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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 18 Antworten
und wurde 1.423 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.06.2010 20:59
Amok Antworten

Menschen sind Mörder. Bei den meisten von uns ist dieser Instinkt glücklicherweise nicht so stark, daß er unser Verhalten bestimmen kann. Aber es passiert eben.

Kallias Offline




Beiträge: 2.310

02.06.2010 21:37
#2 RE: Amok Antworten

Der Amokläufer wäre demzufolge einer, der die Hälfte seiner guten Gene schon verloren hat: indem er zwar reichlich tötet, ohne sich jedoch zu opfern, jedenfalls nicht für die Gruppe; während der perfekte Mensch offenbar der Selbstmordattentäter ist, der ja auch für seinen übergroßen Altruismus in den Himmel kommt.

Die westlichen Individualisten, genetisch degeneriert, wie sie nun einmal leider sind, ungern töten, sich nicht opfern wollen, können angesichts all dessen nur bestehen, indem sie schöne Schießroboter bauen, denen es nichts ausmacht, von Feinden demoliert zu werden. Bella gerant alii!

Und das ist der Weg für unsereinen: wir sollten danach streben, immer mehr von unseren Genen auf Maschinen auszulagern, und dann unser Leben in Bonobo-Seligkeit verbringen. Back to the roots!

Herrliche Grüße,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.06.2010 21:59
#3 RE: Amok Antworten

Zitat von Kallias
Der Amokläufer wäre demzufolge einer, der die Hälfte seiner guten Gene schon verloren hat: indem er zwar reichlich tötet, ohne sich jedoch zu opfern, jedenfalls nicht für die Gruppe; während der perfekte Mensch offenbar der Selbstmordattentäter ist, der ja auch für seinen übergroßen Altruismus in den Himmel kommt.


Gewiß nicht der perfekte, lieber Kallias, aber nun einmal der atavistische.

Wade, ein exzellenter Wissenschaftsjournalist, der sehr sorgfältig argumentiert und der sehr viel Literatur aus den letzten beiden Jahrzehnten verarbeitet hat, hat mich überzeugt: In dieser Zeit von ungefähr 40.000 v.Chr. an gab es nun einmal einen Kampf um Leben und Tod um die knappen Ressourcen.

Die menschliche Kultur ist im Krieg entstanden. Es gab eine Gruppenselektion. Überlebt haben diejenigen, die sich in diesem mörderischen Kampf behaupten konnten. Es war so etwas wie ein genetischer Balanceakt: Sie mußten aggressiv sein, zugleich aber altruistisch.

Wenn man so will, der Typus des idealen Fußballers.

Zitat von Kallias
Die westlichen Individualisten, genetisch degeneriert, wie sie nun einmal leider sind, ungern töten, sich nicht opfern wollen, können angesichts all dessen nur bestehen, indem sie schöne Schießroboter bauen, denen es nichts ausmacht, von Feinden demoliert zu werden. Bella gerant alii!


Nein, so schnell gibt es keine genetischen Veränderungen. Unser Genom ist wenig verändert gegenüber demjenigen derer, die vor zehntausend oder dreißigtausend Jahren um ihr Leben gekämpft haben.

Wir haben ja auch diesen Instinkt des Tötens, alle. Die einen sehen Krimis, die anderen leben das am Computer aus. Früher spielten die kleinen Jungen mit Zinnsoldaten. Sebastian Haffner hat beschrieben, wie er im Ersten Weltkrieg als Knabe jede Schlacht mit Zinnsoldaten nachstellte.

Zitat von Kallias
Und das ist der Weg für unsereinen: wir sollten danach streben, immer mehr von unseren Genen auf Maschinen auszulagern, und dann unser Leben in Bonobo-Seligkeit verbringen.


Was wäre das denn für ein Leben!

Wir alle wollen Gewalt; sonst würden wir doch nicht die betreffenden Filme ansehen. Ich bin eher am pazifistischen Ende der Skala; ich kann Gewalt nur schwer ertragen. Aber trotzdem schätze ich Conan Doyle und Hitchcock.

Herzlich, Zettel

Kallias Offline




Beiträge: 2.310

02.06.2010 22:12
#4 RE: Amok Antworten

Wie kann man die Amokläufe mit der Genetik erklären, wenn diese Leute doch gar nicht im Sinne der Gene handeln: sie kämpfen nicht, sondern töten bloß; sie opfern sich nicht, sondern entziehen sich ihrer Gruppe. Amokläufer sind doch das genaue Gegenteil dessen, was eine Gruppe braucht, die sich in mörderischer Konkurrenz mit einer anderen Gruppe befindet.

Herzliche Grüße,
Kallias

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

02.06.2010 22:35
#5 RE: Amok Antworten

Zitat von Kallias
Wie kann man die Amokläufe mit der Genetik erklären, wenn diese Leute doch gar nicht im Sinne der Gene handeln: sie kämpfen nicht, sondern töten bloß; sie opfern sich nicht, sondern entziehen sich ihrer Gruppe. Amokläufer sind doch das genaue Gegenteil dessen, was eine Gruppe braucht, die sich in mörderischer Konkurrenz mit einer anderen Gruppe befindet.

Ich sehe die Ursache für diese Erscheinung in der von Zettel angesprochenen "kulturellen Firnis".

Sie wirkt ja wie eine Kruste, ist ja auch eine. Und bewirkt, daß ein geringerer innerer Überdruck kaum sichtbare Auswirkungen hat und der Verursacher des Überdrucks so unbehelligt weiterleben kann. Wenn allerdings der Überdruck zu groß wird, dann wird auch die Auswirkung deutlich größer, was ja mit der aufgestauten Energie leicht zu erkären ist. Am Beispiel von Ätna und Vesuv ist es sehr anschaulich zu besichtigen.

Ich habe mich in den letzten Jahren deutlich in Richtung Ätna bewegt, weil ich es mit meiner Umgebung gut meine

Schönen Abend, Ungelt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.06.2010 22:37
#6 RE: Amok Antworten

Zitat von Kallias
Wie kann man die Amokläufe mit der Genetik erklären, wenn diese Leute doch gar nicht im Sinne der Gene handeln: sie kämpfen nicht, sondern töten bloß; sie opfern sich nicht, sondern entziehen sich ihrer Gruppe. Amokläufer sind doch das genaue Gegenteil dessen, was eine Gruppe braucht, die sich in mörderischer Konkurrenz mit einer anderen Gruppe befindet.


Exakt das ist es, womit sich die Evolutionsbiologen herumschlagen. Sie arbeiten dabei mit jeder Menge mathematischer Modelle. Denn es ist ein Optimierungsproblem.

Die Gruppenselektion verlangt Aggressivität. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.

Aber indem Aggressive als Gruppe eine größere Chance haben, ihre Gene weiterzugeben, entsteht logischerweise auch innerhalb der Gruppe ein Problem. Aggressivität Einzelner kann die Gruppe sprengen und damit diesen Selektionsvorteil zunichte machen.

Die Balance hängt,wie Wade argumentiert, entscheidend von der Knappheit von Ressourcen ab. Eine Gruppe, die in einer relativ günstigen Umwelt lebt, wird dann erfolgreich sein, wenn es innerhalb der Gruppe Frieden gibt. Aggressivität ist dort also eher ein Hindernis, seine Gene weiterzugeben. Steht eine Gruppe aber in ständiger Konkurrenz mit anderen Gruppen um Ressourcen, dann ist Aggressivität ein Selektionsvorteil.

Natürlich nur in einem bestimmten Maß. Beim Amokläufer ist die Balance aus den Fugen geraten.

Heute ist ohnehin dieses eben atavistische Erbe nutzlos; wie so vieles, das wir an nutzlosen oder schädlichen Genen mit uns herumschleppen.

Freud hat das alles sehr klar gesehen. Ich glaube, die Metapher der Firnis, die ich verwendet habe, ist auch von ihm. Das Unbehagen in der Kultur, darum geht es.

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

02.06.2010 22:46
#7 RE: Amok Antworten

Zitat von Zettel
Eine Gruppe, die in einer relativ günstigen Umwelt lebt, wird dann erfolgreich sein, wenn es innerhalb der Gruppe Frieden gibt. Aggressivität ist dort also eher ein Hindernis, seine Gene weiterzugeben. Steht eine Gruppe aber in ständiger Konkurrenz mit anderen Gruppen um Ressourcen, dann ist Aggressivität ein Selektionsvorteil.


Hmm, 'tschuldigung, daß ich mich so heftig einmische, aber was geschieht denn, wenn sich derartig unterschiedliche Gruppen vermischen, oder vermischt werden?

Herzlich, Ungelt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.06.2010 23:08
#8 RE: Amok Antworten

Zitat von Ungelt

Zitat von Zettel
Eine Gruppe, die in einer relativ günstigen Umwelt lebt, wird dann erfolgreich sein, wenn es innerhalb der Gruppe Frieden gibt. Aggressivität ist dort also eher ein Hindernis, seine Gene weiterzugeben. Steht eine Gruppe aber in ständiger Konkurrenz mit anderen Gruppen um Ressourcen, dann ist Aggressivität ein Selektionsvorteil.


Hmm, 'tschuldigung, daß ich mich so heftig einmische, aber was geschieht denn, wenn sich derartig unterschiedliche Gruppen vermischen, oder vermischt werden?



Schwer zu sagen. Es ist eben alles Mathematik, die ja nun endlich auch die Biologie erreicht hat.

Viele Merkmale beinhalten ebenso evolutionäre Vorteile wie evolutionäre Nachteile. Wenn sich alle Mitglieder einer Gruppe nur um die Brutpflege kümmern, dann ist das zunächst gut, weil der Nachwuchs gedeiht. Aber längerfristig hat man schlechte Chancen, wenn man nicht auch für die Bekämpfung von Feinden genügend Ressourcen bereitstellt.

Vermischung hat, lieber Ungelt, offenbar ja ständig stattgefunden. Auch zwischen Homo sapiens und Neandertaler, wie man kürzlich lesen konnte. Sie fand vor allem durch die Vergewaltigung und den Frauenraub statt, die eine unweigerliche Begleiterscheinung von Kriegen waren.

Was ich aus dem Buch von Nicholas Wade - ich werde vielleicht in ZR noch darauf zurückkommen - vor allem gelernt habe, das ist die Korrektur der verbreiteten Vorstellung, bis zur Seßhaftigkeit und dann der Entstehung der ersten Staaten hätten die Jäger/Sammler friedlich gelebt. Das Übel sei erst dadurch in die Welt gekommen, daß man seßhaft wurde, daß dadurch Arbeitsteilung und Besitz in die Welt kamen.

Nein, in dieser "Urgesellschaft", ab ungefähr 40.000 v.Chr., ging es brutal zu. Das waren keine edlen Wilden, sondern Menschen, die sich mit einer riesigen Kraftanstrengung gegen eine feindliche Natur, gegen ihre Feinde in anderen Gruppen, behaupten mußten.

Die ganze Evolutionsgeschichte dieser seltsamen Spezies Mensch ist dadurch gekennzeichnet, daß man immer mehr tun mußte, als man eigentlich konnte.

Man lebte immer am Limit, seit Brachiatoren sich in die Savanne versetzt fanden, seit überwiegend vegetarisch lebende Urwaldbewohner aus nackter Not zu Jägern werden mußten.

Herzlich, Zettel

vivendi Offline



Beiträge: 663

03.06.2010 01:18
#9 RE: Amok Antworten

"Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube" [Goethe]
Die Frage, woher Aggressivität kommt und ob es eine Anlage zur unbedingten Aggressivität unter Menschen gibt, beschäftigt mich seit langer Zeit. Ich habe bisher her keine Antwort darauf gefunden.
Bedingte Aggressivität, also Aggressivität die ausgeübt wird, um eine körperliche Gefahr abzuwenden, zur Selbstverteidigung, scheint mir aus dem Überlebensinstinkt erklärbar. Dass in unserer Gesellschaft oder Kultur, die körperlichen Gefahren (Wildtiere, Kampf um die Nahrung) aus der Natur kaum mehr ausgesetzt ist, kann es durchaus sein, dass sich die Aggressivität auslesende Schwelle nach unten verschoben hat, dass auch Angriffe auf auf Gefühle, insbesondere Selbstwertgefühle, bereits Aggressivität auslösen können.

Das genetische Auswahl für eine Zunahme des Aggressivitätspotentials verantwortlich sein soll, kann ich mir nicht logisch erklären. Aggressive Individuen (es gibt keine Gene, die sich zwischen Bevölkerungsgruppen verbreiten) waren sicher auch in historischen Zeiten in der Minderheit. Auch scheinen Aggressivität und Kriegsbereitschaft fast exklusiv unter Männern zum Ausdruck zu kommen - gibt es diese Gen bei Frauen gar nicht?
Bei guter Durchmischung der Gene wäre eine Zunahme der Aggressivität nur dann zu erklären, wenn das Aggressivitätsgen dominant vererbt würde.

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

03.06.2010 01:51
#10 RE: Amok Antworten

Zitat
In keiner Spezies, Ameisen vielleicht ausgenommen, ist es so verbreitet, Angehörige derselben Art zu töten, wie beim Homo Sapiens.



Das stimmt so nicht. Loewen beissen schon mal den Nachwuchs eines anderen Maennchens tot um die Loewin wieder paarungsbereit werden lassen. Auch bei Eisbaeren gibt es meines Wissens nach solches Verhalten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

03.06.2010 05:34
#11 RE: Amok Antworten

Zitat von Dagny

Zitat
In keiner Spezies, Ameisen vielleicht ausgenommen, ist es so verbreitet, Angehörige derselben Art zu töten, wie beim Homo Sapiens.


Das stimmt so nicht. Loewen beissen schon mal den Nachwuchs eines anderen Maennchens tot um die Loewin wieder paarungsbereit werden lassen. Auch bei Eisbaeren gibt es meines Wissens nach solches Verhalten.



Ja, da gibt es viele Beispiele. Aber regelrechte Kriege, die habituell geführt werden, gibt es meines Wissens außer bei Ameisen nur bei Menschen.

Nichts verlangt so viel sozialen Zusammenhalt, so viel Bereitschaft des Individuums, sich der sozialen Gemeinsamkeit unterzuordnen, wie der Krieg. Wade beschreibt das sehr überzeugend: Wie das Schlimmste im Menschen zusammen mit dem Besten im Menschen entstanden ist.

Herzlich, Zettel

flobotron Offline



Beiträge: 333

03.06.2010 10:38
#12 RE: Amok Antworten

Vieleichts ists ein wenig offtopic aber das töten aus aus niederen Motiven als Jagd und Verteidigung hat nicht nur der Mensch inne.

Chimpansen ziehen in den Krieg:
http://www.youtube.com/watch?v=a7XuXi3mqYM
Sogar mit beeindruckender Taktik:
http://www.youtube.com/watch?v=A1WBs74W4ik&feature=channel

Auch Delphine töten, sogar ohne bisher geklärten Grund:

Zitat

Growing evidence shows that the big animals, up to 12 feet long, are killing fellow mammals in droves, wielding their beaks as clubs and slashing away with rows of sharp teeth. Dolphins have been found to bludgeon porpoises to death by the hundreds. Unlike most animal killers, which eat their prey, dolphins seem to have murderous urges unrelated to the need for food.
[...]
Dr. Read of Duke University, a porpoise expert who is aiding the Virginia study, said evolutionary factors seemed a likely explanation for the infanticide. The porpoise deaths, he added, were harder to understand. The two kinds of marine mammals eat different fishes, he said, so food competition is unlikely. "And there are very few instances when one mammal kills another when there is no risk of predation," Dr. Read added.

The emerging consensus is that wild dolphins can be cold-blooded killers.


Q:http://www.fishingnj.org/artdolphagress.htm

Porpoise sind eine kleinere Art von Delphinen.

Beide Tierarten sind sehr intelligent und bestehen den Spiegeltest, d.h. sie besitzen Selbsterkenntnis. Vieleicht können sie daher etwas empfinden beim Töten, im gegensatz zu anderen Tieren. Stärke, Macht oder Überlegenheit dem Opfer gegenüber. Dies sind ja auch die Gefühle die viele Soldaten kurz nach einem Kampf empfunden haben sollen. Woraufhin im allgemeinen ein Stimmungstief folgte, was zum einen biochemisch, durch den Abbau der Endorphine zu erklären ist, aber auch größtenteils daran liegt gegen moralische Grundsätze fast jeder Gesellschaft verstoßen zu haben.
Diese Moral haben Tiere nicht. vieleicht machts ihnen einfach Spass.

Gut diese These scheint schon ein wenig weit hergeholt zu sein. Ich lasse sie dennoch stehn, worauf sie gerne zerrisen werden kann.

mfg flobotron

Kallias Offline




Beiträge: 2.310

06.06.2010 10:41
#13 RE: Amok Antworten

Was sind überhaupt in den Genen kodierbare Merkmale? "Aggressivität" scheint mir ein Modewort aus dem 20. Jh. zu sein: können die Gene überhaupt wissen, was wir damit meinen?

Aggressivität kommt mir als ein etwas schwammiger Begriff vor, der irgendwie aus den Teilkonzepten "Destruktivität" und "Agonalität" zusammengesetzt ist, die ein wenig klarer sind.

Bei Destruktivität ist prima facie schwer zu sehen, worin der evolutive Nutzen bestehen soll. Bei Agonalität ist umgekehrt unklar, in welcher Hinsicht sie schädlich sein sollte. Deswegen kommt es mir als Wade-Nichtleser so vor, als sei das Optimierungsproblem lediglich Folge davon, daß gegenläufige Begriffe in ein künstliches Konzept gepresst wurden.

Amok wiederum ist kaum agonal; außer, daß mögliche Opfer, wenn die Schießerei losgeht, fliehen oder sich verstecken und daher schwerer zu treffen sind. Im wesentlichen jedoch werden einfach Wehrlose niedergestreckt. Daher liegt hierbei fast reine Destruktivität vor; deren biologischer Ursprung sich aus Konkurrenz von Gruppen kaum plausibel machen läßt.

Ich habe hier Behauptungen aufgestellt, aber eigentlich sind das alles Fragen.

Herzliche Grüße,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.06.2010 11:42
#14 RE: Amok Antworten

Zitat von Kallias
Ich habe hier Behauptungen aufgestellt, aber eigentlich sind das alles Fragen.


Und keine leichten, lieber Kallias.

Zitat von Kallias
Aggressivität kommt mir als ein etwas schwammiger Begriff vor, der irgendwie aus den Teilkonzepten "Destruktivität" und "Agonalität" zusammengesetzt ist, die ein wenig klarer sind.


Ich sehe ihn als den Oberbegriff für eine Klasse von Verhaltensweisen, die in der Tat verschiedene evolutionäre Ursachen haben. Intraspezifische Aggression bei Rangkämpfen unter sozial lebenden Tieren; Jagdverhalten; und eben die ebenfalls intraspezifische Aggressivität im Kampf mit anderen Gruppen um knappe Ressourcen, also der genetische Ursprung des Kriegs. Es wurde in diesem Thread darauf hingewiesen, daß das auch bei Schimpansen vorkommt.

Intraspezifische Aggression und Jagdverhalten sind wohl - Konrad Lorenz hat schon vor Jahrzehnten in "Das sogenannte Böse" darauf hingewiesen - voneinander zu trennen. Der Löwe hat auf die Gazelle keine Wut, so wenig wie wir Menschen auf ein Schnitzel, wie Lorenz schreibt (wenn ich recht erinnere; ist schon arg lange her daß ich es gelesen habe).

Kritisch ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen diesen beiden Formen der Aggression und der beim Menschen besonders ausgeprägten Aggression zwischen Gruppen.



Wade, der sich in diesem Kapitel Biologen wie Bowles und Wilson stützt, verwendet die Begriffe altruistisches und egoiistisches Verhalten. Ich habe das in der Antwort, auf die Sie sich (vermute ich ) beziehen, nicht sauber von Aggressivität getrennt, es jetzt aber noch einmal nachgelesen.

Altruistisches Verhalten ist ein Verhalten, das die Überlebenschancen des betreffenden Individuums verringert, zugleich aber die Überlebenschancen seiner Gruppe erhöht. Also beispielsweise Tapferkeit im Krieg ohne Rücksicht auf das eigene Leben.

Wenn nun Gene, die diesem Verhalten zugrundeliegen, in einer Gruppe stark vertreten sind, dann hat die Gruppe bessere Überlebenschancen. Innerhalb der Gruppe werden aber diejenigen, die ein solches altruistisches Verhalten zeigen, schlechtere Chanchen haben, ihre Gene weiterzugeben, weil sie, sagen wir, zugunsten anderer auf Nahrung verzichten. Das ist das Optimierungsproblem.



Das habe ich mit Aggressivität in Zusammenhang gebracht, wo es wohl ein ähnliches Optimierungsproblem gibt; es ist aber nicht dasjenige, das Wade diskutiert.

Bei der intraspezifischen Aggression (ist es das, was Sie mit Agonalität meinen? - der Begriff ist mir nicht geläufig) wird unter Angehörigen derselben Spezies gekämpft, aber nicht mit dem Ziel des Tötens. Predatoren zielen auf das Töten des Beutetiers ab, das sie sich ja einverleiben wollen (ist es das, was Sie mit Destruktivität meinen?).

Die intraspezifische Aggression zwischen Gruppen hat Elemente von beidem. Die Jäger und Sammler vor der neolithischen Revolution hatte eine egalitäre Gesellschaftsstruktur; also relativ wenig intraspezifische Aggression innerhalb der Gruppe. Zugleich gab es, bedingt durch die Knappheit der Ressourcen, eine starke intraspezifische Aggression zwischen Gruppen. Zumindest was das Ziel des Tötens angeht, ähnelt sie dem Jagdverhalten.

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

06.06.2010 12:54
#15 RE: Amok Antworten

Zitat von Zettel
Kritisch ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen diesen beiden Formen der Aggression und der beim Menschen besonders ausgeprägten Aggression zwischen Gruppen.


Ist der Mensch in dieser Beziehung überhaupt mit viel einfacher strukturierten Arten vergleichbar? Ich sehe das so, daß je entwickelter eine Spezies ist, desto mehr Merkmale besitzt sie zwangsläufig, und damit eben auch mehr trennende Merkmale. Die können dann leicht (innerhalb der Spezies) als so bedeutend eingestuft werden können, daß damit die Tatsache, zur gleichen Spezies zu gehören, einfach in den Hintergrund gedrängt wird.

Mal angenommen, wenn eine Gnu-Antilope keine Gruppen bilden und daher auch keine Gruppenzugehörigkeit und Gruppenunterschiede kennen würde, kann man ihr dann ein friedfertiges Verhalten innerhalb der Art (= zwischen Gruppen) bescheinigen? Das wäre doch so, als o man einem Regenwurm dafür loben würden, keine Amseln zu fressen.

Herzlich, Ungelt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.06.2010 19:04
#16 Gruppen und Aggression Antworten

Zitat von Ungelt

Zitat von Zettel
Kritisch ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen diesen beiden Formen der Aggression und der beim Menschen besonders ausgeprägten Aggression zwischen Gruppen.


Ist der Mensch in dieser Beziehung überhaupt mit viel einfacher strukturierten Arten vergleichbar? Ich sehe das so, daß je entwickelter eine Spezies ist, desto mehr Merkmale besitzt sie zwangsläufig, und damit eben auch mehr trennende Merkmale. Die können dann leicht (innerhalb der Spezies) als so bedeutend eingestuft werden können, daß damit die Tatsache, zur gleichen Spezies zu gehören, einfach in den Hintergrund gedrängt wird.



Ja, das ist eine sehr plausible Möglichkeit, die man auch in den Zusammenhang mit der Entwicklung von Religion, Tanz, Musik, Ritualen stellen kann. Indem sie gemeinsam praktiziert werden, stärkt man die Gemeinsamkeit innerhalb einer Gruppe und vergrößert dadurch den - psychologischen, natürlich nicht genetischen - Unterschied zu anderen Gruppen.

Wer im Krieg Feinde tötet, der mordet - nach landläufigem Verständnis - nicht. Die Tötungshemmung, die innerhalb einer Spezies normalerweise gilt, wird außer Kraft gesetzt. Die Feinde - die ja auch andere Götter haben, die sich anders bemalen usw. - werden gewissermaßen wie eine andere Spezies behandelt. Man kann sie jagen wie Tiere, und damit gibt es die Verbindung zum Jagen als dem zweiten großen Bereich aggressiven Verhaltens, neben der intraspezifischen Aggression.

In vielen Sprachen von heutigen Stämmen auf dem Niveau der Jäger und Sammler oder des Neolithikums ist das Wort für die eigene Gruppe zugleich das Wort für Mensch. Ein Stamm in Papua-Neuguinea - ich müßte den Namen nachsehen - nennt Angehörige anderer Stämme "Langschweine"; eßbar wie andere Schweine auch.



Dieses Erbe macht uns in der heutigen Zivilisation schwer zu schaffen. Die Distanz zu Angehörigen anderer Gruppen ist eben nicht nur ein dummes "Vorurteil", das von bösen politischen Verführern ausgenutzt wird. Sondern das ist schon instiktiv verankert (nach dem, was vorsichtig gesagt, ich aus dem schließe, was ich dazu weiß ).

Freilich kann die "Gruppe" sehr unterschiedlich groß und sehr unterschiedlich beschaffen sein. Gruppensolidarität kann es ebenso zwischen den Anhängern eines Fußballvereins geben wie zwischen Mitglieder derselben Nation oder, sagen wir, zwischen Kommunisten. Solche Instinkte sind eben sehr plastisch; sie geben nur einen groben Rahmen vor, der durch Kultur und Erfahrung inhaltlich ausgefüllt wird.

Und natürlich kann und sollte man seine Instinkte rational kontrollieren. Die übertriebene Fremdenfreundlich vieler Gutmenschen dürfte (auch) diesem Bemühen entspringen. Nur muß man sich fragen, ob es wirklich rational ist, die Interessen Anderer über diejenigen der eigenen Gruppe zu stellen.

Einen Selektionsvorteil bietet es jedenfalls nicht.

Herzlich, Zettel

vivendi Offline



Beiträge: 663

07.06.2010 00:30
#17 RE: Amok Antworten

Zitat von Zettel
Predatoren zielen auf das Töten des Beutetiers ab, das sie sich ja einverleiben wollen (ist es das, was Sie mit Destruktivität meinen?).


Das sehe ich nicht so. Der Löwe, der eine Gazelle reisst, will sie nicht töten, sondern fressen. Er hat nichts gegen die Gazelle, im Gegenteil, er mag sie . In der Tat kann man auf vielen Videos erkennen, dass Gazellen vom Rudel in Stücke gerissen werden noch bevor sie tot sind; wichtig ist, dass sie nicht mehr fliehen können.
Ich glaube, dass diese Definition der Aggressivität nur unserer selektiven Wertung entspringt. Wir empfinden nichts dabei, im Garten einen Salatkopf für unsere Mahlzeit abzuschneiden, obwohl das den Tod des Salats bedeutet. Ich glaube auch nicht, dass Metzger oder Jäger besonders aggressive Menschen sind.
Das Thema ist sicher interessant, aber ich glaube, dass unser hochentwickeltes Gehirn uns zu weit von den natürlichen Urinstinkten entfernt hat.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.06.2010 01:04
#18 RE: Amok Antworten

Zitat von vivendi

Zitat von Zettel
Predatoren zielen auf das Töten des Beutetiers ab, das sie sich ja einverleiben wollen (ist es das, was Sie mit Destruktivität meinen?).


Das sehe ich nicht so. Der Löwe, der eine Gazelle reisst, will sie nicht töten, sondern fressen. Er hat nichts gegen die Gazelle, im Gegenteil, er mag sie . In der Tat kann man auf vielen Videos erkennen, dass Gazellen vom Rudel in Stücke gerissen werden noch bevor sie tot sind; wichtig ist, dass sie nicht mehr fliehen können.
Ich glaube, dass diese Definition der Aggressivität nur unserer selektiven Wertung entspringt. Wir empfinden nichts dabei, im Garten einen Salatkopf für unsere Mahlzeit abzuschneiden, obwohl das den Tod des Salats bedeutet. Ich glaube auch nicht, dass Metzger oder Jäger besonders aggressive Menschen sind.



Ich stimme ganz mit Ihnen überein, lieber Vivendi. Vielleicht habe ich nur nicht ausführlich genug gesagt, wie ich das meine, und Sie haben es jetzt expliziert.

"Predatoren zielen auf das Töten des Beutetiers ab" sollte nicht besagen, daß das Töten für sie ein Selbstzweck ist (so wenig wie übrigens das Töten im Krieg beim Menschen). Es ist aber in die Regel das Mittel zum Zweck, nämlich des Sich-Ernährens. Das Objekt der Aggression wird dabei zerstört, anders als in der Regel bei der intraspezifischen Aggression. Deshalb habe ich Kallias gefragt, ob es das ist, was er mit "Destruktivität" meint.

Was die Definition von Aggression angeht, so ist sie wie alle Definitionen letztlich dem Belieben anheimgestellt. Konrad Lorenz, dessen "Das sogenannte Böse" ich ja zitiert habe, beschränkt wie Sie den Begriff der Aggression auf die intraspezifische Aggression. (Auf ein Schnitzel ist man nicht wütend).

Man kann Aggression aber auch weiter definieren, wie ich es getan habe. Jetzt habe ich einmal nachgesehen, wie es die Wikipedia hält:

Zitat von Artikel 'aggression'
In psychology, as well as other social and behavioral sciences, aggression (also called combativeness) refers to behavior between members of the same species that is intended to cause pain or harm. Predatory behavior between members of one species towards another species is also described as "aggression."


Dort wir also ähnliich definiert, wie ich es getan habe.



Beim Menschen ist allerdings die Unterscheidung und Grenzziehung durch die besondere menschliche Evolutions- und kulturelle Geschichte viel schwieriger; Ungelt hat darauf aufmerksam gemacht.

Die urwaldbewohnenden Brachiatoren, die wir als Vorfahren mit den Menschenaffen gemeinsam haben, waren keine Raubtiere, wenn sie auch eine tierische Nahrungsergänzhung hin und wieder nicht verschmähten. Der Mensch mußte unter dem Druck einer feindlich gewordenen Umwelt zum Raubtier werden, nämlich zum Jäger. Die Frage ist, welche Instinktmechanismen so entwickelt werden konnten, daß sie dafür die Grundlage lieferten. Die Mechanismen der intraspezifischen Aggression könnten dabei eine Rolle gespielt haben.

Der Metzger empfindet sicher keine Lust beim Schlachten. Aber beim Jäger bin ich da nicht so sicher. Es gibt das Jagdfieber. Da geht es nicht nur um das Besorgen von Nahrung.

Herzlich, Zettel

Calimero ( gelöscht )
Beiträge:

07.06.2010 09:59
#19 Jagdfieber Antworten

Zitat von Zettel

Der Metzger empfindet sicher keine Lust beim Schlachten. Aber beim Jäger bin ich da nicht so sicher. Es gibt das Jagdfieber. Da geht es nicht nur um das Besorgen von Nahrung.



Ich habe einige Jäger in der Familie und auch in meinem Heimatdorf wird die Jagd sehr engagiert betrieben. Also war ich als Treiber schon bei so mancher Drückjagd dabei, oder wurde nachts rausgeklingelt um dabei zu helfen eine geschossene Sau von der Wiese zu ziehen, oder einen Hirsch zum Aufbrechen aufzuhängen.

Um Nahrung ging es dabei nie, eher um Trophäenerwerb. Jagdfieber, im Sinne des gemeinschaftlichen Hetzens habe ich auch nie erlebt. Jeder Jäger, ob nachts allein auf dem Hochsitz, oder auch gemeinschaftlich bei einer Drückjagd hat nur ein Ziel ... sein Ziel. Fiebrig ist da nix - es geht um einen Mann, seine Waffe, und die Trophäe die er gewinnen kann. (Ja, jagen ist fast ausschließlich männlich, ich habe erst eine einzige Frau mit Flinte erlebt)



Waidmänner sind faszinierend. Sie haben ihre eigene Sprache, ihren Verhaltenskodex, ihre Rituale und ein unbedingtes Pflichtbewusstsein (sie sind schliesslich gegenüber Förstern und Bauern verantwortlich, wenn denen Wildschaden entsteht).
Dabei müssen sie großen Aufwand betreiben um überhaupt diesem elitären Club beitreten zu dürfen. Die Jägerprüfung ist extrem hart, die finanziellen und zeitlichen Belastungen nicht zu unterschätzen. Die Jagd ist heutzutage eigentlich ein Verlustgeschäft.

Ich habe meinen Onkel schon neben die soeben erlegte, aufgebrochene Sau kotzen sehen (es stinkt wirklich abartig!), und der Nachbar meiner Eltern schwingt sich noch mit weit über achtzig Jahren jeden Tag aufs Moped um in den Wald zu fahren (Flinte verbotenerweise auf dem Rücken natürlich).
Warum machen die das? Warum tun die sich das an? Jagdfieber?


Nein, ich denke, dass da was archaisch-uriges im Manne durchbricht. Okay, bei einigen dürften die verbrachten Nächte auf dem Hochsitz angenehmer sein, als mit der Ehefrau vorm Fernseher sitzen zu müssen, aber ich denke eher, dass es um Macht (über das Wild), Imponiergehabe (imposantere Trophäe erlegt, schöneres Jagdmesser gekauft, bessere Waffe als der Jägerkonkurrent) geht.
Zudem gehört man ja als Jäger zu einem Verein ganz besonderer Menschen ... Jäger sind anders, und das wissen sie auch. Sie sind bewaffnet, kennen die Natur, könnten sich notfalls selbst mit Nahrung versorgen ... und, sie werden als Gruppe von der Gesellschaft ausgegrenzt, obwohl sie eine wichtige Aufgabe haben und dieser pflichtschuldigst nachkommen (mit viel Aufwand, aber auch viel Vergnügen ).

Interessant finde ich ja, dass bei "unseren" Drückjagden im Osten ganze Kohorten von west-sozialisierten Schützen anreisen, und diese durch die Bank "aus den besseren Ständen" stammen. Da spielt sicherlich auch das Geld eine Rolle (aber das können die Dorf-Ossis ja auch aufbringen) ... ich denke allerdings, dass es um den Ausbruch aus dem gesellschaftlichen Korsett eines Rechtsanwalts, Arztes, oder zwangskrawattierten Anzugmenschen geht.
Raus aus dem Geschäftsanzug, rein in die Natur ... und dann ein Ziel erlegen. Endlich Mann sein! ... dies aber ritualisiert und streng reglementiert (man muss so ein abschließendes "Jagdgericht" vor "der Strecke" mit nachfolgendem "Kesseltreiben" mal miterlebt haben). -> Unbezahlbar!

Beste Grüße, Calimero

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Mein derzeitiger Avatar bezeugt meine Solidarität mit unseren Jungs, die derzeit in irgendwelchen politisch-medial nicht unterstützten Kriegen verheizt werden. Das Truppenabzeichen im Hintergrund ist das des Fallschirmjägerbataillons 373, dem ich mich persönlich stark verbunden fühle. Kameraden, Glück ab!

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