Fast immer hatte die Bundesrepublik mit ihren Kanzlern Glück. Nur einmal nicht.
Wobei freilich die Einschränkung zu machen ist, daß die innerparteiliche Alternative zum Kandidaten Schröder im Jahr 1998 Oskar Lafontaine gewesen war.
Schröder wurde Kanzler, ohne bundespolitisch jemals etwas geleistet zu haben; auch das unterscheidet ihn von allen anderen Kanzlern seit Adenauer. Sie waren Bundesminister gewesen (Erhard, Schmidt, Merkel), hatten sich als führende Parlamentarier im Bundestag profiliert (Kiesinger, Schmidt, Kohl) und/oder waren Bundesvorsitzende ihrer Partei, als sie Kanzler wurden (Brandt, Kohl).
Schröder hatte ein Gastspiel im Bundestag hinter sich, bei dem er nicht aufgefallen war, und war danach Ministerpräsident Niedersachsens gewesen. Als Provinzler wurde er Kanzler.
Lieber Zettel, Sie haben mit Ihrer Beurteilung natürlich weitgehend recht. Dennoch finde ich sie z.T. unfair.
Zitat Wirtschaftlich wurde Deutschland während seiner Amtszeit vom Motor Europas zu einem der Problemstaaten
Der Abstieg begann schon früher, nämlich in den späten Kohl-Jahren. (Durch eine Mischung von Kohl'schem "Aussitzen" und Lafontaine'scher Totalblockade). Mag schon sein, dass "Hartz" gegen die eigene Partei durchgesetzt wurde. Aber sie wurde eben durchgesetzt. Und Deutschland profitiert seit Jahren ganz gewaltig davon. Der Anstieg an Beschäftigung in den letzten 6 Jahren ist phänomenal - auch gerade im Vergleich zur Performance der deutschen Wirtschaft in früheren Rezessions-Phasen. Dass Schröder diese Reformen durchgesetzt hat, obwohl er damit in Partei und Volk höchst unpopulär wurde, ist sein bleibendes Vermächtnis, das man ihm hoch anrechnen sollte.
Wirtschafts- und innenpolitisch hat Schröder m.E. vieles richtig gemacht. Außenpolitisch hat er hingegen total versagt.
(Lustigerweise sieht die Mehrheit der Deutschen Schröder wahrscheinlich genau umgekehrt: innen- und sozialpolitisch "kaltherzig" dafür ein außenpolitischer Held. Na ja...)
Zitat Schröder hatte ein Gastspiel im Bundestag hinter sich, bei dem er nicht aufgefallen war, und war danach Ministerpräsident Niedersachsens gewesen. Als Provinzler wurde er Kanzler.
Das ist zwar richtig, spricht aber nicht gegen Schröder. In den USA versucht sich jeder Politiker so weit es geht als "Nicht-Washingtoner" zu gerieren, da Washington beim normalen Wähler eher negativ besetzt ist. Schröder war Ministerpräsident des zweitgrößten deutschen Flächenlandes - das muss als Qualifikation reichen. Angela Merkel hatte da als ehemalige Umweltministerin vergleichsweise deutlich weniger Exekutiverfahrung. Übrigens war auch Kiesinger vor seiner Kanzlerschaft "nur" Ministerpräsident, somit kein Bonner Politiker und hatte nicht einmal ein Bundestagsmandat.
Es ist m.E. auch ein schöner positiver Nebeneffekt des Föderalismus, dass in den Ländern er eine breite "zweite Führungsebene" erzeugt, die dort bewähren kann und die dann ggf. ebenfalls das Zeug für wichtige nationale Regierungsaufgaben hat. England hat so etwas z.B. nicht. Ein neugewählter Premier hatte i.d.R. vorher noch kein Ministeramt inne (v.a. dann, wenn die eigene Partei zuvor schon länger in der Opposition war). Auch dass z.B. in Frankreich imme wieder auf Pariser Bürgermeister (dessen politischer Gestaltungsspielraum und somit auch dessen politische Erfahrung deutlich geringer ist als die eines gestandenen deutschen Ministerpräsidenten) als Präsidenten-Kandidaten zurückgegriffen werden muss, ist m.E. eine dem Zentralismus geschuldete Notlösung.
Ich seh´s ähnlich, Hartz-IV war ein grosser Schritt in die richtige Richtung, ohne H4 wäre die Arbeitslosigkeit heute mit Sicherheit höher und der Staat näher am Bankrott. Natürlich wars unzureichend, natürlich verbesserungsfähig, dennoch für eine rot-grüne Regierung ein grosser Wurf. Ich kenne mehrere Personen, die jahrelang zufrieden von der Arbeitslosenhilfe gelebt haben und erst als H4 drohte "den Arsch hochgekriegt" haben.
Ich stimme Zettel aber in einem zu. Die nächste rotgrüne Bundesregierung, bei den sich zuspitzenden Problemen und der weit nach links rückenden SPD wird ein Desaster wie es die Deutschen seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr erlebt haben.
Zitat von FlorianDer Abstieg begann schon früher, nämlich in den späten Kohl-Jahren. (Durch eine Mischung von Kohl'schem "Aussitzen" und Lafontaine'scher Totalblockade).
Das stimmt; wobei es damals in der CDU starke Bestrebungen gab, sich den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen. Man hatte das Vorbild Hollands, Neuseelands im Blick. Lafontaine hat das verhindert und mit dieser Taktik aus seiner Sicht Erfolg gehabt; denn immer mehr Wähler hatten den Eindruck, daß es so nicht weitergehen konnte. Ich habe damals, 1998, ernsthaft erwogen, die SPD zu wählen, nur damit es nicht mit Kohl so weitergehen würde.
Zum Glück habe ich es nicht getan. Denn Schröders "Neue Mitte" war ja eine Mogelpackung gewesen. Ähnlich wie jetzt Obama hatte er eine Modernisierung versprochen und versuchte dann, einmal gewählt, einen Linksruck. Sicher auch unter dem Einfluß starker linker Kräfte in seiner Partei und bei den Grünen, aber Schröder hatte diesen Kurs zu verantworten.
Zitat von FlorianDass Schröder diese Reformen durchgesetzt hat, obwohl er damit in Partei und Volk höchst unpopulär wurde, ist sein bleibendes Vermächtnis, das man ihm hoch anrechnen sollte.
Ich kann das nicht so sehen, lieber Florain; auch wenn ich es immer wieder lese.
Dieser Kurs entsprach doch überhaupt nicht seiner Überzeugung, sonst hätte er ihn 1998 eingeleitet. Damals hat er stattdessen den Wirtschaftsminister-Kandidaten Jost Stollmann fallenlassen, der für die "Neue Mitte" stehen sollte, und einen von Riester geprägten wirtschaftlichen Linkskurs eingeschlagen, einschließlich der Rücknahme des Wenigen an Reformen, das Kohl doch noch hinbekommen hatte.
Die Agenda 2010 war eine Verzweiflungstat, weil Deutschland unter diesem wirtschaftlichen Linkskurs im Begriff war, so an die Wand zu fahren wie Frankreich unter dem Linkskurs Mitterands Anfang der achtziger Jahre. Auch damals hat Mitterand das Ruder herumgerissen. So wenig aus Überzeugung wie Schröder; der eine ein Opportunist wie der andere.
Daß die Partei und die Gewerkschaften so reagieren würden, wie sie es taten; daß die WASG entstehen und der SPD das Leben schwer machen würde, hat Schröder aus meiner Sicht nicht erwartet. Er hatte sich immer mit seiner Überrumpelungstaktik durchgesetzt (schon als er niedersächsischer Ministerpräsident wurde); und er rechnete damit, daß es diesmal auch gelingen würde.
Zitat von Florian
Zitat Schröder hatte ein Gastspiel im Bundestag hinter sich, bei dem er nicht aufgefallen war, und war danach Ministerpräsident Niedersachsens gewesen. Als Provinzler wurde er Kanzler.
Das ist zwar richtig, spricht aber nicht gegen Schröder. In den USA versucht sich jeder Politiker so weit es geht als "Nicht-Washingtoner" zu gerieren, da Washington beim normalen Wähler eher negativ besetzt ist. Schröder war Ministerpräsident des zweitgrößten deutschen Flächenlandes - das muss als Qualifikation reichen.
In den USA gibt es beides. Man sagt, es wechseln meist ein Gouverneur und ein Senator im Amt des Präsidenten ab.
Es ging mir eigentlich auch weniger um die formale Qualifikation als darum, daß die anderen Kanzler auch deshalb herausragend waren, weil sie sich auf der Bonner bzw. Berliner Bühne bewährt hatten.
Bis zu den Wahlen in Niedersachsen im Frühjahr 1998 war offen gewesen, ob Lafontaine, immerhin der Vorsitzende, oder Schröder Kanzlerkandidat werden würde. Für Schröder sprach eigentlich nichts; bei der sogenannten Urwahl in der SPD hatte er gegen Scharping und Wieczorek-Zeul ja verloren.
Aber in Niedersachsen hatte er triumphal gesiegt. Das war es, was damals in der SPD allein zählte, die unbedingt wieder an die Macht wollte. Nach der Wahl rief - alles nach meiner Erinnerung, ich habe jetzt nicht nachgesehen - Lafontaine bei Schröder an und sagte einen Satz: "Glückwunsch, Kanzlerkandidat".
Zitat von FlorianÜbrigens war auch Kiesinger vor seiner Kanzlerschaft "nur" Ministerpräsident, somit kein Bonner Politiker und hatte nicht einmal ein Bundestagsmandat.
Das ist ein Irrtum. Er war fast zehn Jahre lang Mitglied des Bundestags gewesen, bevor er 1958 ins Amt des Ministerpräsidenten von BW wechselte, darunter eine Legislaturperiode lang Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Deshalb habe ich ihn einen führende Parlamentarier auf Bundesebene genannt.
Zitat Zitat von Florian -------------------------------------------------------------------------------- Übrigens war auch Kiesinger vor seiner Kanzlerschaft "nur" Ministerpräsident, somit kein Bonner Politiker und hatte nicht einmal ein Bundestagsmandat. --------------------------------------------------------------------------------
Das ist ein Irrtum. Er war fast zehn Jahre lang Mitglied des Bundestags gewesen, bevor er 1958 ins Amt des Ministerpräsidenten von BW wechselte, darunter eine Legislaturperiode lang Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
Ok, wusste ich nicht. Mir ging es in meinem Beitrag nur um folgendes: Erfahrung kann man als Politiker in verschiedenen Felder erreichen. Außerpolitisch (z.B. Unternehmer oder Manager), innerparteilich (als Parteichef), in der Exekutive (z.B. als Bundesminister oder als Ministerpräsident), parlamentarisch (als Abgeordneter, Fraktions-Chef, etc.).
Die klarste Qualifikation für das Amt des Bundeskanzlers (also des Leiters der Bundes-Exekutive) beweist man m.E. aber mit einem Amt in der Exekutive - vorzugsweise als Leiter einer Landes-Exekutive. Ob Kiesinger nun einen BT-Ausschuss leitete oder nicht, verblasst m.E. vor seiner Erfahrung als BW-Ministerpräsident. Und auch einem langjährigen Niedersachsen-MP würde ich die Befähigung zugestehen, Bundeskanzler zu werden. Ob er dann politisch kluge Entscheidungen trifft ist eine andere Frage. Aber er ist zumindest mit den Abläufen und dem Prozedere vertraut. Und das ist schon einmal sehr wichtig. Dass Quereinsteiger wie Stollmann oder Kirchhoff in der Politik oft scheitern liegt auch daran, dass sie die Geschäftspraktiken zuwenig durchschauen. Und jemand, der noch nie ein Ministerium oder gar eine Staatskanzlei von Innen gesehen hat, ist da einfach benachteiligt).
Zitat von FlorianDer Abstieg begann schon früher, nämlich in den späten Kohl-Jahren. (Durch eine Mischung von Kohl'schem "Aussitzen" und Lafontaine'scher Totalblockade).
Das halte ich für einen Mythos. Es ist ja ohnehin schwer, einen Abstieg zeitlich genau zu fixieren. Das ist ein langer Prozeß (selbst der Anfang eines Abstiegs), und die Ursachen liegen zeitlich meist deutlich früher.
Mein Eindruck ist folgender: Die wesentlichen Fehlsteuerungen finden wir in den 70er Jahren (Erhöhung der Staatsquote, höhere Reglementierung, Bildungsdeform, Wuchern der Staatsverschuldung und der Sozialversicherungen). In der ersten Zeit Kohl (bis 1990) wurden die Haushaltsprobleme recht erfolgreich bekämpft, die Strukturprobleme auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialversicherungen dagegen kaum angefaßt, die zunehmenden Probleme im Bildungsbereich und bei der Ausländerintegration ignoriert. Allerdings war dies ein Versagen der kompletten Politik, keine Partei hat ernsthaft Reformen gefordert. Nach 1990 mußte erst einmal die Einheit verdaut werden, da war einfach keine Gelegenheit für größere Systemänderungen. Die kamen dann aber ab 1994. Eine negative (Einführung der Pflegeversicherung), aber eine überraschende Menge an wichtigen Neuerungen: Flexibilisierungen im Arbeitsrecht, Ausweitung der Minijobs, Rentenreform, Eigenbeteiligungen in der KV, ... Nicht umsonst war rot/grün nach 1998 monatelang nur damit beschäftigt, schwarz-gelbe Reformen zurückzudrehen!
Wenn heute im Gedächtnis nur noch der Stagnationseindruck geblieben ist, dann liegt das alleine an einer (natürlich wichtigen) Maßnahme, die Lafo blockiert hat: Der Steuerreform. Ansonsten war aber schon viel passiert. Und einen Teil der zurückgenommenen Reformen mußte rot/grün ja bald darauf wieder einführen, eben weil es sachlich nötig war.
Den Einfluß von Hartz IV dagegen halte ich für marginal. Trotz der gewaltigen Umbau-Arbeiten in der Bürokratie hat sich ja für die Betroffenen unterm Strich so viel nicht geändert. Wie schon immer hängt es auch heute alleine vom jeweiligen Sachbearbeiter ab, ob auf "Arbeitsunwillige" Druck gemacht wird - die Instrumente dafür gab es schon lange vor der "Agenda".
Wenn Deutschland heute wirtschaftlich wieder halbwegs solide dasteht, dann hat das mit Politik fast nichts zu tun - weder mit der von Schröder noch mit der von Merkel. Sondern das ist m. E. fast ausschließlich Eigenleistung der Wirtschaft. Die hat halt rechtzeitig die nötigen Maßnahmen durchgeführt. Die da, wo das mit Personalabbau, Firmenumbau oder Kapitalmaßnahmen zusammenhing, von der Politik immer lautstark kritisiert wurde. Und auch der Arbeitsmarkt hat sich eben geändert, mit der Entstehung eines größeren Niedriglohnsektors, der Arbeitslosen als Einstieg in das Berufsleben dient. Das hat zur drastischen Senkung der Arbeitslosigkeit geführt - fast ohne Einwirkung von Hartz IV.
Zitat Dass Schröder diese Reformen durchgesetzt hat, obwohl er damit in Partei und Volk höchst unpopulär wurde ...
Als er die Agenda erfunden hat (wie üblich ohne Vorplanung, ad hoc als Reaktion auf Umfragewerte), da hat er ja nicht gewußt, daß er damit unpopulär würde. Sondern wohl eher erwartet, daß er als großer Macher und mutiger Reformer wieder aus dem Tief kommt. Ich glaube nicht, daß er hier wirklich der Sache dienen wollte - dazu waren seine Pläne viel zu konfus. Er wollte irgendetwas Größeres machen. Was genau, war ihm nebensächlich.
Zitat Es ist m.E. auch ein schöner positiver Nebeneffekt des Föderalismus, dass in den Ländern er eine breite "zweite Führungsebene" erzeugt, die dort bewähren kann und die dann ggf. ebenfalls das Zeug für wichtige nationale Regierungsaufgaben hat.
Richtig. Ich sehe es auch nicht als Manko, daß Schröder "nur" MP war. Aber schon 1998 fand ich bemerkenswert, daß er als MP so deutlich gescheitert war - und daß das die Medien in ihrem Hype so gar nicht interessiert hat. Er war ein grottenschlechter MP, und hat das im Kanzleramt 1:1 weitergeführt.
Ok, lieber R.A., Sie haben natürlich recht. Sie haben die Geschichte deutscher Wirtschaftspolitik jetzt auch wesentlich genauer herausgearbeitet als ich mit meinem kurzen Einzeiler (und wie immer habe ich wieder viele neue Details gelernt).
Sie haben übrigens auch recht, dass "Hartz4" eigentlich gar nichts so großartig geändert hat (sage ich jetzt als Arbeitgeber. Kann ich aber auch nicht bei den Betroffenen erkennen, deren Sozialabsicherung sich m.E. nicht so gravierend verschlechtert hat wie in den Medien immer koplortiert wird).
Es ist eigentlich auch mein Bild der Wirtschaftspolitik in den letzten 20 Jahren: mal gab es einige Erleichterungen, dann aber auch wieder zusätzliche Hemmnisse. Insgesamt dürfte sich die Belastung der Wirtschaft in den letzten 20 Jahren per Saldo nicht so dramatisch geändert haben. Wenn es aber in der Politik keine wirklich grundlegende Änderung gibt, dann ist mir um so unverständlicher, warum das Ergebnis so stark anders ist. Warum ist die Arbeitslosenquote von 2005 bis 2008 so dramatisch gesunken wie nie (!!) zuvor in der bundesdeutschen Geschichte? Warum ist die Arbeitslosenquote auch in den absoluten Rezessionsjahren 2008-2010 immer noch leicht gesunken, während sie in der restlichen Welt dramatisch gestiegen ist? (Man vergleiche dies mit der früheren deutschen Wirtschaftsgeschichte der 70er bis 90er Jahre: Im Aufschwung nur ein sehr zäher Rückgang der Arbeitslosigkeit, schon bei einem leichten Abschwung aber eine gewaltige Zunahme mit ausgeprägter Hysterese).
Ihr Erklärungsversuch mit der leistungsfähigeren deutschen Wirtschaft überzeugt mich hingegen nicht so recht. Auch in den 70ern bis 90ern wurde die Wirtschaft kompetent gemanagt. Ich sehe hier keine gravierenden Unterschiede.
Woran liegts also? Etwa am Euro? (Weil die relativen deutschen Produktivitätsgewinne anders als früher nicht mehr durch DM-Aufwertung neutralisiert werden können und dadurch zwangsläufig zu gewaltigen Wettbewerbsvorteilen im Weltmarkt werden). Da mir keine andere Erklärung einfällt, muss das wohl die Lösung sein, oder?
Zitat von FlorianWenn es aber in der Politik keine wirklich grundlegende Änderung gibt, dann ist mir um so unverständlicher, warum das Ergebnis so stark anders ist.
Da habe ich mich natürlich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Natürlich hat die Politik große Einwirkung auf die Wirtschaft, manchmal sogar positiv. Für vergleichsweise unwichtig halte ich die diskutierten Themen Hartz IV und den Konjunkturpfusch der GroKo.
Es gab aber eine Reihe kleinerer Änderungen im Arbeitsrechte (unter Kohl und unter Schröder), die addiert einige Millionen Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich möglich gemacht haben.
Vergessen hatte ich in meiner Reform-Liste einen der ganz großen Erfolge der alten schwarz-gelben Koalition, nämlich 1996 die Liberalisierung des Telekommunikationsbereichs - mit enormen Folgewirkungen, weil das natürlich zum Boom im Mobilfunk- und Internetbereich beigetragen hat.
Und die Bilanz der europäischen Einigung incl. Euro-Einführung halte ich bisher im wirtschaftlichen Bereich für sehr positiv, auch wenn wir uns so oft über Brüsseler Unsinn ärgern müssen.
Zitat Warum ist die Arbeitslosenquote von 2005 bis 2008 so dramatisch gesunken wie nie (!!) zuvor in der bundesdeutschen Geschichte? Warum ist die Arbeitslosenquote auch in den absoluten Rezessionsjahren 2008-2010 immer noch leicht gesunken, während sie in der restlichen Welt dramatisch gestiegen ist?
Darauf kann ich keine echte Antwort geben. Sollte ich meine Dissertation doch noch mal in Angriff nehmen, wäre das ein spannendes Thema (eigentlich sollte es über Wirtschaftsgeschichte einige Jahrhunderte früher gehen) ...
Das Problem ist halt, daß eine Reihe verschiedene Entwicklungen parallel gehen, und die Folgen oft erst Jahre hinterher sichtbar werden und sich gegenseitig überlagern. Richtig ist auf jeden Fall, daß die durchschnittliche Qualität des deutschen Managements sich nicht wesentlich verändert - es sind so viele Akteure beteiligt, daß sich das Verhältnis von Nieten und Könnern im Schnitt nicht ändert. Das ist der große Unterschied zur Politik.
Zu solchen Entwicklungen gehört auf jeden Fall die Euro-Einführung, die der deutschen Wirtschaft sehr genutzt hat.
Dann haben wir den Verlauf der Wiedervereinigung: Erst der kurze Boom, dann der Zusammenbruch der alten Ostwirtschaft, überlagert von enormen Aufbauarbeiten. Zeitgleich Entwicklung vieler kleiner neuer Wirtschaftsinitiativen. Die inzwischen ganz gut gewachsen sind: Der staatlich induzierte Wiederaufbau ist inzwischen vorbei, bei den davon abhängigen Branchen im Osten ist Katzenjammer. Aber wo es mit neuen Firmen dort läuft, läuft es ziemlich gut.
Ähnlich, zeitlich verzögert, die Entwicklung im übrigen Ostblock. Da war erst jahrelang Chaos und marode Strukturen. Dann kam die Annäherung an Europa und der massive Ausbau der Infrastruktur. Dann haben deutsche Firmen massiv dort investiert (sich auch viele blutige Nasen geholt) und auch sehr viele Arbeitsplätze exportiert - das hat tiefe Schleifspuren in der deutschen Statistik gegeben. Inzwischen aber sind das gut laufende Wertschöpfungsketten. Mit Fertigung im Ostblock, Zentrale und Entwicklung in Deutschland, Vertrieb in der ganzen Welt - und Arbeitsplatzzuwächsen gerade auch in Deutschland. Und zusätzlich können sich die Ostblockländer auch ordentliche Einkäufe in Deutschland leisten.
Das alles überlagert sich mit Effekten, die mit der Entwicklung in Deutschland überhaupt nichts zu tun haben. Ob unsere Autoindustrie brummt oder schwächelt liegt fast nur an der Konsumkonjunktur in irgendwelchen Ländern sonstwo auf der Welt. Die kümmern sich dabei überhaupt nicht um deutsche Wahlergebnisse ;-)
Und dann gibt es auch Entwicklungen, da schneiden manche Länder mal besser, mal schlechter ab, in Relation zu ihren speziellen Stärken. Als die Finanzindustrie boomte, waren die Angelsachsen oben auf, Cool Britannia hat floriert - während die Deutschen in dieser Branche immer nur Kreisliga sind. Derzeit ist wieder die Investitionsgüterindustrie ganz obenauf, klassischer Vorteil für uns, schlecht für die Amis.
Für die Politik kann das eigentlich nur heißen: Bescheiden bleiben, sich selber nicht so wichtig nehmen. Für ordentliche Bildung, Infrastruktur und Stabilität sorgen. Und ansonsten die Staatsquote runterfahren.
Zitat von R.A.Für die Politik kann das eigentlich nur heißen: Bescheiden bleiben, sich selber nicht so wichtig nehmen. Für ordentliche Bildung, Infrastruktur und Stabilität sorgen. Und ansonsten die Staatsquote runterfahren.
Das ist das beste Regierungsprogramm, dass ich jemals gelesen habe. Diese Partei wähle ich sofort.
Zitat Sollte ich meine Dissertation doch noch mal in Angriff nehmen, wäre das ein spannendes Thema (eigentlich sollte es über Wirtschaftsgeschichte einige Jahrhunderte früher gehen) ...
Ich hatte eigentlich vorgehabt, in dieser Richtung meine Diplomarbeit zu schreiben. (VWL + Geschichte: Sozusagen die perfekte Mischung aus meinem Studium und meinem Lieblings-Steckenpferd). Ist dann letzten Endes daran gescheitert, dass ich an meiner Uni keinen Geschichts-Professor gefunden habe, der sich ausreichend für Wirtschaft beigeistert hat und keinen VWL-Professor, der sich ausreichend für Geschichte interessiert hat.
Am Ende war es dann irgend so ein langweiliges Wirtschafts-Thema. (Die 5 Firmen, um deren Strategie es ging, sind mittlerweile - nach 12 Jahren - allesamt insolvent. Die Diplomarbeit hat also auch nur noch - recht geringe - historische Bedeutung....)
Egal: Falls Sie Ihre Doktor-Arbeit doch noch schreiben sollten, teilen Sie das bitte in diesem Forum mit - mich würde die Arbeit interessieren.
RexCramer
(
gelöscht
)
Beiträge:
28.10.2010 20:37
#11 RE: Zitat des Tages: "Auf russischen Gehaltslisten"
Zitat von FlorianWarum ist die Arbeitslosenquote von 2005 bis 2008 so dramatisch gesunken wie nie (!!) zuvor in der bundesdeutschen Geschichte? Warum ist die Arbeitslosenquote auch in den absoluten Rezessionsjahren 2008-2010 immer noch leicht gesunken, während sie in der restlichen Welt dramatisch gestiegen ist?
am besten ist es, die offizielle Arbeitslosenquote einfach zu ignorieren. Das ist nur noch lächerlich, was man da von der Regierung aufgetischt bekommt, gelinde gesagt.
Gucken wir uns die Änderungen 2009 an:
Zitat Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland wird dieses Jahr dank einer statistischen Änderung um mindestens 190.000 geringer ausfallen als nach der bisherigen Berechnung. Das geht aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor, die unserer Redaktion vorliegt.
Zitat Seit Anfang Januar gelten Arbeitslose, die nicht mehr von der örtlichen Arbeitsagentur, sondern von privaten Vermittlern und Trägern betreut werden, nicht mehr als arbeitslos.
2010 beträgt diese Zahl schon weit über 200.000. Dazu kommen noch 80.000 Alte, die nicht mehr mitgezählt werden, wenn ihnen innerhalb von 12 Monaten kein Angebot zugegangen ist, die im Artikel nicht erwähnt werden.
Wie Fachleute diese Änderung sehen:
Zitat Arbeitsmarktexperten seien dagegen äußerst skeptisch. Dies sei keine saubere Erfassung der Arbeitslosenzahlen, schreibt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in seiner Stellungnahme für eine Bundestagsanhörung. Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) sei dagegen. Der Vizedirektor des IAB, Ulrich Walwei, warnte vor der neuen Zählweise. „Das sehen wir mehr als kritisch. Es ist inkonsequent, wenn der Arbeitslose mitgezählt wird, der von der BA vermittelt wird, und der andere nicht“, sagte er der Zeitung.
Es wurde also davor gewarnt, aber inzwischen ist die neue Regelung Realität. Wen kümmert schon eine saubere Statistik, wenn es darum geht, die Wähler zu täuschen? Ob das auch zur "tollen Arbeit" von Merkels Regierung gehört, die Zettel immer so betont?
Was für "schöne" Änderungen gab es 2008? Auch hier war die Regierung nicht untätig:
Zitat Nach dem Willen der großen Koalition sollen mindestens 58 Jahre alte Erwerbslose künftig nicht mehr als arbeitslos gelten, falls ihnen innerhalb von zwölf Monaten nach Beginn des Leistungsbezugs keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten wurde. Auf diese Weise würde die Arbeitslosigkeit Älterer künstlich reduziert und die Nürnberger Statistik geschönt, warnen die Fachleute, die an diesem Montag vor dem Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestages zur geplanten Änderung des Sozialgesetzbuchs (SGB) III Stellung nehmen sollen. Der Bundesagentur für Arbeit (BA) stünde damit ein neuer Statistikskandal ins Haus.
Zitat Mit der neuen Definition der Arbeitslosigkeit entferne sich Deutschland noch weiter von den international üblichen Kriterien, warnt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seiner Stellungnahme. Nicht mehr allein die Arbeitssuche und die Verfügbarkeit des Betroffenen wären für dessen Status als Arbeitsloser entscheidend, „sondern zusätzlich das Vorhandensein eines Stellenangebotes, also ein arbeitsnachfrageseitiger Faktor“. Auch die BA rügt, dass letztlich „das Fehlen von Arbeitsplätzen zum Kriterium des Ausschlusses aus der Zählung als Arbeitslose“ werde. Dies setze die Behörde „dem nicht zumutbaren Risiko eines Vorwurfs der Manipulation von Arbeitslosenzahlen aus“.
Es muß wahrscheinlich nicht erwähnt werden, daß sich auch hier die Regierung nicht aufhalten ließ.
Man beachte auch folgende Kommentare zu diesem Artikel:
Zitat Korrekte Statistik? Auf beiden Seiten der Bilanz werden sehr fragwürdige Bewertungsregeln genutzt, sowohl bei der Zahl der Arbeitnehmer als auch bei der Zahl der Erwerbslosen: Teilzeitkräfte werden voll als Arbeitnehmer gewertet – warum werden sie nicht nur zu 50, 60, 70 % gewertet, wenn sie nur zu 50, 60, 70 % arbeiten? 400-Euro-Kräfte werden voll gezählt, obwohl sie weniger als ein Drittel des Netto-Durchschnittslohnes von 1400 Euro erhalten und mit ca. 15 Stunden/Woche nur etwa 40 % der normalen Arbeitszeit haben. Die Zahl der Teilzeitkräfte hat sich bei annähernd gleicher Gesamtbeschäftigung in den letzten 10 Jahren von etwa 6 auf über 11 Millionen fast verdoppelt. Bei korrekterer Bewertung würden einigen Menschen die Augen übergehen. Voll gezählt werden auch die 1 Million Arbeitnehmer, deren Gehalt mit ALGII aufgestockt wird. (Etwa 340000 in Vollzeit). Als ob es sich dabei um einen vollwertigen statt einem minderwertigen und damit minderwertbaren Arbeitslatz handeln würde, wenn das Gehalt nicht zum Leben reicht. Etliche Berufseinsteiger müssen mit 30 % weniger Lohn zufrieden sein, als sie vor 5 Jahren noch bekommen hätten. Warum werden diese qualitativen Änderungen nicht in der Statistik dargestellt?
Zitat Korrekte Statistik? II Kranke Arbeitslose werden nicht als arbeitslos gezählt, weil Sie nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Kranke Arbeitnehmer werden aber weiterhin voll als Arbeitnehmer gezählt... 1-Euro-Jobs werden mittlerweile auf bis zu drei Arbeitslose verteilt – alle drei verschwinden dann aus der Arbeitslosenstatistik. Im Gegenteil, sie werden sogar als Arbeitnehmer gezählt! Arbeitnehmer mit 50 Euro Gehalt pro Woche? Der Stichtag zu dem die Arbeitslosigkeit gemessen wird, wurde auf den 15. des Monats vorverlegt. Da Kündigungen nur zum 15. oder zum Monatsende erfolgen können, sind immer jeden Monat weniger Menschen erfasst, als tatsächlich im jeweiligen Monat (ab dem 16.) arbeitslos sind. Die Abwanderung von Arbeitslosen ins Ausland wird nicht herausgerechnet und statt sich dafür zu schämen sogar als Erfolg verkauft. Zwangsverrentung mit 58 – ab sofort für alle, die keine Arbeit haben?
Zitat Korrekte Statistik? III Seit 1993 ist die Zahl der 19-64-jährigen um 1,7 Millionen zurückgegangen. Diese Ursache des Rückgangs der Arbeitslosigkeit wird in der Statistik verschwiegen. Hunderttausende Menschen die vom Arbeitsamt in Fortbildungskurse gesteckt werden, werden nicht als Arbeitslose erfasst, obwohl sie keine Arbeit haben. Hunderttausende Menschen wurden im Zuge einer „Statistikbereinigung“ in Zusammenarbeit mit den Gemeinden einfach als arbeitsunfähig umetikettiert – ohne dass dieser Effekt offen in der Statistik ausgewiesen würde. Warum erhalten diese Personen weit überwiegend weiterhin Hilfen vom Gesamtstaat, anstatt von den Gemeinden, wie es eigentlich regelkonform wäre? 52% der Bürger befürchten, dass sich ihr Einkommen 2008 verringern könnte. Sind diese wirklich bloß zu blöd um den Aufschwung zu erkennen? Korrekte Bilanzen sehen anders aus. Wenn Unternehmen so ihre Bilanzen erstellen würden, wäre dies meiner Ansicht nach längst Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.
Und wie sah es nun vor diesen Fälschungen aus? Da gab es "natürlich" andere Lügen. Ein Überblick:
Zitat Rund 3,2 Millionen Personen, die derzeit Arbeitslosengeld beziehen, tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht auf. Dies hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Klaus Brandner, jetzt auf eine kleine Anfrage der FDP mitgeteilt.
Zitat „Wer aber nur die statistische Arbeitslosigkeit betrachtet, schönt die Bilanz und betrügt sich selbst. 2007 gab es offiziell 3,77 Millionen Arbeitslose, aber 6,34 Millionen Leistungsbezieher.“
Zitat Brandner schreibt in seiner Antwort, 2007 seien durchschnittlich 5,329 Millionen Personen als "erwerbsfähige Hilfesuchende" registriert gewesen. Davon seien aber 54 Prozent, gut 2,85 Millionen, nicht als arbeitslos geführt worden.
"Selbstverständlich" fehlt der Hinweis, daß die Ermittlung vor 20 Jahren noch ganz anders aussah. Aber was sind schon dreiste Lügen bei solchen "Erfolgen"?
Eine letzte Zahl, um die Geschichte abzurunden:
Zitat Der Deutsche Landkreistag hat heute die Daten zur Entwicklung der Hartz IV-Empfängerzahlen für den Monat Oktober veröffentlicht. Danach erhielten rd. 6,6 Mio. Menschen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Hartz IV).
Zitat Allerdings sind in Anbetracht von 6,6 Mio. Menschen im Leistungssystem des SGB II keine Anzeichen für eine Trendwende erkennbar.
Wie jetzt? Keine Trendwende, obwohl die Arbeitslosigkeit sinkt und sinkt? Tja, das ist nicht überraschend bei dieser "Ehrlichkeit" der Arbeitslosenzahlen ...
Es fällt hier aber etwas auf: 2007, wie in dem Artikel oben steht, waren es 6,34 Millionen Leistungsempfänger bei offiziell 3,77 Millionen Arbeitslosen, also eine Differenz von 2,57 Millionen Menschen. Heute sind es aber rund 6,6 und knapp unter 3 Millionen, also eine Differenz von 3,6 Millionen Menschen. Wir sehen also, daß sich die Lücke zwischen Leistungsbeziehern und offiziell Arbeitslosen um über 1 Million vergrößert hat in nur gut 3 Jahren. Das bedeutet im Klartext, daß es keinen Erfolg am Arbeitsmarkt gibt, denn da die Zahl der Leistungsbezieher gestiegen ist, wissen wir, daß die vielen Menschen, die in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auftauchen, entweder Billigjobs haben oder einfach nur nicht mehr gezählt werden (siehe die Hunderttausende, die in den letzten Jahren herausgerechnet wurden), ohne daß sich etwas für sie geändert hätte.
Das ist ebenfalls nachvollziehbar, wenn man in die Haushalte guckt, denn obwohl die Regierung diese "Erfolge" feiert, verbleiben die Ausgaben für Sozialleistungen auf sehr hohem Niveau.
Wenn man also wissen will, wie die Lage ist, dann guckt man sich besser die Zahl der Leistungsempfänger an. Doch haben wir eben festgestellt, wie es aussieht: "Allerdings sind ... keine Anzeichen für eine Trendwende erkennbar."
Aber wozu sich mit strukturellen Problemen befassen oder Reformen durchführen, auch wenn der Unfug noch so groß und offensichtlich ist, da wir doch bald offiziell Vollbeschäftigung haben? Und wenn ich mir die Hände vor die Augen halte, bin ich unsichtbar ...
Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, die Manipulationen alle zusammenzustellen. Absurd ist wirklich, dass alle kranken Arbeitslosen für die Dauer der Krankheit als »nicht arbeitslos« registriert werden. Wenn wir sehr konservativ von acht bis zehn Prozent Krankenstand ausgehen …
Nachdem es die Große Koalition nicht mehr gibt und die FDP jetzt selbst über die Statistik jubelt: welche Partei könnte eine Anfrage an die Bundesregierung stellen? Thema: wie hoch ist der Krankenstand bei Arbeitslosen? Die SPD wird es kaum machen, die Grünen interessiert es wohl nicht so brennend. Wäre doch mal eine Aufgabe für die LINKE ;-)
Zitat Korrekte Statistik? Auf beiden Seiten der Bilanz werden sehr fragwürdige Bewertungsregeln genutzt, sowohl bei der Zahl der Arbeitnehmer als auch bei der Zahl der Erwerbslosen: Teilzeitkräfte werden voll als Arbeitnehmer gewertet – warum werden sie nicht nur zu 50, 60, 70 % gewertet, wenn sie nur zu 50, 60, 70 % arbeiten? 400-Euro-Kräfte werden voll gezählt, obwohl sie weniger als ein Drittel des Netto-Durchschnittslohnes von 1400 Euro erhalten und mit ca. 15 Stunden/Woche nur etwa 40 % der normalen Arbeitszeit haben. Die Zahl der Teilzeitkräfte hat sich bei annähernd gleicher Gesamtbeschäftigung in den letzten 10 Jahren von etwa 6 auf über 11 Millionen fast verdoppelt. Bei korrekterer Bewertung würden einigen Menschen die Augen übergehen. Voll gezählt werden auch die 1 Million Arbeitnehmer, deren Gehalt mit ALGII aufgestockt wird. (Etwa 340000 in Vollzeit). Als ob es sich dabei um einen vollwertigen statt einem minderwertigen und damit minderwertbaren Arbeitslatz handeln würde, wenn das Gehalt nicht zum Leben reicht. Etliche Berufseinsteiger müssen mit 30 % weniger Lohn zufrieden sein, als sie vor 5 Jahren noch bekommen hätten. Warum werden diese qualitativen Änderungen nicht in der Statistik dargestellt?
Das fände ich dann doch seltsam; ein nicht unwesentlicher Anteil der Teilzeitbeschäftigten hat sich das ja wohl auch freiwillig ausgesucht. (Ich selbst zum Beispiel) Warum sollte man so jemanden als "halben Arbeitslosen" zählen?
Ist nicht die Zahl der Arbeitslosen entscheidend davon abhängig wieviele Leute "arbeitssuchend" sind? Das mag im ersten Moment tautologisch wirken, aber, wenn ich mich recht entsinne, wird doch nur derjenige in der Arbeitslosenstatistik geführt, der auch "arbeitssuchend" ist. Jemand der es also schon längst aufgegeben hat, es sich in Hartz4 bequemgemacht hat (abgesichert durch: Arbeitsunfähigkeitsatteste z.B.), frühverrentet wurde oder zwar vielleicht gerne arbeiten würde, aber keine Arbeit findet und deshalb vom Arbeitseinkommen des Partners mitlebt (Stichwort: Familieneinkommen!), taucht auch in der Arbeitslosenstatistik garnicht mehr auf. Zumindest in der Berechnungsmethode der ILO wird dies so gehandhabt.
Deshalb wohl auch der große Unterschied zwischen Arbeitslosen und Leuten die von staatlicher Unterstützung leben.
das ist ja größtenteils richtig, was Sie da zu den Statistik-Lügen schreiben. Nur ist das kein ganz neues Phänomen, schon früher gab es erstaunlich viele Methoden, Arbeitslose aus der Statistik zu nehmen. Es ist nicht so, daß die positive Veränderung gegenüber früher alleine mit Tricks erreicht wurde - es haben auch viele Arbeitslose Arbeit gefunden. Einige davon nur Teilzeit - aber viele von denen haben ja auch nur das gesucht. Wer einen Teilzeitjob sucht, wird ja auch als "voller" Arbeitsloser gezählt. Und einige bekommen noch Aufstockungs-Gelder. Das sehe ich aber nicht als Problem, sondern als Fortschritt. Lieber einen Job mit wenig Geld und etwas Staatsbeihilfe, als gar nichts arbeiten.
Mal abgesehen davon, daß der Lebensstandard eines Niedriglöhners dem entspricht, was früher der Normalfall war. Wie eben früher wenig qualifiziert und schlecht bezahlte Arbeit überhaupt viel weiter verbreitet war. Wenn da heute aufgestockt wird, ist das halt ein Ausbau des Sozialstaats, kein Problem der Arbeitslosenstatistik.
Generell ist es schwer, Arbeitslosigkeit wirklich zuverlässig zu messen. Weil Millionen von Menschen (vor allem Hausfrauen) zwar bereit wären zu arbeiten, wenn das Angebot attraktiv ist - aber nicht "arbeitslos" in dem Sinn sind, daß unglücklich und in Armut verkommen, wenn gerade kein Job ihren Vorstellungen entspricht.
Die amtlichen Zahlen sind nach beiden Richtungen verzerrt: Da gibt es Leute, die suchen verzweifelt Arbeit, werden aber mit Tricks aus der Statistik genommen. Und andere Leute, die wollen nicht wirklich arbeiten, aber beziehen halt Leistungen und werden daher mitgezählt.
Unterm Strich hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren deutlich verbessert, auch wenn die Statistik damals wie heute nicht stimmt. Aber diese Verbesserung ist kein Verdienst der Bundesregierung und sie ist noch weit weg von dem, was ein freier Arbeitsmarkt bringen könnte.
Der dramatische Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist ganz überwiegend KEIN statistisches Konstrukt sondern einfach die Realität.
Was Sie stört, sind v.a. statistische Verschiebungen zwischen der Gruppe der (offiziell) Arbeitslosen und der Gruppe der Erwerbslosen, die nicht als Arbeitslose gerechnet werden. Die statistischen Verfälschungen, die sich hier ergeben können, kann man aber vermeiden, wenn man stattdessen die Zahl der Erwerbstätigen betrachtet. Und diese Zahl erreicht derzeit in Deutschland historische Höchststände. Noch nie zuvor waren so viele Menschen in Deutschland beschäftigt wie zur Zeit. Ich finde dies sehr bemerkenswert. Und auch erklärungsbedürftig - gerade angesichts der gegenläufigen Entwicklungen im sonstigen Europa und in den USA. Irgendetwas läuft in Deutschland auf jeden Fall richtig - und das ist nicht nur ein statistisches Konstrukt.
(Wie gesagt: ich habe hier auch einen möglichen Erklärungsansatz. Nämlich die genannten Folgewirkungen des Euro).
Zitat von Florian Der dramatische Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist ganz überwiegend KEIN statistisches Konstrukt sondern einfach die Realität. Was Sie stört, sind v.a. statistische Verschiebungen zwischen der Gruppe der (offiziell) Arbeitslosen und der Gruppe der Erwerbslosen, die nicht als Arbeitslose gerechnet werden. Die statistischen Verfälschungen, die sich hier ergeben können, kann man aber vermeiden, wenn man stattdessen die Zahl der Erwerbstätigen betrachtet. Und diese Zahl erreicht derzeit in Deutschland historische Höchststände. Noch nie zuvor waren so viele Menschen in Deutschland beschäftigt wie zur Zeit. Ich finde dies sehr bemerkenswert.
Sicher, aber wie viele von denen sind "unterbeschäftigt"? Man darf ja zum ALG II bis zu 100 Euro im Monat dazuverdienen, ohne dass einem Leistungen gekürzt werden, aber alles, was darüber hinausgeht, wird einem zu mindestens 80% (!) angerechnet. Bei 80% Grenzsteuersatz überrascht es nicht, dass viele Leistungsempfänger eben gerade für 100 Euro im Monat arbeiten, und diese tauchen dann, soweit ich weiss, als "erwerbstätig" in der Statistik auf.
RexCramer
(
gelöscht
)
Beiträge:
04.11.2010 00:58
#18 RE: Zitat des Tages: "Auf russischen Gehaltslisten"
Zitat von PirxDas fände ich dann doch seltsam; ein nicht unwesentlicher Anteil der Teilzeitbeschäftigten hat sich das ja wohl auch freiwillig ausgesucht. (Ich selbst zum Beispiel) Warum sollte man so jemanden als "halben Arbeitslosen" zählen?
zum Glück ist das ja ursprünglich nicht mein Kommentar gewesen, auf den Sie sich beziehen.
In dem Fall wäre es natürlich richtig, denjenigen nicht als arbeitslos zu zählen, wenn er so zufrieden ist. Aber wie will man das feststellen? Solche Probleme, daß nicht jeder richtig eingeordnet wird, ergeben sich zwangsläufig bei einer formalen Definition der Arbeitslosigkeit. Statistisch erfassen kann man, was jemand macht. Um herauszufinden, ob jemand in seinem absoluten Traumberuf glücklich oder doch nur total unzufrieden ist, müßte man jeden fragen. Wenn man das täte, ließe sich ermitteln, ob jemand freiwillig in Teilzeit arbeitet oder nur nichts anderes bekommt und auf der Suche ist. Wenn wir allerdings bei der Definition von der Zufriedenheit eines jeden Bürgers mit seiner Situation ausgehen wollten, dann wäre das kein Maß mehr für Arbeitslosigkeit, sondern als Ergebnis käme heraus, wieviele und welche Arbeitsplätze fehlen. Dann müßte man nämlich die Menschen mitzählen, die in Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik stecken (laut aktuellem BfA-Bericht 1481600), eine Arbeit unterhalb ihrer Ausbildung und Erfahrung verrichten, die gerne einen besseren Job hätten sowie (zumindest teilweise) die Stille Reserve (das sind Menschen, die keinen Arbeitsplatz suchen, aber einen annähmen, wenn man sie fragen würde).
Wir sehen also, daß uns Ihre Frage danach, was sich jemand ausgesucht hat, automatisch dazu bringt, die Frage einzuschließen, was sich jemand nicht ausgesucht hat, um beide Seiten der Medaille zu berücksichtigen. Eine entsprechende Statistik fehlender Jobs würde eine Zahl mindestens um den Faktor drei höher als die ausgewiesene Arbeitslosigkeit ergeben, vorsichtig geschätzt.
Zitat von ColombiaIst nicht die Zahl der Arbeitslosen entscheidend davon abhängig wieviele Leute "arbeitssuchend" sind? Das mag im ersten Moment tautologisch wirken, aber, wenn ich mich recht entsinne, wird doch nur derjenige in der Arbeitslosenstatistik geführt, der auch "arbeitssuchend" ist. Jemand der es also schon längst aufgegeben hat, es sich in Hartz4 bequemgemacht hat (abgesichert durch: Arbeitsunfähigkeitsatteste z.B.), frühverrentet wurde oder zwar vielleicht gerne arbeiten würde, aber keine Arbeit findet und deshalb vom Arbeitseinkommen des Partners mitlebt (Stichwort: Familieneinkommen!), taucht auch in der Arbeitslosenstatistik garnicht mehr auf. Zumindest in der Berechnungsmethode der ILO wird dies so gehandhabt.
Deshalb wohl auch der große Unterschied zwischen Arbeitslosen und Leuten die von staatlicher Unterstützung leben.
die Arbeitslosen sollen doch "gefördert und gefordert" werden, wie es immer so schön heißt. Bei "Hartz IV", was ja eigentlich richtig Arbeitslosengeld II heißt, steckt schon im Namen mit drin, wer es bezieht. Man kann nicht von sich aus aus der Arbeitssuche aussteigen, sondern sogar vom Amt gezwungen werden und muß ggf. bei Ablehnung Kürzungen hinnehmen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, denn die Gemeinschaft kann es nicht hinnehmen, daß es sich Leute auf ihre Kosten gemütlich machen. Was Sie ansonsten aufzählen, sind andere Fälle.
Die hohe Differenz zwischen der Zahl der Arbeitslosen und der der Leistungsempfänger besteht aus Menschen, die der Staat in verschiedene Maßnahmen steckt (die 1481600 im letzten Monat, auf die ich im anderen Beitrag eben hingewiesen habe), Aufstockern und Leuten, die aus irgendwelchen Gründen statistisch nicht erfaßt werden. Der Staat argumentiert nun, diese Menschen täten ja etwas, aber wenn wir davon ausgehen, daß es für die meisten Menschen nicht die Erfüllung ist, von "Hartz IV" zu leben oder in irgendwelchen Bewerbungskursen rumzuhängen, dann sind sie faktisch im Grunde fast alle arbeitslos.
Um es ganz genau zu sagen: Wenn wir weiter berücksichtigen, daß es für die Beitragszahler prinzipiell nicht hinnehmbar ist, daß es sich jemand zu ihren Lasten bequem einrichtet, dann können wir zwei Sichtweisen unterscheiden: Wenn wir nach der SPD gingen, die sagt, daß jeder "von seiner Hände Arbeit leben können muß", dann wären exakt alle diese Menschen arbeitslos. Nehmen wir aber an, daß es nun einmal Menschen gibt, die aufgrund mangelnder Qualifikation oder warum auch immer nicht in der Lage sind, ein Einkommen zu erzielen, das ausreicht, um über die Runden zu kommen, dann ist es unvermeidlich, diesen Menschen zusätzlich staatliche Unterstützung zu gewähren. In dem Fall wären alle o. g. Menschen arbeitslos abzüglich dieser Gruppe.
(Dazu kommen natürlich noch alle Arbeitslosen, die hier nicht berücksichtigt wurden (also etwa Menschen, die Arbeitslosengeld I beziehen oder noch privates Vermögen verbrauchen müssen, bevor sie Unterstützung bekommen).)
MfG
RexCramer
(
gelöscht
)
Beiträge:
04.11.2010 02:08
#20 RE: Zitat des Tages: "Auf russischen Gehaltslisten"
Zitat von R.A.Und einige bekommen noch Aufstockungs-Gelder. Das sehe ich aber nicht als Problem, sondern als Fortschritt. Lieber einen Job mit wenig Geld und etwas Staatsbeihilfe, als gar nichts arbeiten.
da bin ich ganz Ihrer Meinung.
Es ist nur merkwürdig, daß ausgerechnet die SPD gegen diese positiven Folgen ihrer eigenen Politik wettert, obwohl sie sonst kaum Erfolge vorweisen kann und sie nun mit Mindestlöhnen wieder zerstören will. Das soll einer verstehen ...
Zitat von R.A.Generell ist es schwer, Arbeitslosigkeit wirklich zuverlässig zu messen. Weil Millionen von Menschen (vor allem Hausfrauen) zwar bereit wären zu arbeiten, wenn das Angebot attraktiv ist - aber nicht "arbeitslos" in dem Sinn sind, daß unglücklich und in Armut verkommen, wenn gerade kein Job ihren Vorstellungen entspricht.
Sie werden ja auch nicht mitgezählt. Aber ich stimme Ihnen zu, daß das grundsätzlich nicht so einfach ist (siehe meine Beiträge oben).
Zitat von R.A.Die amtlichen Zahlen sind nach beiden Richtungen verzerrt: Da gibt es Leute, die suchen verzweifelt Arbeit, werden aber mit Tricks aus der Statistik genommen. Und andere Leute, die wollen nicht wirklich arbeiten, aber beziehen halt Leistungen und werden daher mitgezählt.
Alles richtig, aber der Spaß ist definitiv vorbei, wenn Hunderttausende nicht mitgezählt werden, bloß weil sie von einer privaten statt staatlichen Agentur verwaltet werden, bei der "58er-Regelung" u. ä. Faxen.
Zitat von R.A.Unterm Strich hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren deutlich verbessert, auch wenn die Statistik damals wie heute nicht stimmt. Aber diese Verbesserung ist kein Verdienst der Bundesregierung und sie ist noch weit weg von dem, was ein freier Arbeitsmarkt bringen könnte.
Zitat von RexCramer die Arbeitslosen sollen doch "gefördert und gefordert" werden, wie es immer so schön heißt. Bei "Hartz IV", was ja eigentlich richtig Arbeitslosengeld II heißt, steckt schon im Namen mit drin, wer es bezieht. Man kann nicht von sich aus aus der Arbeitssuche aussteigen, sondern sogar vom Amt gezwungen werden und muß ggf. bei Ablehnung Kürzungen hinnehmen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, denn die Gemeinschaft kann es nicht hinnehmen, daß es sich Leute auf ihre Kosten gemütlich machen. Was Sie ansonsten aufzählen, sind andere Fälle. Die hohe Differenz zwischen der Zahl der Arbeitslosen und der der Leistungsempfänger besteht aus Menschen, die der Staat in verschiedene Maßnahmen steckt (die 1481600 im letzten Monat, auf die ich im anderen Beitrag eben hingewiesen habe), Aufstockern und Leuten, die aus irgendwelchen Gründen statistisch nicht erfaßt werden.
Da haben Sie natürlich einerseits Recht, lieber Rexcramer. Aber Hartz IV ist eben nicht nur Arbeitslosengeld, sondern auch Sozialhilfe. Und besonders unter den Fällen, welche früher Sozialhilfe bezogen, sind eben viele, welche nicht arbeitssuchend sind. Von fördern und fordern keine Spur. Sie sind krank geschrieben, arbeitsunfähig, und ähnliches, auch wenn sie es zum Teil nicht sind, nur damit sind nicht mehr als Arbeitslose auftauchen, weil sie als unvermittelbar gelten oder es einfach keinen Job für sie gibt.
Zwar nicht zur Arbeitslosenzahl, aber zu ALGII und fördern und fordern: Und weiterhin, natürlich kann bei Verweigerung der Arbeitsaufnahme das ALGII gekürzt werden. Ein oftmals einfaches Attest hilft da allerdings schnell weiter. Ein Handwerker hier am Ort suchte händeringend Angestellte und bekam vom Arbeitsamt viele geschickt, welche aber entweder unbrauchbar waren oder ihm aber eben gleich ins Gesicht sagten, dass nur da seien, weil sie müssten und keinen Bock auf Arbeit haben. Werden dann natürlich nicht eingestellt, aber waren ja beim Vorstellungsgespräch und Kürzung ist somit abgewendet. So ging das 2 Jahre lang, bis er dann endlich Arbeitsmigranten aus dem Osten des Landes bekommen hat. Von denjenigen, welche hier arbeiten wollten, hatte anscheinend schon jeder einen Job.
RexCramer
(
gelöscht
)
Beiträge:
04.11.2010 02:51
#22 RE: Zitat des Tages: "Auf russischen Gehaltslisten"
Zitat von FlorianDer dramatische Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist ganz überwiegend KEIN statistisches Konstrukt sondern einfach die Realität.
Was Sie stört, sind v.a. statistische Verschiebungen zwischen der Gruppe der (offiziell) Arbeitslosen und der Gruppe der Erwerbslosen, die nicht als Arbeitslose gerechnet werden. Die statistischen Verfälschungen, die sich hier ergeben können, kann man aber vermeiden, wenn man stattdessen die Zahl der Erwerbstätigen betrachtet. Und diese Zahl erreicht derzeit in Deutschland historische Höchststände. Noch nie zuvor waren so viele Menschen in Deutschland beschäftigt wie zur Zeit. Ich finde dies sehr bemerkenswert. Und auch erklärungsbedürftig - gerade angesichts der gegenläufigen Entwicklungen im sonstigen Europa und in den USA. Irgendetwas läuft in Deutschland auf jeden Fall richtig - und das ist nicht nur ein statistisches Konstrukt.
(Wie gesagt: ich habe hier auch einen möglichen Erklärungsansatz. Nämlich die genannten Folgewirkungen des Euro).
Sie übersehen hier etwas, nämlich die Zahl der Leistungsempfänger.
Daß die Zahl der Arbeitslosen nicht zuverlässig ist, wurde wohl inzwischen ausreichend diskutiert. Sie sagen also, weil uns die Arbeitslosenstatistik aufgrund der vielen Verzerrungen kein klares Bild liefert, sollten wir stattdessen auf die Zahl der Erwerbstätigen blicken. Es ist richtig, daß hier Höchststände erreicht werden. Diese Statistik sagt uns aber nur, ob jemand etwas tut, aber nicht was. Um etwas über die Qualität der neuen Arbeitsplätze zu erfahren, können wir darum die Entwicklung der Leistungsbezieher heranziehen. Hier stellen wir aber fest, daß die Zahl längst nicht in dem Maße sinkt, wie die der Beschäftigung steigt und die der Arbeitslosen zusammenschmilzt. Die Verbesserung ist sogar so schwach, daß der Deutsche Landkreistag zur jüngsten Entwicklung anmerkt: "Allerdings sind in Anbetracht von 6,6 Mio. Menschen im Leistungssystem des SGB II keine Anzeichen für eine Trendwende erkennbar."
Wie bringen wir das nun zusammen? Nehmen wir an, wir hätten es mit einem bombastischen Jobwunder zu tun und es entstünden überwiegend Arbeitsplätze mit ordentlicher Bezahlung. Dann hätten wir folgende Situation: Ein Beschäftigter mehr bedeutete gleichzeitig je einen Arbeitslosen und einen Leistungsempfänger weniger! Das ist aber nicht der Fall. Weil zwar die Arbeitslosenzahl deutlich gesunken und die Zahl der Beschäftigten kräftig gestiegen ist, sich aber bei den Leistungsempfängern relativ wenig nach unten bewegt hat, müssen wir leider davon ausgehen, daß es sich bei den Beschäftigungszuwächsen weitgehend um geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und Aufstocker handelt. Ich stimme zu, daß das zwar eine positive Entwicklung ist, vor allem auch angesichts der stetig steigenden Sockelarbeitslosigkeit über mehrere Zyklen in der Vergangenheit, aber in einen Freudentaumel auszubrechen, halte ich nicht für angebracht. Das sollte man sich dafür aufheben, falls auch die Zahl der Leistungsbezieher deutlich sinken sollte ...
Ihrem Erklärungsansatz möchte ich die schwache Lohnentwicklung in Deutschland hinzufügen, die wohl zu den nennenswerten Faktoren zu zählen ist.
Zitat von ColombiaDa haben Sie natürlich einerseits Recht, lieber Rexcramer. Aber Hartz IV ist eben nicht nur Arbeitslosengeld, sondern auch Sozialhilfe. Und besonders unter den Fällen, welche früher Sozialhilfe bezogen, sind eben viele, welche nicht arbeitssuchend sind. Von fördern und fordern keine Spur. Sie sind krank geschrieben, arbeitsunfähig, und ähnliches, auch wenn sie es zum Teil nicht sind, nur damit sind nicht mehr als Arbeitslose auftauchen, weil sie als unvermittelbar gelten oder es einfach keinen Job für sie gibt.
das habe ich übersehen und es stimmt, was Sie sagen, denn diese Menschen muß man auch noch abziehen.
MfG
Nola
(
gelöscht
)
Beiträge:
04.11.2010 04:21
#24 RE: Zitat des Tages: "Auf russischen Gehaltslisten"
Zitat Zitat Rex Cramer Wie bringen wir das nun zusammen? Nehmen wir an, wir hätten es mit einem bombastischen Jobwunder zu tun und es entstünden überwiegend Arbeitsplätze mit ordentlicher Bezahlung.
Lieber Rex Cramer, das wird nicht passieren fürchte ich. Denn 2011 und 2013 wird die Beschränkung des Arbeitsmarktes für die EU-Osterweiterung aufgehoben. Dann sind die maximalen 7 Jahre der ("2 plus 3 plus 2"-Regelung) ausgelaufen. Die deutsche Bundesregierung hatte der EU-Kommission mitgeteilt, dass sie den Arbeitsmarktzutritt für Arbeitnehmer aus den zum 1. Mai 2004 der EU beigetretenen Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Malta und Zypern) um weitere zwei Jahre beschränken wird.(Also jetzt bis April 2011) Für Bulgarien und Rumänien gilt voraussichtlich 2013. Was machen wir dann? Unabhängig von Qualifikation, wird es m.E. ein weiteres Lohndumping geben, und die Folge wird sein, daß wir einen weiteren Ansturm auf das SGBII zu verzeichnen haben.
♥lich Nola
"Die Wahrheit vor der Wahl - das hätten Sie wohl gerne gehabt." – Sigmar Gabriel, zu angeblichen rot-grünen Steuererhöhungsplänen, Rheinische Post, 1. Oktober 2002
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.