Dieser Artikel steht unter dem Vorbehalt, daß im Augenblick die angekündigte Rede von Präsident Mubarak noch nicht stattgefunden hat.
Sollte er seinen Rückzug ankündigen, dann werden die jetzigen Herrschaftsstrukturen in Ägypten sich so schnell auflösen wie 1989/1990 diejenigen in Osteuropa.
Als die beiden einzigen Kräfte von Belang bleiben dann das Militär und die Moslem-Bruderschaft. Deren Sproß mit einem militärischen Arm ist die Hamas; ein Umstand, auf den ich in dem Artikel eingehe, weil er offenbar nicht überall bekannt ist.
gefährliche Kommunisten, gefährliche Islamisten, orientierungslose Schaafe. Wer zu lange in den Abgrund schaut, wird möglicherweise selber zum Abgrund?
Eins muss ich sagen: Diese Serie ist das Beste was es an objektiver Betrachtung zum arabischen Pulverfass im deutschsprachigen Netz gibt, soweit ich das beurteilen kann. Vielen Dank dafür!
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Hamas ist ein Ableger der Moslembrüder, ja, aber aufgrund der unterschiedlichen Umstände in Ägypten und Gaza haben sie sich unterschiedlich entwickelt, so wie der Parti communiste français sich anders entwickelt hat als die KPdSU, deren französischer Ableger er war.
In Ägypten waren die Moslembrüder die einzige staatsunabhängige Institution der Zivilgesellschaft: alle anderen wurden vom Regime rücksichtslos unterdrückt. Das führte dazu, dass viele Moslems, die mit dem Regime unzufrieden waren, sich ihnen angeschlossen haben, obwohl der Islamismus nicht ihre erste Priorität ist.
In Palästina ist das anders: Fatah als (mehr oder weniger) säkulare und gemäßigte Alternative zu Hamas sorgt dafür, dass Hamas homogen und radikal bleibt.
Wie sehr die MB intern zerstritten sind, wird sich noch zeigen, aber diese Uneinigkeit wird ihnen in einem Konflikt mit dem Militär zum Verhängnis werden. Das Militär weiß nämlich sehr genau, was es will.
Zitat von lukasHamas ist ein Ableger der Moslembrüder, ja, aber aufgrund der unterschiedlichen Umstände in Ägypten und Gaza haben sie sich unterschiedlich entwickelt, so wie der Parti communiste français sich anders entwickelt hat als die KPdSU, deren französischer Ableger er war.
Hm, war die PCF der französische Ableger der KPdSU? Wohl eher ein Ableger, oder genauer eine Abspaltung, der SFIO. So, wie die KPD kein Ableger der KPdSU gewesen ist, sondern eine Abspaltung der SPD.
Aber gerade die PCF, lieber lukas, waren doch die Treuesten der Treuen. Bis 1989 haben sie eisern zur UdSSR gehalten. Ich hatte mal das Vergnügen, Georges Marchais zu erleben, in der Mutualité.
Zitat von lukasIn Ägypten waren die Moslembrüder die einzige staatsunabhängige Institution der Zivilgesellschaft: alle anderen wurden vom Regime rücksichtslos unterdrückt.
Nochmal hm. Die Moslembrüder denn nicht? Sie bildeten meines Wissens das Gros der politischen Gefangenen.
Zitat von lukasDas führte dazu, dass viele Moslems, die mit dem Regime unzufrieden waren, sich ihnen angeschlossen haben, obwohl der Islamismus nicht ihre erste Priorität ist.
Ist das so? Ich denke eher, daß wer sich Islamisten anschließt, auch ein Islamist ist. Belege dagegen?
Zitat von lukasWie sehr die MB intern zerstritten sind, wird sich noch zeigen, aber diese Uneinigkeit wird ihnen in einem Konflikt mit dem Militär zum Verhängnis werden. Das Militär weiß nämlich sehr genau, was es will.
Vielleicht, lieber lukas. Ich finde die Parallele zur persischen Revolution, die ich damals intensiv verfolgt habe, schon sehr bedenkenswert.
Damals hatte kaum jemand mit einem Sieg der Islamisten gerechnet. Der Schah hatte auf die Unruhen mit dem Austausch seines Ministerrpäsideten reagiert, Shapour Bakhtiar, ein untadeliger Demokrat, der später ins Exil gehen mußte. Später wurde, schon nach der Flucht des Schah, der in dem Artikel erwähnte Mehdi Bazargan Ministerpräsident; auch er ein Demokrat, wenngleich nicht so liberal wie Bakhtiar.
Die Islamisten waren damals ein kleines Häuflein, ein paar hundert Leute. Aber sie waren fanatisch, sie waren zu jedem Einsatz bereit. Auch das zählt in einer Revolution.
Dazu noch eine Anekdote: Anekdoten sind nicht viel wert, aber sie können illustrieren.
Als ich in Kairo war, lud unsere Arabischlehrerin, eine Christin, die Klasse eines Abends zum Essen ein. Ihre Schwester war auch da und hatte ihren Ehemann, einen Moslem, mitgebracht. Er war Mitte dreißig, Arzt, sehr gebildet und weltoffen und gab sich liberal. Er war aber auch sehr fromm, konnte den Koran auswendig, verrichtete seine Gebete und so fort. Mit der Gegenwart unverschleierter Frauen schien er keine Probleme zu haben, ebensowenig mit Wein (er selbst trank keinen).
Er hatte erwähnt, dass er nach der Arbeit in einer Moschee Bedürftigen seine Dienste unentgeltlich zur Verfügung stellte, war aber weiteren Fragen zu dem Thema ausgewichen. Nachdem er gegangen war, bat unsere Gastgeberin, sein Verhalten zu entschuldigen: Er habe nicht weiter darüber reden wollen, weil die Regierung das Treiben in der Moschee äußerst kritisch sehe. Ihr Schwager tue aber nur seine religiöse Pflicht im Dienst an den Armen.
Mehr sagte sie auch nicht, aber man braucht nur 1 und 1 zusammenzählen, um zu erkennen, dass es hier um eine MB-Moschee geht. Warum war dieser Mann bei den Moslembrüdern? Entweder war er ein fantastischer Verstellungskünstler und im Herzen Islamist, oder er sah einfach keine andere Möglichkeit, Gottes Willen zu tun.
Ich will damit nicht sagen, dass die Mehrheit der MB so ticken. Aber diese Strömung gibt es eben auch.
Zitat von lukasHamas ist ein Ableger der Moslembrüder, ja, aber aufgrund der unterschiedlichen Umstände in Ägypten und Gaza haben sie sich unterschiedlich entwickelt, so wie der Parti communiste français sich anders entwickelt hat als die KPdSU, deren französischer Ableger er war.
Hm, war die PCF der französische Ableger der KPdSU? Wohl eher ein Ableger, oder genauer eine Abspaltung, der SFIO. So, wie die KPD kein Ableger der KPdSU gewesen ist, sondern eine Abspaltung der SPD.
Gut, die Analogie ist etwas verkürzt, aber das PCF-Gründungsprinzip war die Treue zur KPdSU, zur Dritten Internationalen. Hätte es diese Frage nicht gegeben, so wäre der PCF nicht entstanden.
Zitat von ZettelAber gerade die PCF, lieber lukas, waren doch die Treuesten der Treuen. Bis 1989 haben sie eisern zur UdSSR gehalten. Ich hatte mal das Vergnügen, Georges Marchais zu erleben, in der Mutualité.
Eben. In Frankreich gab es ja noch die nicht-moskautreuen Sozialisten, die dafür sorgten, dass nur verbohrte Ideologen sich in den PCF verirrten. Die KPdSU war dagegen voller Pragmatiker, die nach der Wende ganz unkommunistisch im Handumdrehen zu Oligarchen wurden.
Zitat von Zettel
Zitat von lukasIn Ägypten waren die Moslembrüder die einzige staatsunabhängige Institution der Zivilgesellschaft: alle anderen wurden vom Regime rücksichtslos unterdrückt.
Nochmal hm. Die Moslembrüder denn nicht? Sie bildeten meines Wissens das Gros der politischen Gefangenen.
Ja, auch die Moslembrüder wurden unterdrückt. Wegen ihrer Popularität und ihrer Vielzahl konnte das Regime aber nicht so hart gegen sie vorgehen wie gegen andere Oppositionelle. Vielerorts konnten sie trotz des offiziellen Verbots relativ ungehindert wirken, solange sie nicht zu politisch wurden.
Zitat von ZettelAber gerade die PCF, lieber lukas, waren doch die Treuesten der Treuen. Bis 1989 haben sie eisern zur UdSSR gehalten. Ich hatte mal das Vergnügen, Georges Marchais zu erleben, in der Mutualité.
Eben. In Frankreich gab es ja noch die nicht-moskautreuen Sozialisten, die dafür sorgten, dass nur verbohrte Ideologen sich in den PCF verirrten. Die KPdSU war dagegen voller Pragmatiker, die nach der Wende ganz unkommunistisch im Handumdrehen zu Oligarchen wurden.
Zwei interessante Punkte, lieber lukas (wie ich überhaupt Ihre Beiträge außerordentlich schätze).
Pragmatiker gibt es überall dort, wo man an der Macht ist. Prattein heißt ja schlicht machen. Aus meiner Sicht ist es ein Klischee - ein selten passendes -, daß es in solchen Regimes einen Konflikt zwischen den "Ideologen" und den "Pragmatikern" gibt. Jeder gute Ideologe ist auch ein Pragmatiker; jeder Pragmatiker, der einem totalitären Regime dient, unterstützt dessen Ideologie.
Walter Ulbricht, der vielleicht bedeutendste deutsche Kommunist, war ein Pragmatiker kat'exochen; er paßte sich jeder neuen Lage an. Zugleich war er ein unverbrüchlicher Ideologe. Gregor Gysi halte ich für einen ähnlich treuen Kommunisten und wendigen Taktiker.
Das andere: Die, wie Sie schreiben, "verbohrten Ideologen" in der KPF.
Ich kann das nicht bestätigen. Die KPF war immer eine lebendige Partei, eine Partei von sehr vielen Intellektuellen. Louis Aragon saß lange in ihrem Vorstand; die Intellektuellen, die sie unterstützt und die mit ihr sympathisiert haben, sind Legion; Camus war Mitglied, Sartre compagnon de route. Das ging bis ins Showgeschäft; Yves Montand zum Beispiel war nach meiner Erinnerung Kommunist.
Nur war man eben treu marxistisch. Man stand zur UdSSR, weil man völlig richtig sah, daß sie die Verwirklichung dessen war, was Marx gewollt hatte.
Manche haben dann mit dem Kommunismus gebrochen, weil es nichts damit werden wollte, daß aus der Diktatur des Proletariats endlich das Paradies hervorgeht. Roger Garaudy zum Beispiel, der dann den einen Glauben durch den anderen ersetzte; ich glaube, zuletzt wurde er Moslem.
Aus meiner Sicht, lieber lukas, geht es nicht um Ideologen vs Pragmatiker. Es geht um freiheitlich vs totalitär Denkende.
Es geht im Kern darum, ob man der Gesellschaft Vorrang vor dem Einzelnen gibt, oder ob man das Individuum in den Mittelpunkt stellt. Das ist die fundamentale Entscheidung. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung beginnt mit dem einzelnen Menschen; die erste Verfassung der französischen Revolution beginnt mit der Gesellschaft, und die Rechte des Einzelnen kommen erst recht spät.
Ja, da habe ich mich unklar ausgedrückt: Mit "Pragmatikern" meinte ich Menschen, die die Ideologie nur als nebensächliches Anhängsel, als austauschbares Vehikel zum Erreichen ihrer eigenen Ziele dient. Die gab es in der KPdSU oder in Frankreich im PS. Im PCF eher weniger, da sind die meisten wirklich überzeugte Kommunisten (und, das müssen Sie mir nachsehen, wer nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts noch überzeugter Kommunist ist, den nenne ich einen verbohrten Ideologen, mag er intellektuell noch so brilliant sein.)
Bei den Moslembrüdern ist das die große Unbekannte. Es gibt radikale Strömungen (à la Hamas), gemäßigte (à la AKP), wohl auch liberale (eine Art islamisches Pendant zur Christdemokratie) und vermutlich sozialistische, aber wie stark diese Fraktionen jeweils sind und welchen Rückhalt sie in der Bevölkerung haben, wissen wir nicht.
Zitat von lemmyPazFirme junto al pueblo ist das Motto der von mir geschätzten chilenischen Wochenzeitschrift "The Clinic", in der Linke und Liberale publizieren.
Danke für die Aufklärung, lieber lemmyPaz.
Ehrlich gesagt finde ich solche Parolen, in denen das "Volk" in dieser Weise vorkommt, problematisch; auch wenn das in diesem Fall, wie Sie es erläutern, nicht kritikwürdig ist.
"Du bist nichts, dein Volk ist alles" war eine der Nazi-Parolen; "Dem Volk dienen" eine der Parolen Maos. In der Sprache der Totalitären wimmelt es nur so von "Volk" - Volksgemeinschaft, Volkssolidarität, volkseigener Betrieb, völkische Gesinnung, Volksrepublik, gesundes Volksempfinden usw.
Ich habe jetzt bewußt Begriffe der Nazis und der Kommunisten gemischt; denn auch darin gleichen sie sich wie ein Ei dem anderen: Wer von "dem Volk" redet, dem geht es nicht um Individuen. Er konstruiert eine Gemeinschaft, in der Unterschiede und Gegensätze verschwinden sollen; zum Wohle der jeweils Herrschenden.
Das fällt mir dazu ein, lieber lemmyPaz. Ihre Signatur will ich damit keineswegs in Zusammenhang bringen, nachdem Sie deren Herkunft erklärt haben. Ich wollte nur sagen, daß ich mit diesem Wort pueblo nichts anfangen kann.
Zitat Entweder war er ein fantastischer Verstellungskünstler und im Herzen Islamist, oder er sah einfach keine andere Möglichkeit, Gottes Willen zu tun.
Das ist für einen Islamisten kein Widerspruch. Auch die Wohltätigkeit ist kein Argument: Sieher hier und hier! Ebenso hat die Hochzeit mit einer Christin nichts zu bedeuten: Das ist ihm vom Islam ausdrücklich erlaubt. Seine Haltung zur Ehe eines männlichen Christen mit einer Muslima würde mich mal interessieren.
Die Kriegstreiber laufen sich anscheinend schonmal warm:
Zitat Muslim Brotherhood: ‘Prepare Egyptians for war with Israel'
A leading member of the Muslim Brotherhood in Egypt told the Arabic-language Iranian news network Al-Alam on Monday that he would like to see the Egyptian people prepare for war against Israel, according to the Hebrew-language business newspaper Calcalist.
Muhammad Ghannem reportedly told Al- Alam that the Suez Canal should be closed immediately, and that the flow of gas from Egypt to Israel should cease “in order to bring about the downfall of the Mubarak regime.” He added that “the people should be prepared for war against Israel,” saying the world should understand that “the Egyptian people are prepared for anything to get rid of this regime.”
Danach habe ich ihn nicht gefragt (soweit ich weiss, ist aber in Ägypten Nicht-Moslems die Ehe mit Mosleminnen verboten.) Es war auch nicht seine Wohltätigkeit, die mich von seiner Harmlosigkeit überzeugt hat, sondern die ungezwungene Art, mit der er in einer islamisch sehr unkorrekten Umgebung auftrat, und die liberalen Meinungen, die er zu vielen Themen vertrat. Zu Israel sagte er beispielsweise, er habe Israel besucht (!) und gesehen, dass es den israelischen Arabern meist besser gehe als den ägyptischen, daher verstehe er nicht, wie Ägypter Israel kritisieren, aber zur Situation im eigenen Land schweigen können.
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