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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 12 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.03.2010 03:10
Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

In einer der Augstein-Biografien - ich kann mich leider nicht mehr erinnern, in welcher - wird über das Dokumentations-Ressort des "Spiegel" berichtet, wie in einem Manuskript vom Wetter in Moskau an einem bestimmten historischen Tag die Rede war. Der zuständige Mitarbeiter der "Spiegel"-Dokumentation ruhte darauf nicht, bis er durch Anrufe bei Wetterdiensten usw. herausgefunden hatte, daß das Wetter an diesem Tag nicht so gewesen war, wie es im Manuskript stand. Das Manuskript wurde geändert.

Das Archiv des "Spiegel" war einmal eine geheimnisumwitterte Institution. Es bestand anfangs im wesentlichen aus vielen, vielen Nachschlagewerken und einer schnell anwachsenden Sammlung von Zeitungsausschnitten. Kein Absatz ging in den Druck, keine Tatsachenbehauptung erschien, bevor sie nicht von der Dokumentationsabteilung im Manuskript markiert und mit einem Haken versehen worden waren.

Heute stehen den Dokumentationsjournalisten ganz andere Recherchemöglichkeiten zur Verfügung. Dennoch arbeiten sie offenbar schlampiger. Ein Beispiel steht in dieser Meckerecke.

Oder vielmehr zwei Beispiele. Denn ich greife bei dieser Gelegenheit auch noch eine Schlamperei auf, die ich damals, vor einem halben Jahr, nicht kommentiert habe: Den oberflächlichen, von Unwissenheit zeugenden "Spiegel"-Artikel von Merlind Theile über die politische Blogosphäre.

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

16.03.2010 09:24
#2 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Zettel
Damals hätte man in der Dokumentation vermutlich schnell herausgefunden, daß Tucholsky seine Pseudonyme nicht verwendet hat, weil er "an seine Sicherheit denken mußte".


Diese Wissenslücke (bisher auch meine) hat allerdings noch einen für manche Spiegelschreiber wohl angenehmen Nebeneffekt: Der Text suggeriert, daß es quasi normal ist, daß sich kritisch mit den "Zuständen" befaßten Menschen auch in Europa um ihre Sicherheit sorgen müssen, daß es "schon immer" so war. Wenn sich das in den Köpfen festgesetzt hat, ist es doch auch ganz normal, daß sich z.B. ein Wilders verstecken muß, um auf der Straße nicht ermordet zu werden.

Es wird wohl tatsächlich Unwissenheit und Schlamperei sein, wetten würde ich darauf allerdings nicht. Vielleicht gibt es ja zwischenzeitlich neben dem sagenhaften Spiegel-Archiv auch etwas einen weniger bekannten "Spin-Doctor", der überall seine Häkchen setzt? Oder ist es schon der "Spin-Doctor" in den Köpfen?

Herzlich, Ungelt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.03.2010 09:45
#3 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Ungelt

Zitat von Zettel
Damals hätte man in der Dokumentation vermutlich schnell herausgefunden, daß Tucholsky seine Pseudonyme nicht verwendet hat, weil er "an seine Sicherheit denken mußte".


Diese Wissenslücke (bisher auch meine) hat allerdings noch einen für manche Spiegelschreiber wohl angenehmen Nebeneffekt: Der Text suggeriert, daß es quasi normal ist, daß sich kritisch mit den "Zuständen" befaßten Menschen auch in Europa um ihre Sicherheit sorgen müssen, daß es "schon immer" so war. Wenn sich das in den Köpfen festgesetzt hat, ist es doch auch ganz normal, daß sich z.B. ein Wilders verstecken muß, um auf der Straße nicht ermordet zu werden.



Ein Klischee, lieber Ungelt, würde ich auch vermuten; nämlich das von den in der Weimarer Republik verfolgten Linken. Wie die meisten Klischees ist es nicht falsch; es gab ja tatsächlich tätliche Angriffe auf Journalisten wie z.B. Maximilian Harden. Aber das war halt nicht das Motiv für Tucholskys Pseudonyme gewesen. Übrigens lebte er ab 1924 ja in Paris.

Die Parallele zu Geert Wilders sehe ich auch (wenn ich auch nicht glaube, daß daran beim "Spiegel" jemand gedacht hat). Wer linke Inhalte vertritt, der ist heute in der Regel nicht mehr physisch gefährdet. Die einzigen, die das sind, sind diejenigen, die die Freiheit gegen totalitäre Islamisten verteidigen.

Herzlich, Zettel

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

16.03.2010 10:28
#4 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Ungelt

Es wird wohl tatsächlich Unwissenheit und Schlamperei sein, wetten würde ich darauf allerdings nicht. Vielleicht gibt es ja zwischenzeitlich neben dem sagenhaften Spiegel-Archiv auch etwas einen weniger bekannten "Spin-Doctor", der überall seine Häkchen setzt? Oder ist es schon der "Spin-Doctor" in den Köpfen?



Ich denke eher, dass man sich getrieben fühlt die Meinungshoheit nicht zu verlieren. Das Internet ist schnell ... schneller als eine wöchentliche Printpublikation. Seit der Installation von SpOn versucht sich der Spiegel im Spagat zwischen Schnelligkeit und Seriosität, da bleibt bei Nebenthemen immer öfter auch die Recherchequalität auf der Strecke.

Blogger haben es da natürlich leichter, sie haben ja keine Bringschuld ihren Lesern gegenüber, und dadurch mehr Zeit.

M.E. macht der Spiegel da aber einen Riesenfehler. Er war mal ein Solitär in der Medienlandschaft. Mittlerweile bröckelt aber der Nimbus des seriösesten deutschen Nachrichtenmagazins. Die Synonyme "Bild für Akademiker", oder "ehemaliges Nachrichtenmagazin" kommen ja nicht von ungefähr.

Beste Grüße, Calimero

----------------------------------------------------
Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

Martin Offline



Beiträge: 4.129

16.03.2010 10:35
#5 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Sicher, Calimero, geht es um die Medienhoheit. Man hat sie aber auch, wenn man auf die Attribute und Nebensätze verzichtet, die den Schreiber bei guter Qualität zu ein bisschen Recherche zwingen würden.

Dass das von Zettel herausgefilterte Beispiel nicht durch die Qualitätskontrolle gegangen ist hat ja einen Vorteil: Es zeigt uns schön den Bias im Kopf des Schreibers. Man kann davon ausgehen, dass dieser Bias auch in einem besser kaschierten Umfeld / Bericht im Hintergrund steht, und wenn es nur durch selektive Darstellungen geschieht.

Gruß, Martin

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.03.2010 10:52
#6 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Calimero
Ich denke eher, dass man sich getrieben fühlt die Meinungshoheit nicht zu verlieren. Das Internet ist schnell ... schneller als eine wöchentliche Printpublikation. Seit der Installation von SpOn versucht sich der Spiegel im Spagat zwischen Schnelligkeit und Seriosität, da bleibt bei Nebenthemen immer öfter auch die Recherchequalität auf der Strecke.

Blogger haben es da natürlich leichter, sie haben ja keine Bringschuld ihren Lesern gegenüber, und dadurch mehr Zeit.


Das stimmt. Zur Zeit des Leiters der Dokumentation Heinz Klatte, also in den fünfziger und sechziger Jahren, hatte man ungleich mehr Zeit als heute. Der "Spiegel" erschien anfangs mittwochs, dann montags. Für das am Montag erscheinende Heft war, wenn ich mich recht erinnere, am Freitag Redaktionsschluß. Aktuelle Ereignisse der ganzen zweiten Wochenhälfte wurden oft erst im übernächsten Heft behandelt.

Die Titelstories waren so lange im Vorhinein festgelegt, daß auf der letzten Seite eines Hefts schon das Titelbild der nächsten Ausgabe im Kleinformat erscheinen konnte, zusammen mit einem Teaser (damals sagte man Vorschau). Die Leserbriefe zu einer Story erschienen nicht in der nächsten, sondern stets erst ab der übernächsten Ausgabe.

Heute wird, mit Redaktionsschluß erst am Samstag, ungleich schneller gearbeitet. Allerdings ist die Geschichte zu diesem Blog "Wir in NRW" ja nicht so dringend gewesen, daß man sie nicht sorgfältig hätte schreiben können.

Und noch etwas, lieber Calimero: Ich als sozusagen Amateur-Journalist bemühe mich ja, sozusagen meine eigene Dokumentation zu sein, indem ich alles, was ich schreibe, wenn irgend möglich im Web verifiziere. Aber trotzdem unterlaufen mir Fehler. Dann allerdings habe ich das kleine Zimmer, in dem mit Sicherheit jemand den Fehler entdeckt hat und mich darauf aufmerksam macht. Diesen Vorteil hat der "Spiegel" nicht.

Und ich habe einen Korrektor, der so sorgfältig arbeitet wie nur irgeneiner bei den Profis. Wenn in einem Artikel in ZR Tippfehler oder Ungenauigkeiten einige Zeit nach Erscheinen verschwunden sind, dann ist das fast immer Kallias zu verdanken.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.03.2010 10:55
#7 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Zettel
In einer der Augstein-Biografien ... wird über das Dokumentations-Ressort des "Spiegel" berichtet, ...


Das ist aber nun keine neutrale Quelle. Sondern (wie bei diversen anderen Berichten über das sagenhafte Spiegel-Archiv) deutlich eine, die geneigt ist, die besondere Qualität des Hauses herauszustellen.

Es mag durchaus sein, daß damals alles besser war und der Spiegel wirkliche Qualität produzierte.

Es kann aber auch sein, daß das Archiv in der Praxis nur eine Hilfsfunktion hatte (so wie man heute in der Wikipedia gewisse Basisfakten nachschaut). Ob wirklich jeder Artikel so aufwendig nachgeprüft wurde, das wissen wir nicht wirklich.

Ich hatte es ja schon an anderer Stelle geschrieben: Meine frühesten Erfahrungen mit dem Spiegel sind aus den 70er Jahren, und da sind mir schon Fehler aufgefallen.

Entweder ist also der Spiegel schon recht früh von seinem Niveau runtergekommen - oder aber die besondere Qualität war nur begrenzt eine. Vielleicht eine im Vergleich zur Lokalzeitung, die außer dem Brockhaus gar keine besonderen Hilfsmittel hatte.

Seit man in den letzten Jahren per Internet so viel selber recherchieren kann, fallen mir auf jeden Fall Qualitätsmängel auf (nicht nur beim Spiegel), die ich vorher nie vermutet hätte. Und diese Qualitätsmängel scheinen die Medienschaffenden nicht zu stören. Wieso hätten sie also zu Zeiten auf bessere Qualität dringen sollen, als das noch keiner nachprüfen konnte?

Wenn ich mal viel Zeit habe (kann also noch lange dauern ...) nehme ich mir vielleicht mal einen alten Spiegel und versuche, stichprobenhaft mal nachzuprüfen. Wobei es nicht so leicht sein wird, die jeweiligen Quellen aufzutun.
Auf jeden Fall fände ich das Ergebnis spannend.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.03.2010 11:16
#8 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von R.A.
Es mag durchaus sein, daß damals alles besser war und der Spiegel wirkliche Qualität produzierte. Es kann aber auch sein, daß das Archiv in der Praxis nur eine Hilfsfunktion hatte (so wie man heute in der Wikipedia gewisse Basisfakten nachschaut). Ob wirklich jeder Artikel so aufwendig nachgeprüft wurde, das wissen wir nicht wirklich.


Es spricht, soweit ich sehe, nichts dagegen, den betreffenden Berichten zu glauben. Schon in den fünfziger Jahren hatte der "Spiegel" laut Impressum fast so viele Dokumentations-Journalisten wie Redakteure in der Hamburger Zentralredaktion. Wenn ich Zeit habe, greife ich mir vielleicht mal einen Band aus dieser Zeit und zähle nach.

Zitat von R.A.
Ich hatte es ja schon an anderer Stelle geschrieben: Meine frühesten Erfahrungen mit dem Spiegel sind aus den 70er Jahren, und da sind mir schon Fehler aufgefallen.


Regelrechte sachliche Fehler waren nach meiner Erinnerung auch damals extrem selten. Eine andere Sache ist natürlich, daß Artikel tendenziös waren und sind, daß Vermutungen geäußert werden usw. Es gibt dafür, sicher auch inspiriert durch das Justiziariat des "Spiegel", ja ein ganzes Schatzkästlein an Floskeln, die eine Unterstellung unangreifbar machen; "er steht im Ruf des ...", "über X ist zu hören, daß ..." usw.

Zitat von R.A.
Wenn ich mal viel Zeit habe (kann also noch lange dauern ...) nehme ich mir vielleicht mal einen alten Spiegel und versuche, stichprobenhaft mal nachzuprüfen. Wobei es nicht so leicht sein wird, die jeweiligen Quellen aufzutun. Auf jeden Fall fände ich das Ergebnis spannend.

Ich auch, lieber R.A. Alle Jahrgänge sind ja jetzt im Internet zugänglich. Allerdings nicht das Impressum. Und deshalb muß ich mich für's Zählen eben in meine Bibliothek bequemen ...

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

16.03.2010 11:24
#9 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Martin
Dass das von Zettel herausgefilterte Beispiel nicht durch die Qualitätskontrolle gegangen ist hat ja einen Vorteil: Es zeigt uns schön den Bias im Kopf des Schreibers. Man kann davon ausgehen, dass dieser Bias auch in einem besser kaschierten Umfeld / Bericht im Hintergrund steht, und wenn es nur durch selektive Darstellungen geschieht.

Genau, das ist die "eigentlich wertvolle" Information, die uns der Schreiber übermittelt, denn sie ist wahrscheinlich unbewußt in seine Aussage hineingelangt.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.03.2010 11:38
#10 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Zettel
Es spricht, soweit ich sehe, nichts dagegen, den betreffenden Berichten zu glauben.


Nach normaler Lebenserfahrung spricht viel dafür, Werbeaussagen über das eigene Produkt NICHT zu glauben.

Zitat
Schon in den fünfziger Jahren hatte der "Spiegel" laut Impressum fast so viele Dokumentations-Journalisten wie Redakteure in der Hamburger Zentralredaktion.


Wenn wir das als Kriterium nehmen wollen - wie ist denn diese Relation heute?

Zitat
Regelrechte sachliche Fehler waren nach meiner Erinnerung auch damals extrem selten.


Na ja, auch heute wird man im Spiegel selten finden, daß ein Fakt nicht stimmt. Namen und Daten sind wohl in der Regel richtig.
Falsche Bezüge oder schiefe Begründungen sind schon eine andere Sache, die dürfte es auch bei den tendenziösen Berichten früher gegeben haben.

Zitat
Alle Jahrgänge sind ja jetzt im Internet zugänglich.


Was die 50er Jahre betrifft - die sind alle noch bei meinen Eltern auf dem Dachboden ...
Das Problem dürfte aber die Nachprüfbarkeit sein, da müßte man in die Archive steigen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.03.2010 12:05
#11 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Ich habe jetzt einfach mal ins Spiegel-Archiv geklickt und mir einen Artikel rausgenommen. Und mir schien das Auslands-Ressort geeignet, weil da die Archiv-Qualität wohl eher interessant ist.

Es ist Ende 1951 und es geht um China:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29195101.html

Und wenn ich das so durchlese bezweifele ich sehr stark, daß es hier eine echte Qualitätskontrolle gegeben hat. Vielleicht für manche historische Fakten, z. B. über den eingangs zitierten chinesischen Kaiser.
Aber wohl eher nicht für den eigentlichen Bericht - da scheint der Spiegel 1:1 die rotchinesischen Propagandaangaben übernommen zu haben.

Ein paar Beispiele:

Zitat
Nur in den Gegenden, wo die Landreform der Pekinger Volksregierung bereits durchgeführt worden war, herrschte von Anfang an Willigkeit.


Zitat
Der Brennpunkt des diesjährigen Projekts liegt bei Jen Ho Tschih, wo ein mächtiger Stausee (Fassungsvermögen neun Milliarden Kubikmeter) und ein Betondamm mit 15 Schleusentoren angelegt werden. Dieses Projekt soll in 100 Tagen vollendet werden.


Das entspricht etwa der Größe des Baldeney-Sees, daran wurde über ein Jahr gebaut.

Zitat
Diese Leistungen entspringen der grimmig-verschlossenen Arbeitswütigkeit, die die Bauern inzwischen erfaßt hat. Zum erstenmal in ihrem Leben werden sie für ihre Arbeit bezahlt. Mit ihrem Tagesverdienst können sie sich im Durchschnitt sieben Pfund Reis kaufen - nicht eben viel nach westlichem Standard, aber ein königlicher Lohn für chinesische Bauern.


Zum erstenmal im Leben werden diese Leute bezahlt? Wovon haben sie denn früher gelebt? Hat die "grimmig-verschlossene Arbeitswut" vielleicht nicht eher die üblichen Gründe in einer kommunistischen Diktatur?

Insgesamt eine überaus unkritische Darstellung - dauernd mit sehr merkwürdigen Seitenhieben auf die Kuonmintang. Abgerundet durch eine kitschige Geschichte über die schöne junge Partisanin, die das angeblich leitet und alles viel besser weiß als die Experten.

Mein Bauchgefühl sagt mir: Da wurde nichts wirklich recherchiert. Da gab es eine vom chinesischen Propagandaministerium organisierte Baustellenbesichtigung und der Spiegel hat nacherzählt, was er dort vorgesetzt bekam.
Ob die Bauarbeiter wirklich bezahlt wurden, wie freiwillig und begeistert sie dabei waren, ob der Staudamm im geplanten Zeitraum fertig wurde, ob er überhaupt gehalten hat ohne die von den Experten empfohlenen Stützpfeiler - alles offene Fragen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.03.2010 12:21
#12 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von R.A.
Ich habe jetzt einfach mal ins Spiegel-Archiv geklickt und mir einen Artikel rausgenommen. Und mir schien das Auslands-Ressort geeignet, weil da die Archiv-Qualität wohl eher interessant ist.
Es ist Ende 1951 und es geht um China:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29195101.html

(...) Mein Bauchgefühl sagt mir: Da wurde nichts wirklich recherchiert. Da gab es eine vom chinesischen Propagandaministerium organisierte Baustellenbesichtigung und der Spiegel hat nacherzählt, was er dort vorgesetzt bekam.


1951, lieber R.A., hat der "Spiegel" seine Auslandsberichte nahezu alle aus anderen Zeitungen und Zeitschriften zusammengestellt. Es gab ganz wenige eigene Korrespondenten; in London, wenn ich mich recht erinnere, schon damals Dr. H.G. Alexander. In Paris Lothar Ruehl, aber das war, glaube ich, schon ein paar Jahre später. Also, da konnte das Archiv auch nur das anhand ausländischer Quellen verifizieren, was ein Redakteur aus diesen abgeschrieben hatte.

Zweitens ist China kein sehr faires Beispiel, weil damals überhaupt so gut wie keine unabhängigen Informationen über das Land zu bekommen waren. Sie werden schon Recht haben, daß auch die Quellen für die "Spiegel"-Story letztlich auf chinesisches Propagandamaterial zurückgingen.

Und 1951 war das Archiv natürlich noch im Aufbau.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.03.2010 13:06
#13 RE: Zettels Meckerecke: Spiegel, Blogs, Tucholsky Antworten

Zitat von Zettel
1951, lieber R.A., hat der "Spiegel" seine Auslandsberichte nahezu alle aus anderen Zeitungen und Zeitschriften zusammengestellt.


Danke, das ist natürlich ein ganz wesentlicher Hinweis.
Da werde ich mir bei Gelegenheit mal ein Heft Ende der 50er rausgreifen, aber schon beim Ausland bleiben - da sieht man m. E. die Recherche-Qualtität deutlicher.

Zitat
Zweitens ist China kein sehr faires Beispiel, weil damals überhaupt so gut wie keine unabhängigen Informationen über das Land zu bekommen waren.


Gerade dann ist es ein faires Beispiel: Wenn man keine zuverlässigen Informationen hat, dann sollte eine Zeitung nämlich auch nicht berichten!
Oder wenigstens klar sagen, woher die Informationen kommen und daß sie nicht überprüft werden konnten.

Ich war schon etwas entsetzt, wie unkritisch der Spiegel hier kommunistische Propaganda nachgedruckt hat.

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