritten und geschossen wird .
Zitat Tätowierung, einmal das Zeichen der kriminellen Unterschicht und der Seeleute, ist bis in die Oberschicht hinein schick geworden. Die Gossensprache der Unterschicht hat das Idiom der Mittel- und teils wohl auch der Oberschicht heftig verändert ("geil", "Knast", "Klamotten" usw.)
Ich vermute mal, dass Ihr "heftig" "echt" ironisch gemeint war.
Eigentlich nicht. Das ist ja eine ziemlich neue Entwicklung. Viel jüngeren Datums, als daß zB die Herren der Oberschicht sich dezent kleiden und die Männer der Unterschicht je bunter, je besser.
Daß man eine zotige Sprache über die Unterschicht hinaus akzeptiert, dürfte hingegen in Deutschland auf die frühen siebziger Jahre zurückgehen.
Ich kann mich noch erinnern, wie ich gestaunt habe, als ich auf einmal das Wort "geil" (bis dahin das Gossenwort für "sexuell erregt") in anderen Zusammenhängen hörte und dann bald auch las. Wer vor ungefähr 1970 das Gefängis als "Knast" bezeinete, von dem konnte man sicher sein, daß er einem Milieu zugehörte, für das dies ein habitueller Aufenthaltsort war. Und so fort.
Vielleicht können andere etwas dazu sagen, die sich besser auskennen: Aber ich kenne keinen vergleichbaren Fall in der Sprachentwicklung.
Üblich ist es, daß Wörter und Redenwendung "absinken". Daß also das einst ehrerbietige "Madame" im Deutschen zur Bezeichnung für die Bordellbesitzerin wird, oder daß Doolittle die mit ihm Liierte in der deutschen Synchronisierung als "meine Madam" bezeichnet.
Zitat von Zettel 6. In welchem von 18 untersuchten Ländern liegt der Anteil der 15-Jährigen, die später einen geringqualifizierten Job erwarten, mit 24,6 Prozent am höchsten? (A) Deutschland (B) Polen (C) USA 7. In welchem Land liegt er mit 8,6 Prozent am niedrigsten? (A) Deutschland (B) Polen (C) USA
Entschuldigung, aber ich stehe auf dem Schlauch: Geht es in der Frage darum, was die Betreffenden von ihrem Leben erwarten? Oder was irgendein Experte für deren Zukunft erwartet?
Zitat Aber ich kenne keinen vergleichbaren Fall in der Sprachentwicklung.
Ein Beispiel wäre vielleicht, dass z.B. in Deutschland oder auch Russland bis ins 19. Jahrhundert hinein Französisch die Sprache der Oberschicht war und Deutsch bzw. Russisch die Sprache des Volks. Hier hat sich die Oberschicht mittlerweile an die Unterschicht angepasst. Anderes Beispiel: In England war (Alt-)Französisch die Sprache des normannischen Adels, Angelsächsisch die Sprache der Bauern. Im modernen Englisch ist beides zusammengeflossen. Viele Worte sind dabei natürlich auch von "unten" in die Sprache des Adels eingesickert.
wg. "Madame":
Interessanterweise ist das Absinken der Wort-Verwendung bei Frauen-Bezeichnungen wesentlich krasser als bei Männer-Bezeichnungen.
Einst war im Deutschen das Gegensatzpaar Mann-Weib. Eine Frau heutzutage als Weib zu bezeichnen ist hingegen beleidigend. Daher hat sich das Gegensatzpaar mittlerweile wohl Mann-Frau. (Wobei "Frau" früher einmal eine Edeldame gemeint hat). Aber auch "Frau" befindet sich auf dem absteigenden Ast. Wenn man sagt "sie kleidet sich fraulich" bedeutet das "sie kleidet sich altbacken".
Dito bei jungen Frauen, die man früher schlicht Dirne genannt hat, was man heutzutage besser nicht mehr tun sollte. Daher heutzutage "Mädchen".
Einen vergleichbaren Abstieg gab es bei den Männern nicht.
Zitat von Florian Interessanterweise ist das Absinken der Wort-Verwendung bei Frauen-Bezeichnungen wesentlich krasser als bei Männer-Bezeichnungen. Einst war im Deutschen das Gegensatzpaar Mann-Weib.
Es gibt Menschen, die machen diese Bedeutungsverschlechterung auch am Berufsbild fest. Beispiel. Der Privatsekretaer. Ein hoechst angesehener Beruf. Die Sekretaerin. Heisst heute Team Assistentin, da 'Sekretaerin' (Ausserhalb der Uni) als abwertend empfunden wird. Oder der Lehrer. Ein hochangesehener Beruf. Der Dorflehrer und der Pfarrer waren die einzigen am Dorf mit hoerer Bildung. Und heute: Kaum ein Mann wird Grundschullehrer, gleichsam ist der Beruf in Frauenhand. Ich stelle das - nur zur Klarstellung - wertfrei fest. (moeglicherweise ist der zugrundeliegende Mechanismus das, was im Tierreich das Aufpludern des Maennchens ist. Die eigene Taetigkeit wird - und sei sie noch so banal - als das allerbeste/groesste/tollste/schwierigste/herausfordernste dargestellt, da man damit die Weibchen zu beeindrucken glaubt. - Moeglicherweise ist es aber auch ganz anders. )
Wollte aber eigentlich was zum Verhaeltnis Oberschicht - Unterschicht schreiben: Die Oberschicht pflegt das Ideal des Muessiggang. Die Unterschicht will das auch. Sie bekommt es. Die Oberschicht will sich weiter abheben und besetzt die von der Unterschicht aufgegebe Lebensweise als neues Ideal. Natuerlich nicht 1:1, sondern in Neuauflage.
Vielleicht ein pauschalisierendes und vereinfachendes Bild, aber vielleicht auch eine ganz gutes Erklaerungsmuster. Gibt es Widerspruch oder Einwaende dazu? Die Mittelschicht muss noch irgendwie untergebracht werden, ggf. sind weitere Milleau-Differentierungen noetig. Aufsteiger gibt es natuerlich dennoch (Absteiger auch).
Zitat Eigentlich nicht. Das ist ja eine ziemlich neue Entwicklung. Viel jüngeren Datums, als daß zB die Herren der Oberschicht sich dezent kleiden und die Männer der Unterschicht je bunter, je besser.
Daß man eine zotige Sprache über die Unterschicht hinaus akzeptiert, dürfte hingegen in Deutschland auf die frühen siebziger Jahre zurückgehen.
Ich kann mich noch erinnern, wie ich gestaunt habe, als ich auf einmal das Wort "geil" (bis dahin das Gossenwort für "sexuell erregt") in anderen Zusammenhängen hörte und dann bald auch las. Wer vor ungefähr 1970 das Gefängis als "Knast" bezeinete, von dem konnte man sicher sein, daß er einem Milieu zugehörte, für das dies ein habitueller Aufenthaltsort war. Und so fort.
Vielleicht können andere etwas dazu sagen, die sich besser auskennen: Aber ich kenne keinen vergleichbaren Fall in der Sprachentwicklung.
Üblich ist es, daß Wörter und Redenwendung "absinken". Daß also das einst ehrerbietige "Madame" im Deutschen zur Bezeichnung für die Bordellbesitzerin wird, oder daß Doolittle die mit ihm Liierte in der deutschen Synchronisierung als "meine Madam" bezeichnet.
Meine Bemerkung bezog sich darauf, dass Sie vor eine Reihe von Wörtern, die die Reise aus der Gossenssprache in die Alltagssprache der Oberschicht angetreten haben, ausgerechnet die Formulierung "heftig verändert" gesetzt haben. Ich fand das deshalb ironisch, weil meiner Meinung nach eben "heftig" genau in das Begriffsfeld gehört, das sie da aufgemacht hatten ("geil", "Knast", Klamotten").
Zitat von Dagny(moeglicherweise ist der zugrundeliegende Mechanismus das, was im Tierreich das Aufpludern des Maennchens ist. Die eigene Taetigkeit wird - und sei sie noch so banal - als das allerbeste/groesste/tollste/schwierigste/herausfordernste dargestellt, da man damit die Weibchen zu beeindrucken glaubt. - Moeglicherweise ist es aber auch ganz anders. )
Das halte ich nicht für abwegig, im Gegenteil. Dem "Aufpluderbedürfnis der Männchen" steht aber auch eine ebenso instinktive Bevorzugung "aufgepluderter Männchen durch die Weibchen" gegenüber. Im Rahmen des sonderbaren (aber wohl nicht sinnleeren) menschlich/tierischen Verhaltens wohl eine Normalität.
Jetzt denken wir uns aber die ganzen Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetze und den ganzen Gender-Kram hinzu. Was wird wohl das Ergebnis sein, wenn das Alles einmal vollkommen durchgesetzt, gleichgeschaltet, maingestreamt? Unglückliche "Weibchen und Männchnen", wohin man auch blickt. In Ansätzen, traue ich mich behaupten, schon heute zu besichtigen.
Zitat von Zettel Daß man eine zotige Sprache über die Unterschicht hinaus akzeptiert, dürfte hingegen in Deutschland auf die frühen siebziger Jahre zurückgehen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich gestaunt habe, als ich auf einmal das Wort "geil" (bis dahin das Gossenwort für "sexuell erregt") in anderen Zusammenhängen hörte und dann bald auch las.
Ich hatte anfangs noch Schulbücher, in denen geil ganz unschuldig für das Austreiben von Pflanzentrieben benutzt wurde. Allerdings haben wir schon drüber gekichert. (Schulgartenunterricht: Heute nehmen wir uns alle so ein Messer und gehen in den Garten, die geilen Triebe wegschnippeln. Und die Anja bekommt einen Eintrag ins Hausaufgabenheft.)
Zitat von Zettel Wer vor ungefähr 1970 das Gefängis als "Knast" bezeinete, von dem konnte man sicher sein, daß er einem Milieu zugehörte, für das dies ein habitueller Aufenthaltsort war.
Das ist auf bittere Weise wahr. Knast ist ein jiddisches Wort und bedeutet Kerker, Elend, Not. Das zugrundeliegende hebräische Wort kann ich vielleicht übers Wörterbuch finden, sobald ich wieder rankomme. Ob es Bestandteil des Rotwelschen war, weiß ich nicht. Wenn Sie Lust auf einen Plausch zwischen alten Professoren haben, könnten sie Professor Klepsch an der Universität Erlangen anrufen und fragen. Der weiß es sicher aus dem Effeff.
Zitat von Zettel Vielleicht können andere etwas dazu sagen, die sich besser auskennen: Aber ich kenne keinen vergleichbaren Fall in der Sprachentwicklung. Üblich ist es, daß Wörter und Redenwendung "absinken". Daß also das einst ehrerbietige "Madame" im Deutschen zur Bezeichnung für die Bordellbesitzerin wird, oder daß Doolittle die mit ihm Liierte in der deutschen Synchronisierung als "meine Madam" bezeichnet.
Knast stammt als jiddischer Hebraismus aus der Liturgiesprache des Judentums. Eine höhere Hochsprache als die der leibhaftigen Priester des zerstörten Tempels gibt es in diesem Sprachstammbaum nicht, kann es auch gar nicht geben. Geil bedeutet in der Sprache meiner Eltern und meiner alten Lehrer ursprünglich hervorstechend, schnell wachsend, lang und schlank, übermütig, unnütz (gar schädlich). Der Lexer schreibt:
geil, geile adj. von wilder kraft, mutwillig, üppig; lustig, fröhlich; mit gen. froh über; begierig zuo geil stm. übermut geil stn. fröhlichkeit; lustiges wachstum, wucher; hode geilaere stm. ein fröhlicher gesell geile, geil stf. üppigkeit, fruchtbarer boden; fröhlichkeit, übermut; swf. hode geilen swv. intr. übermütig, ausgelassen sein; froh werden. - tr. froh machen. -refl. sich freuen, erlustigen; lustig wachsen u. wuchern. [und so weiter]
Klingt nach Abstieg.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von Zettel Daß man eine zotige Sprache über die Unterschicht hinaus akzeptiert, dürfte hingegen in Deutschland auf die frühen siebziger Jahre zurückgehen.
Noch dazu: Es kam sicher immer auf den Kontext an. Ich habe mal einen Text von IIRC Mozart vorgelegt bekommen. Heilige Mutter Maria! Und dabei bin ich Atheist! Goethe und Schiller sollen aber auch sehr derb geflucht und gelästert haben. Nur haben sie sowas natürlich nicht in Druck gegeben, wohl erst gar nicht aufgeschrieben. Akzeptierbarkeit ist immer relativ.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
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