Was für unterschiedliche Maßstäbe! Wenn Guido Westerwelle Leute in einer Wirtschaftsdelegation mitnimmt, mit denen sein Lebenspartner einmal Geschäfte gemacht hat, dann wittert die ganze Republik Unrat. Als der abgewählte Kanzler Schröder seine Kenntisse als Bundeskanzler versilberte, indem er sich zum Dank für geleistete Dienste in das Unternehmen Gazprom berufen ließ, war das Echo verhalten. Damit und vor allem mit dem Einfluß der neuen Pipeline auf die Machtverhältnisse in Europa befaßt sich dieses Zitat des Tages.
Dies ist einer der wenigen Artikel auf ZR, denen ich überhaupt nicht zustimmen mag. Der Reihe nach.
1) In der Analyse stimme ich Ihnen schon zu. Man sollte sich nicht ohne Not in die Abhängigkeit anderer Staaten begeben und zwar völlig unbedacht der Tatsache, ob diese nun demokratisch, gelenkt-demokratisch, diktatorisch, theokratisch oder sonstwie regiert werden.
2) Was wäre denn die Alternative zu Nordstream? Wir beziehen das Gas so oder so von Russland, weswegen unsere Abhängigkeit überhaupt nicht tangiert wird. Wir waren vorher von russischem Gas abhängig, wir werden es weiterhin bleiben.
3) Für die Ukraine, Polen usw. natürlich ein Nachteil. Aber es kann doch niemand verlangen, daß Deutschland seine Energieversorgung gefährdet, nur damit die Osteuropäer weiterhin eine Politik gegenüber Russland betreiben können, die, sagen wir es mal so, nicht den Machtverhältnissen angemessen ist.
4) Alle anderen Alternativen, etwa die Nabucco-Linie, würden uns in Abhängigkeit von der Türkei bringen, von der ich mich offen gestanden viel direkter bedroht fühle, als von Russland. Weiterhin kann diese Linie realistischerweise wohl nur mit iranischem Gas gefüllt werden, was mir auch nicht allzu recht wäre.
Mir scheint die Option Nordstream vor diesem Hintergrund doch die bei weitem günstigste für uns zu sein, was nicht bedeuten muß, daß sie insgesamt günstig ist. Sie scheint mir das kleinste aller Übel zu sein.
Zitat von HajoWas wäre denn die Alternative zu Nordstream? Wir beziehen das Gas so oder so von Russland, weswegen unsere Abhängigkeit überhaupt nicht tangiert wird. Wir waren vorher von russischem Gas abhängig, wir werden es weiterhin bleiben.
Es hätte unser Bestreben sein müssen, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Stattdessen wird sie verstärkt; denn natürlich bedeuten höhere Transportkapazitäten auch die Möglichkeit, noch mehr russisches Gas zu importieren.
Wir sollten uns ein Beispiel an Frankreich nehmen, das u.a. wegen seiner nationalen Unabhängigkeit auf die Nuklearenergie setzt.
Zitat von HajoFür die Ukraine, Polen usw. natürlich ein Nachteil. Aber es kann doch niemand verlangen, daß Deutschland seine Energieversorgung gefährdet, nur damit die Osteuropäer weiterhin eine Politik gegenüber Russland betreiben können, die, sagen wir es mal so, nicht den Machtverhältnissen angemessen ist.
Die Machtverhältnisse, lieber Hajo, sind ja immer eben Verhältnisse, hängen also von der Stärke der einen wie der anderen Seite ab. Präsident Bush war entschlossen, Osteuropa nicht den Russen zu überlassen. Da waren die Machtverhältnisse halt noch so, daß Georgien und die Ukraine hätten in die Nato aufgenommen werden können. Präsident Obama hat Osteuropa faktisch den Russen überlassen. Schröder und Obama - das wäre ein prächtiges Paar gewesen.
Sollte uns Osteuropa gleichgültig sein? Aus meiner Sicht nicht. Die Freiheit dieser Völker ist auch für unsere Freiheit wichtig; ich möchte nicht, daß eines Tages wieder russische Soldaten an der Oder stehen. Und ich bin auch so - würde JeffDavis sagen - treuherzig, daß mir die Erhaltung von Freiheit und Demokratie in unseren Nachbarländern auch als solche wichtig ist; von den momentanen deutschen Interessen ganz abgesehen.
Zitat von HajoAlle anderen Alternativen, etwa die Nabucco-Linie, würden uns in Abhängigkeit von der Türkei bringen, von der ich mich offen gestanden viel direkter bedroht fühle, als von Russland.
Man sollte sich nicht auf einen Weg festlegen; erst dadurch entstehen Abhängigkeiten.
Aber der Grundfehler ist aus meiner Sicht, überhaupt in dem jetzigen Maß auf Erdgas zu setzen, statt auf Nuklearenergie. Das hat allein ideologische Gründe.
Die von Rot-Grün erstrebte Energiewende hin zu "Erneuerbaren Energien" ist unmittelbar verbunden mit der Errichtung von schnell liefernden, grundlastfähigen Gas-Kraftwerken. Dies ist der Hauptgrund für die Schrödersche Aktion. Daß man nebenher auch gleichzeitig eine gewisse antiamerikanische Haltung zeigen kann, wie sie in linken Kreisen weit verbreitet ist, ist der Nebeneffekt bei dieser Hinwendung zum Osten. Wenn dann die wirtschaftlichen Zügel erst einmal festgezurrt sind, ist eine Umkehr eigentlich nicht mehr möglich.
Beste Grüße B.
---------------------------------------------------- Bibliotheken sind eine gefährliche Brutstätte des Geistes
Zitat von ZettelWir sollten uns ein Beispiel an Frankreich nehmen, das u.a. wegen seiner nationalen Unabhängigkeit auf die Nuklearenergie setzt.
Zitat von ZettelAber der Grundfehler ist aus meiner Sicht, überhaupt in dem jetzigen Maß auf Erdgas zu setzen, statt auf Nuklearenergie. Das hat allein ideologische Gründe.
Uneingeschränkte Zustimmung.
Wobei ich die Nuklearenergie auch aus ideologischen Gründen für eine prima Sache halte. Ich nehme da immer gerne eine Anleihe an der "Dampftechnologie", die im Europa des 19. Jh. auch zu zehntausenden Todesopfern und hunderttausenden Verletzten geführt hat. Hätte es damals Grüne gegeben, die einen Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Dampfkraft durchgesetzt hätten... Gar nicht auszudenken.
Unsere Vorväter haben dem Vorsorgeprinzip so wenig Beachtung gezollt, daß sie statt dessen unverantwortlicherweise den TÜV gegründet haben und dann auch noch wirtschaftlichen Erfolg hatten. Das wär gottseidank heute kaum mehr möglich!
Zitat von HajoIch nehme da immer gerne eine Anleihe an der "Dampftechnologie", die im Europa des 19. Jh. auch zu zehntausenden Todesopfern und hunderttausenden Verletzten geführt hat. Hätte es damals Grüne gegeben, die einen Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Dampfkraft durchgesetzt hätten... Gar nicht auszudenken.
Hätte es damals schon ein Bundesinstitut für Risikobewertung gegeben, dann wäre wahrscheinlich nicht die Eisenbahn, bestimmt aber nicht das Auto genehmigungsfähig gewesen. Von so gefährlichen Dingen wie Gasbeleuchtung, Elektrizität und dem Fliegen durch die Luft gar nicht zu reden.
Im Grunde ist es erstaunlich, daß so viele Menschen diese Risiken überlebt haben, daß es heute genug gibt, die vor Risiken warnen können.
Unsere Vorväter haben dem Vorsorgeprinzip so wenig Beachtung gezollt, daß sie statt dessen unverantwortlicherweise den TÜV gegründet haben und dann auch noch wirtschaftlichen Erfolg hatten.
So isses! Was viele gar nicht wissen - der TÜV hat ja seine Ursprünge im Dampfkessel-Überwachungs-Verein, welcher eben gerade nicht von einer Regierung, einem "Bundesamt für Risikobewertung", oder gar der EU ins Leben gerufen, sondern von Unternehmern gegründet wurde als sie sahen, dass allgemein gültige Sicherheitsstandarts für alle von Nutzen sind.
Kurze persönliche Anekdote: Mir ist trotz TÜV-Überwachung (naja, DDR-TÜV) im zweiten Ausbildungsjahr mal ein Kessel sozusagen um die Ohren geflogen. War schon beeindruckend!
Ich war auf meiner Kesselrunde gerade auf der 0m-Bühne angekommen, als plötzlich ohrenbetäubender Lärm ausbrach. Ein mir entgegenkommender Radfahrer riss plötzlich die Augen auf und starrte nach links. Ich lugte vorsichtig um den Stützpfeiler herum, hinter dem ich gerade stand, und sah nur noch eine riesige Staubwolke in der anscheinend Steinbrocken herunterfielen. Zwei Minuten vorher war ich selbst noch an dieser Stelle gewesen.
Da ich in all dem Lärm und Staub nicht wusste wohin, blieb ich erstmal in Sicherheit hinter meinem Stützpfeiler. Als ich mich dann doch aus der Deckung traute und auf die Leitwarte ging, hätte mich mein Doppelblockleiter wohl am liebsten umarmt und geknuddelt. Die haben gedacht, es hätte mich erwischt.
Schadensaufnahme: Totraumschaden* auf 40m Höhe (eine ca 15 cm dicke Dampfsammelleitung hat es aufgerissen, und der Dampfstrahl hat noch zwei oder drei andere Leitungen zersägt). Ergebnis: 40 qm Schamotte-Mauerwerk rausgeblasen (die mir vor die Füße fielen), und eine weggesprengte Kesselverblechung (2 cm dicke Stahlplatten), die erst von der Kesselhausmauer in ca 60 m Entfernung aufgehalten wurde. Heutzutage dagegen ist alles sensorisch dermaßen überwacht, dass schon ein sich anbahnender Schaden sofort detektiert wird. Damals, bei ca 140 bar, ist mir der Ofen quasi explodiert - heute, bei 300 bar, passiert nichts mehr. Technische Evolution halt ... ganz ohne Risikovermeidungsbürokraten.
Beste Grüße, Calimero
Edit: *Totraum bezeichnet die unbeheizten Teile eines Dampferzeugers, in welchen kein Wärmeübergang durch Strahlung/Konvektion stattfindet, aber dafür verschiedene Leitungsstränge zwecks Durchmischung/Sammlung des Fluids zusammengeführt werden. Darum sind die Leitungsquerschnitte dort größer, und die potentiellen Schäden bei einem Leitungsriss heftiger.
Noch brachialer sind lediglich Schäden in wasserführenden Leitungen und Behältern ... sowas möchte ich nicht miterleben. Mein Opa hat mir mal einen selbsterlebten Fallrohrschaden geschildert - das war wohl wie Bombenkrieg - Deckung suchen, zusammenrollen, hoffen.
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat von Welt OnlineDass diese gebaut wird, obwohl skandinavische Umweltschützer sowie baltische und polnische Politiker jahrelang dagegen waren, können sich drei Männer zugute halten: Matthias Warnig, Wladimir Putin und Gerhard Schröder. Warnig, früher Banker, davor für die Stasi aktiv, hält bei Nord Stream als Geschäftsführer die Fäden in der Hand. Putin, jetzt Premier, davor Präsident, früher beim KGB, hat den Bau politisch befördert. Flankiert werden die beiden von Altkanzler Schröder, der dem Nord Stream-Aktionärsausschuss vorsitzt.
Zitat Da ich in all dem Lärm und Staub nicht wusste wohin, blieb ich erstmal in Sicherheit hinter meinem Stützpfeiler.
Lieber Calimero,
das war sicher ziemlich ehrfurchterregend! Ich habe nur mal die Auslösung eines Sicherheitsventils in einer Halle voll mit Färbereibottichen, die mit ca. 120 Grad betrieben wurden, erlebt. Infernalischer Krach und die ganze Halle sofort mit dichtem farbigem Nebel gefüllt, ich hatte keine Ahnung, was los war. Bei 140 Bar treten natürlich richtige Schäden auf, wehalb man auch in den 20er Jahren den Bau von Hochdrucklokomotivkesseln aufgegeben hat.
"Es hätte unser Bestreben sein müssen, diese Abhängigkeit zu reduzieren."
Richtig und leicht gesagt. Aber wie? Fuer den Bedarf Deustchlands und Westeuropas an Erdgas gibt es nur zwei Produzenten mit ausreichenden Gasvorkommen in geographischer Naehe: Russland und den Iran (der durch Nabucco an Europa angeschlossen werden soll). Von wem wollen sie also lieber abhaengig sein?
Und was Erdgas vs Nuklearenergie betrifft: Erdgas ist weitaus billiger.
Zitat von john j"Es hätte unser Bestreben sein müssen, diese Abhängigkeit zu reduzieren." Richtig und leicht gesagt. Aber wie? Fuer den Bedarf Deustchlands und Westeuropas an Erdgas gibt es nur zwei Produzenten mit ausreichenden Gasvorkommen in geographischer Naehe: Russland und den Iran (der durch Nabucco an Europa angeschlossen werden soll). Von wem wollen sie also lieber abhaengig sein? Und was Erdgas vs Nuklearenergie betrifft: Erdgas ist weitaus billiger.
Nach einer Untersuchung des RWI, die dort zitiert wird, liegen für neu errichtete Kraftwerke die Kosten für Nuklearenergie zwischen 10,70 und 12,40 €ct/KWh und für Energie aus Erdgas zwischen 10,60 und 11,80 €ct/KWh.
Das gilt, wie gesagt, für neu errichtete Kraftwerke. Bei schon abgeschriebenen KKWs dürfte der Preis noch niedriger liegen.
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