Zitat von lois janeAber ist es nicht auf einem Niveau mit dem Kreationismus (gar nicht polemisch gemeint), nun auf die Beseelungsvorstellung des Aquinaten abzuheben, der ja nun unsere ganzen wissenschaftlichen Kenntnisse (nun die wirkliche Wissenschaft, nicht nur eine szientistisch-antihumane Ideologie) nicht hatte?
Der Hinweis auf Thomas ging in eine andere Richtung: Wenn man schon auf eine unwissenschaftliche Größe wie die Seele rekurriert, dann ist es noch lange nicht zwingend, dass man damit auch zu den gewünschten Ergebnissen (in dem Falle striktes Abtreibungsverbot) kommt. Insofern die Antwort auf ihre Frage: im Prinzip ja (wenn man davon absieht, dass der moderne Kreationismus das Niveau des Aquinaten weit unterbietet).
Zitat von lois janeDaß allerdings der Buddhismus das Leben so schätzt, hieße ihn auf den Kopf zu stellen. Er lehnt es zwar ab, Leben zu nehmen, aber [nicht] um des Täters und dessen Karmas willen und nicht um des Opfes willen.
Das stimmt nur zum Teil. Von den Buddhas gelehrt werden die moralischen Regeln zum Wohl aller Wesen, nicht nur dem der potentiellen Täter.
Für jene, die noch auf dem Weg sind, gilt hingegen: Man hält sich an die moralischen Regeln um des eigenen Wohles willen, während man zum Wohl anderer meditiert.
Das ist in der Sedaka Sutta (Samyutta Nikaya 47.19) sehr hübsch dargestellt.
Zitat von gelegentlicher Besucher Nein, überhaupt nicht. Der Hirntod wird nicht als Kriterium genommen, weil es auf das Hirn ankäme, sondern weil er der Punkt der Unumkehrbarkeit ist. Jemanden der wirklich hirntot ist, kann man eben definitiv nicht wiederbeleben
Aber dies ist doch eben genau deswegen der Fall, weil das, was wir als Leben verstehen, eben die Kontinuität der Hirntätigkeit ist. Es ist also nicht zufällig ein Punkt der Unumkehrbarkeit auf dem Weg vom Leben zum Tod, sondern eben genau diese Grenze selber.
Zitat von gelegentlicher Besucher Auf das Hirn an sich kann es dagegen sicher nicht ankommen, sonst könnte man ja auch geistig Behinderte nach Belieben beseitigen.
Wieso das? Geisitg behinderte sind unzweifelhaft Menschen, und sie zeigen (solange sie leben) unzweifelhaft Hirntätigkeit.
Zitat von gelegentlicher Besucher Die Analogie wäre sich auch hier zu fragen, wo die klare Diskontinuität ĺiegt. Und das ist die Zeugung.
Aber es sollte keine willkürliche Diskontiunität sein. Der Beginn des Schmerzempfindens ist ja auch eine Diskontinuität, aber eben eine hier zurecht kritisierte, weil willkürliche und somit für die Fragestellung nicht relevante.
Zitat von lois janeDas heißt aber nicht, daß der Mensch zum Zeitpunkt des Hirntods zum Ding würde.
Aber er hört doch wohl auf ein lebender Mensch zu sein?
Man könnte natürlich ohne jeden Beleg z.B. behaupten (nicht, daß dies irgendjemand getan hätte, das soll jetzt nur ein Beispiel sein), daß seine Seele bis zur Verwesung im Körper bleibt und bei der Entnahme von Organen geschädigt wird und deshalb in die Hölle herniederfahren muss. Aber sollte man andere Menschen dafür leiden und sterben lassen, obwohl diese frei erfundene Geschichte höchstwahrscheinlich nicht stimmt? Besser wäre es, wenn objektive Erkenntnisse auf Basis unseres Wissens zur Entscheidungsfindung herangezogen würden.
Zitat von lois jane Wenn die Zygote "nur" ein Zellhaufen sind, dann sind wir alle hier auch "bloß" Zellhaufen.
Das würde nur logisch folgen wenn es keine anderen Unterscheidungsregeln gäbe. Die gibt es aber in Form der Hirntätigkeit. Zygoten haben kein Gehirn, und Embryonen haben noch kein arbeitendes Gehirn. So wie man einen lebenden von einem nicht lebenden Menschen am Ende es Lebens über das Kriterium der Hirntätigkeit voneinander abgrenzen könnte (und üblicherweise abgrenzt), so könnte man es auch mit dem Beginn des Lebens tun.
Zitat von lois jane Noch hinzuzufügen wäre, daß der Mord (im moralischen Sinne, nicht in dem des StGB) implizit immer eine Verneinung des Menschseins des Opfers ist.
Und überhaupt, darf es eine Rolle spielen, daß der Mörder explizit und ganz ehrlich nicht an das Menschseins des Opfers glaubt? Wie würde sich ein solchen Prinzip z.B. in Treblinka bewähren?
Wir brauchen objektive Maßstäbe für solche Fragen, und diese sollten auf nachprüfbaren, also empirischen oder logischen, Erkenntnissen beruhen. Wenn es an nicht überprüfbaren Glaubenssätzen hängt, dann wird es problematisch. Man könnte z.B. behaupten das Männer Seelen haben, Frauen aber nicht. Oder (wie Hitler), daß Arier von Gott zur Herrenrasse bestimmt sind und andere Menschen eben nur Untermenschen seien. Solche Desaster beruhen auf subjektiven, nicht nachprüfbaren Ansichten. Objektive Kriterien auf der Grundlage unserer wissenschaftlichen Erkentnisse hingegen verhindert solche Irrtümer. Frauen zeigen die gleiche Gehirntätigkeit wie Männer, Schwarze die gleiche wie Weiße, Juden die gleiche wie Christen, Behinderte die gleiche wie Nichtbehinderte.
Zitat Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass die Rede von Gott/Seele/Unsterblichkeit symbolisch ist, mithin etwas aussagt, das nicht im Sinne von etwas objektiv Seiendem da ist und gleichzeitig dem, was damit ausgesagt werden soll, nicht völlig adäquat sein kann.
Öhm, 1 Kor 15,13-19 ?
Zitat Im übrigen ist es ja auch so, dass die ältere kirchliche Lehre, basierend auf Thomas u. a. davon ausgeht, dass die Seele eben nicht schon bei der Zeugung "eingegossen" werde ...
Zwei Punkte: Einmal ist Thomas da in der Minderheit, die älteste ausdrücklich Aussage dürfte da in der Didache sein und von da über die Kirchenväter und späteren lehramtlichen Aussagen bis heute durch reden eigentlich alle Christen bis eben auf einen Teil der Thomisten von einem Menschen.
Und zum Anderen unterliegt Thomas da einem nicht philosophischen oder theologischen sondern aus damaliger Sicht eher unvermeidbaren empirischen Fehler. Thomas vertritt ja, soviel fürs Publikum, Sie wissen das natürlich, wie alle Scholasiker eine Inhärenztheorie der Prädikation: Blau ist worin die Blauhaftigkeit existiert, genau wie Vogel ist worin die Vogelhaftigkeit existiert und Mensch eben worin die Seele existiert. Allerdings nicht als irgendwie danebenschwebendes Ding, dass mit der Materie irgendwie kommuniziert, sondern eher als die Daseinsweise in der die Materie ist.
So gesehen ist die Frage ob der Fötus eine Seele hat aber überhaupt keine andere Frage als die, ob er ein Mensch ist. Und hier erliegt Thomas nun dem Irrtum seiner Zeit, dass er es nicht ist, sondern dazu durch die Umstände im Mutterleib umgebildet wird. Da steht die Idee dahinter, dass der Fötus verschiedene Tierarten durchläuft, modern gesprochen quasi vom Fisch über das Amphibium zum Säugetier, und dass man ihn im Prinzip -was natürlich damals weder durchführbar noch auch nur im entferntesten moralisch akzeptabel gewesen wäre- durch einen entsprechenden Tierfötus austauschen könnte, der sich unter den Bedingungen des Mutterleibs dann ebenfalls zum Menschen entwickeln würde. Das war damals Stand der Wissenschaft und ist heute widerlegt, Thomas wusste eben noch nichts von der DNS. Aber philosophisch und theologisch kann man aus dem naturwissenschaftlichen Irrtum nichts folgern.
Zitat Aber dies ist doch eben genau deswegen der Fall, weil das, was wir als Leben verstehen, eben die Kontinuität der Hirntätigkeit ist. Es ist also nicht zufällig ein Punkt der Unumkehrbarkeit auf dem Weg vom Leben zum Tod, sondern eben genau diese Grenze selber.
Nö, was wir als Leben verstehen ist die Tätigkeit des Gesamtkörpers, von dem das Hirn nur ein Teil ist. Nur geht das halt ohne die Steuerung auch nicht. Wobei aber schon z.B. das Großhirn und damit das Bewusstsein untergehen kann ohne dass der Mensch stirbt, Hirntod ist nur der Tod des gesamten Hirns.
Zitat Wieso das? Geisitg behinderte sind unzweifelhaft Menschen, und sie zeigen (solange sie leben) unzweifelhaft Hirntätigkeit.
In schweren Fällen aber evtl. eine Hirntätigkeit, die über die eines Affen auch nicht hinausgeht. Was aber völlig irrelevant ist, denn auf die Hirnfunktion an sich kommt es nicht an.
Zitat Aber es sollte keine willkürliche Diskontiunität sein.
Eben, und deshalb bleibt nur die Zeugung übrig. Man kann sozusagen vom Rentenalter tageweise zurückrechnen, und findet keinen Tag an dem man ernstlich sagen könnte, das gleiche Wesen wäre am Tag vorher nicht dagewesen. Außer die Zeugung, ab da existiert das Wesen, dass vorher nicht existierte und nachher und damit qua Identität auch in dem Moment schon ein Mensch ist.
Zitat Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass die Rede von Gott/Seele/Unsterblichkeit symbolisch ist, mithin etwas aussagt, das nicht im Sinne von etwas objektiv Seiendem da ist und gleichzeitig dem, was damit ausgesagt werden soll, nicht völlig adäquat sein kann.
Zitat von gelegentlicher Besucher Man kann sozusagen vom Rentenalter tageweise zurückrechnen, und findet keinen Tag an dem man ernstlich sagen könnte, das gleiche Wesen wäre am Tag vorher nicht dagewesen. Außer die Zeugung, ab da existiert das Wesen, dass vorher nicht existierte und nachher und damit qua Identität auch in dem Moment schon ein Mensch ist.
Wie sieht es aus, lieber gelegentliche Besucher, wenn wir dasselbe Argument auf die Evolution übertragen? Ich habe das ja in einem anderen Kontext Ex-Blond gefragt: Wir können vom Menschen der Hochkulturen zurückgehen zum Menschen des Neolithikum, und von dort zu den Jägern und Sammlern, zum Neandertaler, unserem Vetter, und irgendwann zum Homo Erectus, wahrscheinlich unser Vorfahr. Und dann zu den Australopithecinen, zu den gemeinsamen Vorfahren von Menschen und anderen Hominiden, usw., usw. Wann hat da ein von einem Tier begattetes Tier einen Menschen geboren?
Mir scheint, alle solche Überlegungen führen nicht weiter, weil sie auf eine scharfe Grenzziehung aus sind, wo es nun einmal keine scharfen Grenzen gibt. Es sind Fragen wie die, wo die Erdatmosphäre endet und der Weltraum beginnt oder wann die Dämmerung zu Ende ist und die Dunkelheit beginnt.
Von der Sache her gibt es keine eindeutige Grenze. Juristisch mag eine Grenzzieheung im Fall des Begriffs "Mensch" notwendig sein; theologisch mag sie wünschenswert oder vielleicht auch notwendig sein.
Aber wissenschaftlich ist aus meiner Sicht die Frage "Ab wann ist der Fötus ein Mensch?" sinnleer. Ich kann da nur zurückfragen: "In welchem Sinn ein Mensch?"
Und da hat Paulus doch Recht. Entweder gibt es Gott und die Auferstehung der Toten - und gibt heißt gibt "im Sinne von etwas objektiv Seiendem" wenn auch natürlich nicht restlos verständlichem - oder wir wären besser beraten uns den ganzen dann sinnlosen Driss zu ersparen. Wenn wir da nicht von objektiven Realitäten reden sind irgendwelche sinnentleerten Begriffe nicht nützlich sondern eine Gelegenheit unser Leben darauf zu verschwenden.
Bei der Evolution hat es aber nie ein Wesen gegeben, das menschlich geworden wäre, (aus etwas vorher existierendem anderen) menschlich werden ist einfach ein Widerspruch in sich. Zwischen Mensch und Tier wird es wohl Zwischenformen gegeben haben und welchen moralischen Status ein Halbmensch ist eine schwer entscheidbare Frage. Wenn wir genug Pech haben kann sie sich durch die Gentechnik auch wieder stellen. Diese Zwischenformen sind dann aber ihr ganzes Leben durch so menschlich gewesen wie sie eben waren. Man könnte sich ja genauso fragen, ab welchem Neigungswinkel am Becken die Vorderbeine als Arme zählen. Sicherlich eine Frage über die man nett streiten könnte, sie hat aber nichts mit der rein empirischen Frage zu tun ab wann ein Fötus Arme hat. Ebenso wie die Frage welche Subjekte Rechte haben nichts mit der Frage zu tun hat, ab wann ein Subjekt das zweifellos Rechte hat denn existiert hat. Und bloß weil die praktisch irrelevante Frage schwer zu beantworten ist, kann man nicht auf die praktisch relevante Frage verzichten.
Zitat von gelegentlicher Besucher Und da hat Paulus doch Recht. Entweder gibt es Gott und die Auferstehung der Toten - und gibt heißt gibt "im Sinne von etwas objektiv Seiendem" wenn auch natürlich nicht restlos verständlichem - oder wir wären besser beraten uns den ganzen dann sinnlosen Driss zu ersparen. Wenn wir da nicht von objektiven Realitäten reden sind irgendwelche sinnentleerten Begriffe nicht nützlich sondern eine Gelegenheit unser Leben darauf zu verschwenden.
Da kann ich nur den hinsichtlich seines Gottvertrauens völlig unverdächtigen Dietrich Bonhoeffer zitieren: "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht."
Zitat von gelegentlicher BesucherBei der Evolution hat es aber nie ein Wesen gegeben, das menschlich geworden wäre, (aus etwas vorher existierendem anderen) menschlich werden ist einfach ein Widerspruch in sich.
Aber wenn man eine scharfe Grenze zwischen Tier und Mensch zieht - müßte man dann nicht behaupten, irgendwann in unserer Ahnenreihe hätte ein Tier ein Tier begattet, und geboren wurde ein kleiner Mensch?
Mir erscheint das für die Phylogenese absurd; von den Australopithecinen an wurden unsere Vorfahren über die Jahrmillionen eben immer mehr zu Menschen. So sehe ich das auch für die Ontogenese: Eine Morula oder Blastula ist in keiner Hinsicht ein Mensch. Ein Fötus von einigen Wochen ist es schon etwas mehr; aber es fehlen immer noch entscheidende Merkmale wie steuerbare Motorik, Bewußtsein usw. Es ist ein allmählicher Übergang zum Menschen; so, wie in der Natur sich vieles graduell vollzieht, war wir mit unserer Begrifflichkieit gern kategorisieren möchten. (Da sind wir natürlich, Sie hatten das glaube ich anderswo angesprochen, beim Nominalismusstreit).
Zitat von gelegentlicher Besucher Zwischen Mensch und Tier wird es wohl Zwischenformen gegeben haben und welchen moralischen Status ein Halbmensch ist eine schwer entscheidbare Frage. Wenn wir genug Pech haben kann sie sich durch die Gentechnik auch wieder stellen. Diese Zwischenformen sind dann aber ihr ganzes Leben durch so menschlich gewesen wie sie eben waren. Man könnte sich ja genauso fragen, ab welchem Neigungswinkel am Becken die Vorderbeine als Arme zählen. Sicherlich eine Frage über die man nett streiten könnte, sie hat aber nichts mit der rein empirischen Frage zu tun ab wann ein Fötus Arme hat.
Soweit scheinen Sie, lieber gelegentlicher Besucher, das zu sagen, was ich oben zu skizzieren versucht habe.
Zitat von gelegentlicher BesucherEbenso wie die Frage welche Subjekte Rechte haben nichts mit der Frage zu tun hat, ab wann ein Subjekt das zweifellos Rechte hat denn existiert hat. Und bloß weil die praktisch irrelevante Frage schwer zu beantworten ist, kann man nicht auf die praktisch relevante Frage verzichten.
Diese Passage habe ich nicht verstanden.
Mein Argument ist, daß es in der Ontogenese so wenig wie in der Phylogenese einen plötzlichen Übergang von "Nichtmensch" zu "Mensch" gibt. Wir müssen einen solchen Übergang aber vermutlich in bestimmten Kontexten, etwa dem juristischen, definieren.
Allerdings hält das Strafrecht ja offenbar den Embryo bis zur Geburt nicht für einen Menschen. Denn wäre er ein Mensch, dann würde der Tatbestand der Abtreibung durch die Paragraphen über Tötungsdelikte bereits erfaßt werden; es bedürfte dann überhaupt keiner gesetzlichen Regelung der Abtreibung.
Zitat von HerrJa, natürlich gibt es – man muss wohl sagen – verschiedene Arten von Theologie, die von einer Transzendenz in der besagten Weise der völligen Unerkennbarkeit Gottes ausgehen. Aber man muss wohl doch sagen: ausgehen. Denn in irgendeiner Weise wird dann ja doch jeweils ein Immanenzbezug hergestellt oder vorausgesetzt. Der christliche Neuplatonismus und die alte apophatische Theologie machen den intellektuellen oder spirituellen Überschritt vom Immanenten zur "Überunaussprechlichkeit" Gottes, die dann auf gewisse Weise doch intuitiv oder meditativ erschaut wird: die mystische Richtung der Religion.
Ja, das ist ein seltsamer Schritt. Es scheint, daß die Erkenntnis des Nicht-Wissen-Könnens schwer zu ertragen ist. Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein, heißt es im Faust. Und eben wo Erkennbarkeit fehlt, da stellt mystisches Erleben zur rechten Zeit sich ein, so scheint es mir.
Aber gibt es nicht auch Theologen, die die Nicht-Erkennbarkeit Gottes ausgehalten haben? Nikolaus von Kues vielleicht? Kierkegaard? (Nebenbei haben ja auch diejenigen, die sich auf Kant berufen, dessen eisiges Nichtwissenkönnen nicht ertragen; nicht der "Deutsche Idealismus" und auch nicht Schopenhauer, der via Willen zum Ding an sich vorstoßen wollte).
Zitat von HerrMit der theologischen Brechstange geht die "Dialektische Theologie" (Karl Barth u.a.) vor, die zunächst betont, dass Gott totaliter aliter sei, weshalb es auch keinen Weg (der Erkenntnis oder auch der Religion) vom Menschen zu Gott gäbe. Dann führt sie aber unvermittelt den Offenbarungsbegriff ein als Weg Gottes zum Menschen: Gott offenbart sicht, so können wir Gott erkennen und an ihn glauben. –
Ja, das habe ich schon als Schüler nicht nachvollziehen können. Ich hatte einen Barthianer als Religionslehrer. Der malte an die Tafel, wie alle Religionen vom Menschen zum Göttlichen streben (Pfeile nach oben) und es nicht finden können. Aber dann ... Pfeil von oben nach unten: Die Offenbarung. Der Deus ex machina, so kam mir das damals schon vor.
Zitat von HerrZu Recht wird kritisiert, dass hierbei die Vermittlungsinstanz "Wort Gottes" eingeführt wird, die aber ihrerseits, wie wir wissen, in Form und Inhalt von Menschen abhängig ist: Was ist wirklich transzendent am historisch-kritisch aufgeklärten Wort der Bibel?
Ich habe, lieber Herr, auf Ihren Rat hin das Büchlein von Harnack gelesen und parallel das NT. Markus, der größtenteils in einer kargen Sprache vom Auftreten eines Wanderpredigers und Heilers berichtet, fast ohne Theologie. Matthäus, bei dem aus jedem Wort das Bemühen spricht, das Christentum als Fortsetzung des Judentums erscheinen zu lassen. Johannes, der Visionär. Und die Briefe des Paulus, die mir so vorkommen, als sei er der Begründer der christlichen Theologie, und nicht Jesus.
Wie man das alles, diese so verschiedene Texte so verschiedener Autoren, als "Wort" desselben Gottes auffassen kann, ist mir nicht nachvollziehbar.
Zitat von HerrAuf der anderen Seite hat es immer auch eine Theologie gegeben, die den Zusammenhang zwischen Transzendenz und Immanenz hervorgehoben hat. Ich glaube, es war Thomas v. Aquin, der den Gedanken der analogia entis formuliert hat: Es muss eine Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf geben. Man könnte z.B. analog sagen: Das Kunstwerk verrät uns etwas über den Künstler. So können wir Menschen durchaus von der geschaffenen Welt auf den Schöpfer schließen, wohl wissend, dass wir das "ganz Andere" nie vollständig und nie adäquat erfassen werden.
Aber wäre ein solcher Schluß nicht vernichtend für den Schöpfer? "Wenn ein Gott diese Welt geschaffen hat, möchte ich dieser Gott nicht sein. Ihr Leid würde mir das Herz brechen", hat Schopenhauer geschrieben (aus dem Gedächtnis zitiert).
Schopenhauer meinte die Erde. Die "Welt", soweit wir sie bisher zu erkennen vermeinen, besteht aus ungefähr hundert Milliarden Galaxien mit größenordnungsmäßig jeweils hundert Milliarden Sternen. Und wer weiß, vielleicht ist das ja nur eines von vielen Parallel-Universen (siehe diesen und diesen Artikel in ZR). Was sagt uns diese Welt über ihren Schöpfer?
Zitat von HerrVon da aus gesehen hat dann Transzendenz mehr mit Transzendieren zu tun, so wie Sie das religionsphänomenologisch beschreiben:
Zitat von ZettelEs ist das Wesen jeder Religion, daß man etwas glaubt, weil auch die anderen (in derselben sozialen Gruppe; heute in derselben Weltreligion, derselben Konfession, Sekte usw.) es glauben. Religion ist ein wesensmäßig soziales Phänomen. Das macht die "Transzendenz" aus; man überschreitet die eigenen Grenzen, indem man sich dem sozialen Konsens unterordnet.
Ich bin der Meinung, dass das Transzendente an sich natürlich "unverfügbar" ist, dass aber andererseits der Begriff der Transzendenz auch abhängig ist vom Begriff der Immanenz.
Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass die Rede von Gott/Seele/Unsterblichkeit symbolisch ist, mithin etwas aussagt, das nicht im Sinne von etwas objektiv Seiendem da ist und gleichzeitig dem, was damit ausgesagt werden soll, nicht völlig adäquat sein kann.
Ja, wenn man es religionsgeschichtlich betrachtet, dann wird das Für-Wahr-Halten in der Tat ganz nebensächlich. Religion - das sind Riten, das ist Tanz und Musik, das sind gemeinschaftlich erlebte extreme Emotionen. Das ist auch das, was Arno Schmidt die "Alten Mythen" nannte. So viele gute, ans Existenzielle gehende Geschichten gibt es ja gar nicht, und die Religionen erzählen sie. Zur "Erbauung", wie man sagt; und eben nicht zur Belehrung.
Ich gewinne, lieber Herr, immer mehr den Eindruck, daß man ganz am Wesen der Religion vorbeigeht, wenn man meint, es ginge - logisch gesprochen - um Aussagen mit dem Existenz-Operator. Es geht um emotionale Gemeinsamkeit.
Herzlich, Zettel
PS: Darauf, Ihren Aufsatz zu kommentieren, freue ich mich noch.
Zitat von ZettelJa, wenn man es religionsgeschichtlich betrachtet, dann wird das Für-Wahr-Halten in der Tat ganz nebensächlich. Religion - das sind Riten, das ist Tanz und Musik, das sind gemeinschaftlich erlebte extreme Emotionen. Das ist auch das, was Arno Schmidt die "Alten Mythen" nannte. So viele gute, ans Existenzielle gehende Geschichten gibt es ja gar nicht, und die Religionen erzählen sie. Zur "Erbauung", wie man sagt; und eben nicht zur Belehrung. Ich gewinne, lieber Herr, immer mehr den Eindruck, daß man ganz am Wesen der Religion vorbeigeht, wenn man meint, es ginge - logisch gesprochen - um Aussagen mit dem Existenz-Operator. Es geht um emotionale Gemeinsamkeit.
Lieber Zettel, wenn diese Aussage nicht von Ihnen kommen würde, würde ich sie entrüstet als "Verniedlichung" der Religion bestreiten, so ungefähr "das is ja nur was fürs Herz, während die ernstzunehmende menschliche Betätigung in der Wissenschaft liegt". Aber da wir über das Thema schon das eine oder andere Mal diskutiert haben, weiß ich ja, wie es gemeint ist
Es gibt einen Autor, dessen Lektüre, auch wenn man ihm letztendlich wohl in vielen Sachen nicht zustimmen kann, dieses Spannungsverhältnis zwischen Mythos und Existenzquantoren sehr schön beschreibt, nämlich Kurt Hübner in seinem Werk "Die Wahrheit des Mythos". http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_H%C3%B...Erfahrungssytem
Zitat von ZettelJa, wenn man es religionsgeschichtlich betrachtet, dann wird das Für-Wahr-Halten in der Tat ganz nebensächlich. Religion - das sind Riten, das ist Tanz und Musik, das sind gemeinschaftlich erlebte extreme Emotionen. Das ist auch das, was Arno Schmidt die "Alten Mythen" nannte. So viele gute, ans Existenzielle gehende Geschichten gibt es ja gar nicht, und die Religionen erzählen sie. Zur "Erbauung", wie man sagt; und eben nicht zur Belehrung. Ich gewinne, lieber Herr, immer mehr den Eindruck, daß man ganz am Wesen der Religion vorbeigeht, wenn man meint, es ginge - logisch gesprochen - um Aussagen mit dem Existenz-Operator. Es geht um emotionale Gemeinsamkeit.
Lieber Zettel, wenn diese Aussage nicht von Ihnen kommen würde, würde ich sie entrüstet als "Verniedlichung" der Religion bestreiten, so ungefähr "das is ja nur was fürs Herz, während die ernstzunehmende menschliche Betätigung in der Wissenschaft liegt". Aber da wir über das Thema schon das eine oder andere Mal diskutiert haben, weiß ich ja, wie es gemeint ist.
Ja, ich sehe das als das Gegenteil einer Verniedlichung. Es gibt nichts Ernsteres als das Heilige in seiner Unbedingtheit. Es ist eine Unbedingtheit, die den Einzelnen an die Gemeinschaft bindet und die so weit gehen kann, daß er sich für sie opfert. Existentiell also, wie man so sagt.
Nur ist es eben nichts primär Intellektuelles, motiviert durch, sagen wir, Wissensdurst. Religion ist in der menschlichen Evolution nicht enstanden, weil man sich erklären wollte, warum es donnert.
Oder anders, die Religion ist nicht eine Ausdehnung der sinnlichen Erfahrung über deren Horizont hinaus, eine Quelle des Wissens dort, wo wir nicht mehr sehen, fühlen, hören können. Das war es, was ich zu sagen versucht hatte.
Zitat von ZettelReligion ist in der menschlichen Evolution nicht enstanden, weil man sich erklären wollte, warum es donnert.
Bei dieser einen Aussage kann sogar ich Ihnen zustimmen, aber wahrscheinlich meinen Sie das anders als ich
-- El liberalismo pregona el derecho del individuo a envilecerse, siempre que su envilecimiento no estorbe el envilecimiento del vecino. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von ZettelJa, wenn man es religionsgeschichtlich betrachtet, dann wird das Für-Wahr-Halten in der Tat ganz nebensächlich. Religion - das sind Riten, das ist Tanz und Musik, das sind gemeinschaftlich erlebte extreme Emotionen. Das ist auch das, was Arno Schmidt die "Alten Mythen" nannte. So viele gute, ans Existenzielle gehende Geschichten gibt es ja gar nicht, und die Religionen erzählen sie. Zur "Erbauung", wie man sagt; und eben nicht zur Belehrung.
Ich gewinne, lieber Herr, immer mehr den Eindruck, daß man ganz am Wesen der Religion vorbeigeht, wenn man meint, es ginge - logisch gesprochen - um Aussagen mit dem Existenz-Operator. Es geht um emotionale Gemeinsamkeit.
Oha, jetzt kommen sich der alte Agnostiker und der evangelische Pfarrer aber sehr nahe
Und volle Zustimmung zu diesem Satz:
Zitat Ja, ich sehe das als das Gegenteil einer Verniedlichung. Es gibt nichts Ernsteres als das Heilige in seiner Unbedingtheit. Es ist eine Unbedingtheit, die den Einzelnen an die Gemeinschaft bindet und die so weit gehen kann, daß er sich für sie opfert. Existentiell also, wie man so sagt.
Das ist wahrscheinlich genau der Punkt, der Sie und mich an dem Protestantismus Light eines Großteils unserer evangelischen Käßmann-Kirche stört: Es gibt so wenig existenziellen Ernst mehr. Dass es beim Glauben auch um Opfer und Hingabe, um das Erschauern vor dem Heiligen (Rudolf Otto, "Das Heilige" - der wusste noch was davon) geht, um einen letzten Ernst und eine letzte Verantwortung, das ist vielen aus dem Blick geraten. Wohlfühl-Christentum ist angesagt. Aber wohlfühlen kann man sich auch woanders ganz gut ...
Trotzdem rühren Sie an einen alten wunden Punkt, über den ich mir mit meinem theologischen Lehrer Ulrich Barth nie einig geworden bin: Bedarf das religiöse Bewusstsein nicht einer, wie er es nannte, An-sich-Vermeinung? – Ich meine schon: Auch wenn es Gott nicht "gibt", müssen wir doch von dem Unbedingten in einer Weise reden, "als ob" es es "gäbe", also "objektivitätsförmig". Paul Tillich nennt das "symbolisch".
Das Christentum hat sich die objektivitätsförmige Rede in besonderer Weise zueigen gemacht. Darum ist die theologische Lehre und die damit verbundene Vorstellung (vgl. Hegel) von Gottes Handeln für das Christentum doch unverzichtbar. – Ich kann mir jedenfalls für mich keine religiöse Praxis vorstellen, die auf Reflexion verzichtet.
Zitat von ZettelJa, ich sehe das als das Gegenteil einer Verniedlichung. Es gibt nichts Ernsteres als das Heilige in seiner Unbedingtheit. Es ist eine Unbedingtheit, die den Einzelnen an die Gemeinschaft bindet und die so weit gehen kann, daß er sich für sie opfert. Existentiell also, wie man so sagt.
Absolut, und deswegen ist natürlich auch die Bestrebung sowohl derer, die sich dazu bekennen als auch derer, die es ablehnen, klar: Man will versuchen, dem Ganzen einen ontologischen Status zu verleihen. Eben weil es unbedingt ist (nicht nur im thomistischen Sinne), weil es Konsequenzen erfordert. Es gibt ja das berühmte Diktum von Brecht
Zitat Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: "Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott."
. Ich glaube, dass es gar nicht so einfach ist, die Frage fallen zu lassen, aber mich würde natürlich die Meinung eines Agnostikers interessieren.
Zitat von ZettelNur ist es eben nichts primär Intellektuelles, motiviert durch, sagen wir, Wissensdurst. Religion ist in der menschlichen Evolution nicht enstanden, weil man sich erklären wollte, warum es donnert. Oder anders, die Religion ist nicht eine Ausdehnung der sinnlichen Erfahrung über deren Horizont hinaus, eine Quelle des Wissens dort, wo wir nicht mehr sehen, fühlen, hören können. Das war es, was ich zu sagen versucht hatte.
Beim ersten stimme ich zu. Aber das ist ein großes Wort gelassen ausgesprochen, denn die Annahme dieser These hat enorme Konsequenzen für den Religionsbegriff. Sowohl die Rückzugsgefechte der Religiösen als auch die Verdrängung durch die Materialisten könnten sich alle sparen. Was die "Ausdehnung der Erfahrung" angeht: Natürlich ist religiöse Erfahrung keine Sinneserfahrung des sinnlich nicht Wahrnehmbaren, und religiöse Erkenntnis keine Erkenntnis des empirisch nicht zugänglichen. Aber was ist es dann? Als religiöser Mensch kann ich den Begriff der religiösen Erkenntnis bzw. Offenbarung nicht reduktionistisch wegerklären, ohne seinen Gehalt zu verleugnen. Gleichzeitig fehlt mir in der Diskussion jedes Begründungsargument für mein Handeln, wenn ich keinen Satz über religiöse Tatsachen mehr aufstellen kann ohne wieder einen Wahrheitswert zu vergeben.
Es bleibt nur die schon vorgeschlagene Negative Theologie, und alles andere ist Folklore . Weiter kann das intersubjektive Reden über Gott zwischen Atheisten und Religiösen dann nicht gehen.
Zitat von HerrDass es beim Glauben auch um Opfer und Hingabe, um das Erschauern vor dem Heiligen (Rudolf Otto, "Das Heilige" - der wusste noch was davon) geht, um einen letzten Ernst und eine letzte Verantwortung, das ist vielen aus dem Blick geraten. Wohlfühl-Christentum ist angesagt. Aber wohlfühlen kann man sich auch woanders ganz gut ...
Ja, so sehe ich das auch, bin aber unsicher hinsichtlich einer Bewertung. Es geht mir dabei weniger darum, daß ich persönlich für dieses religiöse Erleben kein Talent habe; sondern ich bin auch nicht sicher, daß es gut für eine heutige Gesellschaft wäre, wenn es sich (wieder) allgemein einstellen würde. Aber das wäre vielleicht eine eigene Diskussion wert.
Zitat von HerrTrotzdem rühren Sie an einen alten wunden Punkt, über den ich mir mit meinem theologischen Lehrer Ulrich Barth nie einig geworden bin: Bedarf das religiöse Bewusstsein nicht einer, wie er es nannte, An-sich-Vermeinung? – Ich meine schon: Auch wenn es Gott nicht "gibt", müssen wir doch von dem Unbedingten in einer Weise reden, "als ob" es es "gäbe", also "objektivitätsförmig". Paul Tillich nennt das "symbolisch".
Auch da stimme ich Ihnen zu. Ich glaube, daß das letztlich zum Thema der Intentionalität im Sinn von Husserl führt. Unser Denken ist intentional, also auf etwas außerhalb dieses denkenden Subjekts Existierendes gerichtet; und sei es in Form der platonischen Weise, in der ein Dreieck "existiert" oder die Gerechtigkeit.
Und da, lieber Herr, wird es dann für mich sehr schwierig. Ich bezweifle, daß sich eine Haltung des Als Ob à la Hans Vaihinger durchhalten läßt. Es ist in sich widersprüchlich, zu sagen: "Ich glaube, daß p der Fall ist, aber ich weiß, daß dieser Glaube fiktiv ist". Das verletzt, wenn man so will, den Satz vom Widerspruch. Wenn ich p glaube, dann glaube ich auch, daß ich zu Recht p glaube; nicht als nützliche Fiktion. Diese kann ich - so scheint mir - immer nur anderen zuschreiben.
Zitat von HerrDas Christentum hat sich die objektivitätsförmige Rede in besonderer Weise zueigen gemacht. Darum ist die theologische Lehre und die damit verbundene Vorstellung (vgl. Hegel) von Gottes Handeln für das Christentum doch unverzichtbar. – Ich kann mir jedenfalls für mich keine religiöse Praxis vorstellen, die auf Reflexion verzichtet.
Ja, sie ist wahrscheinlich - Sie können das besser beurteilen als ich - unverzichtbar für das Christentum. Aber eine "Vorstellung" ist bei Hegel, wie überhaupt im 19. Jahrhundert, ja keine Fiktion, sondern einfach ein kognitiver Inhalt. Auch Erkenntnisse, auch Wahrnehmungen wurden als Vorstellungen bezeichnet; noch von Wilhelm Wundt.
Zusammengefaßt: Kann man gewissermaßen neben sich treten und (sich) sagen: Ich glaube das, aber ich weiß, daß das eine Fiktion ist?
Ich glaube (!) nicht.
Entweder glaubt man es nicht, oder man hält es nur fiktiv für eine Fiktion.
Zitat Mein Argument ist, daß es in der Ontogenese so wenig wie in der Phylogenese einen plötzlichen Übergang von "Nichtmensch" zu "Mensch" gibt.
Und gerade die Gleichsetzung lehne ich ab.
In der Phylogenense sehe ich die Unschärfe (wie eben in meinem Beispiel: Ab welcher Beckenneigung sind die Vorderbeine Arme). Aber: Wenn sie sich auf dem Ultraschall einen menschlichen Fötus angucken erkennen sie: aha, da sind die Arme. Weil sie das sind, was später einmal eindeutig Arme sein werden, und zwar obwohl sie vorher erstmal als Beine benutzt werden. Und da ist es völlig irrelevant, dass irgend ein evolutionärer Vorfahr ähnlich aussehende Gliedmaßen hatte, bei denen man nicht klar entscheiden kann, ob es Arme oder Bein waren.
Und mit dem ganzen Menschen ist es eben genauso wie mit den Armen.
Zitat Mein Argument ist, daß es in der Ontogenese so wenig wie in der Phylogenese einen plötzlichen Übergang von "Nichtmensch" zu "Mensch" gibt.
Und gerade die Gleichsetzung lehne ich ab. In der Phylogenense sehe ich die Unschärfe (wie eben in meinem Beispiel: Ab welcher Beckenneigung sind die Vorderbeine Arme). Aber: Wenn sie sich auf dem Ultraschall einen menschlichen Fötus angucken erkennen sie: aha, da sind die Arme. Weil sie das sind, was später einmal eindeutig Arme sein werden, und zwar obwohl sie vorher erstmal als Beine benutzt werden. Und da ist es völlig irrelevant, dass irgend ein evolutionärer Vorfahr ähnlich aussehende Gliedmaßen hatte, bei denen man nicht klar entscheiden kann, ob es Arme oder Bein waren. Und mit dem ganzen Menschen ist es eben genauso wie mit den Armen.
Lassen Sie mich, lieber gelegentlicher Besucher, noch einmal verdeutlichen, wie ich die Analogie meine:
Es gibt in der Phylogenese wie auch in der Ontogenese eine schrittweise Entwicklung hin zum Menschen.
In der Phylogenese kann man sie mit den gemeinsamen Vorfahren aller rezenten Hominiden beginnen lassen, oder auch beliebig früher. An keinem Punkt dieser Entwicklung war plötzlich "der Mensch" da.
In der Ontogenese gibt es die ebenfalls schrittweise Entwicklung von der Befruchtung über das Einnisten der befruchteten Eizelle, die Morula, die Blastula bis zu den einzelnen Schritten der embryonalen Entwicklung, endend mit der Geburt. Auch hier ist an keinem Punkt dieser Entwicklung plötzlich "der Mensch" da.
Es steht natürlich frei, bereits die Morula als einen Menschen zu definieren. Aber vernünftig scheint mir diese Definition nicht, denn dieser Ansammlung von Zellen fehlt alles, was einen Menschen ausmacht.
Es sei denn, man glaubt, daß ihr eine "Seele" innewohne, die schon im Augenblick der Befruchtung in die Eizelle irgendwie hineingelangt. Ich kann das nicht glauben, wie schon geschrieben.
Zitat von HerrDass es beim Glauben auch um Opfer und Hingabe, um das Erschauern vor dem Heiligen (Rudolf Otto, "Das Heilige" - der wusste noch was davon) geht, um einen letzten Ernst und eine letzte Verantwortung, das ist vielen aus dem Blick geraten. Wohlfühl-Christentum ist angesagt. Aber wohlfühlen kann man sich auch woanders ganz gut ...
Ja, so sehe ich das auch, bin aber unsicher hinsichtlich einer Bewertung. Es geht mir dabei weniger darum, daß ich persönlich für dieses religiöse Erleben kein Talent habe; sondern ich bin auch nicht sicher, daß es gut für eine heutige Gesellschaft wäre, wenn es sich (wieder) allgemein einstellen würde. Aber das wäre vielleicht eine eigene Diskussion wert.
Sie denken vermutlich an den religiösen Ernst von Leuten, die sich Sprengstoffgürtel umbinden oder Flugzeuge in Wolkenkratzer fliegen ...
Zitat von Zettel
Zitat von HerrTrotzdem rühren Sie an einen alten wunden Punkt, über den ich mir mit meinem theologischen Lehrer Ulrich Barth nie einig geworden bin: Bedarf das religiöse Bewusstsein nicht einer, wie er es nannte, An-sich-Vermeinung? – Ich meine schon: Auch wenn es Gott nicht "gibt", müssen wir doch von dem Unbedingten in einer Weise reden, "als ob" es es "gäbe", also "objektivitätsförmig". Paul Tillich nennt das "symbolisch".
Auch da stimme ich Ihnen zu. Ich glaube, daß das letztlich zum Thema der Intentionalität im Sinn von Husserl führt. Unser Denken ist intentional, also auf etwas außerhalb dieses denkenden Subjekts Existierendes gerichtet; und sei es in Form der platonischen Weise, in der ein Dreieck "existiert" oder die Gerechtigkeit.
Ja, genau. Den Husserl habe ich immer nicht so im Blick. Aber wenn ich das richtig sehe, ist für ihn das An-sich-Sein oder die Objektivität des Intendierten irrelevant.
Zitat von ZettelUnd da, lieber Herr, wird es dann für mich sehr schwierig. Ich bezweifle, daß sich eine Haltung des Als Ob à la Hans Vaihinger durchhalten läßt. Es ist in sich widersprüchlich, zu sagen: "Ich glaube, daß p der Fall ist, aber ich weiß, daß dieser Glaube fiktiv ist". Das verletzt, wenn man so will, den Satz vom Widerspruch. Wenn ich p glaube, dann glaube ich auch, daß ich zu Recht p glaube; nicht als nützliche Fiktion. Diese kann ich - so scheint mir - immer nur anderen zuschreiben.
Aber der springende Punkt ist doch, dass religiöse Rede eben keine Aussagen darüber trifft, ob etwas "der Fall ist". Wenn sie solche Aussagen macht, dann eben nur in, wie ich sagte, "objektivitätsförmiger Weise", weil das Transzendente kein Gegenstand möglicher Erkenntnis ist (Ich muss das für mich letztlich immer wieder an Kant zurückbinden.). Der Begriff der Fiktionalität führt aber ebenso in die Irre. Denn eine Fiktion ist definitiv nicht der Fall.
Zitat von ZettelAber eine "Vorstellung" ist bei Hegel, wie überhaupt im 19. Jahrhundert, ja keine Fiktion, sondern einfach ein kognitiver Inhalt. Auch Erkenntnisse, auch Wahrnehmungen wurden als Vorstellungen bezeichnet; noch von Wilhelm Wundt.
Natürlich ist eine "Vorstellung" ein kognitiver Inhalt. Bei Hegel ist "Vorstellung" aber auch eine Art und Weise, wie ich mich auf einen Inhalt beziehe: Ich stelle ihn vor mich hin, als außer mir seienden Gegenstand, objektiv – Husserl würde von Intentionalität sprechen. Ich gewinne Erkenntnisse über ihn nach empirischen und kategorialen Regeln; das ist praktisch die kantische Objektivität. Hegel sagt nun – eigentlich in Übereinstimmung mit Kant –: Wenn du in dieser Weise vom Absoluten, Gott, Geist redest, dann entspricht das nicht dem "Gegenstand", der eben keiner ist. Trotzdem operiert die Religion fortwährend mit bestimmten Vorstellungsgehalten. Diese sind nach Hegel aber weder fiktional noch beliebig. Sie lassen sich vielmehr auf einer philosophischen Ebene dechiffrieren bzw. auf ihren Begriff bringen.
Diese Ansicht muss man nicht teilen. Mit Tillich, der hier zwar auch etwas rumeiert, bin ich der Meinung, dass das symbolische Reden in der Religion nicht zu hintergehen ist.
Zitat von ZettelZusammengefaßt: Kann man gewissermaßen neben sich treten und (sich) sagen: Ich glaube das, aber ich weiß, daß das eine Fiktion ist? Ich glaube (!) nicht. Entweder glaubt man es nicht, oder man hält es nur fiktiv für eine Fiktion.
So sehe ich das nämlich auch.
"Gelegentlicher Besucher" warf mir ja weiter oben einen Brocken aus 1. Korinther 15 zu. Ich mache als Christ die Aussage: "Jesus ist auferstanden." Das ist eine Glaubensaussage. Ich würde niemals sagen: "Dass Jesus auferstanden ist, ist eine Fiktion." Dann müsste man fragen: Wer fingiert hier was wie und wozu? – Offensichtlich stehen aber am Anfang der Christentumsgeschichte Erfahrungen und feste Überzeugungen, dass Jesus auferstanden ist. Trotzdem ist es auch keine objektive Aussage. Auferstehung ist kein Gegenstand möglicher Erfahrung. Wir wissen schlechterdings nicht, was Auferstehung ist, wie sie "funktioniert", da sie den Bereich der Immanenz transzendiert. Das leere Grab, die Engelserscheinungen, die "Himmelfahrt" sind ergänzende Symbolisierungen des Unanschaulichen. Das Wort "Auferstehung" verweist zurück auf das Aufstehen nach dem Schlaf; das "Leben" des Auferstanden verweist zurück auf das menschliche Leben, das wir kennen. Gleichzeitig wissen wir, dass mit "Auferstehung" und "Leben" hier etwas gemeint ist, was das Bekannte transzendiert. Wir können es eben nicht objektivieren, verdinglichen, zur Tatsache machen, sondern eben nur symbolisch und rituell umkreisen. Bis dahin erst mal.
Zitat von HerrIch mache als Christ die Aussage: "Jesus ist auferstanden." Das ist eine Glaubensaussage. Ich würde niemals sagen: "Dass Jesus auferstanden ist, ist eine Fiktion." Dann müsste man fragen: Wer fingiert hier was wie und wozu? – Offensichtlich stehen aber am Anfang der Christentumsgeschichte Erfahrungen und feste Überzeugungen, dass Jesus auferstanden ist. Trotzdem ist es auch keine objektive Aussage. Auferstehung ist kein Gegenstand möglicher Erfahrung. Wir wissen schlechterdings nicht, was Auferstehung ist, wie sie "funktioniert", da sie den Bereich der Immanenz transzendiert. Das leere Grab, die Engelserscheinungen, die "Himmelfahrt" sind ergänzende Symbolisierungen des Unanschaulichen.
Joh 20:24-28 ist Ihnen wahrscheinlich auch bekannt... Zumindest dem Apostel Thomas scheint Jesu Auferstehung durchaus ein Gegenstand möglicher Erfahrung gewesen zu sein. Wahrscheinlich verstehe ich Sie einfach miss, wollen Sie mich erleuchten?
-- La función didáctica del historiador está en enseñarle a toda época que el mundo no comenzó con ello. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von GorgasalJoh 20:24-28 ist Ihnen wahrscheinlich auch bekannt... Zumindest dem Apostel Thomas scheint Jesu Auferstehung durchaus ein Gegenstand möglicher Erfahrung gewesen zu sein. Wahrscheinlich verstehe ich Sie einfach miss, wollen Sie mich erleuchten?
Aber gerne doch (1) Es ist unstrittig, dass der Auferstehungsglaube sich an wie auch immer zu deutenden "Erscheinungen" entzündet: In 1Ko 15,5-8 steht viermal ώφθη (wurde gesehen/ließ sich sehen/erschien). Nur was sich objektiv dahinter verbirgt, ist uns trotzdem nicht bekannt. Auf eine solche Erscheinung bezieht sich auch Jh 20. (2) Auf der Erzählebene kommt es durchaus nicht zu der von Thomas geforderten und von Jesus angebotenen Berührung, sondern angesichts der Erscheinung zu einem Ausspruch des Bekenntnisses und der Anbetung. Ziel ist V29: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! – Gegen objektivte Glaubensgründe. (3) Der erzählten Jesusgeschichte, insbesondere im Johannesevangelium, wird man zudem Fiktionalität nicht absprechen können. (4) Aber auch selbst wenn das alles objektive Erfahrungen gewesen sein sollten, bestünde für uns das bekannte Lessing-Problem vom garstigen Graben: Uns sind die Erfahrungen der Apostel selber nicht zugänglich.
Wir können "Glaubenswahrheiten" einfach nicht auf die Ebene objektiver Tatsachen herauf-, nein, besser gesagt: herabstufen.
Zitat von HerrDass es beim Glauben auch um Opfer und Hingabe, um das Erschauern vor dem Heiligen (Rudolf Otto, "Das Heilige" - der wusste noch was davon) geht, um einen letzten Ernst und eine letzte Verantwortung, das ist vielen aus dem Blick geraten. Wohlfühl-Christentum ist angesagt. Aber wohlfühlen kann man sich auch woanders ganz gut ...
Ja, so sehe ich das auch, bin aber unsicher hinsichtlich einer Bewertung. Es geht mir dabei weniger darum, daß ich persönlich für dieses religiöse Erleben kein Talent habe; sondern ich bin auch nicht sicher, daß es gut für eine heutige Gesellschaft wäre, wenn es sich (wieder) allgemein einstellen würde. Aber das wäre vielleicht eine eigene Diskussion wert.
Sie denken vermutlich an den religiösen Ernst von Leuten, die sich Sprengstoffgürtel umbinden oder Flugzeuge in Wolkenkratzer fliegen ...
Nicht nur, lieber Herr. Wenn es stimmt, daß die Religion immer - dh seit vielleicht 40.000 Jahren - eine zentrale Rolle für den Zusammenhalt der Gesellschaft gespielt hat, dann frage ich mich, ob das in modernen - pluralistischen, offenen, freien, säkularen - Gesellschaften noch gehen kann. Wenn aber nicht: Kann dann dieser religiöse Zusammenhalt, dieser religiöse Ernst die Gesellschaft nicht eher spalten, als ihren Zusammenhalt fördern? Ich denke als aktuelles Beispiel an Memut Özil, über den wir diskutiert haben und der, wenn die anderen die Nationalhymne singen, Koranverse betet.
Zitat von Herr
Zitat von ZettelIch glaube, daß das letztlich zum Thema der Intentionalität im Sinn von Husserl führt. Unser Denken ist intentional, also auf etwas außerhalb dieses denkenden Subjekts Existierendes gerichtet; und sei es in Form der platonischen Weise, in der ein Dreieck "existiert" oder die Gerechtigkeit.
Ja, genau. Den Husserl habe ich immer nicht so im Blick. Aber wenn ich das richtig sehe, ist für ihn das An-sich-Sein oder die Objektivität des Intendierten irrelevant.
Ja, er "klammert sie aus". Aber sie ist als phänomenales Merkmal eben doch gegeben. Meinen Schmerz erlebe ich als subjektiv, aber die Nadel, die mich gestochen hat, als objektiv. Ihre Realität ist eine phänomenale Eigenschaft, auch wenn das paradox klingt.
Zitat von Herr
Zitat von ZettelUnd da, lieber Herr, wird es dann für mich sehr schwierig. Ich bezweifle, daß sich eine Haltung des Als Ob à la Hans Vaihinger durchhalten läßt. Es ist in sich widersprüchlich, zu sagen: "Ich glaube, daß p der Fall ist, aber ich weiß, daß dieser Glaube fiktiv ist". Das verletzt, wenn man so will, den Satz vom Widerspruch. Wenn ich p glaube, dann glaube ich auch, daß ich zu Recht p glaube; nicht als nützliche Fiktion. Diese kann ich - so scheint mir - immer nur anderen zuschreiben.
Aber der springende Punkt ist doch, dass religiöse Rede eben keine Aussagen darüber trifft, ob etwas "der Fall ist". Wenn sie solche Aussagen macht, dann eben nur in, wie ich sagte, "objektivitätsförmiger Weise", weil das Transzendente kein Gegenstand möglicher Erkenntnis ist (Ich muss das für mich letztlich immer wieder an Kant zurückbinden.). Der Begriff der Fiktionalität führt aber ebenso in die Irre. Denn eine Fiktion ist definitiv nicht der Fall.
Bedeutet diese Anbindung an Kant, daß Religion, wie bei Kant die Ideen Gott, Seele und Unsterblichkeit, von der praktischen Vernunft her, also als Voraussetzung für ethisches Handeln, begründet werden würde?
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