In der Karibik existieren Seite an Seite frühere Kolonien, die selbständig wurden, und andere, die immer noch beim Mutterland sind. Ideale Bedingungen also für einen Vergleich der Lebensbedingungen.
Da müßte man aber rausrechnen, daß die jeweiligen Mutterländer jährlich Subventionen an noch kolonial gebliebenen Inseln zahlen, während die selbständigen weitgehend von eigener Arbeit leben müssen. Der Abstand wäre immer noch da, aber vermutlich deutlich kleiner.
Aber dann müsste man natürlich auch die Entwicklungshilfe berücksichtigen, die an souveräne Staaten wie Haiti fließt, aber nicht an Kolonien. Zahlt die EU eigentlich auch Strukturgelder an Martinique?
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von R.A.Da müßte man aber rausrechnen, daß die jeweiligen Mutterländer jährlich Subventionen an noch kolonial gebliebenen Inseln zahlen, während die selbständigen weitgehend von eigener Arbeit leben müssen.
Das ist sicher so, aber ich würde es, lieber R.A., gar nicht herausrechnen wollen. Das ist ja eben ein Teil des Unterschieds - wer partout selbständig werden wollte, der genießt halt nicht mehr die Vorteile eines Gebiets, das zum Mutterland gehört. Strukturhilfen gibt es ja ebenso für strukturschwache Gebiete in Europa. Sie sind einfach Teil der Vorteile, die man hat, wenn man sich nicht selbständig macht.
Übrigens könnte man den Unterschied auch an Nordafrika verdeutlichen. Algerien war bekanntlich vor der Unabhängigkeit ebenso ein Teil Frankreichs wie jetzt Martinique und die anderen DOMs; bestehend aus ganz normalen Départements wie Alger, Oran und Constantine. Diese hatten vor 1962 eine ähnliche Wirtschaftskraft wie die Départements auf der anderen Seite des Mittelmeers, also z.B. Aude, Gard, Hérault, Var; die heutigen Regionen Languedoc-Roussillon und PACA [Beispiele ergänzt]. Heute ist Algerien weit zurückgefallen.
Zitat von ZettelDas ist sicher so, aber ich würde es, lieber R.A., gar nicht herausrechnen wollen. Das ist ja eben ein Teil des Unterschieds - wer partout selbständig werden wollte, der genießt halt nicht mehr die Vorteile eines Gebiets, das zum Mutterland gehört.
Hmm, aber bleibt dann noch eine nennenswerte Aussage?
Wenn einige Staaten bereit sind, wg. imperialer Nostalgie diverse Millionen an ein paar Inselbewohner zu verschenken, das sagt dann wenig aus über die Entwicklungschancen von Ländern unter verschiedenen Verwaltungsformen. Auf größere Länder wäre das ohnehin nicht übertragbar, da wäre dann schnell Schluß mit der Zahlungsbereitschaft im "Mutterland".
Wenn Hoffmann über den "Mythos Dekolonisierung" spricht, dann muß er wohl mehr meinen als nur die Möglichkeit, Subventionen zu bekommen. Da wäre dann auch wichtig, Gorgasals Anregung folgend die Entwicklungshilfe dagegen zu halten. Die hat wohl auch strukturell ganz andere Wirkungen.
Zitat von ZettelHeute ist Algerien weit zurückgefallen. Herzlich, Zettel
Lieber Zettel,
ich glaube, da vergleichen Sie Äpfel mit Birnen. Der Geldtransfer in Richtung einer relativ kleinen Karibikinsel ist eine vergleichsweise geringe Belastung als der in Richtung Algerien.
Ansonsten eine kleine Anmerkung: Vor etwas über zehn Jahren saß ich in einem Flugzeug von St. Lucia neben einem Ministerialbeamten (oder war es ein Minister?) und habe mich ein bisschen über die Zustände auf St. Lucia unterhalten. Er hatte als größtes Problem für die Entwicklung der Insel die fehlenden Familienstrukturen genannt. Tatsächlich schien es dort der Normalfall zu sein, dass Frauen allein mit ihren Kindern lebten, und ab und zu Besuch von den verschiedenen Kindsvätern bekamen, die ihnen dann ab und zu etwas zusteckten (Ähnliche Verhältnisse hatte ich in dieser Zeit auch auf den Kapverden gesehen, die damals noch ärmer waren). Ich könnte mir vorstellen, dass das neben Korruption u.a. auch eine Rolle spielt.
Zitat von ZettelDas ist sicher so, aber ich würde es, lieber R.A., gar nicht herausrechnen wollen. Das ist ja eben ein Teil des Unterschieds - wer partout selbständig werden wollte, der genießt halt nicht mehr die Vorteile eines Gebiets, das zum Mutterland gehört.
Hmm, aber bleibt dann noch eine nennenswerte Aussage? Wenn einige Staaten bereit sind, wg. imperialer Nostalgie diverse Millionen an ein paar Inselbewohner zu verschenken, das sagt dann wenig aus über die Entwicklungschancen von Ländern unter verschiedenen Verwaltungsformen.
Diese sind ja auch schwer abzuschätzen, lieber R.A. Jedenfalls geht es den weiterhin "Kolonisierten" prächtig, verglichen mit ihren "freien" Nachbarn.
Daß imperiale Nostalgie eine Rolle spielt, halte ich für Frankreich (nur da kann ich es beurteilen) für unwahrscheinlich. Jedes französische Département erhält von Paris Subventionen, wenn es unterentwickelt ist. Ich habe die Region Languedoc-Roussillon erwähnt. Als ich dort in den fünfziger Jahren das erste Mal war, war es ein vergessener Teil Frankreichs; für Touristen nur interessant als Transitgebiet auf dem Weg nach Spanien (damals noch ohne Auotbahn; man zuckelte den Strand entlang). Dann wurde ein gewaltiges Entwicklungsprogramm beschlossen; und heute verdient die Region am Tourismus ähnlich viel wie wie die Côte d'Azur. Wenn Paris jetzt Martinique und Guadeloupe ähnlich zu entwickeln versucht, dann ist das aus französischer Sicht nicht Nostalgie, sondern Investition in die Zukunft.
Zitat von R.A.Auf größere Länder wäre das ohnehin nicht übertragbar, da wäre dann schnell Schluß mit der Zahlungsbereitschaft im "Mutterland".
Algerien könnte aufgrund seines Ölreichtums und der von den Franzosen geschaffenen Infrastruktur ein wohlhabendes Land sein. Kein Fall für Zahlungsbereitschaft. Es war ja eben keine Kolonie gewesen, sondern ein Landesteil Frankreichs, der sich ähnlich entwickelt hatte wie der Rest des Landes. Die Einwohner waren gleichberechtigt; ob ihre Vorfahren nun Berber, Araber, Franzosen oder Italiener gewesen waren.
Ohne den Irrweg der "Entkolonialisierung" könnte die Region heute prosperieren.
Zitat von R.A.Da wäre dann auch wichtig, Gorgasals Anregung folgend die Entwicklungshilfe dagegen zu halten. Die hat wohl auch strukturell ganz andere Wirkungen.
Der entscheidende Punkt ist nicht die Selbständigkeit als solche - daß sie funktionieren kann, haben ja z.B. Malaysia, Indien und Indonesien gezeigt. Entscheidend ist, daß die "Entkolonialisierung" der sechziger bis frühen achtziger Jahre fast überall sozialistische Regimes an die Macht brachte.
Ich hatte für den Artikel ein wenig nachgelesen und mich an diese Zeit der sechziger Jahre erinnert, als Dr. Julius Nyerere, Dr. Kwame Nkrumah und Sekou Touré die Helden der Freiheit Afrikas gewesen waren - allesamt Sozialisten, wenn nicht Kommunisten. Das war die erste Generation; später kamen dann die brutaleren Sozialisten wie Mugabe in Zimbabwe und Mengistu in Äthiopien. Ähnlich war es in der Karibik; von Indochina ganz zu schweigen.
Dass das BIP wenig über den Wohlstand eines Landes sagt, wird am Beispiel Martinique deutlich: Für 2005 weist das Land zwar ein BIP/Kopf i.H.v.18.455 Euro aus, aber etwa 80 Prozent der Bevölkerung arbeiten im tertiären Bereich. Wir sollten uns keine Illusionen über das Einkommen einer Serviererin in unserem Lieblingsferienclub machen und auch den Komfort für die 25 Prozent Arbeitslosen nicht überbewerten.
Eine sinnvollere Vergleichsgröße ist der Human Development Index der Vereinten Nationen. Hier belegt Martinique den 81. Rang, während die kommunistische Karibikinsel Cuba auf Platz 51 noch vor den (it´s better in the) Bahamas liegt. Schade, dass der Autor dort nicht hingeschaut hat.
Die Frage, ob das Leben unter Kolonialherren nicht doch angenehmer sei, beantwortet der Artikel garnicht. Denn erstens ist Marinique eben keine Kolonie mehr, sondern Teil Frankreichs. Zweitens müsste dafür der Standard während und nach der Kolonialzeit verglichen werden.
Noch eins: Gerade für die Leser dieses Blogs hat Selbstbestimmung in sich einen hohen Wert: Wer die Freiheit des Individuums über Sicherheit und Gerechtigkeit stellt, sollte das Selbstbestimmungsrecht einer Gesellschaft ähnlich hoch schätzen.
Zitat von inkadueDass das BIP wenig über den Wohlstand eines Landes sagt
Es sagt nicht alles aus, aber doch sehr viel.
Zitat Für 2005 weist das Land zwar ein BIP/Kopf i.H.v.18.455 Euro aus, aber etwa 80 Prozent der Bevölkerung arbeiten im tertiären Bereich.
Das ist doch positiv - eine Beschäftigung im tertiären Bereich meistens angenehmer als in den anderen Sektoren. Und um auf ein so hohes BIP/Kopf zu kommen, werden im tertiären Bereich von Martinique nicht nur Serviererinnen arbeiten ...
Zitat Eine sinnvollere Vergleichsgröße ist der Human Development Index der Vereinten Nationen.
Den halte ich nun eher für Humbug. Da werden drei völlig unvergleichbare Meßgrößen (Einkommen, Lebenserwartung, Alphabetisierung) willkürlich zusammengezählt, das Ergebnis ist eigentlich methodisch unbrauchbar.
Zitat Hier belegt Martinique den 81. Rang ...
In der Wikipedia-Liste des HDI finde ich Martinique überhaupt nicht, auf Platz 81 wäre dort Mauritius ...
Zitat während die kommunistische Karibikinsel Cuba auf Platz 51 noch vor den (it´s better in the) Bahamas liegt.
Belegt ja nun eher, daß der HDI Humbug ist.
Zitat Wer die Freiheit des Individuums über Sicherheit und Gerechtigkeit stellt, sollte das Selbstbestimmungsrecht einer Gesellschaft ähnlich hoch schätzen.
Im Prinzip ja - aber es gibt da einen wichtigen Unterschied: Ein Individuum ist klar abgegrenzt und kann für sich entscheiden. Es ist aber höchst unklar (gerade wenn man über Sezessionen spricht), was nun genau "eine Gesellschaft" ist und wie diese ihre Entscheidungen fält.
Zitat von inkadueGerade für die Leser dieses Blogs hat Selbstbestimmung in sich einen hohen Wert: Wer die Freiheit des Individuums über Sicherheit und Gerechtigkeit stellt, sollte das Selbstbestimmungsrecht einer Gesellschaft ähnlich hoch schätzen.
So ist es. Wenn in Martinique oder in Gouadelupe eine Unabhängigkeitsbewegung entstünde, die eine Volksabstimmung zugunsten einer Löslösung von Frankreich verlangt, dann wäre ich entschieden für eine solche Abstimmung.
Und, lieber inkadue: Ich glaube das ungefähre Ergebnis zu kennen.
Zitat von inkadueWir sollten uns keine Illusionen über das Einkommen einer Serviererin in unserem Lieblingsferienclub machen
Während im schönen Kuba die Serviererin das Geld, das sie im Ferienclub verdient, zur Gänze an den kubanischen Staat abliefern muss. Macht aber nix, denn dafür kann sie ja an einem Tag locker das durchschnittliche Monatsgehalt ihrer Landsleute als Trinkgelder einnehmen ...
Ob das wirklich "besser" ist, als ein Teil des französischen Staates zu sein?
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.