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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 27 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Kallias Offline




Beiträge: 2.300

25.05.2010 18:24
Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Welchen politischen Sinn hat Kochs Rücktritt? Für alle, die's dramatisch lieben, eine entsprechende Spekulation.

Abendlaender Offline




Beiträge: 103

25.05.2010 18:34
#2 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Mein erster Gedanke war ein Vergleich mit dem Rücktritt Sarah Palins.

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

25.05.2010 18:50
#3 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Kallias
Für alle, die's dramatisch lieben, ..

Ja, genau so liebe ich es!

Das ist sicher auch eine der Möglichkeiten, die sich Koch jetzt eröffnen. Allen diesen Möglichkeiten ist gemeinsam, daß er sie nur schwer als amtierender hessischer Ministerpresident wahrnehmen kann. Ohne diese Distanz wird Jeder zu den Verursachern der zwangsläufig auf uns zukommenden Probleme gezählt und scheidet daher als "Lösungsansatz" automatisch aus.

Herzlich, Ungelt

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

25.05.2010 19:13
#4 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Ausgerechnet Schäfer-Gümbel scheint meine Mutmaßung zu teilen: Koch fliehe aus der Verantwortung, soll er heute gesagt haben. Sollte ich mich doch geirrt haben?

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

25.05.2010 19:30
#5 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Kallias
Ausgerechnet Schäfer-Gümbel scheint meine Mutmaßung zu teilen: Koch fliehe aus der Verantwortung, soll er heute gesagt haben. Sollte ich mich doch geirrt haben?

Muß man nicht "aus der Verantwortung fliehen", wenn man sonst gezwungen wäre eine Politik mitzutragen, von deren SChädlichkeit man überzeugt ist, und die man nicht beeinflussen kann? Das ist doch absolut legitim, aus meiner Sicht. Insbesondere wenn man es nicht gerade wie Lafontaine macht. Wenn man ihm das Kanzleramt anbieten würde, würde er vermutlich nicht "fliehen".

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

25.05.2010 19:50
#6 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Als ich heute morgen (danke, Calimero!) von dem Rücktritt erfuhr, dachte ich an das Sprichwort von den Ratten und dem sinkenden Schiff, das sich leider nicht benutzen läßt, weil es zu mißverständlich ist.

Eigentlich habe ich, inmitten meiner Ahnungslosigkeit hockend, erst in zwei, drei Jahren mit einer größeren Krise gerechnet. Ich meinte, die Politiker würden die Lage erst einmal beruhigen mit ihren Rettungsversprechen, um dann wieder in den Normalmodus der Politik zurückzukehren: nämlich die Probleme vor sich herzuschieben. Der nächste Konjunkturabschwung würde dann die Potemkinschen Dörfer in der Luft zerfetzen.

Nun mehren sich allerdings die akuten Krisenzeichen. Der Euro taumelt weiter abwärts, was ja nach der Merkel-Sarkozyschen Krisentheorie bedeutet, daß die Spekulantenhorden immer noch gegen Europa anrennen, ohne daß die Verteidiger des Abendlandes noch etwas aufzubieten haben: ein 5000-Milliarden-Euro-Versprechen oder dergleichen würde vermutlich niemand mehr ernst nehmen.

Kochs Rückzug sehe ich auch in diesem Zusammenhang. Schaumermal!

Herzliche Grüße,
Kallias

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

25.05.2010 20:00
#7 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Kallias
Kochs Rückzug sehe ich auch in diesem Zusammenhang. Schaumermal!

Sollte das nicht eigentlich "Schaumeramal" sein?

Egal, mir geht es ähnlich. Die Zeiten werden offenbar interessant, hoffentlich nicht zu interessant.

Herzlich, Ungelt

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

25.05.2010 20:21
#8 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Ungelt

Zitat von Kallias
Kochs Rückzug sehe ich auch in diesem Zusammenhang. Schaumermal!

Sollte das nicht eigentlich "Schaumeramal" sein?


Woaßned. In der mittelbayrischen Gegend, wo ich aufgewachsen bin, hatte jedes Dorf einen etwas anderen Dialekt, ganz abgesehen von den unterschiedlich starken Beimischungen des Hochdeutschen.

Pfüateana
Kallias

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

25.05.2010 21:06
#9 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Kallias
Woaßned. In der mittelbayrischen Gegend, wo ich aufgewachsen bin, hatte jedes Dorf einen etwas anderen Dialekt, ganz abgesehen von den unterschiedlich starken Beimischungen des Hochdeutschen.
Pfüateana
Kallias

Koa sei... Seawas, Ungeud

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

25.05.2010 21:11
#10 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Ungelt
Koa sei... Seawas, Ungeud

"Koa"? Koschosei dadimoana! Ist Ihnen schon mal aufgefallen, daß Bayrisch offenbar eine Mischung aus Englisch und Japanisch ist?

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

25.05.2010 21:42
#11 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Kallias

Zitat von Ungelt
Koa sei... Seawas, Ungeud

"Koa"? Koschosei dadimoana! Ist Ihnen schon mal aufgefallen, daß Bayrisch offenbar eine Mischung aus Englisch und Japanisch ist?


Und ob! In meinem ersten Job in Bayern durfte ich auf einem Montageband teure und feine Elektronik montieren, einstellen und prüfen. Mein Chef sprach aber alles mögliche, nur Deutsch war leider nicht dabei. Da half manchmal nur Intuition

Herzlich, Ungelt

PS: Die Firma gibt es nicht mehr...

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

26.05.2010 11:28
#12 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Tja, mehr als spekulieren bleibt derzeit nicht.
Aber die Ihre, lieber Kallias, scheint mir deutlich die plausibelste.

Wir alle haben noch gar nicht richtig begriffen, welche grundlegende Veränderung vor zwei Wochen in Brüssel beschlossen wurde. Die Rahmenbedingungen für Politik und Wirtschaft haben sich drastisch verschoben. Es ist noch völlig offen, was geschehen wird: Inflation, Währungsschnitt, Staatsbankrott auch in Berlin, ...
Aber es ist gut möglich, daß die Folgen für Europa ähnlich gravierend sein werden wie der Mauerfall (nur diesmal eben in der negativen Richtung).

Koch ist hochintelligent und entschlußstark. Er kann natürlich auch nicht wissen, wo die Reise hingehen wird. Aber es ist sich wohl sicher, daß das panikerfüllte Weiterwurschteln à la Bundesregierung keine guten Erfolgschancen hat. Dann lieber gleich aussteigen - wo er noch Herr des Verfahrens ist - als sich in einigen Monaten einem Ruf verweigern zu müssen, als Bundesfinanzminister die von Anderen verschuldete Pleite auszubaden.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

26.05.2010 13:52
#13 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von R.A.
Wir alle haben noch gar nicht richtig begriffen, welche grundlegende Veränderung vor zwei Wochen in Brüssel beschlossen wurde.

Den Gedanken, daß etwas Großes geschehen sein könnte, habe ich von Gabor Steingart, der die Gründung des heißersehnten Europastaates feiert.

Zitat von Steingart
Aber das Europa, das wir in diesen Tagen sehen, ist nicht das Produkt eines politischen Willens, sondern das Ergebnis eines Schöpfungsakts, wie es ihn in der Geschichte der Menschheit nur alle Jahrhunderte zu bestaunen gibt. (...) Alle nachgeschobenen Erklärungen der Experten und auch die hehren Absichten der Akteure wirken klein im grellen Licht jener geschichtsmächtigen Urenergie, die sich da entlädt. (...) Wir können die Europa-Werdung kritisieren oder ablehnen, sie lieben oder hassen, aber verstehen können wir sie nicht.

So dick wollte ich freilich nicht auftragen.

Herzliche Grüße,
Kallias

Herr Offline




Beiträge: 406

26.05.2010 13:54
#14 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Ich möchte gerne auf diesen Artikel in "NovoArgumente" hinweisen, der etwas ausführlicher in der Form, aber in der Sache in dieselbe Richtung argumentiert wie Kallias.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

26.05.2010 14:35
#15 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Kallias
Den Gedanken, daß etwas Großes geschehen sein könnte, habe ich von Gabor Steingart, der die Gründung des heißersehnten Europastaates feiert.


Mein Gott was für ein schrecklicher Text. Steingart ist und bleibt ein staatsfixierter Sozialist (auch wenn er jetzt beim Handelsblatt schreibt).
Ganz kennzeichnend der Satz:
"Nun also legen die Staaten Europas ihre Kasse zusammen."

Einen massiven Geldtransfer nennt er "die Kasse zusammenlegen". Wie sich Sozialisten das halt so vorstellen: Man nimmt den Reichen ihr Geld, legt es zusammen, und verteilt die Sore.

Wobei ich ja einiges an Milliardentransfer aushalten könnte, wenn es wirklich um europäische Einigung ginge. Schließlich bin ich seit drei Jahrzehnten politisch für eine solche Einigung engagiert.

Aber was aktuell passiert, legt eher die Zündschnur an den Sprengsatz.
Was die Staatschefs da im Hinterzimmer ausgeschnapst haben, ist noch viel weiter weg von den Vorstellungen ihrer Wähler als der Lissabon-Vertrag - eine Volksabstimmung darüber würden sie wohl in jedem einzelnen Mitgliedsland verlieren.

Die EU entwickelt sich immer weiter weg von den Wünschen und Ideen seiner Bürger, es wird zum von oben übergestülptem Zwangssystem.
Wenn dann die Pleite kommt (und sie ist eigentlich nicht mehr zu vermeiden), dann besteht die hohe Gefahr, daß auch die Einheitsidee ihr zum Opfer fällt.

Herr Offline




Beiträge: 406

26.05.2010 15:01
#16 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von R.A.
Mein Gott was für ein schrecklicher Text. Steingart ist und bleibt ein staatsfixierter Sozialist (auch wenn er jetzt beim Handelsblatt schreibt).



Huch, das ist ja wirklich ein grusliger Text! Ich kann ihn aber nicht als sozialistisch identifizieren. Sozialisten glauben doch daran, dass in irgendeiner Weise Menschen, und sei es als Klassen oder Produktivkräfte, Subjekte der Geschichte sind. Steingart beschreibt einen naturwüchsigen Prozess, benutzt dabei die Metapher der Geburt und die Rede von Schicksal und Vorsehung, um etwas zu beschreiben, dem politisch und demokratisch nicht zu steuern und zu wehren ist. Damit setzt er der ausgehöhlten demokratischen Legitimation eine stärkere geschichtsmetaphysische Legitimität gegenüber. In eigenartiger Weise korrespondiert das dem Unwort "Alternativlosigkeit", das ja auch nur anzeigt, dass keine politischen Handlungsoptionen mehr bestehen und Politik sich nur noch als Vollstreckerin höherer Zwänge versteht. Ich halte das, mit Verlaub gesagt, für faschistoides Denken.

Herzliche Grüße!
Herr

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.05.2010 15:53
#17 Geburt der Vereinigten Staaten von Europa? Antworten

Zitat von Herr
Steingart beschreibt einen naturwüchsigen Prozess, benutzt dabei die Metapher der Geburt und die Rede von Schicksal und Vorsehung, um etwas zu beschreiben, dem politisch und demokratisch nicht zu steuern und zu wehren ist. Damit setzt er der ausgehöhlten demokratischen Legitimation eine stärkere geschichtsmetaphysische Legitimität gegenüber. In eigenartiger Weise korrespondiert das dem Unwort "Alternativlosigkeit", das ja auch nur anzeigt, dass keine politischen Handlungsoptionen mehr bestehen und Politik sich nur noch als Vollstreckerin höherer Zwänge versteht. Ich halte das, mit Verlaub gesagt, für faschistoides Denken.


Ich sehe den Text nicht so negativ, lieber Herr. Was mich stört, das ist die dröhnende Sprache und die Redundanz. Man hätte das, was Steingart zu sagen hat, mit einigen Sätzen sagen können.

Aber im Kern stimme ich ihm zu: Geschichtliche Umwälzungen sind selten gewollt oder gar geplant. Sie ergeben sich aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren, die von den politischen Akteuren nur selten gesteuert, oft noch nicht einmal erkannt werden können.

Gorbatschow wollte einen besseren Sozialismus, und herausgekommen ist das vorläufige Ende des real existierenden Sozialismus. Wer hätte um, sagen wir, 1980 erwartet, daß beim Untergang des Sozialismus der Nationalismus eine so zentrale Rolle spielen würde?

Das Europa, das sich Adenauer, de Gasperi und Schuman vorstellten, war so etwas wie eine Erneuerung des Karolingerreichs; geographisch beschränkt auf die Sechs, geprägt vom abendländischen Geist und vor allem vom Katholizismus. Herausgekommen ist das heutige europäische Monstrum. Niemand hatte das so auf dem Reißbrett.

Steingart bewertet das ja nicht; er konstatiert es, wenn auch mit krauser Metaphorik. Und er arbeitet meines Erachtens richtig heraus, wie der Prozeß der europäischen Einigung durch unterschiedliche Faktoren vorangetrieben wurde: Erst war er eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg; dann stand die kommunistische Bedrohung im Vordergrund; ab 1990 spielte die Angst vor einem übermächtigen Deutschland eine zentrale Rolle.

Ob wir wirklich die "Geburtsstunde der Vereinigten Staaten von Europa" erleben; weiß ich nicht. Ich hoffe, daß das nicht der Fall ist. Aber eine Diskussion über Europa werden wir jetzt erleben - die Diskussion, die längst hätte geführt werden müssen; die aber ad calendas graecas verschoben wurde.

Zu den wenigen, die in Deutschland diese Diskussion anzustoßen versucht haben, gehört das Autorenteam Roman Herzog und Lüder Gerken. Ich habe ihre Texte mehrfach in ZR besprochen; von dem folgenden Artikel aus gelangt man dorthin:

http://zettelsraum.blogspot.com/2010/01/...chadet-der.html

Herzlich, Zettel

Herr Offline




Beiträge: 406

26.05.2010 16:49
#18 RE: Geburt der Vereinigten Staaten von Europa? Antworten

Lieber Zettel, ich sehe das alles ziemlich genau umgekehrt wie Sie: Ich hielte die "Vereinigten Staaten von Europa" für durchaus wünschenswert; allerdings nur, wenn sie auf freiheitlich-demokratischer Grundlage, legitimiert durch transparente und demokratische Willensbildung, organisiert auf der Grundlage strikter Subsidiarität entwickelt würden.

Dass geschichtliche Umwälzungen anders verlaufen als geplant und vorgestellt, ist mit Sicherheit richtig. Nur verpflichtet das um so mehr, sie bewusst zu gestalten. Der Prozess der revolutionären Umwälzungen in der DDR zur Wiedervereinigung ist ein mustergültiges Beispiel dafür. Er verlief mit einer ungeheuren, nicht vorhersehbaren Dynamik. Trotzdem haben damals viele einzelne an entscheidenden Punkten wichtige Weichenstellungen vollzogen - vor allem ohne Helmut Kohl wäre der Gesamtprozess anders verlaufen - und gleichzeitig sind an entscheidenden Stellen entscheidende demokratische Legitimationen erfolgt (Volkskammerwahlen vom März, Bundestagswahlen vom Dezember 1990).

Bei Steingart kann ich von alldem nichts erkennen. Er feiert die Krise, in der jenseits der vertraglichen Grundlagen der EU gehandelt wird, als Geburtsstunde der "Vereinigten Staaten". Das, was er offenbar wünscht, kommt jetzt unter Zwängen und "Presswehen" zustande. Wer wird gefragt? Wer gestaltet? Merkel und Papandreou? - Die beiden stehen doch gerade für das Scheitern politischer Gestaltungskraft! Wenn überhaupt jemand, dann Sarkozy.

Der Artikel von Herzog und Gerken steht im krassen Gegensatz zu Steingart.

Herzliche Grüße!
Herr

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.05.2010 17:59
#19 RE: Geburt der Vereinigten Staaten von Europa? Antworten

Zitat von Herr
Ich hielte die "Vereinigten Staaten von Europa" für durchaus wünschenswert; allerdings nur, wenn sie auf freiheitlich-demokratischer Grundlage, legitimiert durch transparente und demokratische Willensbildung, organisiert auf der Grundlage strikter Subsidiarität entwickelt würden.


Es kommt darauf an, was man mit dem Etikett meint. Einen einzigen europäischen Nationalstaat nach dem Vorbild der USA? Dafür scheinen mir alle Voraussetzungen zu fehlen. Es gibt keine gemeinsame Sprache; es gibt keine gemeinsame nationale Identität. Es gibt überhaupt nicht den Impetus, ein solches gigantisches Unternehmen anzupacken, so wie er damals in den USA aus dem Unabhängigkeitskrieg hervorging.

Aber einmal angenommen, das wäre realisierbar, was Sie wollen - und womit ich mich ja anfreunden könnte, wäre es denn realisierbar - : Dann müßte man doch zunächst einmal eine Diskussion führen, so wie sie seinerzeit in Amerika in den Federalist Papers geführt wurde.

Dann müßte man nach einer Balance of Powers suchen, von der in Europa bisher nichts, aber wirklich nichts zu sehen ist. Die Kommission hat ja zugleich legislative und exekutive Befugnisse!

Nein, lieber Herr - so schön das wäre, das sehe ich nicht am Horizont heraufziehen. Wir werden entweder ein Europa der Vaterländer haben; das Beste, was wir kriegen können, so wie die Dinge nun einmal liegen. Oder aber das bürokratische Monstrum, das im Entstehen begriffen ist. Der weitaus wahrscheinlichere Fall.

Zitat von Herr
Dass geschichtliche Umwälzungen anders verlaufen als geplant und vorgestellt, ist mit Sicherheit richtig. Nur verpflichtet das um so mehr, sie bewusst zu gestalten. Der Prozess der revolutionären Umwälzungen in der DDR zur Wiedervereinigung ist ein mustergültiges Beispiel dafür. Er verlief mit einer ungeheuren, nicht vorhersehbaren Dynamik. Trotzdem haben damals viele einzelne an entscheidenden Punkten wichtige Weichenstellungen vollzogen - vor allem ohne Helmut Kohl wäre der Gesamtprozess anders verlaufen - und gleichzeitig sind an entscheidenden Stellen entscheidende demokratische Legitimationen erfolgt (Volkskammerwahlen vom März, Bundestagswahlen vom Dezember 1990).


Dem stimme ich zu. Wobei in solchen Fällen die Weichenstellung nicht immer in eine erfreuliche Richtung gegangen ist. Lenin und Trotzki haben es aus einer im Grunde aussichtslosen Minderheitsposition heraus fertiggebracht, mit Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit den revolutionären Prozeß in Rußland in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken.

Ich rede also nicht einem Geschichtsdeterminismus das Wort. Kaum jemals "mußte es so kommen", wie es gekommen ist. Ich halte auch die Möglichkeiten von Staatsmännern und Politikern, Weichen zu stellen, für sehr groß. Ohne die Person Hitler würden wir vielleicht heute noch die Verfassung von Weimar haben; ohne Mao hätte sich ein von Tschiang Kai-Schek regiertes China vielleicht nach dessen Tod zu einem demokratischen Rechtsstaat entwickelt, ähnlich wie Spanien nach dem Tod Francos.

Nur kann man Weichen halt nur dann stellen, wenn es schon Gleise und Züge gibt. Hitler und Mao konnten nur deshalb Erfolg haben, weil sie in Situationen agierten, die ihnen dafür die Voraussetzungen boten. Und selten kommt, wie gesagt, das heraus, was die Akteure anstrebten.

Zitat von Herr
Bei Steingart kann ich von alldem nichts erkennen. Er feiert die Krise, in der jenseits der vertraglichen Grundlagen der EU gehandelt wird, als Geburtsstunde der "Vereinigten Staaten". Das, was er offenbar wünscht, kommt jetzt unter Zwängen und "Presswehen" zustande.


Ich habe den Artikel anders gelesen. Was Steingart wünscht, geht für mich aus dem Artikel nicht hervor. Er konstatiert das, was er als Geburt Europas sieht. Mag sein, daß sein bombastischer Stil - eigentlich gar nicht typisch für Steingart - die Deutung nahelegt, er fände das alles ganz toll. Aber sagen tut er es nicht.

Zitat von Herr
Der Artikel von Herzog und Gerken steht im krassen Gegensatz zu Steingart.


Es geht ja um verschiedene Themen. Herzog und Gerken schreiben über Verfassungsprobleme. Steingart versucht die momentane Entwicklung historisch zu interpretieren.



Übrigens habe ich diese Metapher der Geburtswehen bei einer Vereinigung schon einmal gelesen, und zwar von Sebastian Haffner in den siebziger Jahren. Er sah damals das Kuddelmuddel im Nahen Osten als die Geburtswehen einer arabischen Nation an.



Wirklich geärgert hat mich an dem Artikel von Steingart nur, daß er den sehr bedeutenden Walter Hallstein "Robert Hallstein" nennt.

Herzlich, Zettel

Herr Offline




Beiträge: 406

26.05.2010 21:19
#20 RE: Geburt der Vereinigten Staaten von Europa? Antworten

Zitat von Zettel
Nein, lieber Herr - so schön das wäre, das sehe ich nicht am Horizont heraufziehen. Wir werden entweder ein Europa der Vaterländer haben; das Beste, was wir kriegen können, so wie die Dinge nun einmal liegen. Oder aber das bürokratische Monstrum, das im Entstehen begriffen ist. Der weitaus wahrscheinlichere Fall.


Ja, das ist sicher die realistischere Sicht.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

26.05.2010 22:38
#21 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Herr
Ich möchte gerne auf diesen Artikel in "NovoArgumente" hinweisen, der etwas ausführlicher in der Form, aber in der Sache in dieselbe Richtung argumentiert wie Kallias.

Nicht so ganz in die Richtung. Daß die Eliten versagen, Visionen fehlen, es an Demokratie mangele, Nachhaltigkeits-Schnickschnack an die Stelle von Innovationen getreten sei: solche Dinge schreibt Deichmann seit es Novo gibt - wenn das die Gründe für Kochs Rücktritt waren, hätte er nie Ministerpräsident werden können.

Sollte Koch jetzt wirklich eingesehen haben, daß ihm die Ideen fehlen, "um das arg gebeutelte Führungssystem aus dem Sumpf ziehen zu können"? Demütig beugt er sich der Unlösbarkeit der von ihm mitverschuldeten Probleme?

Nein, die Journalisten-Deutung ("an Merkel gescheitert") ist mir zu flach, doch ihn zu einem derart außergewöhnlichen Menschen zu stilisieren, geht mir zu weit.

Aber wer weiß? Vielleicht schreibt er ein Buch und bekennt es uns.

Herzliche Grüße,
Kallias

PS Novo finde ich immer dann sehr gut, wenn es um konkrete Einzelfragen geht. Die allgemeinen Thesen kommen mir dagegen meist verblasen und nichtssagend vor ("Die Politiker müssten viel besser sein als sie sind!").

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

26.05.2010 23:16
#22 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt Antworten

Zitat von Kallias (über Roland Koch):
Aber wer weiß? Vielleicht schreibt er ein Buch und bekennt es uns.


Ich bin für »brutalstmögliche Aufklärung« ;-)

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

27.05.2010 11:52
#23 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt: Glaeserne Decke Antworten

Koch hat in Hessen alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Er ist Ministerpraesident geworden, wiedergewaehlt mit absoluter Mehrheit, er hat die Kommunisten in Form von Ypsilanti ausgetrickst - was soll er in Hessen denn noch erreichen? Nochmal antreten? Helmut Schmidt riet Gerhard Schroeder einst dazu, sich auf 2 Legislaturperioden zu beschraenken, da nach 7, 8 Jahren zu viel Routine ins Amt kommt.
Ich denke, Hessen hat Koch einfach nicht mehr gereizt. Immer die selben Gesichter, die selben Probleme, immer das gleiche Lied.

Welche Karrieremoeglichkeiten bleiben ihm, Koch dem Macher? Dem (konservativen) Alphatier? Dem intelligenten Taktiker? Der Sprung ins Bundeskabinett ist ihm verwehrt, der Sprung nach Europa ist in Deutschland ein Abstellgleis.

Ich denke, dies sind die wahren Gruende des Ruecktritts. Es ist keine Verschwoerung, es ist kein gesundheitlicher Grund, es ist kein Skandal. Es ist ganz einfach der Wunsch nach weiterer Karriere, der sich nicht verwirklcihen laesst. Waere Koch eine Frau, wuerde man von der 'glaesernen Decke' sprechen.

(Der Ruecktritt von dieser Lautenschlaeger ist imho der Ruecktritt einer Mitlauferin, einer 120% Kochanhaengerin, die in Nibelungentreue zu Ihrem Chef haelt.)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

27.05.2010 11:58
#24 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt: Glaeserne Decke Antworten

Zitat von Dagny
Koch hat in Hessen alles erreicht, was es zu erreichen gibt.


Incl. einer horrenden Neuverschuldung, die den Nachfolger erdrücken wird.

Aber schon richtig, ein weiteres Mal in Hessen anzutreten hätte es nicht mehr gebracht. Es war auch ein offenenes Geheimnis in Wiesbaden, daß er nicht die volle Legislaturperiode MP bleiben würde - nur der Zeitpunkt und die neue Tätigkeit waren unklar.

Zitat
Der Sprung ins Bundeskabinett ist ihm verwehrt ...


Jein.
Ich denke schon, daß er Nachfolger von Schäuble hätte werden können. Aber das hätte halt nur bedeutet, die von Merkel eingebrockte Suppe auslöffeln zu müssen, das Scheitern ist vorprogrammiert.

Zum Zustand der Bundesregierung lohnt auch folgender Kommentar:
http://www.oliver-marc-hartwich.com/publ...rse-of-populism

Zitat
Es ist ganz einfach der Wunsch nach weiterer Karriere, der sich nicht verwirklcihen laesst.


Richtig.

Zitat
Waere Koch eine Frau, wuerde man von der 'glaesernen Decke' sprechen.


Was zeigt, wie dumm es von feministischer Seite ist, diese angebliche Benachteiligung zu beklagen.

Zitat
Der Ruecktritt von dieser Lautenschlaeger ist imho der Ruecktritt einer Mitlauferin, ...


Nein, da gibt es handfeste private Gründe.

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

27.05.2010 12:07
#25 RE: Der wahre Grund von Kochs Rücktritt: Glaeserne Decke Antworten

Zitat von R.A.

Zitat
Der Ruecktritt von dieser Lautenschlaeger ist imho der Ruecktritt einer Mitlauferin, ...


Nein, da gibt es handfeste private Gründe.





Kann sein. Aus entfernter Sicht stellt es sich eben so da.

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