In der politischen Auseinandersetzung ist es bekanntlich wichtig, "Begriffe zu besetzen", d.h. ihnen im allgemeinen Sprachgebrauch die von der betreffenden Partei oder Strömung gewünschte Bedeutung zu geben. In Deutschland ist das in einem erschreckenden Maß der Linken gelungen, indem sie es verstanden hat, dem Begriff der Gerechtigkeit die Bedeutung von "Gleichheit" zu verleihen. Das Zitat enthält ein aktuelles Beispiel.
Tja, was soll man dazu sagen. Sie verwendet Gerechtigkeit und Gleichheit synonym. Wahrscheinlich nicht mal in böser Absicht. Sie weiß gar nicht mehr, daß es da einen Unterschied gibt. Ungleichheit ist ungerecht. Das sollten wir heute alle wissen. Und morgen wird keiner mehr wissen, daß es mal einen Unterschied gab.
Das Dumme daran ist nur, daß es gerechte Gleichheit nur auf dem Niveau das alle erreichen können geben kann. Drum wird es zum Glück nicht funktionieren.
Aber manche Menschen, denen es von Gott nicht gegeben ist, Großes zu tun und Erstaunliches zu leisten, haben dennoch von ihm eine gut ausgebautes Fähigkeit, sich unterlegen zu fühlen mitbekommen. Damit können sie es bemerkenswert ungerecht finden, wenn sie als Tütenpacker im Supermarkt nur so viel verdienen, daß es für AldiEssen, Bier aus Plastikflaschen, Kleidung von KiK und eine Schuhschachtel als Wohnung reicht.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt
Calimero
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16.03.2010 19:46
#3 RE: Zitat des Tages: Gerechtigkeit gleich Gleichheit?
Von einem muss es zwangsläufig kommen, also mache ich das mal:
Zitat von Franziska DrohselWer das nicht ernst nimmt, vertritt im Kern die Position "Wer nicht arbeitet, darf auch nicht essen". Das hat mit sozialdemokratischer Politik nichts zu tun.
Zitat von August BebelDer Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Aber die Arbeit soll auch nützliche, produktive Tätigkeit sein. Die neue Gesellschaft wird also verlangen, daß jeder eine bestimmte industrielle, gewerbliche, ackerbauliche oder sonstige nützliche Tätigkeit ergreift, durch die er eine bestimmte Arbeitsleistung für die Befriedigung vorhandener Bedürfnisse vollzieht. Ohne Arbeit kein Genuß, keine Arbeit ohne Genuß.
Zwei Fragen: 1. War August Bebel nicht auch Sozialdemokrat? 2. Welche industrielle, gewerbliche, ackerbauliche oder sonstige nützliche Tätigkeit übt eigentlich Franziska Drohsel aus?
Im Übrigen glaube ich, dass die Juso-Frontfrau, wie eigentlich immer, nur Schlagworte nachplappert. Sie sollte sich aber trotzdem mal Animal Farm durchlesen. Vielleicht schenkt es ihr ja jemand.
Zitat von George OrwellAlle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher.
Ich glaube kaum, dass Frau Drohsel mit allen anderen Bürgern gleichgestellt sein möchte. Da gibt es sicher einen kleinen Unterschied zwischen den Schweinen und dem anderen Viehzeugs zu beachten.
Gruß, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Das mal auch so verräterisch präsentiert zu bekommen, hat schon was, aber die Erkenntnis ist ja wirklich schon älter. Wer Augen hat zu sehen und Ohren hat zu hören, dem konnte schon bislang auffallen, dass schon immer alle Maßnahmen, die mit dem Ziel von mehr (gerne auch "sozialer") Gerechtigkeit begründet wurden, auf mehr Gleichheit abzielten.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
vielleichteinlinker
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17.03.2010 02:02
#5 RE: Zitat des Tages: Gerechtigkeit gleich Gleichheit?
Ganz so einfach ist es nicht. Zum Einen ist Gerechtigkeit mitnichten das Gegenteil von Gleichheit. Gleichheit vor dem Gesetz etwa ist eine der gerechtesten Sachen der Welt. Zum Anderen stellt die hübsche Jungsozialdemokratin beides nicht gleich. Das ist eindeutig. "Diese" Ungleichheit meint die "massive[r] soziale[r] Ungleichheit" aus dem Vor-Satz. Und aus dem Kontext wird auch deutlich, was damit gemeint ist. So schön ich Sprachkritik auch finde und so doll ich mich an solchen Bedeutungsfeinheiten auch freuen kann. In dem Fall ist es auch dem, was Sie extrahieren meiner Ansicht nach nicht erkennbar.
Zitat von vielleichteinlinkerGanz so einfach ist es nicht. Zum Einen ist Gerechtigkeit mitnichten das Gegenteil von Gleichheit. Gleichheit vor dem Gesetz etwa ist eine der gerechtesten Sachen der Welt.
Gleichheit als Voraussetzung, nicht als Ziel, lieber vielleichteinlinker. Allen gibt das Gesetz die Möglichkeit, straffrei zu bleiben; aber jeder wird je nach der Schwere seiner Tat bestraft, wenn er sich nicht an das Gesetz hält.
In diesem Sinn herrscht natürlich eine gerechte Gleichheit auch bei meinen Beispielen. Alle Vereine der Bundesliga sind in dem gleich, daß jeder von ihnen Meister werden und jeder absteigen kann. Alle Studenten sind in dem Sinn gleich, daß jeder sich eine gute Note verdienen kann. Und in diesem Sinn herrscht natürlich auch in unserer Gesellschaft weitgehende Gleichheit der Chancen. Keine perfekte, aber eine weitgehende. Joschka Fischer, der ungelernte Jobber ohne Abitur, ohne Berufsausbildung, ohne jede Qualifikation konnte es in dieser Gesellschaft bis zum Minister bringen.
Aber das meint ja Frau Drohsel nicht. Chancengleichheit will die FDP. Die Linke innerhalb und außerhalb der SPD will aber eine Gleichheit im Ergebnis.
Mit Chancengleichheit ist es durchaus vereinbar, daß Josef Ackermann im Jahr 10 Millionen Euro verdient; jeder andere hätte das ja bei gleichen Fähigkeiten auch erreichen können. Aber aus der Sicht der Linken ist das in hohem Grad ungerecht. Da haben Sie die beiden Bedeutungen von "gerecht" durch ein Beispiel illustriert.
Zitat von vielleichteinlinkerZum Anderen stellt die hübsche Jungsozialdemokratin beides nicht gleich. Das ist eindeutig. "Diese" Ungleichheit meint die "massive[r] soziale[r] Ungleichheit" aus dem Vor-Satz. Und aus dem Kontext wird auch deutlich, was damit gemeint ist.
Hier ist die Passage im Kontext. Ich bleibe bei meiner Interpretation; aber jeder mag selbst entscheiden:
Zitat von Interview mit Franziska DrohselSPIEGEL ONLINE: Fallen die Sanktionen, würde die SPD vom Prinzip des "Förderns und Forderns", also vom Kern der Agenda 2010, abrücken. Wäre eine Totalabkehr glaubwürdig?
Drohsel: Einzelne Elemente wie etwa die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe waren sinnvoll. Aber es muss endlich Schluss sein mit der Mär vom "faulen Arbeitslosen". Diese Ideologie lag der Agenda zugrunde - und damit muss aufgeräumt werden. Arbeitslosigkeit ist ein gesellschaftliches Problem und darf nicht individualisiert werden.
SPIEGEL ONLINE: Dem politischen Gegner würde die SPD so eine Steilvorlage bieten.
Drohsel: Die SPD bietet eine Steilvorlage, wenn sie ihre Identität und damit ihr Kernanliegen, soziale Gerechtigkeit zu erkämpfen, aufgibt. Diese Gesellschaft ist von massiver sozialer Ungleichheit geprägt. Die SPD muss wieder die Partei sein, die sich dieser Ungleichheit entgegenstellt und dafür sorgt, dass jeder Mensch menschenwürdig leben kann.
Zitat von vielleichteinlinkerSo schön ich Sprachkritik auch finde und so doll ich mich an solchen Bedeutungsfeinheiten auch freuen kann. In dem Fall ist es auch dem, was Sie extrahieren meiner Ansicht nach nicht erkennbar.
Es geht mir ja nicht um Sprachkritik. Es geht mir um die politische Besetzung von Begriffen mit dem Ziel, ihnen eine bestimmte allgemein akzeptierte Bedeutung zu geben. Auch wenn Benjamin Whorf das sehr übertrieben hat - a bisserl bestimmt die Sprache schon unser Denken.
Zitat von RaysonDas mal auch so verräterisch präsentiert zu bekommen, hat schon was, aber die Erkenntnis ist ja wirklich schon älter. Wer Augen hat zu sehen und Ohren hat zu hören, dem konnte schon bislang auffallen, dass schon immer alle Maßnahmen, die mit dem Ziel von mehr (gerne auch "sozialer") Gerechtigkeit begründet wurden, auf mehr Gleichheit abzielten.
Man mag lange über Gerechtigkeit und die verschiedenen, mal mehr und mal weniger intelligenten Interpretationen derselben, diskutieren, aber am Ende des Tages muß man feststellen, daß sozialistische Gesellschaften immer wieder an den gleichen Gebrechen zugrunde gehen. Die Mechanismen, nach denen das geschieht, sind hinlänglich bekannt, wie übrigens auch jene, die den Niedergang von Gesellschaften einläuten, wo die Ungleichheit, aus welchen Gründen auch immer, besonders hoch ist. Wer bei derartig erschlagender Evidenz immer noch den naiven Träumen extremistischer Verteilungs- bzw. Nichtverteilungspolitik träumt, dem kann man schlichtweg nichts anderes als eine hartnäckige Realitätsresistenz attestieren.
vielleichteinlinker
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17.03.2010 13:24
#9 RE: Zitat des Tages: Gerechtigkeit gleich Gleichheit?
Ich denke schon es ist Sprachkritik was Sie betreiben. Jemand gibt einem Wort eine Bedeutung, Sie hätten gerne eine andere. Das ist Sprachkritik. Vielleicht sind Sie überzeugt davon, dass Sie den allgemeinen Sprachgebrauch auf Ihrer Seite haben. Das kann ich aus Ihrem Argument aber nur erahnen.
"Aber das meint ja Frau Drohsel nicht. Chancengleichheit will die FDP. Die Linke innerhalb und außerhalb der SPD will aber eine Gleichheit im Ergebnis."
Damit endet die Diskussion übrigens. Wenn Sie das schon wissen und es im Drohsel-Zitat nur wiederfinden, dann ist es nicht verwunderlich, dass man diese Ansicht teilen muss um es eben zu finden. Da kann ich leider nicht mitmachen. Sie können deswegen den Unterschied in der Interpretation - den ich noch immer sehe - einfach darauf zurückführen, dass Sie von anderen Prämissen ausgehen. Mich interessiert nicht, was Frau Drohsel "meint". Ich gehen davon aus dass sie das meint was Sie sagt. Wenn Sie Drohsels "Meinung" (Und die der SPD und der Linken) schon kennen BEVOR Sie etwas über das Zitat sagen, dann können Sie das nur mit Leuten Diskutieren, die da mindestens ähnlich denken wie Sie.
Die von Ihnen zitierte Aussage lese ich übrigens noch immer so. Das liegt vielleicht daran, dass mir das "entgegenstellt" mehr aufgefallen ist als (offensichtlich) Ihnen. Vielleicht auch daran, dass ich eine Wortdoppelung immer als Hinweis darauf lese, dass die angenommene Bedeutung schon einmal geklärt wurde. Das nehme ich bei der Kookkurrenz um "Ungleich" im Vor-Satz als gegeben an.
Zitat von vielleichteinlinkerIch denke schon es ist Sprachkritik was Sie betreiben. Jemand gibt einem Wort eine Bedeutung, Sie hätten gerne eine andere. Das ist Sprachkritik. Vielleicht sind Sie überzeugt davon, dass Sie den allgemeinen Sprachgebrauch auf Ihrer Seite haben. Das kann ich aus Ihrem Argument aber nur erahnen.
Was das Wort "Sprachkritik" meint, darüber haben wir beide uns ja schon einmal, wenn ich mich recht erinnere, im Zusammenhang mit dem "Unwort des Jahres" sprachkritisch gestritten. Sie geben dem Wort eine Bedeutung, ich hätte gern eine andere.
Aber im Ernst: Es geht mir, wie erläutert, darum, daß jeder am politischen Diskurs Beteiligte versucht, Wörtern Konnotationen zu geben, die seinen politischen Absichten entgegenkommen.
Die linke Propaganda ist darin immer weit besser gewesen als Konservative und Liberale. Sie hat es zum Beispiel geschafft, dem Wort "neoliberal" eine so negative Bedeutung zu geben, daß noch nicht einmal Neoliberale sich noch so nennen. Sie hat dasselbe mit dem Wort "rechts" in Bezug auf politische Positionen erreicht; so daß von einem "Kampf gegen Rechts" gesprochen werden kann, wenn Rechtsextreme gemeint sind. In der DDR hat man das Wort "Frieden" so zu besetzen versucht, daß der Militarismus der DDR als "Friedenspolitik" verkauft werden konnte.
Und so fort. Wenn ich das kritisiere, dann ist das keine Sprachkritik - nach meinem Verständnis des Worts -, sondern die Kritik an einer bestimmten politischen Strategie. Sprachkritik ist es, wenn ich, sagen wir, die Verwendung von "Präponderanz" kritisiere, wo man ebensogut "Vorherrschen" oder "Überwiegen" sagen könnte.
Zitat von vielleichteinlinker"Aber das meint ja Frau Drohsel nicht. Chancengleichheit will die FDP. Die Linke innerhalb und außerhalb der SPD will aber eine Gleichheit im Ergebnis."
Damit endet die Deskussion übrigens. Wenn Sie das schon wissen und es im Drohsel-Zitat nur wiederfinden, dann ist es nicht verwunderlich, dass man diese Ansicht teilen muss um es eben zu finden. Da kann ich leider nicht mitmachen. Sie können deswegen den Unterschied in der Interpretation - den ich noch immer sehe - einfach darauf zurückführen, dass Sie von anderen Prämissen ausgehen. Mich interessiert nicht, was Frau Drohsel "meint". Ich gehen davon aus dass sie das meint was Sie sagt.
Hm, meinen Sie nicht, daß man nur dann versteht, was jemand sagt, wenn man versteht, was er meint?
Aber bevor wir jetzt dadaistisch werden: Drohsel sieht nach meiner Interpretation einen Mangel an Gleichheit als einen Mangel an Gerechtigkeit an. Sie identifiziert also insofern Gerechtigkeit mit Gleichheit. Ich sehe nicht so recht, wie man dieser Interpretation entrinnen kann.
Zitat von vielleichteinlinker Sie Drohsels "Meinung" (Und die der SPD und der Linken) schon kennen BEVOR Sie etwas über das Zitat sagen, dann können Sie das nur mit Leuten Diskutieren, die da mindestens ähnlich denken wie Sie.
Wir diskutieren doch miteinander, lieber vielleichteinlinker. Wir können es also.
Sie haben ja nun noch nicht gesagt, wie Sie denn die Aussage von Frau Drohsel interpretieren. Sind Sie der Meinung, daß sie nicht mehr Gerechtigkeit durch mehr Gleichheit erreichen will? Wie sieht nach Ihrer Interpretation Drohsel den Zusammenhang zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit?
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