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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 15 Antworten
und wurde 1.443 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.08.2010 11:14
13. August 1961 Antworten

Nächstes Jahr ist es ein halbes Jahrhundert her. Es war eine Ungeheuerlichkeit.

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

13.08.2010 11:29
#2 RE: 13. August 1961 Antworten

Lieber Zettel, nur gut, daß nichts in Vergessenheit gerät. Das zumindest hoffe ich!

Zitat
13. August 1961, an dem die SED-Führung ihr Volk einmauerte

http://www.epochtimes.de/articles/2009/05/25/449592.html

(…) Als die Mauer fiel, erhoben sich im Bundestag in Bonn die Volksvertreter spontan von ihren Plätzen um das Deutschlandlied zu singen. Nur die Fraktion der Grünen verließ eiligst geschlossen das Parlament und der Schriftsteller Günter Grass befand seinerzeit: “Deutschland hat kein Recht auf Wiedervereinigung.“ (…)




Zitat
http://www.epochtimes.de/articles/2008/04/21/271149.html

(…) Mein Ex-Ostberliner Sitznachbar war damals Mitarbeiter beim Fernsehen der DDR und produzierte die DDR-Satire-Show „Ein Kessel Buntes". Da er sich weigerte, regimekritische Äußerungen des Moderators Gunther Emmerlich herauszuschneiden, wurde er unter Aufsicht eines MfS-Mitarbeiters gestellt. Er sagt: „Wenn ich nicht geschnitten hätte, hätte ich meinen Job verloren, und ein anderer hätte diese Tätigkeit übernommen."

Eine Situation, die in unserer heutigen freiheitlich demokratischen Grundordnung sicher nicht passieren kann. Oder? (…)



Aber sie hat sich wieder neu erfunden, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), kommunistische Staatspartei der DDR, dann seit 1990 PDS und heute „Die Linke"

Viele ihrer Anhänger sind links, linker am linksten bis hin zu millitanten Übergriffen und gewalttätigen Vernichtungsorgien am sogenannten kapitalistischem Eigentum. Wie weit beeinflusst uns der Kommunismus noch heute? Zumindest das Wort Kommunismus ist ja von der Agenda gestrichen, es wurde durch „Sozial“ ersetzt. Die Ziele sind ähnlich, die Ideologien gleich geblieben und die Gehirnwäsche fürs Volk lugt immer noch hinter jeder Ecke. Sozial kann doch nur gut sein, hört sich gut an und gerecht klingt es auch. Man will und muß den „einfachen“ Menschen doch immer und immer wieder „zu seinem Glücke zwingen“. Intellektuell hält sich „die Linke“ für die Elite, schon aufgrund ihrer „bedauernswerten“ Vergangenheit, von der sie aber heute im Einzelnen nichts mehr wissen will (auch nicht wo das einstige Volksvermögen geblieben ist). Manisch zwanghaft will man sich über andere erheben und sie zum „Besseren“ bekehren, so lange, bis wir wieder zum kompletten Lummerland geworden sind.

Unsere Medien, unsere Rechtsprechung tragen ihren Teil schon dazu bei und wenn nicht, gibt es einen Aufschrei der bis zur Milchstrasse und zurück schallt. Richterliche Entscheidungen müssen oft erst durch mehrere Instanzen gejagt werden, bis endlich unter der linken Patina das GG im Gerichtssaal wieder sichtbar wird und zur Entscheidung dient, wie es einem demokratischen Land eben zukommt.

Nein, in Sicherheit vor dieser „Gutmenschenfraktion“ können wir uns noch lange nicht wiegen.
Darum sollte heute jeder Schüler drei Daten kennen:

Zitat


http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/...Aufklaerer.html

(…) Drei Daten müsse jeder deutsche Schüler kennen, formulierte er gestern:

den 17. Juni 1953 – den Tag des Volksaufstandes gegen die SED-Diktatur ; den 13. August 1961, an dem die SED-Führung ihr Volk einmauerte; schließlich den 9. Oktober 1989, an dem die Menschen in der DDR die Angst verloren und in Leipzig massenhaft demonstrierten.

Kürzer und klarer kann man es kaum sagen.



(Hervorhebungen von mir)

♥lich Nola

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.08.2010 12:24
#3 RE: 13. August 1961 Antworten

Zitat von Nola
Zumindest das Wort Kommunismus ist ja von der Agenda gestrichen


Ja, das ist eigenartig, liebe Nola.

Ich weise ja immer mal wieder gern darauf hin, daß Lothar Bisky der Vorsitzende einer Partei ist, in der sich die europäischen Kommunisten zusammengeschlossen haben:

http://zettelsraum.blogspot.com/2008/09/...thar-bisky.html

Die meisten nennen sich stolz Kommunisten, von der KPF bis zur Kommunistischen Partei Moldawiens. Nur die deutschen Kommunisten vermeiden dieses Wort.

Sie segeln unter falscher Flagge; das begann bekanntlich mit der Zwanzgsvereinigung mit der SPD in der DDR und der neuen Wortschöpfung SED. Seither versuchen die deutschen Kommunisten den Eindruck zu erwecken, sie seien irgendwie auch Sozialdemokraten.

Halt eine taktische Variante.

Herzlich, Zettel

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

13.08.2010 13:11
#4 RE: 13. August 1961 Antworten

Lieber Zettel,

hier ist "meine" Mauerbau-Anekdote, aus der letzten Phase des Bauwerks.

Einige Jahre bin ich täglich ein paar Kilometer die Mauer entlang zur Bushaltestelle geradelt. Während die Mauer zwischen den Stadthälften bereits renoviert war (die bekannten L-förmigen Betonsegmente), war sie außen um die Stadt herum noch älter und vergleichsweise primitiv. Dort bestand sie aus H-Trägern, zwischen denen lange waagrechte Betonplatten lagen. In den 80er-Jahren begann man damit, diese Mauer an einigen Abschnitten durch einen engmaschigen gitterartigen Zaun zu ersetzen, vor allem im Norden der Stadt.

Im Frühjahr 1989 ging es auch in meiner Gegend im Süden mit dem Zaunbau los. Die Arbeiter wurden in der Tat - selbstverständlich - von Grenzsoldaten bewacht. Das war schon eine eigenartige Situation, wie ich wenige Meter entfernt an dieser Szene vorbeigeradelt bin, auf dem Weg zu meinen harmlosen Beschäftigungen.

Einmal traf ich den Busfahrer völlig aufgelöst. Er war die Strecke lange nicht mehr gefahren und plötzlich war die Mauer weg! "Das hat doch bestimmt was mit Gorbatschow zu tun" meinte er. Von meinen Erläuterungen ließ er sich nicht beeindrucken. "Da ist was im Gange!" Im Grunde hatte er mehr recht als ich. Ich glaubte noch im Herbst, die Mauer würde noch in hundert Jahren stehen, und sei es als Zaun.

Sehr weit sind sie mit dem Zaunbau dann nicht mehr gekommen. Ende August 1990 stand hier überwiegend noch die alte H-Träger-Mauer. An einer Stelle war die mittlere Platte bereits von den Mauerspechten herausgeklopft worden, während die obere noch in den Trägern festklemmte. Zwei Jungen, 12 und 14 Jahre alt, klopften im unteren Bereich herum, einer der beiden beugte sich vor, als sich die obere Platte löste und ihm den Hals zerquetschte.

Ich habe mir vorhin die Stelle noch einmal angesehen. Auf dem Holzkreuz steht:

Christoph-Manuel B.
1.10.1975 31.8.1990

Herzliche Grüße,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.08.2010 17:28
#5 RE: 13. August 1961 Antworten

Zitat von Kallias
Ich glaubte noch im Herbst, die Mauer würde noch in hundert Jahren stehen, und sei es als Zaun.


Fast alle haben ja so gedacht, lieber Kallias, ich auch. Wir sind auf die kommunistische Propaganda hereingefallen, ich jedenfalls.

Ich hatte diese Erfahrungen im Kopf - Deutschland Juni 1953, das polnische "Tauwetter", der ungarische Aufstand, der "Prager Frühling". Ich dachte, jede Revolution gegen die Kommunisten würde so enden.

Das war die eine Seite. Die andere war, daß wir uns den Kommunismus schöngeredet haben. Die Berichte aus der DDR waren ja auch so; ich habe bis 1989 zum Beispiel denen der Ostberliner "Zeit"-Korrespondentin Marlis Menge vertraut.

Nach dem Mauerbau hatten wir alle die DDR abscheulich gefunden, die Zone, wie man damals sagte. Aber deren Bild wurde danach sozusagen von Jahr zu Jahr aufgehellt, und ich bin dem auch gefolgt.

Fast alle sind dem ja gefolgt. Die ganz wenigen, die die DDR nüchtern sahen, wie Fritz Schenk und Gerhard Löwenthal, wurden als "Kalte Krieger" verunglimpft.

Ich habe an meiner Fehleinschätzung jahrelang geknabbert, sozusagen.

Herzlich, Zettel

Juno Offline



Beiträge: 332

13.08.2010 20:29
#6 RE: 13. August 1961 Antworten

Für alle, die sich diese Monstrosität heute gar nicht mehr vorstellen können, gibt es übrigens diese hervorragende Website:

http://www.denkmallandschaft-berliner-mauer.de/

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

13.08.2010 21:40
#7 RE: 13. August 1961 Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von Kallias
Ich glaubte noch im Herbst, die Mauer würde noch in hundert Jahren stehen, und sei es als Zaun.

Fast alle haben ja so gedacht, lieber Kallias, ich auch. Wir sind auf die kommunistische Propaganda hereingefallen, ich jedenfalls. (...)
Fast alle sind dem ja gefolgt. Die ganz wenigen, die die DDR nüchtern sahen, wie Fritz Schenk und Gerhard Löwenthal, wurden als "Kalte Krieger" verunglimpft.
Ich habe an meiner Fehleinschätzung jahrelang geknabbert, sozusagen.


Dem Löwenthal habe ich schon geglaubt, das war es bei mir nicht.

Es gab bei mir von Jugend an mehr den Eindruck, daß sich grundsätzlich auf der Welt nichts ändert. Die Dritte Welt ist und bleibt arm, der Westen bleibt wohlhabend und halbwegs frei, der Osten hält sich als Diktatur auf wirtschaftlich niedrigem Niveau, bleibt aber militärisch gleichwertig. So ist es, dachte ich in den 70er und 80er Jahren, so wird es bleiben. Früher, ja, da gab es eine Geschichte, aber das war vorbei; ich hatte sozusagen das Weltbild einer Mauer.

Daher war ich später auch so konsterniert von Fukuyamas These vom "Ende der Geschichte"; wo sie doch gerade eben wieder angefangen hatte!

Herzliche Grüße,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2010 00:22
#8 Verschiß Antworten

Zitat von Kallias
Dem Löwenthal habe ich schon geglaubt, das war es bei mir nicht.


Bei mir war das leider anders. Und dazu möchte ich gern etwas "Grundsätzliches" sagen.

Ich habe lange gebraucht, lieber Kallias, um das zu verstehen, daß ein Grundprinzip der kommunistischen Propaganda das Verunglimpfen ist. Dieses Fertigmachen schon mit Begriffen wie "KZ-Erbauer", "Kalter Krieger", "Volksschädling" usw. Perfide, aber unheimlich wirksam.

Das ist wohl etwas sozialpsychologisch sehr Elementares, daß man diejenigen nicht mag, sich von ihnen fernhält, die - so nannte man das einmal - "in Verschiß sind". Die Kommunisten beherrschen es perfekt, Andersdenkende in Verschiß zu bringen.

Ich bin auf diese Propaganda hereingefallen; Gerhard Löwenthal, das war eben der Ewiggestrige, der Kalte Krieger. Dann gab es abschätzige Etikette wie "Renegat", da wußte man ja sofort, was man von Fritz Schenk zu halten hatte.

Ich habe damals den Berliner Extradienst gelesen (und habe immer noch eine fast vollständige Sammlung, will sie jemand haben?), ohne zu ahnen, daß das ein Unternehmen des MfS war. Da wurden Menschen heruntergemacht, und ich habe mich davon beeinflussen lassen. Es gab zum Beispiel auch eine Propaganda gegen "Fluchthelfer", die als Kriminelle hingestellt wurden.

Naja, ich habe daraus nur gelernt, daß ich niemanden verurteile, der auf Propaganda hereinfällt, der vielleicht sogar unter persönlichem Druck war. Ich kann niemandem den moralischen Zeigefinger entgegenstrecken. Auch nicht der Generation meiner Eltern und Großeltern.

Zitat von Kallias
Es gab bei mir von Jugend an mehr den Eindruck, daß sich grundsätzlich auf der Welt nichts ändert. Die Dritte Welt ist und bleibt arm, der Westen bleibt wohlhabend und halbwegs frei, der Osten hält sich als Diktatur auf wirtschaftlich niedrigem Niveau, bleibt aber militärisch gleichwertig. So ist es, dachte ich in den 70er und 80er Jahren, so wird es bleiben.


Entspricht exakt meiner Erfahrung.

Nichts bewegte sich. Es gab zum Beispiel diese ständigen "Gipfelkonferenzen" in Genf usw., und es kam nichts heraus.

In diese statische Welt platzten Ereignisse wie der Bau der Mauer, die Cuba-Krise, die Ermordung Kennedys. Aber das waren Singularitäten.

Daß die Welt richtig in Bewegung ist, das habe ich erst 1989 gemerkt. Nun wüßte ich noch gern, wohin.

Herzlich, Zettel

lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

14.08.2010 11:06
#9 RE: 13. August 1961 Antworten

Ich denke, dass Kommunisten aufgrund ihres dysfunktionalen Gesellschafts- und Wirtschaftsverständnis automatisch in Positionen geraten, in denen sie nach opportunistischen Auswegen aus einer unhaltbaren Lage suchen müssen. So auch die DDR 1961. Wir alle benutzen von Zeit zu Zeit opportunistische Auswege. Ich persönlich geb in Projektplanungsphasen auch schon mal vor, ich wüsste die Lösung. Dabei beruht mein zur Schau gestelltes Vertrauen eher dem Glauben, dass ich auf dem Weg die Lösung schon finden werde. Die DDR sollte am Leben gehalten werden. Sie hofften, dass es irgendwann in der Zukunft doch einmal funktioniert. Menschen, die Veränderung betreiben wollen, neigen nun einmal zu mechanistischen Denkschemata und geraten dabei in Gefahr, die Fähigkeit zur Reflexion zu verlieren. Das permanente Feedback der Ergebnisse und die Flexibilität zum Eingeständnis eines Irrtums sind aber der vermutlich wichtigste Punkt in der politischen Gestaltung einer Gesellschaft.
Augen zu und durch mit der Nebenbedingung, immer in der Offensive zu sein. So wirken viele, aber nicht alle marx-afinen Leute heute auch. Es geht um Veränderung und Kampf gegen eine als unerträglich empfundene Ausgangslage. Polarisierung liegt da nahe. Trotzdem gibt es unter denen auch immer wieder Leute, die die Mechanik der Argumentation durchbrechen. Auch diese Seite erzeugt ihre Renegaten. In der deutschen Geschichte etwa Herbert Wehner.
In jenem meinen nie enden wollenden Fortsetzungsroman „Aufstieg und Fall des Chavismo, seine Apologeten und Gegner“ gab es immer wieder Apologeten, die die Argumentationsmaschine verließen. Jüngst etwa Raul Zelik in einem Artikel im „Neuen Deutschland“. Der kreative Kopf hat definitiv maßgeblich an der deutsch-linken Perzeption dieser Argumentationsmaschine mitgestrickt. Die starke Betonung des angeblich so „basisdemokratischen“ Charakters der in der Realität zentralistisch organisierten Geisterbahnfahrt. Die consejos comunales. Am 5. August 2010 schrieb er nun:

Zitat
Andererseits nutzt auch die Chávez-Regierung die Krise, um von hausgemachten Problemen abzulenken. Im September stehen Parlamentswahlen auf der Tagesordnung, bei denen dem Regierungslager empfindliche Verluste vorhergesagt werden. Die Gründe sind vielfältig: Die Korruption wuchert wie eh und je, das Land ist nach wie vor völlig abhängig von den Erdöleinnahmen, und die unter Chávez gegründeten genossenschaftlichen und staatlichen Betriebe zeichnen sich vor allem durch Ineffizienz aus. Dazu kommt, dass die in der bolivarianischen Verfassung angelegte Demokratisierung kaum umgesetzt wird. Die neue Staatsbürokratie kontrolliert das öffentliche Leben, und der Personenkult um Chávez trägt auch nicht gerade zu einer kritischen Debatte im Land bei.


http://tinyurl.com/2443o7e
Im Kommentarbereich holt er dann seine Watschen ab. Von den Leuten, die sich den röhrenden Hirsch der deutsch-linken Argumentationsmechanik bezüglich der bolibananischen Robolution überm Bett hängen haben. Ohne vielleicht zu wissen, dass Raul Zelik einer der maßgeblichen Schöpfer war.

Und hier noch ein großartiges Beispiel für die Unfähigkeit zur Reflexion und Arroganz der Macht eines Profiteurs und/oder Gefangenen der robolutorischen Argumentationsmechanik. Der Mann lacht minutenlang in die Kamera, als er mit der katastrophal angestiegenen Delinquenz in seiner angeblich „sozialen Revolution“ konfrontiert wird.
http://venezuela-europa.blogspot.com/201...ord-lachen.html
Das fand in einer Diskussionssendung des in Lateinamerika in praktisch alle Kabelnetze eingespeisten „CNN en español“ statt. Ein Polizei-Chef und der Vorsitzende einer Anti-Gewalt NGO konfrontieren den Präsidenten des chavistischen Propaganda-Senders TeleSur mit den seit 1998 zwischen 3 und 4 fach gestiegenen Tötungsdelikten. Diese Werte sind heute höher als in Kolumbien oder Mexiko. Tötungsdelikte gelten als gute Indikatoren für die Gesamt-Delinquenz einer Gesellschaft. Schliesslich werden sie praktisch überall statistisch erfasst. Die statistischen Daten stammen von der chavistischen Administration selbst. Der Mann lacht minutenlang und schaltet die rigide Argumentationsmaschine an: anti-chavistische Propaganda, anderswo viel schlimmer, etc.
Diese Diskussionsrunde repräsentiert für mich mit einer großen Klarheit die Realitätsflucht einer immer irrealeren totalitären Bewegung unserer Zeit.
Menschen verlassen massenhaft das Land. Man baut eine Mauer.
Menschen bringen sich massenhaft gegenseitig um. Man lacht und erklärt entsprechende Diskurs-Wünsche über die Ursache als bösartige Propaganda.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

14.08.2010 11:08
#10 RE: Verschiß Antworten

Lieber Zettel,

der Antikommunismus kam mir immer ziemlich selbstverständlich vor: Wer möchte schon in einer Diktatur leben? In dieser Hinsicht habe ich die nichtkommunistischen Linken sehr lange mißdeutet. Die meisten hatten ja für Figuren wie "Honni" oder Tschernenko nur Spott und Verachtung übrig, usw. Also dachte ich, von der sozialistischen Diktatur würden sie so wenig halten wie ich. Erst als die Mauer fiel, habe ich mitbekommen, wie tief die Loyalität dieser Linken mit dem Realsozialismus gewesen ist. Seitdem fühlen sie sich einsam in einer durch und durch kapitalistischen Welt.

Zitat von Zettel
Naja, ich habe daraus nur gelernt, daß ich niemanden verurteile, der auf Propaganda hereinfällt, der vielleicht sogar unter persönlichem Druck war. Ich kann niemandem den moralischen Zeigefinger entgegenstrecken. Auch nicht der Generation meiner Eltern und Großeltern.

Ich glaube, immun gegen Propaganda wird nur, wer sich starre Gesichtspunkte zu eigen macht. Wer fähig bleibt, etwas dazuzulernen, bleibt auch anfällig gegen Irreführung. Das ist der Preis, den man für einen beweglichen Geist bezahlt.

Zitat von Zettel
Daß die Welt richtig in Bewegung ist, das habe ich erst 1989 gemerkt. Nun wüßte ich noch gern, wohin.

Wenn man weiß, wohin es geht, dann ist das doch gar keine richtige Bewegung.

Herzliche Grüße,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2010 17:38
#11 RE: Verschiß Antworten

Zitat von Kallias
der Antikommunismus kam mir immer ziemlich selbstverständlich vor: Wer möchte schon in einer Diktatur leben? In dieser Hinsicht habe ich die nichtkommunistischen Linken sehr lange mißdeutet. Die meisten hatten ja für Figuren wie "Honni" oder Tschernenko nur Spott und Verachtung übrig, usw. Also dachte ich, von der sozialistischen Diktatur würden sie so wenig halten wie ich. Erst als die Mauer fiel, habe ich mitbekommen, wie tief die Loyalität dieser Linken mit dem Realsozialismus gewesen ist.

Es spielte, lieber Kallias, glaube ich ein Gesichtspunkt eine Rolle, der bei Intellektuellen sehr oft eine Rolle spielt: Die Faszination der Macht.

Man hatte seine Hoffnungen, seine Theorien, war im Westen aber im Grunde machtlos. Die DDR - der Ostblock überhaupt - war so etwas wie ein Rückhalt.

Ja gut, vieles war nicht so, wie man sich den Sozialismus wünschte, aber es war eben real, wenigstens keine Träumerei.

Es war dieselbe Faszination, die dann in einer noch weit schlimmeren Variante die Maoisten hatten, die sich von Albanien finanzieren ließen und die Pol Pot priesen.

Es gibt dazu diese lesenswerte Bundestagsdrucksache aus dem Jahr 2001, im zweiten Teil betreffend "Joscha" Schmierer.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2010 17:45
#12 RE: 13. August 1961 Antworten

Willkommen im kleinen Zimmer, lieber lemmyPaz, und Dank vor allem für Ihre interessanten Anmerkungen zu Venezuela.

Eine Zeitlang habe ich die dortige Entwicklung einigermaßen verfolgt und immer einmal wieder dazu einen Artikel in ZR geschrieben. In letzter Zeit ist es mir etwas aus dem Blick geraten. Ihr Beitrag ist vielleicht der Anlaß, daß ich demnächst einmal wieder etwas über Venezuela schreibe, das ja wirklich im Augenblick die Hoffnung vieler - auch und gerade - deutscher Kommunisten zu sein scheint.

Herzlich, Zettel

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

14.08.2010 19:36
#13 RE: Verschiß Antworten

Zitat von Zettel
Es spielte, lieber Kallias, glaube ich ein Gesichtspunkt eine Rolle, der bei Intellektuellen sehr oft eine Rolle spielt: Die Faszination der Macht.

Und nicht nur die Intellektuellen. Die meisten sozialistischen Revolutionäre des 19. Jh. litten wohl insgeheim unter dem Zweifel, ob sie je mehr sein würden als eine Randerscheinung. Lenin hat dann gezeigt, daß man ein großes Land unter seine Herrschaft bekommen kann: das hat die ganze Szene ungeheuer beeindruckt. Viele schlossen sich ihm an oder schlugen vor, ihn nachzuahmen.

Zwei gegensätzliche Haltungen erlaubten es, diesem Sog zu widerstehen. Die eine ist der schon erwähnte Starrsinn, wie ihn etwa Errico Malatesta in überragendem Maße aufwies; er dachte in seinem Todesjahr 1932 über die Welt und wie man sie verbessern sollte, exakt so, wie er schon 1878 dachte. (Ich habe ihn in einem Vortrag mal etwas anmaßend als "Erricomat" bezeichnet, der kontinuierlich schnurrend jahrzehntelang dieselbe Propaganda ausspuckte.) Lenins Revolution beeindruckte ihn sowenig wie jede andere Veränderung, die sich in der Welt ereignet hatte.

Der andere Weg besteht in extremer Biegsamkeit, verbunden mit Beobachtungsgabe. Das Paradebeispiel ist Bertrand Russell, von dem behauptet wird, er habe etwa alle sechs Monate seine philosophischen Grundüberzeugungen ausgetauscht. Als er 1920 nach Rußland fuhr, ärgerte ihn die ständige Bewachung und Bespitzelung derart, daß er dem Regime die Zuneigung entzog.

Betrachtet man diese beiden Extremfälle, so scheint die problematischste Haltung jene der begrenzten Flexibilität zu sein: beeinflußbar zwar durch Propaganda, aber verbunden mit der Neigung, auch gegen die Erfahrung bei einer einmal gefassten Ansicht zu bleiben.

Das ist nun natürlich leider die normale Einstellung. Sich starr gegen den wechselnden Zeitgeist zu behaupten, erfordert viel Kraft; aber sich einzugestehen, einem Irrtum, und schlimmer noch einem Betrug aufgesessen zu sein, fällt auch schwer. Also passen wir uns gern an, wenn es nicht allzu oft geschehen soll. (Ist das nicht auch ungefähr die Einstellung jener, die an der Börse Geld verlieren? )

Will man sich als Normalmensch davor schützen, vor einen Karren gespannt zu werden, gibt es also zwei entgegengesetzte Wege dazu: reagibler zu werden oder sturer. Der Weg der Aufklärung ist zweifellos der erste; er verlangt mehr Mut, dafür erfordert er weniger Charakter.



Im Seelenhaushalt der Linken spielte zudem nicht bloß die Eroberung der Macht, sondern darüber hinaus die Etablierung einer anerkannten Regierung, einer legalen Macht, eine große Rolle. Richelieu soll einmal dem König gesagt haben: "Rebellen werden immer unterliegen, weil sie hinter dem Schwert, das sie schlägt, bereits das Beil sehen, das sie richtet." (Aus dem Gedächtnis; steht irgendwo in Burckhardts Biografie.) Umso wichtiger, aus dem Bereich des Strafrechts herauszukommen, und also anerkannte souveräne Hoheitsgewalt zu erlangen. Linke waren immer pingelig, was die Gesetze der DDR betraf. Die durften natürlich auf keinen Fall verletzt werden, wie das die Fluchthelfer ja taten. (Gegen die BRD-Gesetze konnte man hingegen selbstverständlich den zivilen Ungehorsam einsetzen, "um menschliche Verhältnisse zu schaffen".)

Zitat von Zettel
Es war dieselbe Faszination, die dann in einer noch weit schlimmeren Variante die Maoisten hatten, die sich von Albanien finanzieren ließen und die Pol Pot priesen.

Bei der Faszination für Erscheinungen wie Pol Pots oder Enver Hodschas Sozialismus dürfte häufig auch die Lust am Extremismus als solchem eine Rolle gespielt haben. Ich kannte mal einen, der sich in den 80er-Jahren für den albanischen Sozialismus begeistert hat. ("Das reichste Land der Welt! Drei Ernten im Jahr! Das hab' ich echt geglaubt.") Dann faszinierte ihn Landauer, später eine Art von spirituellem Öko-Anarchismus. Anschließend war er ein paar Jahre im Umkreis von Horst Mahler. Was dann kam, weiß ich nicht. Ich glaube, er hatte immer das Bedürfnis, weitab vom Mainstream eine Gemeinschaft zu finden; was er da jeweils "glaubte", war kaum von Bedeutung, Hauptsache es handelte sich um extreme Außenseitermeinungen.

Ich finde, das hat schon seine Logik für sich. Entweder man ist Mainstream und wird wohlhabend und anerkannt, oder man bricht restlos mit dem System und fühlt sich als Rebell. Randexistenz - das ist das Allerschlechteste.

Herzliche Grüße,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2010 20:09
#14 RE: Verschiß Antworten

Zitat von Kallias
Die meisten sozialistischen Revolutionäre des 19. Jh. litten wohl insgeheim unter dem Zweifel, ob sie je mehr sein würden als eine Randerscheinung. Lenin hat dann gezeigt, daß man ein großes Land unter seine Herrschaft bekommen kann: das hat die ganze Szene ungeheuer beeindruckt. Viele schlossen sich ihm an oder schlugen vor, ihn nachzuahmen.


Lenin war ein Genie. Er war vermutlich - naja, das ist jetzt so eine Behauptung - der erste Intellektuelle seit Robespierre, der völlig skrupellos geworden war, der seine Intellektualität vollkommen verraten hat.

Er hatte eine Grundidee, die mit der Watsons Idee vom selfish gene viel Ähnlichkeit hatte: Man muß alles nur vom Erfolg her sehen. Alles ist schön und gut und zählt nicht. Der truism ist, daß allein der Erfolg zählt. Tu, was erfolgreich ist, tu es ohne Skrupel.

Lenin hat sich als Intellektueller vielleicht diese Einsicht erarbeiten müssen. Mag sein, daß er mit ihr gar nicht so glücklich war.

Marx war, glaube ich, viel skrupelloser als Lenin. Er wollte die Welt beherrschen, indem er die Welt lückenlos erklärte. Das war wirklich der Große Diktator. Er hat es nur halt nicht an die Macht geschafft.

Die meisten sind aber keine Intellektuellen, sondern nur Stalins, Hitlers, Pol Pots.

Mao war vielleicht eine Ausnahme. Er war ja ein Lyriker. Er hatte eine sadistische Freude am Morden, an der Bösartigkeit, die vor ihm vielleicht nur de Sade erreicht hatte.

Herzlich, Zettel

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

15.08.2010 18:44
#15 RE: Verschiß Antworten

Zitat von Zettel
Er hatte eine Grundidee, die mit der Watsons Idee vom selfish gene viel Ähnlichkeit hatte: Man muß alles nur vom Erfolg her sehen. Alles ist schön und gut und zählt nicht. Der truism ist, daß allein der Erfolg zählt. Tu, was erfolgreich ist, tu es ohne Skrupel.
Lenin hat sich als Intellektueller vielleicht diese Einsicht erarbeiten müssen.

Solche Einsichten erarbeitete man sich damals mit einem Roman: Was tun? von Tschernyschewski.

"Literatur war im modernen Rußland immer ein Ersatz für Politik", schreibt Orlando Figes in "Die Tragödie eines Volkes". Und weiter:

Zitat von O. Figes, Tragödie, S. 144f.
Seit Belinski war der selbstgewählte Auftrag der russischen Literatur sowohl sozialer als auch didaktischer Natur: die bewegenden Kräfte der Gesellschaft ins Licht zu setzen und das Volk in ein neues und demokratisches Leben zu führen. (...) Als eine Form der moralischen Unterweisung hatte der Gesellschaftsroman fast immer einen »positiven« Helden, der die Tugenden des Neuen Menschen verkörperte. (...) Der herorischste dieser positiven Helden war Rachmetjew in Tschernyschewskis gräßlichem Roman Was tun? (1862). Dieser monolithische Titan, der einer ganzen Generation von Revolutionären (einschließlich Lenin) als Vorbild dienen sollte, verzichtet auf alle Freuden des Lebens, um seinen übermenschlichen Willen zu stärken und sich gegen menschliches Leiden unempfindlich zu machen (...) Lenin, dessen asketische Lebensweise eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Rachmetjews hatte, las den Roman fünfmal in einem Sommer. Später gab er zu, daß das für seine Bekehrung zur revolutionären Bewegung entscheidend gewesen sei.

Man sollte das wirklich mal lesen. Weltweit waren die Revolutionäre begeistert, ganz unabhängig von ihrer theoretischen Observanz, z.B. auch Emma Goldman in den USA.

Herzliche Grüße,
Kallias

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

15.08.2010 20:05
#16 RE: Verschiß Antworten

Zitat von O. Figes, Tragödie, S. 144f.
Lenin, dessen asketische Lebensweise eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Rachmetjews hatte, las den Roman fünfmal in einem Sommer.


Und danach schrieb er sein eigenes Was tun?, bewusst mit dem gleichen Titel.

--
La función didáctica del historiador está en enseñarle a toda época que el mundo no comenzó con ello. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

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