vor Jahresfrist haben Sie - wenn ich mich recht erinnere - die getreuen Leser Ihres Webtagebuchs mit einer (oder einem?) OsterlobhudelEi erfreut - ich kann leider nicht vermeiden, dass es genau wie eine ebensolche klingt, wenn ich sage, dass ich Ihre Plauderei über Zeit, Geld und Zeitmanagement sehr genossen habe und sie hinsichtlich Form und Stil geradezu für ein Stück Literatur halte. Ich muss allerdings gestehen, dass es mir in der von ihnen so anschaulich geschilderten "Außengastronomie" sehr schwer gefallen wäre, dem dort gebotenen Service mit ähnlich olympischer Gelassenheit zu begegnen, wie das bei Ihnen offenbar der Fall war. Ich bin nämlich leider schrecklich ungeduldig, woran auch das kostenlose Geduldstraining, das ich während des Einkaufs bei Aldi schon unzählige Male beim Stehen in der Schlage vor der Kasse über mich ergehen lassen musste, bislang nichts ändern konnte. Ich stecke mir immer dann, wenn ich mit Wartezeiten rechnen muss, stets ein Buch ein, um nicht ständig daran denken zu müssen, dass jede Warterei (besonders die beim Arzt; Ärzte sind offenbar mehr als andere Menschen außerstande, verabredete Termine getreulich einzuhalten) auch den Zweck hat, demütig zu machen. Als Kind habe ich einmal eine Erzählung aus Tausendundeine Nacht gelesen, in der ein Djinn in eine Flasche eingeschlossen war, nach tausend Jahren der Warterei jedem, der ihn befreien sollte, ein Königreich schenken würde, nach zweitausend Jahren zwei Königreiche, nach zehntausend Jahren aber schwor, denjenigen, der endlich den Korken aus der vermaledeiten Flasche zieht, auf der Stelle umzubringen. Ich habe sehr viel Verständnis für den Djinn; spätestens beim Harren auf das Erscheinen der Brötchen wäre mir der Geduldsfaden gerissen - ich hätte das Geld für die Zeche auf den Tisch geknallt und wäre verschwunden, ohne etwas von diesem Etappenfrühstück anzurühren. Ich glaube, dass zum Taugenichts, Tagedieb und Eckensteher auch eine ganz spezielle Begabung (zum Beispiel eine Viechsgeduld) gehört, über die ich nicht verfüge und die mir vermutlich auch kein noch so teures Seminar für Zeitmanagement vermitteln kann.
Wie immer bevor ich in die Tasten haue, habe ich mir ein paar Minuten Zeit genommen um darüber zu sinnieren, ob ich zum Thema etwas beitragen könnte, und, ob mein eventuell entstehender Beitrag auch lesenswert sein würde. Denn ... auch die Lektüre meiner Zeilen kostet den Leser Zeit, und wenn ich mit meinen Befindlichkeiten und Meinungen langweile oder gar nerve bin ich auch nur ein nichtsnutziger Zeitdieb - und das möchte ich eigentlich vermeiden.
Aber dies ist ja eine OsterplauderEi ... also plaudern wir. Dabei fällt mir gerade auf, dass plaudern ein ebenso hübscher, wie leider fast aus der Wortsprache verschwundener Begriff ist ... aber, ich schweife ab ...
Sie, lieber Zettel, schreiben, dass Zeit fast so kostbar ist wie Geld. Dem möchte ich widersprechen, denn Zeit ist ohne Zweifel kostbarer. Sie verrinnt unaufhaltsam, ohne dass sie je ersetzt werden kann. Zeit ist nicht Geld, Zeit ist Leben. Darum geht es mir wie Friedel B., dessen Beschreibung von Ungeduld ich absolut unterschreiben kann. Ich hätte dieses gestückelte Frühstück auch nicht über mich ergehen lassen wollen. Mit einer Tasse Kaffee vor einem Aufschnitt-Teller zu sitzen und keine Brötchen zu haben? Ist ja wie Ziggies in der Tasche, aber kein Feuer weit und breit. Brrh!
Nee, Geduld ist nicht gerade meine Stärke, gebe ich zu. Ich sehe mich ständig von Zeitdieben umgeben. Meine Zeit will ich aber bitteschön selbst verplempern! So sitze ich seit bestimmt einer halben Stunde an diesen, meinen Ausführungen und stelle mich nach Vollendung jeden Absatzes erstmal auf die Terrasse in den Regen, nuckel zwei Züge eines etwas angeweichten Zigarillos, denke nach, und begebe mich wieder ins Büro vor meinen Rechner, um mich dort den mauzend vorgetragenen Gunstbeweisen unserer völlig aufgedrehten Katze (europäisch Kurzhaar, grau getigert) zu erwehren.
Und wieder habe ich dem Leser etwas Zeit geklaut, denn wen interessiert schon welche Farbe unsere Katze hat? Aber Lesen ist ja freiwillig und dauert nur Sekunden ... viel schlimmere Zeitdiebe gibts anderswo. Klassiker Straßenverkehr: Der Fahrer vor mir sieht, dass seine Ampel rot zeigt und wird rapide langsamer, ich will aber nach rechts und meine Ampel zeigt grün ... wir haben nur noch hundert Meter, dann komme ich auf meine eigene Spur ... aber dieser Drecksack blockiert mich, bremst mich aus, kostet Zeit ... Arrgh! Heul! Hätte ich jetzt 'ne Bazooka!
Anderer Klassiker: Ampel mit bekannt kurzer Grünphase ... das Signal kommt ... der Fahrer vor mir führt erstmal irgendwelche schamanistischen Rituale durch, bevor er endlich vom Fleck kommt ... er schaffts noch bei Gelb, während ich für die nächsten drei Minuten ins Lenkrad beiße.
Auch schön: Supermarkt, Schnellkasse. Alle fünf individualistischen Singles vor mir (mit ihren jeweils fünf Artikeln) zahlen mit Kreditkarte, müssen nach Zahlung unbedingt ihre Kundenkarte in der Handtasche suchen und wollen noch über Sonderangebote in der nächsten Woche informiert werden. Hass! Resignation! Zeitdiebe allerorten!
Zeit ist nicht Geld, Zeit ist Leben. Und jeder möchte selbst entscheiden, wie er seine Zeit nutzen oder verschwenden möchte. Man kann stundenlang den Fluss eines Bächleins beobachten, durch ein Mikroskop gucken, ein gutes Buch lesen oder einem Hörspiel lauschen ... aber dabei (oder davor) gestört, abgelenkt, oder davon irgendwie abgehalten zu werden ist unschön. Meine Zeit ist mir zu wertvoll, als dass ich meine Mitmenschen darüber entscheiden lassen möchte. Ich halte es wie Friedel B. ... immer ein Taschenbuch parat haben!
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Um es kurz zu machen und niemandem seine Zeit zu "stehlen": dieser Kommentar bringt es auf den Punkt:
Zitat von CalimeroMeine Zeit ist mir zu wertvoll, als dass ich meine Mitmenschen darüber entscheiden lassen möchte.
Wer sich Zeit nimmt und sogar noch dafür zu zahlen bereit ist, um ein Frühstück zu geniessen, erwartet, dass neben dem Frühstück auch der Genuss berücksichtigt wird.
eine großartige Reflexion über den Zeitbegriff! Habe mir ebenfalls gerne die Zeit für das Lesen des interessanten Artikels genommen - denn heute habe ich zum Glück frei :-)
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