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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 24 Antworten
und wurde 2.192 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.05.2010 11:20
Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Er hat es noch erleben dürfen, daß ihm Gerechtigkeit widerfährt.

Die Bundesrepublik hat überhaupt Glück gehabt mit ihren Kanzlern. Mit Ausnahme Gerhard Schröders, dessen Bedeutungslosigkeit inzwischen vielen dämmern dürfte, und Kurt-Georg Kiesingers, der dafür zu kurz amtierte, waren sie alle bedeutend; geschichtliche Gestalten. Die Kanzlerin wird einmal dazugehören.

patzer Offline



Beiträge: 359

06.05.2010 12:59
#2 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

sich mit ansichten und überzeugungen eines roman herzog zu beschäftigen lohnt immer.einer der wenigen politischen köpfe von intellektueller brillianz der letzten jahre.

Hajo Offline



Beiträge: 440

06.05.2010 12:59
#3 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Ich finde, auch wenn ich der Sozialdemokratie alles andere als nah stehe, die Kanzlerschaft von Schröder keineswegs bedeutungslos - und zwar im Guten wie im Schlechten. Mir ist da zum einen in Erinnerung, daß er die Schleusen für wahlberechtigte Ausländer mit deutschem Pass geöffnet hat, was mich heute noch umtreibt. Ich glaube daran werden wir noch zu beißen haben. Vielleicht nicht heute, aber in zehn oder 20 Jahren... Zum anderen fallen mir aber auch die Hartz-Reformen ein, die er gegen den Widerstand und zu größten Lasten der eigenen Partei ins Werk gesetzt hat. Auch die Äquidistanz zwischen Washington und Moskau in Zeiten des zweiten Golfkriegs schien mir im deutschen Interesse gewesen zu sein, wie es auch die Northstream-Pipeline m.E. nach ist. Ein großer Kanzler war er sicherlich nicht, aber ich gestehe ihm schon zu, daß er das ihm Mögliche unternommen hat.

Ob die Kanzlerin indes eine große Kanzlerin wird, ist eine Frage, die ich keineswegs so selbstsicher bejahen würde wie Sie. Ich denke dies wird ganz maßgeblich von der NRW-Wahl und dem dann eingeschlagenen Weg abhängen. Ich hielte es, sollten sich die Dinge negativ entwickeln, durchaus für möglich, daß ihre Kanzlerschaft einmal als "verlorene Jahre" geführt werden könnten.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.05.2010 13:35
#4 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von Zettel
Die Kanzlerin wird einmal dazugehören.


Das warten wir doch lieber mal in Ruhe ab.
Bisher sehe ich bei ihr kaum vorzeigbare Leistungen, geschweige denn historische.
Speziell die aktuelle Griechenland-"Rettung" ist kein Ruhmesblatt für sie.

Nachtrag: Merkels Griechenland-"Rettungs"-Paket scheint einige Pferdefüße zu haben:
http://www.fr-online.de/top_news/2617905...-verlieren.html

Wir zahlen also mehr, müssen noch die Finanzierungskosten der anderen Länder subventionieren und bekommen am Ende weniger zurück (wenn überhaupt).

Wer als Bundestagsabgeordneter hier zustimmt handelt grob fahrlässig.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

06.05.2010 15:56
#5 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von Hajo
wahlberechtigte Ausländer mit deutschem Pass




Auch auf die Gefahr hin, als Beckmesser zu erscheinen: Es gibt keine wahlberechtigten Ausländer mit deutschem Paß. Wahlberechtigte Ausländer gibt es nur bei Kommunalwahlen und zwar die Bürger der Europäischen Union. Alle übrigen sind Doppelstaatler, mithin deutsche Staatsangehörige und als solche wahlberechtigt. Daneben besitzen sie noch eine ausländische Staatsangehörigkeit. Das ist auch keine Erfindung von Rot-Grün. Doppelstaatler gibt es seit Jahrzehnten in großer Zahl, nämlich alle Aussiedler und Spätaussiedler sowie idR alle Kinder aus gemischtnationalen Ehen. Erstere Gruppe umfaßt mehrere Millionen Personen, letztere mehrere Hunderttausend. Dazu kommen die Ausländer, die unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, sowie seit September 2007 alle eingebürgerten Staatsangehörigen von EU-Staaten.

Aber es sind keine wahlberechtigte Ausländer mit deutschen Paß, sondern deutsche Staatsangehörige mit einer oder mehreren weiteren Staatsangehörigkeiten. Und natürlich besitzen sie das Wahlrecht, völlig zu Recht.

Die von Ihnen kritisierte Staatsangehörigkeitsreform ist allerdings tatsächlich rechtstechnisch dilettantisch ins Werk gesetzt (volle Staatsangehörigkeit statt Einbürgerungszusicherung für die Begünstigten) und wird den Juristen noch viele Probleme bereiten. Rechtspolitisch halte ich sie gleichfalls für verfehlt, obwohl ich die besonders bei Laien verbreitete Ablehnung der doppelten Staatsangehörigkeit überhaupt nicht nachvollziehen kann.

Es muß meines Erachtens noch viel Zeit ins Land gehen, bevor man die Kanzlerschaften von Kohl, Schröder und Merkel nüchtern beurteilen kann. Obwohl ich Zettels mE viel zu positive Einschätzung von Kohl und erst recht nicht die von Merkel teile, möchte ich nicht vorschnell über Kohl den Stab brechen. Ich habe kürzlich einen Auszug aus einem alten Criticon-Heft über Kohl gepostet. Dessen Inhalt halte ich nach wie vor für zutreffend. In eine Bewertung seiner Kanzlerschaft muß auch einfließen, was er hätte machen können und müssen, aber nicht umgesetzt hat. Es wären die schweren wirtschaftlichen Fehler bei der Abwicklung der DDR-Wirtschaft ebenso zu berücksichtigen wie die Behandlung der Opfer der SBZ-Bodenreform.

Das gilt übrigens auch für Schröder, den ich persönlich für den schlechtesten deutschen Kanzler seit Hitler halte. Selbst die von Ihnen positiv angeführten Reformen haben in erster Linie ein bürokratisches Monster geschaffen. Wie überhaupt mE miserable Gesetzgebungsarbeit eines der Kennzeichen von Rot-Grün gewesen ist.

Merkel hat überhaupt noch nichts geleistet, was sie zu einer "geschichtlichen Gestalt" werden liesse.

Der Aufgeklärte stirbt verzweifelter. (Klonovsky)

Hajo Offline



Beiträge: 440

06.05.2010 17:11
#6 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Im Grunde geht es, wenn man die Pfade der Juristerei verläßt, doch darum, daß jemand, dessen Eltern aus, sagen wir mal der Türkei stammen, dessen Frau in der Türkei aufgewachsen ist, dessen Kinder türkisch sprechen, dessen Zeitung eine türkische ist, dessen Satellitenschüssel türkisches TV empfängt, der seine Freizeit in einem türkischen Cafe verbringt, der mittags türkische Küche genießt ... einen deutschen Paß haben kann oder auch nicht - Deutsch macht ihn das alles nicht.

Es scheint mir, man hätte dies anhand meines Beitrags erahnen können. Diese Umstände werden juristisch nicht abgebildet. Rot-Grün ging es bei dieser Initiative einzig darum Migranten einzubürgern, die, damals lauteten die Zahlen so, zu 90% Umverteilung wählen würden. Diesem Umstand, und absolut gar nichts sonst, wurde juristisch Rechnung getragen, in dem man o.g. Gruppe mit Kultur- und Blutsdeutschen gleichsetzt.

Eloman Offline



Beiträge: 251

06.05.2010 17:16
#7 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Was sind denn Blutsdeutsche? Welche Blutgruppe ist deutsch? A+, 0, AB-???

Numpy Offline



Beiträge: 113

06.05.2010 17:22
#8 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Blutsdeutsch hat nichts mit Blutgruppen zu tun oder irgendeinem Rassismus, sondern es umschreibt eine klassische Einwanderungspolitik, ius sanguinis. :)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.05.2010 17:53
#9 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von JeffDavis
Es muß meines Erachtens noch viel Zeit ins Land gehen, bevor man die Kanzlerschaften von Kohl, Schröder und Merkel nüchtern beurteilen kann.


Richtig. Und das erleben wir vielleicht nicht mehr ;-)
Denn wir als Zeitgenossen werden uns vielleicht auch mit Abstand nicht mehr von unseren Urteilen über diese Personen lösen können - eine nüchterne Beurteilung kann vielleicht erst die nächste Generation.

Zitat
In eine Bewertung seiner Kanzlerschaft muß auch einfließen, was er hätte machen können und müssen, aber nicht umgesetzt hat.


Richtig. Vor allem besteht seine Kanzlerschaft ja nicht nur aus dem Jahr 1990.

Die ersten acht Jahre seiner Kanzlerschaft waren nämlich durchaus erfolgreich, insbesondere bei der finanzpolitischen Konsolidierung. Man könnte sagen, daß Stoltenberg der letzte kompetente Finanzminister in Deutschland war.

Die eigentliche Wiedervereinigung hat Kohl im internationalen Kontext hervorragend hingekriegt. Viele wesentliche Verhandlungserfolge hat natürlich Genscher erzielt, aber entscheidend war doch die klare Linie des Chefs und sein Vertrauensverhältnis zu den wesentlichen Kollegen.

Daß die praktische innenpolitische Umsetzung dann mit vielen Problemen einher ging ist nicht zu leugnen. Ich zögere nur, hier Fehler zu benennen - denn es ist schwer zu sagen, ob zum damaligen Zeitpunkt mit den vorhandenen Informationen bessere Lösungen erkennbar waren.

Die schwächste Phase hatte Kohl wohl etwa 1992 bis 1996. Es war vielleicht verständlich, nach den Umwälzungen der Einheit erst einmal etwas Ruhe einkehren zu lassen - aber das führte halt fast zu kompletten Reformverweigerung.

Erst kurz vor Ende seiner Amtszeit wurde er wieder munter, und setzte eine ganz erstaunliche Serie von tiefgreifenden Reformen durch - die dann leider alle von Lafontaine blockiert (Steuerreform) oder nach 1998 sofort wieder abgeschafft (Rentenreform u.a.) wurden.

Zitat
Selbst die von Ihnen positiv angeführten Reformen haben in erster Linie ein bürokratisches Monster geschaffen.


Richtig.
Und dann hat er den zentralen Fehler gemacht, diese mit einer "Blut, Schweiß und Tränen"-Rhetorik zu verkaufen, die sachlich überhaupt nicht angemessen war. Real bekamen die meisten Betroffenen mehr Geld vom Staat bekamen und von einer Sozialkürzung konnte gar keine Rede sein.

Aber er wollte den harten Macker spielen und hat damit erst den Eindruck geweckt, daß es soziale Härten ohnegleichen gegeben hätte - davon profitieren die Kommunisten bis heute.

Zitat
Merkel hat überhaupt noch nichts geleistet, was sie zu einer "geschichtlichen Gestalt" werden liesse.


Richtig.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.05.2010 18:24
#10 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von R.A.
Die ersten acht Jahre seiner Kanzlerschaft waren nämlich durchaus erfolgreich, insbesondere bei der finanzpolitischen Konsolidierung. Man könnte sagen, daß Stoltenberg der letzte kompetente Finanzminister in Deutschland war.

Die eigentliche Wiedervereinigung hat Kohl im internationalen Kontext hervorragend hingekriegt. Viele wesentliche Verhandlungserfolge hat natürlich Genscher erzielt, aber entscheidend war doch die klare Linie des Chefs und sein Vertrauensverhältnis zu den wesentlichen Kollegen.

Daß die praktische innenpolitische Umsetzung dann mit vielen Problemen einher ging ist nicht zu leugnen. Ich zögere nur, hier Fehler zu benennen - denn es ist schwer zu sagen, ob zum damaligen Zeitpunkt mit den vorhandenen Informationen bessere Lösungen erkennbar waren.

Die schwächste Phase hatte Kohl wohl etwa 1992 bis 1996. Es war vielleicht verständlich, nach den Umwälzungen der Einheit erst einmal etwas Ruhe einkehren zu lassen - aber das führte halt fast zu kompletten Reformverweigerung.
Erst kurz vor Ende seiner Amtszeit wurde er wieder munter, und setzte eine ganz erstaunliche Serie von tiefgreifenden Reformen durch - die dann leider alle von Lafontaine blockiert (Steuerreform) oder nach 1998 sofort wieder abgeschafft (Rentenreform u.a.) wurden.


Gute Zusammenfassung!

Zu den ersten acht Jahren, die man inzwischen schon die Goldenen Achtziger nennen kann: Die sozialliberale Regierung war am Ende gewesen, innen- wie außenpolitisch. Die Finanzen liefen aus dem Ruder, und in der Außenpolitik drohte ein Desaster, weil Schmidt seine Partei nicht mehr hinter sich hatte.

Es ist dem persönlichen Mut von zwei Männern, Genscher und Lambsdorff, zu verdanken, daß die FDP damals, wie man sagte, "gesprungen" ist. Und dazu gehörte wieder als Voraussetzung das gute persönliche Verhältnis, das Genscher mit Kohl hatte, obwohl man in zwei Lagern gestanden hatte.

Genscher und Lambsdorff haben damals das Wohl Deutschlands über das Wohl ihrer Partei gestellt, die an diesem Wechsel fast zerbrach und die leicht ganz daran hätte zerbrechen können. Genscher konnte sich darauf verlassen, daß Kohl diese prekäre Lage der FDP nicht ausnutzen würde, um sie so zu schlucken, wie die CDU Adenauers seinerzeit die DP und auch einen Teil der FDP geschluckt hatte.

Herzlich, Zettel

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

06.05.2010 18:54
#11 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von Hajo
Im Grunde geht es, wenn man die Pfade der Juristerei verläßt, doch darum, daß jemand, dessen Eltern aus, sagen wir mal der Türkei stammen, dessen Frau in der Türkei aufgewachsen ist, dessen Kinder türkisch sprechen, dessen Zeitung eine türkische ist, dessen Satellitenschüssel türkisches TV empfängt, der seine Freizeit in einem türkischen Cafe verbringt, der mittags türkische Küche genießt ... einen deutschen Paß haben kann oder auch nicht - Deutsch macht ihn das alles nicht.
Es scheint mir, man hätte dies anhand meines Beitrags erahnen können. Diese Umstände werden juristisch nicht abgebildet. Rot-Grün ging es bei dieser Initiative einzig darum Migranten einzubürgern, die, damals lauteten die Zahlen so, zu 90% Umverteilung wählen würden. Diesem Umstand, und absolut gar nichts sonst, wurde juristisch Rechnung getragen, in dem man o.g. Gruppe mit Kultur- und Blutsdeutschen gleichsetzt.




Leider sind Ihre Anmerkungen, lieber Hajo, nicht zutreffend. Und ich muß darauf bestehen, daß die Begriffe und Zusammenhänge korrekt gesehen werden, und zwar nicht nur, weil das etwa eine juristische Marotte von mir ist, sondern weil wir es - so meine ich - dem Niveau von ZKZ schulden und man sich als politisch aufgeklärter Mensch eben ein zutreffendes Bild von den Fakten macht, bevor man seine Schlußfolgerung zieht. Wenn wir ohne Sachkenntnis daherreden wollten, Sie und ich, dann hätten wir auch Politiker oder Journalist werden können, statt was Anständiges zu lernen.

Die Staatsangehörigkeitsreform von Rot-Grün hatte NICHT das Ziel, möglichst viele Migranten EINZUBÜRGERN (auch wenn die Hinnahme der Mehrstaatigkeit, die es schon seit 1991 in großem Umfange gab, nun in einzelnen Punkten größzügiger erfolgte). Rot-Grün wollte in Verkennung der Abläufe von Integrationsprozessen den im INLAND geborenen KINDERN von LANGJÄHRIG in D lebenden Ausländern die Integration erleichtern, indem man ihnen durch GEBURT die deutsche Staatsangehörigkeit verlieh und eine komplizierte Optionsregelung schuf, deren Mechanismus mit Beginn des 18.Lebensjahres beginnt. Das kann man alles im Text des Staatsangehörigkeitsgesetzes unschwer nachlesen. Die Einbürgerung ist in den Jahren nach 2000, vor allem unter der GroKo, immer schwerer geworden. Besonders die Anforderungen an die Sprachkenntnisse sind deutlich gestiegen, aber auch der gesicherte Lebensunterhalt und die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit spielen eine ausschlagebende Rolle. Bei Spätaussiedlern und Unionsbürgern wird die doppelte Staatsangehörigkeit generell hingenommen, ohne daß es dadurch zu zusätzlichen Integrationsproblemen kommt. Die Türken, auf denen Sie und die Mehrzahl der Laien immer herumreiten, werden weder ohne Sprachkenntnisse oder gesicherten Lebensunterhalt noch unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert.

Die ganze Annahme von Rot-Grün ist natürlich falsch. Richtig wäre gewesen, diesem Personenkreis eine Einbürgerungszusicherung zu geben und am Ende des Integrationsprozesses die Einbürgerung vorzunehmen statt umgekehrt. Dann hätte man sich den ganzen Zirkus mit der Optionsregelung erspart. So fehlt mE den Begünstigten jeder Anreiz zur Integration, denn sie haben die deutsche Staatsangehörigkeit bereits und die Ausübung des Optionsrechts hängt weder vom Lebensunterhalt noch von den Sprachkenntnissen ab. Aber unsere Volksvertreter, auch die von CDUCSUFDP, wissen ja alles besser als die Fachleute.


Ihre Vorstellung vom Kultur-und Blutsdeutschen ist schlicht unzutreffend und hat es so nur in der NS-Zeit gegeben. Das sinnfreie Geschwafel zB des Herrn Edathy vom "völkischen" deutschen StAR zeigt nur, daß er nicht der richtige Mann für seinen Posten ist. Das deutsche StAR hat - außer im 1000jährigen Reich - NIE auf das Volkstum oder reines Blut oder was auch immer in dieser Richtung abgestellt, sondern immer nur auf die leibliche Abstammung von einem oder zwei Elternteilen mit deutscher StA. Ob das Japaner, Maori, Buschmänner oder Türken sind, ist vollkommen ohne Belang. Ebensowenig kommt es auf die deutsche Kultur (was immer das jetzt wieder ist) an, denn es gibt zahllose Personen verschiedenster Volkszugehörigkeit, die sich dem deutschen Kulturkreis zugehörig fühlen und keine deutsche StA sind.


Falsch liegen Sie auch mit Ihrer Annahme, es könne jemand kein deutscher Staatsbürger sein, wenn er Türkisch spricht, türkische Zeitungen liest uswusf. (siehe oben). Es gibt zahllose Doppelstaatler, die Russisch sprechen, russischsprachige Zeitungen und Fernsehsendungen verfolgen, im Familienkreis auch Russisch sprechen und sich trozdem als Deutsche fühlen, Ich habe im meinem Bekanntenkreis viele davon. Das gilt im übrigen auch für die Türken in meinem Bekanntenkreis. Nicht die doppelte StA ist das Problem in D, sondern das Fehlen einer übergreifenden Staatsidee, die allen hier lebenden Volksgruppen als gemeinsame Klammer dienen kann, und deren Akzeptanz man von allen erwartet. In Preußen und im Reich zB. hat das vor 1919 mit den Masuren, Kaschuben, mit Wenden und Sorben und einigen anderen Minderheiten recht gut funktioniert. In Altpreußen klappte es gut mit den verschiedensten Religionsgemeinschaften. Auch in klassischen Einwanderungsländern gibt es diese Klammer, die allen das Zusammenleben ermöglicht. Das ist natürlich alles etwas vereinfacht zusammengefaßt, trifft aber den Kern.

In D gibt es immer noch diese veralteten Vorstellungen von Assimilation, die auch Rot-Grün hatte. Jeder Begünstigte der Reform sollte ja am Ende der Integration ein linksliberaler Gutmensch sein, dabei die bundesdeutschen Neurosen und Denktabus verinnerlichen, und am besten noch Parteimitglied bei SPD oder Grünen werden. Die vorherige Existenz als Türke oder Russe - so wurde stillschweigend erwartet - sollte man vergessen. So funktioniert Integration aber nicht.

Der Aufgeklärte stirbt verzweifelter. (Klonovsky)

Eloman Offline



Beiträge: 251

06.05.2010 19:08
#12 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Pardon. da hab ich wohl den Ironie-Button vergessen. Aber wo ius sanguinis klassische Einwanderungspolitik ist erschliesst sich mir leider nicht. Ich dachte das wäre ihr Gegenteil und klassische Einwanderungspolitik würde von Ländern wie z.B den USA, Frankreich, Brasilien u.a. betrieben. Und was ist mit den ganzen Szymaniaks, Kowalskis und Pionteks im Ruhrgebiet? Haben die ne Transfusion deutschen Blutes bekommen? Ceterum censeo hat "Blutsdeutsch" für mich ne Menge rassistische Untertöne.

Hajo Offline



Beiträge: 440

06.05.2010 19:26
#13 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

ius sanguis ist, was Deutschland anbelangt, die klassische Politik in Fragen der Einbürgerung. Sie ist erst '98 aus von mir bereits beschriebenen Motiven heraus geändert worden. Was die Einwanderer ins Ruhrgebiet anbelangt, so stammen diese aus Posen, was ein Teil Preußens war, welches in Fragen der Einwanderung opportunistisch verfuhr, sich damit aber nicht in deutsche Tradition einbringen konnte. Preußen und Österreich waren, wie Sie sicher wissen, keinesfalls homogen im Bezug auf die Bevölkerung. Dieses Bild setzte sich erst mit der kleindeutschen Reichsgründung durch und hielt immerhin bis Schröder/Fischer.

Ich spreche hier von Rechtstraditionen, wenn man es so hochtrabend nennen will, und Brüchen in eben diesen. Sie könnten mir wohl gerne unterstellen damit Anleihe an "völkischem Gedankengut" zu nehmen, aber daran finde ich nichts verwerfliches, denn selbst das Grundgesetzt spricht ja explizit vom deutschen Volk, und nicht etwa der Bevölkerung o.ä. und ist demnach "völkisch".

Mit Rassismus indes hat derlei nichts zu tun, auch wenn es aus offensichtlichen Gründen gerne vermengt wird.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

06.05.2010 20:04
#14 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von Hajo
ius sanguis ist, was Deutschland anbelangt, die klassische Politik in Fragen der Einbürgerung. Sie ist erst '98 aus von mir bereits beschriebenen Motiven heraus geändert worden. Was die Einwanderer ins Ruhrgebiet anbelangt, so stammen diese aus Posen, was ein Teil Preußens war, welches in Fragen der Einwanderung opportunistisch verfuhr, sich damit aber nicht in deutsche Tradition einbringen konnte. Preußen und Österreich waren, wie Sie sicher wissen, keinesfalls homogen im Bezug auf die Bevölkerung. Dieses Bild setzte sich erst mit der kleindeutschen Reichsgründung durch und hielt immerhin bis Schröder/Fischer.
Ich spreche hier von Rechtstraditionen, wenn man es so hochtrabend nennen will, und Brüchen in eben diesen. Sie könnten mir wohl gerne unterstellen damit Anleihe an "völkischem Gedankengut" zu nehmen, aber daran finde ich nichts verwerfliches, denn selbst das Grundgesetzt spricht ja explizit vom deutschen Volk, und nicht etwa der Bevölkerung o.ä. und ist demnach "völkisch".
Mit Rassismus indes hat derlei nichts zu tun, auch wenn es aus offensichtlichen Gründen gerne vermengt wird.



Lieber Hajo, immer noch falsch.

Ius sanguinis hat ÜBERHAUPT NICHTS mit Einbürgerung zu tun, sondern allein mit dem Erwerb der deutschen StA DURCH GEBURT. Bei der Einbürgerung spielt die ethnische Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe keine Rolle, sondern es zählt allein, ob der Einbürgerungsbewerber die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Das gilt BIS HEUTE und ist zum 01.01.200 (nicht 1998) ergänzt worden durch die von mir bereits erläuterte Regelung, die Elemente des ius soli in das deutsche StA einführt.

Die "Einwanderer" im Ruhrgebiet waren keine Einwanderer, sondern es handelt sich um eine simple Binnenwanderung preußischer Staatsbürger. Genau wie nach 1990 zB viele Bürger aus Sachsen nach Bayern gezogen sind, sind damals viele preußische Bürger polnischer Volkszugehörigkeit aus den östlichen Provinzen in die Provinz Westfalen gezogen. Mit Einbürgerung oder Einwanderung hat das nichts zu tun.

Erklärungsbedüftig ist auch Ihre Bemerkung mit dem "Opportunismus" Preußens in Fragen der Einwanderung. Was meinen Sie mit dem Begriff genau? Und was sollen das für angebliche "deutsche Traditionen" sein, von denen Sie sprechen?

Nehmen Sie es mir nicht übel, aber nach Ihren bisherigen Beiträgen habe ich leider nicht den Eindruck, als ob Sie wüßten, wovon Sie sprechen.

Der Aufgeklärte stirbt verzweifelter. (Klonovsky)

Hajo Offline



Beiträge: 440

06.05.2010 20:50
#15 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Lieber Jeff,

Zitat
Bei der Einbürgerung spielt die ethnische Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe keine Rolle, sondern es zählt allein, ob der Einbürgerungsbewerber die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt.



Und was sind die gesetzlichen Voraussetzungen in einem durch ius sanguis geprägten Verfahren? Ist das vielleicht die Abstammung und damit die Ethnie?

Zitat
Die "Einwanderer" im Ruhrgebiet waren keine Einwanderer, sondern es handelt sich um eine simple Binnenwanderung preußischer Staatsbürger.



Im staatsbürgerlichen Sinn nach einem Verfahren nach ius solis; ja. In jedem anderen Sinn, und das war mein Kontext, liegen Sie falsch.

Zitat
Erklärungsbedüftig ist auch Ihre Bemerkung mit dem "Opportunismus" Preußens in Fragen der Einwanderung. Was meinen Sie mit dem Begriff genau? Und was sollen das für angebliche "deutsche Traditionen" sein, von denen Sie sprechen?



Die Habsburger haben wie die Hohenzollern jeden als Untertanen akzeptiert, der ihrer nützlich war. In diesem Sinne sehe ich es als opportunistisch an. Ich habe dies für offensichtlich gehalten. In diesem Sinn haben die beiden großen deutschen Staaten vor der Reichsgründung also anders verfahren, als das kleindeutsche Reich danach, in dessen Tradition wir als BRD stehen und ich daher von "deutsch" gesprochen habe. Auch dies hätte man aus meinem letzten Beitrag durchaus entnehmen können...

Zitat
Nehmen Sie es mir nicht übel, aber nach Ihren bisherigen Beiträgen habe ich leider nicht den Eindruck, als ob Sie wüßten, wovon Sie sprechen.



Nein, ich nehme Ihnen das nicht übel. Es ist nicht so, daß mich ausgerechnet Ihr Eindruck sonderlich bekümmern würde

Florian Offline



Beiträge: 3.180

06.05.2010 22:01
#16 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Im wesentlichen Zustimmung.
Aber eine kleine Ergänzung:

Zitat
Viele wesentliche Verhandlungserfolge hat natürlich Genscher erzielt, aber entscheidend war doch die klare Linie des Chefs und sein Vertrauensverhältnis zu den wesentlichen Kollegen.



Ich habe neulich "Sternstunden der Diplomatie" von Conoleeza Rice gelesen.
Rice war 1990 Mitglied im US-Sicherheitsrat und dort für wesentliche Aspekte der deutschen Einheit zuständig.
Sie schildert die Wiedervereinigung aus US-Diplomatensicht.
Und zwar sehr ausführlich. Da wird praktisch jedes auf der Spitzenebene geführte Telefonat analysiert.

Was mich nun doch überrascht hat, das war, welche große Bedeutung Kohl und welche geringe Bedeutung Genscher in Rice' Erinnerung gespielt hat.
Besonders krass deutlich wird das bei Kohls 10-Punkte-Plan.
Dies war ja sozusagen die diplomatische Blaupause zur Wiedervereinigung. Kohl hat sie damals vorab mit Bush sen. diskutiert.
Aber - und das ist eigentlich unglaublich - nicht mit dem zuständigen Minister Genscher, der davon (sozusagen) aus der Zeitung erfuhr.

Auch sonst erscheint Genscher in keinem sehr starken Licht. Bush (und Rice) scheinen ihn nie so ganz ernst genommen zu haben.
Beispielsweise wurde von US-Seite zu einem US-deutschen Treffen (bei dem als Teilnehmer ursprünglich Bush, Kohl, Genscher geplant waren) Außenminister Baker nur deshalb hinzugezogen, damit man Genscher in ein Zimmer mit Baker setzen konnte und Bush die Gelegenheit hatte sich mit Kohl ohne Genscher zu unterhalten.

Natürlich ist das alles "nur" die Sicht von C. Rice.
Diese Außenwahrnehmung ist allerdings eine markant andere als die in Deutschland selbst vorherrschende Beurteilung von Genscher und Kohl.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

06.05.2010 22:07
#17 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von Hajo

Und was sind die gesetzlichen Voraussetzungen in einem durch ius sanguis geprägten Verfahren? Ist das vielleicht die Abstammung und damit die Ethnie?



Wie bereits erwähnt, spielt das ius sanguinis bei der Einbürgerung keine Rolle, sondern nur bei der Frage, ob jemand durch Geburt die deutsche StA erwirbt

Die aktuellen Einbürgerungsvoraussetzungen finden Sie hier:

http://www.gesetze-im-internet.de/rustag/__10.html

Sie werden feststellen, daß dort nicht von ius sanguinis die Rede ist. Die Begriffe ius soli und ius sanguinis haben mit der Einbürgerung nichts zu tun. Sie verknüpfen diese Begriffe immer mit einem Verfahren, obwohl diese Rechtsinstitute nichts miteinander zu tun haben.

Beim Erwerb der StA durch Geburt ist die familienrechtliche Abstammung gemeint. Es kommt darauf an, ob das Kind familienrechtlich von der Mutter und /oder dem Vater abstammt. Das ist in D im BGB geregelt, §§1591ff . Das Familienrecht spielt deshalb bei Fragen des StA-Erwerbs durch Geburt (oder zB durch Adoption) eine ausschlaggebende Rolle.

Der Erwerb durch Geburt ist kein Verwaltungsverfahren wie die Einbürgerung, sondern ein Erwerb sozusagen durch einen natürlichen Vorgang.



Zitat von Hajo
Im staatsbürgerlichen Sinn nach einem Verfahren nach ius solis; ja. In jedem anderen Sinn, und das war mein Kontext, liegen Sie falsch.



Nein, sie waren preuß Staatsbürger durch Geburt von ihren Eltern her, also nach dem ius sanguinis, welches im preuß StAR, dann im StAG des Norddeutschen Bundes und dem im Reich ununterbrochen gegolten hat. Das ius soli spielte im damaligen StAR Preußens und des Reiches keine Rolle. Es gibt im übrigen kein „Verfahren nach ius soli“, der Begriff bezeichnet vielmehr den Erwerb einer StA durch Geburt auf dem Gebiet eines Staates (gibt es zB. in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern, bei uns ergänzend zum ius sanguinis seit dem 01.01.2000).


Der preußische Staat hat eben gerade nicht auf den Kultur- oder ethnischen Staatsbürger abgestellt, sondern allein - ganz im Sinne der preußischen Tradition - auf die Staatsbürgerschaft bzw. Untertaneneigenschaft als rechtliches Band.

Zitat von Hajo

Die Habsburger haben wie die Hohenzollern jeden als Untertanen akzeptiert, der ihrer nützlich war. In diesem Sinne sehe ich es als opportunistisch an.



Das macht jeder Staat. Oder sie nennen mir als Gegenbeispiel einen Staat, der auch Personen einbürgert, die nicht nützlich sind. Mit Opportunismus hat das nichts zu tun, sondern ist die normale Handlungsweise eines vernünftigen Staatswesens. Im übrigen betrifft das nur Personen, die Staatsbürger durch Einbürgerung werden, denn nur da kann der Staat Bedingungen an den Erwerb der StA knüpfen, nicht beim Erwerb durch ius sanguinis (wenn er nicht wie in der NS-Zeit an völkische oder rassische Gesichtspunkte anknüpft).

Zitat von Hajo

In diesem Sinn haben die beiden großen deutschen Staaten vor der Reichsgründung also anders verfahren, als das kleindeutsche Reich danach, in dessen Tradition wir als BRD stehen und ich daher von "deutsch" gesprochen habe. Auch dies hätte man aus meinem letzten Beitrag durchaus entnehmen können...



Zum KuK-StA kann ich nichts sagen, aber es gibt defintiv keinen Traditionsbruch zwischen Preußen und dem kleindeutschen Reich. Mir liegen die Texte der verschiedenen StA-Gesetze vor. Es besteht eine kontinuierliche Entwicklung ohne erhebliche Unterschiede, erst recht nicht beim ius sanguinis oder ius soli. Den von Ihnen behaupteten Wechsel gibt es daher nicht.

Im übrigen hat sich ein modernes StA-Recht im heutigen Sinne in den deutschen Staaten ohnehin erst in den Jahrzehnten nach 1815 entwickelt. Noch in den ersten deutschen Gesetzen war vom Untertanenverhältnis die Rede, der Begriff StA setzte sich erst nach und nach durch. Wenn Preußen daher zB die Hugenotten oder die Salzburger Protestanten einwandern ließ, hat das erst einmal mit einer Einbürgerung im modernen Sinn wenig zu tun. Es handelt sich vereinfacht um personalisierte Rechtsverhältnisse zwischen dem Landesherrn und seinen Untertanen, wobei es auf den ersteren ankam, nach welchen Kriterien er Einwanderer aufnahm.

Die Begriffe Kultur- oder Blutsdeutsch sind dem preußischen und deutschen StA fremd und haben weder mit einer Einbürgerung noch mit dem Erwerb durch Geburt oder ius soli etwas zu tun. Mit ihnen soll suggeriert werden, daß D ein ethnisch oder kulturell homogener Staat gewesen sei, und daß sich das jetzt durch die Zuwanderung und die StA-Reform von Rot-Grün ändere. Was schon deshalb nicht stimmt, weil es diese Art von kultureller oder ethnischer Homogenität nie gegeben hat.

Der Aufgeklärte stirbt verzweifelter. (Klonovsky)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.05.2010 10:47
#18 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von Florian
Sie schildert die Wiedervereinigung aus US-Diplomatensicht.


Und das bedeutet natürlich, daß sie sehr Chef-zentriert denkt.
In den USA ist der Außenminister ein besserer Botschafter, ein Assistent des Präsidenten. Alle wichtigen Entscheidungen werden vom Mann an der Spitze getroffen, der auch die entsprechenden Verhandlungen führt (und natürlich auch wieder nur mit der Nr. 1 der Partnerländer).

Genau diese Spitzengespräche waren natürlich besondere Stärke Kohls, da hat er auch seine wesentlichen Verdienste. Sein persönliches Vertrauensverhältnis mit Bush und Gorbatschow war die Basis für den Verhandlungserfolg.

Konzeptionell war aber Genscher der Vordenker, nicht zuletzt deswegen, weil er die DDR und überhaupt den Ostblock viel besser kannte als Kohl (der ja ausgeprägter "Wessi" war und ist) und die dortigen Befindlichkeiten besser einschätzen konnte.
Beim 10-Punkte-Plan war es m. W. so, daß er nur vom Zeitpunkt überrascht wurde, mit dem Kohl damit vorpreschte (da war Kohl auch etwas zupackender als der abwägende Genscher), die Inhalte waren selbstverständlich vorgeklärt. Übrigens auch mit weiteren Spitzenpolitikern, deren Rolle neben Kohl und Genscher man nicht vergessen sollte.

Florian Offline



Beiträge: 3.180

07.05.2010 16:57
#19 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Ich finde gerade keine bessere Quelle, deshalb muss jetzt erstmal Focus herhalten:

(http://www.focus.de/politik/deutschland/...aid_458070.html)

Zitat:
"Das Erstaunen auf den Bänken der Bonner Bundestagsabgeordneten ist nicht gespielt. Kohl hat nur seine engsten Vertraute eingeweiht und sein Programm weder mit der Unions-Führung noch dem Koalitionspartner FDP mitsamt Außenminister Hans-Dietrich Genscher abgesprochen. „Neben mir wussten nur Horst Teltschik, Eduard Ackermann, Wolfgang Schäuble und deren Berater von Kohls Vorhaben“, erinnert sich der damalige Kanzleramtsminister Rudolf Seiters im Gespräch mit FOCUS Online und fügt hinzu: „Wir haben in kleiner Runde im Kanzleramt die Frage erörtert: Wie wirken diese Punkte auf unsere Verbündeten im Ausland.“ "

Sofern sich hier Seiters richtig erinnert (und seine Erinnerung deckt sich mit der von Rice), dann wurde dieser "Fahrplan zur Wiedervereinigung" nicht mit Genscher abgesprochen. Mehr noch: Auch zur Frage "wie wirken diese Punkte im Ausland" wurde das Außenministerium nicht einmal konsultiert.

Nota bene:
Der 10-Punkte-Plan war ja dann später recht bald von den Ereignissen überholt. Und es liegt mir auch fern, die Verdienste Genschers schmälern zu wollen.
Allerdings scheint mir gerade auch bei der außenpolitischen Absicherung der Wiedervereinigung die Leistung Kohls sehr wichtig gewesen zu sein.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.05.2010 00:20
#20 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von R.A.
In den USA ist der Außenminister ein besserer Botschafter, ein Assistent des Präsidenten.


So generell würde ich das nicht sagen, lieber R.A. Es gibt Gegenbeispiele. Unter Präsident Eisenhower hatte beispielsweise John Foster Dulles die Außenpolitik in der Hand. Er war der eigentliche Gesprächspartner von Konrad Adenauer, der allerdings bis 1955 sein eigener Außenminister war. Auch Henry Kissinger hatte unter dem außenpolitisch unerfahrenen Richard Nixon einen großen Spielraum. Meist allerdings, da haben Sie recht, standen die Außenminister im Schatten ihrer Präsidenten. Wer kennt noch Chris Herter oder Bill Rogers?

Übrigens gilt das nicht nur für den Außenminister. Der Präsident kann, wenn er will, jedes Ressort zur Chefsache machen; siehe die Gesundheitspolitik von Obama.

Herzlich, Zettel

john j Offline




Beiträge: 591

09.05.2010 21:08
#21 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

"Die eigentliche Wiedervereinigung hat Kohl im internationalen Kontext hervorragend hingekriegt."

So die landlaeufige Meinung. In Anlehnung an Zettel schiebe ich hier mal ein KKK (ketzerisch kurz kommentiert) ein. Was war eigentlich die herausragende aussenpolitische Leistung Kohl bei der Wiedervereinigung? Schauen wir uns die 4 players mal an: Die USA, Frankreich, GB und die Sowjetunion. USA: Nur ein paar Jahre zuvor rief Reagaon am Brandeburger Tor: Mr Gorbachev, tear down this wall! Haette sein damaliger VP und nun Praesident H W Bush 1989 zu den Deutschen sagen sollen: We didn't quite mean it this way? Aehnlich Frankreich: Nach 30 Jahren Friede, Freude, Eierkuchen mit D haette F sagen sollen: Ihr seid unsere bestesten Freunde auf der ganzen Welt aber Vereinigung kommt nicht in Frage? Es waere als wuerde D offiziell die Separatisten in Korsika anerkennen. Ein ueberaus unfreundlicher, wenn nicht feindseliger Akt.

Bleibt GB von den Allierten. Und es waere aufgrund der Haltung von F nd den USA isoliert gewesen - kaum vorstellbar dass es sich auf sich allein gestellt auf ein solches Risiko eingelassen haette.

Die wild card war also die SU. Kohl erreichte deren Zustimmung und Abzug so wie er oft seine Ziele erreichte: Er erkaufte ihn einfach. Zumal die SU kaum eine Wahl hatte. Ihre Truppen konnte sie nicht laenger in der bald ex-DDR lassen zumal die Aufloesungserscheinungen dieser Truppen ueberall zu sehen waren. Und innenpolitisch wurde die SU von Tag zu Tag instabiler.

Also, was genau erreichte Kohl? Dass sich die BRD und die DDR gemaessdem ausdruecklichen Wunsch beider Bevoelkerungen vereinigen durften? Was ausser evtl der SU stand dem entgegen?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

10.05.2010 14:54
#22 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von john j
Haette sein damaliger VP und nun Praesident H W Bush 1989 zu den Deutschen sagen sollen: We didn't quite mean it this way?


Aber nein. So offen hätte man das nicht ausgesprochen. Aber wenn die Amis nicht gewollt hätten, dann hätten sie eine ganze Reihe Punkte finden können, um die Wiedervereinigung so zu verzögern, daß es am Ende nur zu einer Österreich-Lösung reicht. D.h. die DDR wird zwar demokratisch und kapitalistisch, bleibt aber staatsrechtlich getrennt.

Für so eine Variante gab es viele Fürsprecher, neben Franzosen und Briten und diversen Osteuropäern hätten das auch viele Linke in Deutschland gerne gehabt.

Zitat
Die wild card war also die SU. Kohl erreichte deren Zustimmung und Abzug so wie er oft seine Ziele erreichte: Er erkaufte ihn einfach.


Der Truppenabzug war ja nur ein Teilthema. In der Tat hatten die Russen da nicht wirklich eine Alternative, und das Geld haben sie auch gerne genommen. Das hätte aber noch lange nicht heißen müssen, daß sie der Wiedervereinigung (mit NATO-Mitgliedschaft Deutschlands) zustimmen.

Zitat
Dass sich die BRD und die DDR gemaessdem ausdruecklichen Wunsch beider Bevoelkerungen


Der Wunsch war so ausdrücklich nicht, jedenfalls nicht im Westen. Die Wiedervereinigung war doch längst zu einer verstaubten Floskel geworden, an die keiner mehr wirklich glaubte. Und mit einem anderen Kanzler hätte es leicht sein können, daß man nicht mehr dieses realitätsferne Relikt aus der Schublade holt, sondern eine zukunftsgewandte innovative Lösung wählt (die Wortwahl entspricht nicht meiner Meinung, sondern soll andeuten, wie man das hätte verkaufen können).
Kohl hat hier sehr frühzeitig und energisch Position bezogen, während potentielle Widersacher (vor allem in den Medien) noch völlig unschlüssig waren, welche Weltsicht sie vertreten sollen. Erst dadurch kam eine Dynamik in den Vorgang, der auch im Westen eine klare Mehrheit für die Wiedervereinigung mobilisierte.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

10.05.2010 15:25
#23 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von R.A.
Aber wenn die Amis nicht gewollt hätten, dann hätten sie eine ganze Reihe Punkte finden können, um die Wiedervereinigung so zu verzögern, daß es am Ende nur zu einer Österreich-Lösung reicht. D.h. die DDR wird zwar demokratisch und kapitalistisch, bleibt aber staatsrechtlich getrennt.


Ich muss da was verpasst haben. Ist die ehemalige sowjetische Besatzungszone in Österreich demokratisch und kapitalistisch, aber staatsrechtlich von Restösterreich getrennt?

Ach so, wahrscheinlich meinen Sie die ehemaligen habsburgischen Kronländer außerhalb Österreichs, die in der Tat lange unter sowjetischer Fuchtel waren...

--
El liberalismo pregona el derecho del individuo a envilecerse, siempre que su envilecimiento no estorbe el envilecimiento del vecino. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

10.05.2010 15:34
#24 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

Zitat von Gorgasal
Ich muss da was verpasst haben.


Vielleicht hätte ich das erklären sollen: Als "Österreich-Lösung" war damals im Gespräch, die DDR als selbständigen und neutralen Staat zu erhalten - aber mit einem westlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem (und Beibhaltung einiger "sozialistischer Errungenschaften"). Und natürlich mit einer eigenen, auch von der Bundesrepublik anerkannten Staatsbürgerschaft, so daß DDR-Bürger nicht einfach hätten übersiedeln können.

Das war die Lösung, die z. B. ein Lafontaine haben wollte, und mit der viele europäische Staaten liebäugelten.

john j Offline




Beiträge: 591

10.05.2010 17:01
#25 RE: Zitat des Tages: Helmut Kohl Antworten

"...die DDR als selbständigen und neutralen Staat zu erhalten - aber mit einem westlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem (und Beibhaltung einiger "sozialistischer Errungenschaften"). Und natürlich mit einer eigenen, auch von der Bundesrepublik anerkannten Staatsbürgerschaft, so daß DDR-Bürger nicht einfach hätten übersiedeln können."

Ich glaube nicht dass das auch nur entfernt praktikabel gewesen waere. Die Menschen in der DDR hatten es ja ueberdeutlich klar gemacht dass sie bspw entweder die DM in der DDR wollten oder eben in die BRD gehen wuerden sollte dies nicht eintreten. Ein "selbständiger und neutralen Staat" DDR-light haette sich bald ohne Bevoelkerung befunden. Und die BRD konnte ja nicht einfach den Deutschen in der DDR die Staatsbuergerschaft entziehen, siehe Aussiedler etc. Siehe auch die Niederlage Lafontaine's in der Wahl 1990 die mE u.a. auf seine Position zur Wiedervereinigung beruhte.

Und nochmal, ein wie auch immer geartetes Verbot der Verbuendeten der BRD (USA, GB, F) den Volkswillen (ich gehe schon davon aus dass dafuer eine grosse Mehrheit n der BRD und DDR bestand) waere ein aeusserst unfreundlicher und letzten Endes nicht erklaerbarer Akt gewesen. Was die SU btraf sah es ein bisschen anders aus, zugegeben, aber man muss sich die damalige Schwaeche der SU (die bereits von innen zu zerfallen begann) vor Augen halten.

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