In dieser Serie und in anderen Artikeln habe ich immer wieder darauf hingewiesen, daß das Schema "Das Volk erhebt sich gegen eine Diktatur" zu einfach ist, um die komplexen Verhältnisse in den einzelnen Ländern zu treffen, in denen es jetzt Aufruhr gibt.
Für Libyen gilt das in besonderem Maß. Gewiß ist Gaddafi ein schlimmer Diktator. Aber seine Gegner sind überwiegend keine Menschen, die eine Demokratie westlichen Zuschnitts einführen wollten oder das auch könnten. Es sind Stammesangehörige, die gegen die Unterdrückung ihrer Stämme durch den Gaddafi-Stamm kämpfen.
Lieber Zettel, das Problem ist, dass sich europäische (und inzwischen auch nordamerikanische) Politik nicht nach den Interessen dieser Länder richtet. Sondern nach den Interessen der Medienmehrheit, deren politische Ausrichtung ja nun auch kein Geheimnis ist. Insofern ist völlig irrelevant, dass ein Sturz Gaddafis Europa massiv schaden wird. Mehr als die Hälfte der europäischen Gesetzgebung schadet Europa genauso massiv. Und solange Mutti sich nur dafür interessiert wie das, was sie äussert, morgen in der Süddeutschen, im Spiegel oder im Kinderstürmer aus Kreuzberg besprochen wird, solange wird es auch sicher keine Aussenpolitik geben, die sich an den Interessen des Landes ausrichtet. Das hat sie mit Obama gemeinsam. Und schätzungsweise 90% der restlichen Regierungschefs auch.
Zitat von DagnyTja, hätten Sie diese realpolitische Frage mal letzte Woche zu zu Guttenberg gestellt......
Welche realpolitische Frage?
Ich versuche das mal an Dagnys Stelle zu beantworten:
Zitat von Zettel über Gaddafi, aber nicht über GuttenbergGewiß ist Gaddafi ein schlimmer Diktator. Aber seine Gegner sind überwiegend keine Menschen, die eine Demokratie westlichen Zuschnitts einführen wollten oder das auch könnten. Es sind Stammesangehörige, die gegen die Unterdrückung ihrer Stämme durch den Gaddafi-Stamm kämpfen.
Falls Gaddafi fällt, dann ist eine demokratische Entwicklung, wie sie in Tunesien möglich erscheint, sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist eine Situation, die weniger in Europas Interesse liegen würde als ein Fortbestehen der Diktatur.
Gewiß ist Guttenberg ein schlimmer Plagiator. Aber seine Gegner sind überwiegend keine Menschen, die sich irgendetwas aus dem Ethos der Wissenschaft machen. Es sind Parteipolitiker, die gegen die Regierungsmehrheit von CDU/CSU/FDP kämpfen.
Falls Guttenberg abtritt, dann ist eine dauerhafte Erneuerung Deutschlands sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist eine Situation, die weniger im liberalkonservativen Interesse liegen würde als ein Weitermachen des Plagiators in der Bundesregierung.
die Parallelen, die Ihre hübsche Montage zieht, sehe ich eben nicht:
Zitat von Kallias
Zitat von Zettel über Gaddafi, aber nicht über GuttenbergGewiß ist Gaddafi ein schlimmer Diktator. Aber seine Gegner sind überwiegend keine Menschen, die eine Demokratie westlichen Zuschnitts einführen wollten oder das auch könnten. Es sind Stammesangehörige, die gegen die Unterdrückung ihrer Stämme durch den Gaddafi-Stamm kämpfen.
Gewiß ist Guttenberg ein schlimmer Plagiator. Aber seine Gegner sind überwiegend keine Menschen, die sich irgendetwas aus dem Ethos der Wissenschaft machen. Es sind Parteipolitiker, die gegen die Regierungsmehrheit von CDU/CSU/FDP kämpfen.
Ein Sturz Gaddafis wäre nicht nur realpolitisch gefährlich, sondern er würde auch nicht zu jenen demokratischen Verhältnissen führen, die viele sich davon offenbar erwarten. Das meinte ich mit der grün zitierten Passage.
Was in der blauen Passage steht, bestreite ich gar nicht und habe ich - glaube ich - auch in keinem meiner Kommentare bestritten. Nur bei dem "überwiegend" hätte ich Zweifel; ein Großteil der Kritik im Internet und auch in den Medien (vor allem der FAZ) war nicht erkennbar parteipolitisch motiviert.
Eine derart dreiste Verletzung der Ethik der Wissenschaft konnte von Wissenschaftlern nicht geduldet werden; denn es ging um das Ansehen der Wissenschaft. Das ist eine realpolitische Überlegung.
Ein Mann mit dem Charakter, den Guttenberg nicht nur durch das Plagiieren, sondern mehr noch durch seine Lügen während der Affäre an den Tag gelegt hat, wäre als Bundeskanzler ein unkalkulierbares Risiko gewesen; weit schlimmer als Gerhard Schröder. Er hätte langfristig auch der liberalkonservativen Sache geschadet. (Übrigens hat Rudolf Augstein aus einer ähnlichen Beurteilung heraus seinen Feldzug gegen Strauß geführt, um zu verhindern, daß dieser jemals Kanzler werden würde). Auch das ist eine realpolitische Überlegung.
Zitat von Zettel über Gaddafi, aber nicht über GuttenbergFalls Gaddafi fällt, dann ist eine demokratische Entwicklung, wie sie in Tunesien möglich erscheint, sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist eine Situation, die weniger in Europas Interesse liegen würde als ein Fortbestehen der Diktatur.
Falls Guttenberg abtritt, dann ist eine dauerhafte Erneuerung Deutschlands sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist eine Situation, die weniger im liberalkonservativen Interesse liegen würde als ein Weitermachen des Plagiators in der Bundesregierung.
Hier bestreite ich den blauen Text entschieden. Guttenberg wäre als Kanzler kein Erneuerer gewesen. Er hat ja in den beiden Ministerämtern keine Ideen entwickelt, sondern sich nur als Macher präsentiert. Die Wirtschaftskrise wurde von Merkel und Steinbrück gemanagt, nicht von Guttenberg. In Sachen Wehrpflicht trat er zunächst schneidig für deren Beibehaltung ein, um dann ebenso schneidig auf die Linie der FDP einzuschwenken.
Sein "Haus bestellt" hat er dabei gerade nicht. Inzwischen wachsen ja die Zweifel daran, ob überhaupt gründlich geprüft wurde, wie man die benötigten Berufssoldaten gewinnt und ob die Reform bei gleichzeitigen Einsparungen überhaupt realistisch ist.
Irgendwo in dieser umfangreichen Debatte habe ich, glaube ich, einmal geschrieben, daß es nicht um Gesinnungsethik vs. Verantwortungsethik geht. Realpolitik und wertegeleitete Politik sind keine Gegensätze; was Weber am Ende des Vortrags ja auch anmerkt
Man kann sich - grüner Text - die Frage stellen, ob nicht das Leiden von Menschen so groß sein kann, daß man auch gegen die Interessen des eigenen Staats etwas dagegen tun muß. Man kann das anhand der Frage diskutieren, warum die Bahnlinien nach Auschwitz nicht bombardiert wurden. Man kann es anhand der Frage diskutieren, ob die Flächenbombardements ethisch verantwortbar waren. Man kann es anhand der Frage diskutieren, ob ein Krieg gegen Saddam Hussein nicht ethisch geboten war, weil er ein unmenschliches Regime führte.
Aber diese Frage stellt sich im Fall Libyen nicht. Gaddafi tut das, was unzählige Regierungen getan haben: Er versucht einen Aufstand niederzuschlagen. Das ist keine Situation, die den genannten vergleichbar wäre.
Im Fall Guttenberg habe ich ebenfalls keinen Gegensatz von Gesinnungs- und Verantwortungsethik gesehen. Es war - siehe oben - auch im Sinn der liberalkonservativen Sache richtig, daran mitzuwirken, daß dieser Mann nicht zum Führer der Liberalkonservativen wird. Gesinnungs- und Verantwortungsethische Erwägungen fielen also zusammen.
Erst Recht gilt das für die Wissenschaft. Die wissenschaftliche Ethik ist keine Zutat zur Wissenschaft, sondern eine ihrer Grundlagen; sie ist für ihren Erfolg in der realen Welt unverzichtbar.
Ja ja, diese dummen Araber sind zu blöd für Demokratie. Lassen wir sie lieber weiter unter Gaddafis Knute leben. Btw, hat man das nicht auch über den Irak und Saddam gesagt?
Zitat von ElomanJa ja, diese dummen Araber sind zu blöd für Demokratie.
Das scheint mir, lieber Eloman, ein Vorurteil zu sein. Ich weiß nicht, wie Sie das begründen wollen.
Präsident Bush hat in seiner Rede in Scharm El-Scheich, die ich schon des öfteren zitiert habe, die arabischen Staaten eindringlich ermahnt, sich auf den Weg in demokratische Verhältnisse zu begeben, und er hat - das habe ich gerade erst beschrieben - in Ägypten konkrete Hilfen zur Demokratisierung eingeleitet. Die beiden konstitutionellen Monarchien Marokko und Jordanien sind auf dem Weg einer vorsichtigen Demokratisierung; vergleichbar dem Weg in die Demokratie, den beispielsweise Schweden ohne Revolution gegangen ist.
Im übrigen sind "die Araber" nicht dumm. Ich kenne keinen Hinweis darauf, daß der IQ in arabischen Ländern niedriger liegen würde als beispielsweise in den USA oder Europa.
Zitat von ElomanLassen wir sie lieber weiter unter Gaddafis Knute leben. Btw, hat man das nicht auch über den Irak und Saddam gesagt?
Die Lenker von Staaten und Staatengemeinschaften haben in erster Linie die Pflicht, ihrem Amtseid gemäß die Interessen ihrer Bürger zu vertreten, nicht diejenigen anderer Staaten oder von deren Bürgern.
Wie ich in diesem Thread in meiner Antwort an Kallias geschrieben habe, kann es so schlimmer Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben, daß man diskutieren muß, ob dann nicht ein Eingreifen gegen die eigenen Interessen ethisch geboten ist.
Im Fall Irak war das möglicherweise gegeben, in Libyen mit Sicherheit nicht. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß gerade die Linke sowohl in den USA als auch in Europa dieses Argument im Fall des Irak nicht hat gelten lassen.
Zitat von ZettelIm Fall Guttenberg habe ich ebenfalls keinen Gegensatz von Gesinnungs- und Verantwortungsethik gesehen. Es war - siehe oben - auch im Sinn der liberalkonservativen Sache richtig, daran mitzuwirken, daß dieser Mann nicht zum Führer der Liberalkonservativen wird. Gesinnungs- und Verantwortungsethische Erwägungen fielen also zusammen.
Das wird bestätigt durch die akutellen Umfragewerte von Forsa, die zeigen, daß zwar die Diskussion um Guttenberg der Union geschadet hat, aber nicht sein Rücktritt. In dem Artikel wird Güllner zitiert:
Zitat Forsa-Chef Manfred Güllner sagte dem "Stern", dass die Sympathiewerte wieder anzögen, zeige, dass Guttenbergs Rücktritt ein absolut notwendiger Schritt für die Glaubwürdigkeit von CDU und CSU gewesen sei.
Wer argumentierte, man hätte Guttenberg nicht kritisieren dürfen, um dem christlich-liberalen Lager nicht zu schaden, der argumentierte auf einer falschen empirischen Basis.
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