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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 18 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

10.02.2011 09:06
Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Der gestrige Hinweis von meyer hier im Forum (siehe Fußtext des Artikels) hat mich veranlaßt, mich noch einmal mit dem Verhältnis von Rudi Dutschke zu Kommunismus und Gewalt zu beschäftigen. Zusammen mit den Dokumenten, die Götz Aly gesichtet hatte und über die ich schon berichtet habe, ergeben die Recherchen des Politologen Gerd Langguth ein Bild von Dutschke, das in krassem Gegensatz zu der Art und Weise steht, wie er in der Regel von der heutigen Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

C.K. Offline



Beiträge: 149

10.02.2011 10:14
#2 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Lieber Zettel,

es ist erstaunlich, wie wahrgenommen wird, obwohl die Tatsachen bekannt sind. Seit knapp 10 Jahren ist die "Studentenbewegung" sowie Dutschke und Konsorten durchforscht. Jedenfalls so weit, dass das öffentliche Bild nicht mehr haltbar ist. Langguth ist zwar nicht Conze, aber der Unterschied im Niederschlag zwischen "Das Amt" und der Revision der Blümchengeschichten um die ach so idealistischen Studentenführer spricht Bände.
Ich vermutete dies sei wegen der noch vorhandenen Meinungführerschaft der ehemals Beteiligten der Fall, die Diskussion zwischen Aly und Schwan war ja durchaus ein Lichtschlag darauf, aber mittlerweile bin ich da nicht so sicher. das Beispiel Luxemburg macht nervös. deren Verklärung sollte eigentlich erledigt sein. Vielleicht ist das aber auch ein Sonderfall, weil die Identität einer noch politisch aktiven Gruppe, Die Linke, daran hängt, aber so sicher bin ich da nicht.
Etwas Off-topic, aber eben auch nicht ganz. Die BBC hatte vor einer Weile einen Mehrteiler über "Useful Idiots" und deren Verehrung für politishce Gewalttäter, der Podcast ist hier ladbar.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

10.02.2011 10:54
#3 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat von C.K.
es ist erstaunlich, wie wahrgenommen wird, obwohl die Tatsachen bekannt sind. Seit knapp 10 Jahren ist die "Studentenbewegung" sowie Dutschke und Konsorten durchforscht. Jedenfalls so weit, dass das öffentliche Bild nicht mehr haltbar ist. Langguth ist zwar nicht Conze, aber der Unterschied im Niederschlag zwischen "Das Amt" und der Revision der Blümchengeschichten um die ach so idealistischen Studentenführer spricht Bände.


Vielleicht, lieber C.K., ist es ja wirklich so, daß eine um Objektivität bemühte Geschichtsschreibung erst dann akzeptiert wird, wenn die Beteiligten tot sind. Zuvor geht es meist auf Rechtfertigung auf der einen, um Anklage auf der anderen Seite.

Wobei dieses Bemühen um Objektivität bei Conze et al. möglicherweise zu wünschen übrig läßt; ich kenne das Buch nicht, aber wenn sogar Klaus Wiegrefe, der jetzt sogar promovierte Zeithistoriker des "Spiegel", das Buch verreißt, dann muß man wohl skeptisch sein.

Leider ist auch das Buch von Aly, so interessant ich das fand, was er zutage gefördert hat, ganz schlechte Geschichtsschreibung. Aus jeder Seite weht einem das Bemühen entgegen, jetzt alles das niederzumachen,woran der Autor einmal geglaubt und woran er auch a bisserl mitgestrickt hat. "Eine Abrechnung" wäre ein treffender Untertitel gewesen; aber ich glaube, der ist schon vergeben.

Es gibt sicher Ausnahmen, ich kenne diese Literatur nicht gut. Aber auch zB die Bücher von Meinhof und von Dittfurth sind ja alles andere als Geschichtsschreibung; das eine ist eine redliche, aber subjektive Aufarbeitung, das andere ein übles politisches Pamphlet.

Zitat
Ich vermutete dies sei wegen der noch vorhandenen Meinungführerschaft der ehemals Beteiligten der Fall, die Diskussion zwischen Aly und Schwan war ja durchaus ein Lichtschlag darauf, aber mittlerweile bin ich da nicht so sicher. das Beispiel Luxemburg macht nervös. deren Verklärung sollte eigentlich erledigt sein. Vielleicht ist das aber auch ein Sonderfall, weil die Identität einer noch politisch aktiven Gruppe, Die Linke, daran hängt, aber so sicher bin ich da nicht.


Dutschke hat das Zeug zum Heiligen, wie Luxemburg. Fehlt nur noch das Wunder.

Das Seltsame bei Dutschke ist, daß er ein ungemein unsympathischer Zeitgenosse war und trotzdem diese Karriere gemacht hat. Ich habe damals ihn zwar nicht persönlich erlebt, aber in vielen TV-Sendungen; er wurde ja nachgerade herumgereicht. Ein Mann ohne jeden Humor, ohne Spontaneität, ohne eine auch nur mimische Reaktion auf seine Diskussionspartner. Sobald er dran war, begann er zu dozieren, mit einer eigenartig schnarrenden und immer lauten Stimme, und war kaum zu bremsen.

Er hatte etwas Fanatisches, dabei Finsteres und Kaltes; sagen wir Typ Rasputin oder Herbert Wehner. Wie konnte er so beliebt werden, wie konnte man in diesem Revolutionär den Friedfertigen sehen? Das ist schon seltsam.

Ich habe seinerzeit das Buch von Gretchen Dutschke gelesen, "Ein wildes Leben" oder so ähnlich. Sie idealisiert ihn natürlich, aber sympathischer ist er mir durch diese Lektüre auch nicht geworden.

Herzlich, Zettel

123 Offline



Beiträge: 287

10.02.2011 12:23
#4 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat
Er hatte etwas Fanatisches, dabei Finsteres und Kaltes; sagen wir Typ Rasputin oder Herbert Wehner. Wie konnte er so beliebt werden, wie konnte man in diesem Revolutionär den Friedfertigen sehen? Das ist schon seltsam.




Das läßt sich psychologisch gut erklären. Dutschke sprach das Bedürfnis vieler nach einer Anführerfigur an. Solche Leute beeindrucken durch ihren enormen Willen, ihre tiefe innere Überzeugung die sie Antreibt, sie strahlen Energie aus und erscheinen wissender als die Allermeisten. Sie "wissen wo es lang geht", sie haben eine Vision, die in sich logisch klingt.

Das Bedürfnis nach einer Anführerfigur, nach einem gradezu mystisch idealisierten Heiligen läßt auch nicht zu, daß man sich rational mit der Figur Dutschke und deren tatsächlichen Überzeugungen befasst. Das ist nur lästig, und wird sofort abgewehrt.

Wie Luxemburg ist Dutschke tot. Das macht die Mystifizierung noch einfacher. Lebende können Fehler machen, Tote hingegen werden beurteilt anhand der Projektion die man ihnen gegenüber vornimmt.

Interessant ist der individualpsychologische Aspekt bei Dutschke selbst. Er lehnt die US-Kriegsmaschinerie ab, befürwortet aber selbst die gewaltsame Eskalation und unterstützt linke Gewalt, er kritisiert den autoritären westlichen Staat, will aber selbst eine Art linker Diktatur errichten, er lehnt Ausbeutung ab, weiß aber daß kein System so ausbeutet wie das kommunistische.

Er beurteilt selbst den Westen so selektiv und willkürlich gemäß seiner Projektion, deren Maßstäbe er entsprechend einseitig anwendet. Zugleich werden alle von ihm postulierten Ideale im Westen viel eher umgesetzt als es seiner eigenen Gedankenwelt entspricht, die zudem im Widerspruch zu sich selbst steht: Er fordert letztlich eine menschlichere Welt, zugleich möchte er eine Form von Diktatur errichtet sehen.

All dies kommt einem bekannt vor. Es sind gradezu die Blaupausen linken denkens und argumentierens.

Und nun fragt sich, was eigentlich der Grund dafür ist den Westen derart abzulehnen, wenn dieser die angeblichen Ideale weit besser erfüllt als man selbst, bzw. die eigene Doktrin er je vermocht hat, bzw. es je könnte ?

Es gibt kein rationales Argument für eine linke Gesellschaftsform vom humanistischen Standpunkt aus. Sondern nur ein "irrationales", ein emotionales: Das Gefühl von Wut, ja sogar Haß, der Drang danach zu kämpfen, zu zerstören, das Verlangen nach eigener Größe, nach moralischer Überlegenheit, der Wunsch nach Anerkennung für die eigene Person in all ihren Facetten, und seien diese noch so eigenartig. Um sich nicht selbst verändern und hinterfragen zu müssen, hinterfragt man die umgebende Gesellschaft, und propagiert eine andere, neue Gesellschaft, die zu einem selbst passt. Die einem all das gibt was einem eine offene, liberale Gesellschaft versagt, wenn man einer ist wie Dutschke.

Dutschke verlangt es nach einer autoritären Gesellschaft, einer mit totaler Reglementierung, mit deutlicher Hierarchie, und logisch - der Anerkennung ihrer Führerfiguren. Eine davon war er selbst.

Hinter dem Streben nach Macht steht oft viel mehr als eben nur Machtausübung als Motiv. Es ist ein Gefühl der Geborgenheit, der Anerkennung, wenn man die breite Bevölkerung auf die eigene Person einzuschwören vermag. Grade wenn man etwas "anders" ist, wie es Dutschke offenbar war. Das ist ansich völlig normal und legitim. Wird aber problematisch, wenn als Heben dazu ein Gesellschaftswandel propagiert wird, weg von liberal, hin zu totalitär.

Sieht man sich Diktatoren und Demagoren unter diesem Blickwinkel an, findet man sehr oft diese Konstellation.

Nur ändert das nichts. Es wird solche Leute immer geben, genauso wie die Vielen, die eine Sehnsucht nach solchen Heilsverkündern und Heiligen haben. So gesehen ist die linke Bewegung eine strukturell zutiefst, ja gradezu fundamenstlistisch-religiöse mit allen Zutaten eine Religion. Mit unantastbaren Dogmen, mit Heiligen, mit der zugehörigen Intoleranz gegenüber dem anderen, und festen Glauben, die eigene, bessere Überzeugung machte aus einem selbst ebenso einen etwas besseren Menschen, eben weil er sich scheinbar selbstlos für eine bessere Welt einsetzt.

Gemäß dem Umstand daß es ein Verlangen nach Heiligen gibt, wird Dutschke weiterhin und zunehmend verehrt werden. Und man wird sich auf ihn berufen können, den Unantastbaren, um selbst Macht auszuüben. Exakt wie bei den Verkündern religiöser Lehren.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

10.02.2011 14:27
#5 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Dazu (scheinbar selbstlos) passend hier

Zitat
A charity that relies in the main part on taxes is no more a charity than a prostitute is your girlfriend.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

10.02.2011 15:12
#6 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat von Thomas Pauli

Zitat
A charity that relies in the main part on taxes is no more a charity than a prostitute is your girlfriend.



Nun ja, der linke Sozialstaat will ja auch gar nicht "charity" sein. Denn dieses Konzept von Barmherzigkeit/Wohlfahrt/Nächstenliebe ist für Linke ja nur Almosen geben und entwürdigt die Hilfsbedürftigen.
Im linken Sozialstaat gibt es ein Anrecht auf Zahlungen, und die können eben nur aus Steuern kommen.

C. Offline




Beiträge: 2.639

10.02.2011 15:20
#7 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Lieber Zettel,


Zitat von Zettel

ein Bild von Dutschke, das in krassem Gegensatz zu der Art und Weise steht, wie er in der Regel von der heutigen Öffentlichkeit wahrgenommen wird.



Wer ist die heutige Öffentlichkeit, die Dutschke überhaupt noch wahrnimmt?

Aus meiner, jetzt auch nicht mehr ganz jugendlichen, Perspektive handelt es sich um den meinungsstarken Teil der Ü50, die ihre Karriere und ihre Pension "dem Marsch durch die Institutionen" verdankt und verklärt zurückblickt. Dutschke ist nicht die Ikone der Arbeiterklasse oder Kommunisten oder sonstigem Verruchtem, sondern des linkshäkelnden neuen alternativen Bürgertums, das jetzt auch den Protesten gegen Stuttgart 21 ein postjugendliches Antlitz verleiht.

Dutschke scheint das vorausgesehen zu haben und so endete der Sozialismusversuch in einer autoritären Pervertierung des Spießbürgertums. taz und Grüne wären ohne ihn nicht denkbar, was soll es dann auch verwundern, dass sie das Andenken des "Säulenheiligen der Bewegung" pflegen. Die anderen 80 Millionen Bundesbürger haben vielleicht mal den Namen gehört, wenn sie etwas älter sind, sich sogar tierisch aufgeregt, dem Restvolk geht er völlig am Arsch vorbei.

Zitat von Junge Welt, 11.04.1998
]Die Neue Linke »glaubt, ein geschichtlich ernst zu nehmendes Subjekt zu sein, - und merkt nicht, wie schnell sie bereits wieder zum gesellschaftlichen Objekt geworden ist«, schreibt Dutschke 1974 und sieht das Erbe von 1968 verschüttet: »Jeder Versuch, diese Zeit zu fetischisieren, zu idealisieren, ist genauso reaktionär wie der Versuch, sie zu negieren. Die Erbschaft besteht vor allem in dem Bewußtsein, daß der einzelne kein Objekt von Parteifunktionären sein darf in der Entwicklung hin zur Selbständigkeit, in dem Verlangen nach Demokratisierung. Der Sozialismusbegriff muß erweitert werden, er muß zurückgewonnen werden. Ehe man die Sozialismusfrage stellt, muß man zunächst die demokratische Tradition des Bürgertums ernst nehmen.«




http://www.marcuse.org/herbert/people/du...chkeHerbert.htm


Interessant finde ich lediglich, dass die Aktionsform "Konfrontation mit der Staatsgewalt" aka "Ziviler Ungehorsam", um eine Runde Mitleid zu erhaschen, überlebt hat und dass dieser Blödsinn immer noch wirkt. Heutzutage sogar als high-tech Variante, einer rotzt dem "Riot Cop" ins Gesicht und gibt ihm Tiernamen, hunderte filmen mit gestrecktem rechten Arm die voraussehbare Reaktion für You Tube mit.
Erbärmlich retro.

http://www.iceagenow.com/

meyer Offline



Beiträge: 29

10.02.2011 15:52
#8 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat
autoritären Pervertierung des Spießbürgertums. taz und Grüne



Das ist ein Gedanke, den ich interessant finde. Nämlich herauszuarbeiten, dass gerade in diesem Milieu autoritäres Verhalten nicht so ganz untypisch ist, und zwar gerade am Arbeitsplatz. Wer mal Kontakt zu Taz-Journalisten hatte, kennt zumeist die ein oder andere Geschichte von Mobbing und unmöglichem, unflätigem Umgangston. Von den Herren Fischer und Schily gibt es in der Hinsicht auch einschlägige Geschichten. Geschichten, die das Verhalten von Herrn Schäuble gegenüber seinem Referenten in der Bundespressekonferenz bei weitem in den Schatten stellen.

Man könnte das aber auch anders nennen, und das wäre aber nicht mehr sehr spießbürgerlich: Verrohung.

Und da ist gerade auch Dutschke ein gutes Beispiel. Wie verroht, gefühlskalt, skrupellos muss man eigentlich sein, um in einem Kinderwagen, in dem das eigene Kind liegt, eine Bombe zu transportieren? Dieser eine Vorfall sagt unendlich viel über den Menschen Dutschke aus. Vielleicht ist es ja so: Der Protest der 68er gegen bürgerliche Konventionen, gegen Krawatte und siezen, gegen Sekundärtugenden und Essmanieren, er speiste sich aus dem regressiven und infantilen Bedürfnis, die Sau rauslassen zu können, ohne schlechtes Gewissen dabei.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

10.02.2011 16:01
#9 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat von meyer
Wie verroht, gefühlskalt, skrupellos muss man eigentlich sein, um in einem Kinderwagen, in dem das eigene Kind liegt, eine Bombe zu transportieren?


Richtig.
Und warum hat er das gemacht?
Weil er davon ausgehen konnte, daß die "Gegenseite" menschlichen Anstand besitzt und einen Kinderwagen nicht durchsucht.
Erinnert an diverse Pali-Attentate mit Frauen, Krankenwagen oder Minderjährigen. Immer darauf spekulierend, daß die Israelis zuerst nicht so scharf kontrollieren (und dann klappt der Anschlag) und später eben kontrollieren müssen (und dann werden sie per Propaganda angegriffen, weil sie angeblich Schwangere schikanieren oder die Krankenversorgung behindern).

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

10.02.2011 17:33
#10 1968: Ursachen und Motive Antworten

Zitat von meyer
Vielleicht ist es ja so: Der Protest der 68er gegen bürgerliche Konventionen, gegen Krawatte und siezen, gegen Sekundärtugenden und Essmanieren, er speiste sich aus dem regressiven und infantilen Bedürfnis, die Sau rauslassen zu können, ohne schlechtes Gewissen dabei.


Das spielte eine Rolle, aber es war wohl ein ganzes Bündel von miteinander verflochtenen Motiven.

Da war ein objektiver Umstand, den ich in der Serie "Wir Achtundsechziger" zu beschreiben versucht habe: Die Lebensumstände dieser ersten Nachkriegsgeneration paßten nicht zur Moral ihrer Eltern. Deren Moral war durch die Jahrzehnte des Hungers, der Lebensgefahr, einer ständig erforderlichen extremen Disziplin geprägt, die 1914 begannen und ungefähr 1950 endeten. Wer nach 1940 - 1945 geboren war, der hatte den größten Teil seines Lebens in einer Welt verbracht, in der es das alles nicht mehr gab, sondern wo es den Menschen immer besser ging; relativ gesehen ja auch in der DDR.

Das war aus meiner Sicht die Ursache dafür, daß es diese Jugendrevolte ja weltweit gab, von San Francisco über Paris und Berlin bis nach Peking. Auch der Prager Frühling gehörte in gewisser Weise dazu.

Das zweite war das spezifisch Deutsche: Man hatte einen ideologischen Konflikt mit den Eltern, der in den meisten Familien nicht ausgtragen, sondern mehr oder weniger ausgeklammert wurde. Dem neuen Lebensgefühl gesellte sich dadurch in Deutschland ein Gefühl der moralischen Überlegenheit hinzu: Ihr habt moralisch versagt, und wir handeln jetzt moralisch.

Man kann das bis in die einzelnen Biografien verfolgen; Gudrun Ensslin hat zum Beispiel ihrem Vater vorgeworfen, nicht im Widerstand gegen Hitler gewesen zu sein; sie wollte, das nachholen, was er in ihren Augen nicht hinbekommen hatte. Dazu mußte sich sich einbilden, es drohe ein neuer "Faschismus".

Das dritte war der Vietnamkrieg. Man kann sich heute schwer einen Begriff davon machen, wie er damals alles durcheinanderrüttelte.

Viele junge Leute in Deutschland hatten zuvor ein positives, ja begeistertes Amerikabild gehabt. Als Kennedy 1963 Berlin besuchte, hielt er an der FU (ich glaube, es war dort) eine Rede vor Studenten, die heftig applaudierten. Fünf Jahre danach waren denselben Leuten die USA verhaßt.



Das waren äußere Umstände. Dann gibt es die psychologische Ebene, die Sie, lieber meyer, ansprechen.

Jede revolutionäre Situation hat etwas Regressives. Freudianisch gesprochen wird das Überich vorübergehend außer Funktion gesetzt. Everything goes. Es gibt eine infantile Lust nicht nur am Zerstören, sondern auch am Beschmieren (man braucht sie nur anzusehen, wie damals die Wände in den Unis aussahen), an Obszönität. Einer der damaligen Revoluzzer, ein gewisser Karl-Heinz Pawla, errang Berühmtheit dadurch, daß er vor Gericht defäkierte.

Aber es gibt auch eine andere psychische Seite: Aufbruchstimmung; Hoffnung auf eine bessere Welt. Diese Generation war im Grunde denen sehr ähnlich, die vor dem Ersten Weltkrieg jugendbewegt gewesen war. Wenn man zwischen zwanzig und dreißig ist, dann ist man zukunftsorientiert; dann plant man normalerweise sein Leben. Viele, die damals in diesem Alter waren, haben das sozusagen auf die Gesellschaft verschoben. Ihr Zukunftsdenken galt nicht der eigenen Lebensspanne, sondern gleich der ganzen historischen Entwicklung.

Das führt zu einem weiteren psychologischen Punkt: Einer unglaublichen Arroganz und Frechheit. Die Parolen des Mai '68 in Frankreich zeigen das und haben es zum Teil ironisch gebrochen: "Wir wollen alles, und zwar sofort", L'imagination au pouvoir! (die übliche Übersetzung "Die Phantasie an die Macht" trifft es nicht ganz; in imagination schwingt auch so etwas wie Utopie und Vision mit). Wer sich einbildet, er sei berufen, die Zukunft der Menschheit zu gestalten, der entwickelt solche überwertigen Ideen.



Aus allen diesen Ingredienzien und noch ein paar mehr hat sich, lieber meyer, damals diese Bewegung zusammengebraut. Denn eine Bewegung war es. Dutschke und seine Freunde haben das nicht angestoßen, sie haben nur nach der Art von Kommunisten versucht, die Bewegung in ihrem Sinn zu lenken.

Herzlich, Zettel

notquite Offline



Beiträge: 506

10.02.2011 18:21
#11 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat
Und da ist gerade auch Dutschke ein gutes Beispiel. Wie verroht, gefühlskalt, skrupellos muss man eigentlich sein, um in einem Kinderwagen, in dem das eigene Kind liegt, eine Bombe zu transportieren?



Wenn sich alles tatsächlich so abgespielt haben sollte, dann wäre das ein weiterer Beleg dafür, in welcher geistigen und moralischen Nähe sich Dutschke zu den späteren Terroristen befunden hat.

Diese Methode des Waffentransports, die auf das "bürgerliche" Denken des Gegenüber und damit selbstverständlich ausbleibende Kontrollen spekuliert, wurde auch am 05.09.1977 in Köln angewandt.

http://www.google.de/search?client=firef...nG=Google-Suche

danielphoffmann Offline




Beiträge: 124

10.02.2011 18:49
#12 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat

Sein Bruch mit dem SED-Regime wird oft mißverstanden. Er bedeutet keineswegs die Abkehr vom Kommunismus, auch nicht vom Leninismus.



Lieber Zettel,

ja ist alles richtig aber dennoch falsch, ich meine taktisch unklug. Rudi war Kommunist, jedoch sehr SED/SEW/DKP kritisch. Es kulminierte in seinem, an gewissen verstreuten Betrachtungen von Marx und insbesondere deren Ausdeutung in Wittfogel's "Orientalische Despotie" anknüpfenden Spätwerk, indem er die Sowjetunion äusserst kritisch in den Kontext der asiatischen Produktionsweise setzte.

Nun musst du bedenken, dass wir heute in einer Situation sind, in der wir bis zu 30% SED Wähler im Osten haben und - ärger noch - eine massive Tendenz zur Verharmlosung und Relativierung marxistischer Verbrechen haben, die quer durch alle politischen Lager geht, weil fast alle Parteien irgendwelche Blockflöten in ihren Reihen haben und weil die relativierende, verharmlosende und gar zustimmende Tendenz der alten BRD durch den massenhaften Zustrom von marxistisch-leninistisch geschulten Linken aus dem Osten derart hochgespült wurde, dass sattsam bekannte Aktivisten aus dem DKP Milieu, die zu Rudis Zeiten nichts zu melden hatten, selbst in der Springerpresse längst salonfähig wurden.

Angesichts dieser widerwärtigen Entwicklung ist es grundfalsch sich auf einen toten Hund einzuschiessen, zumal sich die SED heute erfrecht diesen für sich zu funktionalisieren, wobei du mit deiner Aktivität noch Wasser auf die Mühlen schüttest!

Würde Dutschke heute noch leben, Rudi würde massiv gegen SED, deren Tarnorganisationen und Bündnispartner und die relativierende, verharmlosende und gar zustimmende Tendenz deutscher Intellektueller und Medienfuzzis vorgehen. Uns sollte ein solcher Dutschke ein willkommener Bündnispartner in unserem Kampf für Demokratie und Freiheit und gegen Verantwortliche, Verharmloser und Relativierer marxistischer Verbrechen sein!

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

10.02.2011 19:10
#13 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat von danielphoffmann
Rudi war Kommunist, jedoch sehr SED/SEW/DKP kritisch. Es kulminierte in seinem, an gewissen verstreuten Betrachtungen von Marx und insbesondere deren Ausdeutung in Wittfogel's "Orientalische Despotie" anknüpfenden Spätwerk, indem er die Sowjetunion äusserst kritisch in den Kontext der asiatischen Produktionsweise setzte.


Ja, das war ja das Hauptthema seiner Dissertation (Haben Sie - ich ziehe das Sie vor - sie zu lesen versucht?)

Zitat
Angesichts dieser widerwärtigen Entwicklung ist es grundfalsch sich auf einen toten Hund einzuschiessen, zumal sich die SED heute erfrecht diesen für sich zu funktionalisieren, wobei du mit deiner Aktivität noch Wasser auf die Mühlen schüttest!


Lieber Daniel Hoffmann, um das einmal klarzustellen: Ich schreibe das, wovon ich denke, daß es interessant und mitteilenswert ist.

Ich schieße nicht, ich schütte nicht. Ich schreibe, so gut oder so schlecht ich das kann. Wer es liest, der mag sich seine Gedanken dazu machen, oder auch nicht. Darauf habe ich keinen Einfluß und will ich keinen Einfluß haben.

Zitat
Würde Dutschke heute noch leben, Rudi würde massiv gegen SED, deren Tarnorganisationen und Bündnispartner und die ]relativierende, verharmlosende und gar zustimmende Tendenz deutscher Intellektueller und Medienfuzzis vorgehen. Uns sollte ein solcher Dutschke ein willkommener Bündnispartner in unserem Kampf für Demokratie und Freiheit und gegen Verantwortliche, Verharmloser und Relativierer marxistischer Verbrechen sein!


Das kann ich nicht nachvollziehen. Zum einen habe ich keine Ahnung davon, wo Dutschke heute politisch stehen würde. Zum anderen hat er eindeutig nicht für Demokratie und Freiheit gekämpft, sondern für den Sozialismus.

Er hat, belesen und intelligent wie er war, Rosa Luxemburg richtig verstanden: Freiheit ist nicht die Freiheit der Andersdenkenden allgemein, sondern die Freiheit der andersdenkenden Sozialisten. Er ist nie bis zur Aufklärung gekommen, hat vermutlich nie Kant gelesen und nicht verstanden, daß ein demokratisches Gemeinwesen nur funktionieren kann, wenn das Gewaltmonopol beim Staat liegt. Er wollte Gewalt, und zwar gegen den demokratischen Staat.

Nein, solche Bundesgenossen brauchen wir Demokraten nicht.

Herzlich, Zettel

danielphoffmann Offline




Beiträge: 124

10.02.2011 19:56
#14 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

in der Tat habe ich die Diss studiert, einschliesslich des Kontextes, also Wittfogel und die Dokumente der alten KOMINTERN bez. China und die asiatische Produktionsweise. Die Wittfogel'sche Kritik war ausserordentlich fundamental und äusserst antikommunistisch. Bei Rudi wurde dann der halbasiatische und der westeuropäischen Weg zum Sozialismus daraus. Der gesamte Kontext stellt die denkbar schärfste Kritik an den sozialistischen Systemen dar, die aus einem marxistischen Kontext heraus möglich ist. Ich konnte damals beobachten, wie Dutschkes Werk von Linksradikalen rezipert wurde, die über Rudi den Weg zu Wittfogel fanden und ausnahmslos alle in der Folge auch noch die letzten Illusionen über die "friedliebende Sowjetunion" verloren. Auch den Aspekt, das Rudi's Spätwerk den Weg zu Wittfogel öffnete, solltest du mit ins Kalkül nehmen, lieber Zettel.

Rudis Entwicklung? Nun ich glaube, würde er noch leben, er wäre für Gysi und die SED die Geissel Gottes!

Das Problem mit den Bürgerlichen der BRD ist es, dass sie die Strömungen der Linken nicht erkennen und auseinanderhalten können. Das nutzt die SED um einerseits Dutschke für sich zu funktionalisieren und andererseits ihre U-Boote beliebig positionieren zu können, da kaum einer ideengeschichtlich durchblickt. Wem Stamokap kein Begriff ist, der kann auch die parteinahen Ideologen nicht als solche identifizieren. Wer auf der Linken überall nur Moskau erblickt, der übersieht, dass der Kern der alten Studentenbewegung (=68er) seinerzeit schärfste Kritik an der Sowjetunion, der DDR, der KPdSU, der SED/SEW/DKP, also am kommunistisch-sozialistischen Lager schlechthin, übte. Nein, diese Leute sind ganz gewiss nicht dran schuld, dass die SED heute Traumergebnisse erzielt, die Täter nicht wirklich bestraft wurden und generell eine Tendenz zur Verharmlosung und Relativierung marxistischer Verbrechen zu diagnostizieren ist!

Fast parallel zu Dutschkes Arbeit über den halbasiatischen und den westeuropäischen Weg zum Sozialismus fanden die intellektuell höchstentwickelten Teile der alten Studentenbewegung über Levi und Glucksman den Weg zu Solschenizin. In dieser Strömung wurde Marx und der Sozialiamus/Kommunismus nicht nur aufgegeben, sondern der Totalitarismus wurde korrekt bereits im Werk Marx identifiziert. Diese Kräfte gingen noch weiter als Rudi.

Ich bleibe dabei, dass mir linke Kritiker am kommunistisch-sozialistischen Lager als Bündnispartner im Kampf gegen das Vergessen willkommen sind!

meyer Offline



Beiträge: 29

10.02.2011 20:59
#15 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

So, Dutschke war also ein Kritiker der SED. Natürlich, als ehemaliger DDR-Bürger hatte er genau erlebt, wie übel die DDR war. Aber macht ihn das zu einem Demokraten, zu einem antitotalitären Denker?
Kritik an den moskautreuen Ströhmungen der Linken war doch charakteristisch für die Neue Linke. Aber wir müssen doch auch sehen, warum die Neue Linke DKP/SEW und deren diverse Tarnorganisationen kritisiert hat: Die waren ihnen nicht totalitär genug. Sie waren ihnen zu legalistisch orientiert.

Interessant wird es doch, wenn man sich auf alten Fotos anschaut, was für Portraits auf den SDS-Demos auf Transparenten durch die Gegend getragen wurden. Und das war natürlich nicht Ulbricht, sondern Che Guevara, Ho Chi Minh, Mao. Massenmörder.

Wenn ich die Wahl zwischen Walter Ulbricht und Che Guevara hätte, würde ich mich immer für Ulbricht entscheiden. Der eine hatte feuchte Träume vom Atomkrieg, war wütend, dass die Kuba-Krise nicht zu einem Atomkrieg geführt hat - und der andere stand "nur" einer Diktatur vor, aber einer Diktatur, die wenigstens einigermaßen berechenbar war.

Und das alles wusste natürlich der SDS. Die setzten sich für den Sieg der "vietnamesischen Revolution" ein, eben weil das Blut dort kräftig floss. Und in Ost-Berlin eben nicht. Diese Leute waren von der Kulturrevolution begeistert, weil das alles so schön aufregend war.

danielphoffmann Offline




Beiträge: 124

10.02.2011 23:02
#16 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat
Die waren ihnen nicht totalitär genug.



also Dutschke als noch schlimmer als Genossen einzustufen, die ein ganzes Volk eingemauert und tausende Bürger ermordet haben, also dazu gehört schon eine ganz schöne Verblendung. Nur mal zur Erinnerung: der Dutschke hat sicherlich viel dummes Zeug erzählt, aber er hat niemanden verletzt, geschweige denn umgebracht. Rudi wurde umgebracht und zwar von einem Stasi-Agenten und Mitglied der gleichen Partei in der auch Gysi Mitglied war und ist!

Du musst auch die Entwicklung Dutschkes berücksichtigen. Die ganze Richtung hatte sich längst de-radikalisiert, als er starb. Da waren Lernprozesse, wozu auch Rudis Diss gehörte. Wie bereits angedeutet, habe ich Genossen gekannt, die über Rudis Diss zu Wittfogels orientalischer Despotie fanden und dann den ganzen linken Quatsch über Bord schmissen.

Ich bleibe dabei, dass hier ein toter Hund geprügelt wird und das die SED von solchen Veranstaltungen profitiert. Der tote Hund wird regelrecht die Arme der SED getrieben, die schon längst damit begonnen hat, Rudi für sich zu funktionalisieren und mit solchem undifferenzierten und offensichtlich beratungsresistenten Halbwissen könnt ihr dieser Lüge auch nichts entgegenhalten. Gysi lacht sich ins Fäustchen. Schämt euch!

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

10.02.2011 23:23
#17 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt. Duzerei Antworten

Zitat von danielphoffmann
Rudi wurde umgebracht und zwar von einem Stasi-Agenten und Mitglied der gleichen Partei in der auch Gysi Mitglied war und ist!


Das wurde hier schon einmal behauptet, und Rayson hat darauf getippt, daß eine Verwechslung mit Kurras-Ohnesorg vorliegt. Nennen Sie bitte Ihre Quellen?

Und nochmal: Ich würde es schätzen, wenn Sie mich nicht duzen würden.

Wer miteinander vereinbart, sich in diesem Forum zu duzen, der hat dazu selbstverständlich jede Freiheit. Jemanden zu duzen, der das ausdrücklich von dem betreffenden Duzer nicht will, ist eine, milde gesagt, Unhöflichkeit.

Ich nehme an, daß Sie auch nicht jemanden ungebeten duzen würden, den Sie im ICE treffen, an der Hotelbar, auf dem Podium einer Diskussionsveranstaltung oder sonstwo.

Wieso in aller Welt hier im Forum? Sind denn hier Kinder?

Herzlich, Zettel

meyer Offline



Beiträge: 29

10.02.2011 23:41
#18 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat
also Dutschke als noch schlimmer als Genossen einzustufen, die ein ganzes Volk eingemauert und tausende Bürger ermordet haben, also dazu gehört schon eine ganz schöne Verblendung.



Ich würde vorschlagen, sich einfach mal ein bisschen mit den Primärquellen aus der Neuen Linken zu beschäftigen. Wenn man sich zum Beispiel Kursbuch-Ausgaben aus den späten sechziger Jahren anguckt, stellt man fest, dass da eine gehörige Sympathie für den Maoismus da war. Das ist im übrigen auch beim einfachen Blick auf Fotos von Demonstrationen aus dieser Zeit zu sehen. Mao-Bilder sind da sehr, sehr oft dabei. Nun ist es natürlich nicht so, dass Dutschke selbst Maoist war, das will ich auch nicht behaupten. Mir geht es darum, den Charakter der Kritik an der DDR aus der Neuen Linken zu beschreiben.

Und die Alternativen von links, die da zu Ulbricht angeboten werden, halte ich für schlimmer, ganz egal ob das jetzt die trotzkistische Variante mit Mandel ist, ob es die stärker antikoloniale Variante Fanon ist, oder die Atomkriegs-Phantasien von Che Guevara, oder eben insbesondere die Variante Kulturrevolution. Dieser ganze maoistische Unsinn war einfach unglaublich präsent, es ist doch kein Zufall, dass im Gründungstext der RAF andauernd Mao zitiert wird. Diese RAF-Leute sind doch nicht mit einem UFO in Deutschland gelandet, die waren ein organischer Teil der Neuen Linken. Zettel hat völlig zu Recht auf Dutschkes Verhalten bei der Beerdigung von Holger Meins hingewiesen.

Die Sympathie für den Maoismus lässt sich selbst für einige Leute aus dem Umfeld der Frankfurter Schule feststellen, wie z.B. Sohn-Rethel.

Ich weiß nicht, wie irgendjemand bestreiten kann, dass Mao schlimmer als Ulbricht war.

Oder anders: Man erinnere sich an das berühmte Plakat des SDS "Alle reden vom Wetter. Wir nicht." - da ist selbstverständlich Lenin mit dabei. Die Neue Linke hat an der DDR kritisiert, dass sie den Lenin'schen Radikalismus aufgegeben hat, dass sich bürgerlich geworden war - bürgerlich in dem Sinne, dass eine gewisse Ruhe in die Gesellschaft eingekehrt war anstelle der Permanenten Revolution, von der sie träumten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

11.02.2011 00:18
#19 RE: Dutschke, Revolution, Gewalt Antworten

Zitat von meyer
Wenn man sich zum Beispiel Kursbuch-Ausgaben aus den späten sechziger Jahren anguckt, stellt man fest, dass da eine gehörige Sympathie für den Maoismus da war. Das ist im übrigen auch beim einfachen Blick auf Fotos von Demonstrationen aus dieser Zeit zu sehen. Mao-Bilder sind da sehr, sehr oft dabei. Nun ist es natürlich nicht so, dass Dutschke selbst Maoist war, das will ich auch nicht behaupten. Mir geht es darum, den Charakter der Kritik an der DDR aus der Neuen Linken zu beschreiben.


Es war, lieber meyer, ja zunächst eine sozusagen bürgerliche Kritik. Man berief sich auf Adorno und Herbert Marcuse, die freilich keine Ahnung von Politik hatten. Man las ja auch begeistert Freud; man vertiefte sich in die ersten Jahre nach der bolschewistischen Revolution, als die Freudomarxisten Freud und Marx zu verbinden versuchten; man entdeckte Bernfeld, Reich, Alexandra Kollontai.

Dann wurde es radikaler, und jetzt war Mao in der Tat der Säulenheilige. Das war eine Verkennung der Realität, die alles übertraf, was man sich zuvor geleistet hatte; auch ein unglaublicher Zynismus. Der Massenmörder wurde zum Vorbild. Leute wie Semler, die noch wenige Jahre zuvor für Freiheit eingetreten waren, erkoren nicht nur Mao, sondern gar Enver Hodscha zu ihren Bundesgenossen.

Zitat
Und die Alternativen von links, die da zu Ulbricht angeboten werden, halte ich für schlimmer, ganz egal ob das jetzt die trotzkistische Variante mit Mandel ist, ob es die stärker antikoloniale Variante Fanon ist, oder die Atomkriegs-Phantasien von Che Guevara, oder eben insbesondere die Variante Kulturrevolution.


Die Trotzkisten profitieren davon, daß sie niemals irgendwo an die Macht gekommen sind. Also ziehen sie Phantasten an. Das ist auch heute noch so. Siehe den Erfolg von Besancenot in Frankreich.

Zitat
Dieser ganze maoistische Unsinn war einfach unglaublich präsent, es ist doch kein Zufall, dass im Gründungstext der RAF andauernd Mao zitiert wird. Diese RAF-Leute sind doch nicht mit einem UFO in Deutschland gelandet, die waren ein organischer Teil der Neuen Linken.


Das Absurde ist ja, daß ausgerechnte der Despot und Menschenschlächter Mao, ein Massenmörder in der Liga von Hitler und Stalin, der Held dieser Leute wurde. Das lag daran, daß man sich die Kulturrevolution - ein Massaker, eine Orgie der Demütigung, des Mordens, der Zerstörung von Kultur - als eine fröhliche Befreiungsbewegung vorstellte. So, wie die "Viva-Maria"-Fraktion vermutlich dachte, daß die mexikanische Revolution kein Abschlachten war, sondern ein munteres Vergnügen à la Louis Malle.

Es war die unglaubliche Dummheit, die Borniertheit, der Zynismus von Intellektuellen, die niemals den Versuch gemacht hatten, selbst zu denken,.

Zitat
Die Neue Linke hat an der DDR kritisiert, dass sie den Lenin'schen Radikalismus aufgegeben hat, dass sich bürgerlich geworden war - bürgerlich in dem Sinne, dass eine gewisse Ruhe in die Gesellschaft eingekehrt war anstelle der Permanenten Revolution, von der sie träumten.


So ist es. Sie haben das kritisiert, was an der DDR erträglich war, und sie wollten eine Gesellschaft des Terrors, gegen die in der Tat die DDR eine Idylle war.

Es waren arrogante, verantwortungslose, auch dumme Intellektuelle. Angeber, Blender, Aktionisten, die nie ernsthaft irgend etwas studiert hatten. Baader und Carlo haben diesen Typus verkörpert.

Herzlich, Zettel

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