Dieser Artikel erscheint in der Serie "Anmerkungen zur Sprache", weil es um ein Phänomen beim Sprechen geht, nämlich die Entstehung von Versprechern. Im jetzigen ersten Teil befasse ich mich mit den Grundlagen von Freuds Theorie der Fehlleistungen. Wie sie aus der Sicht der Linguistik zu beurteilen ist, wird Gegenstand des zweiten Teils sein.
Das passiert immer wieder mal, dass welche aufeinander losgehen. So war das am 1. September 1939, wo Polen und Deutsche aufeinander losgegangen sind. Oder dann in Auschwitz, wo Juden und SS aufeinander losgingen.
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Sorry, aber das musste ich mal loswerden. Und ich bitte alle, diese SPIEGEL-Frechheit weiterzusagen.
Um dem zweiten Teil mal mit der eigenen Ansicht zuvorzukommen:
Verwechseln kann man alles, was in irgendeiner Weise ähnlich ist, und die emotionale Bewertung ist natürlich eine unter beliebig vielen anderen Dimensionen, in denen sich zwei Sachen im Einzelfall auch mal ähneln können. Aber als allgemeiner Erklärungsmechanismus ist es kompletter Schwachfug. Gerade bei Osama/Obama liegt es auf der Hand, dass die Assoziation nicht inhaltlich sondern phonetisch ist.
Im Rahmen der Psychoanalyse macht so eine Idee ja auch nur Sinn, weil das Unterbewusstsein als selbständige Instanz gedacht wird, die quasi intelligent Pläne aufstellt, wie es das Bewusstsein austricksen kann. Ähnlich wie im Marxismus das Klasseninteresse mit beachtlicher Intelligenz das individuell egoistische Individuum auch gegen das individuelle Interesse in klassenegoistisches (nosistisches?) Verhalten treibt. Im Wahrheit gibt es solche Instanzen natürlich nicht, auch wenn im Hirn einiges passiert ohne bewusst wahrgenommen zu werden.
Eigentlich will ich aber den Thread kapern um auf einen Effekt hinzuweisen, den ich immer mit Freud assoziiere:
Etwa von der Aufklärung bis zum zweiten Weltkrieg gab es ein Zeitfenster, in dem in höheren Gesellschaftsschichten etablierte Spinnereien dauerhaftes Sozialprestige erlangen konnten.
Das gilt nicht für ältere Spinnereien, z.B. diskutiert niemand Alchemie und Astrologie als intellektuell ernstzunehmende Ansätze, obwohl das Hobbys von Leuten mit hohem Prestige waren. Genauso ist es auch mit nach dem Fenster aufgekommenen Quatsch wie Scientology, der Gaiahypothese oder dem Veganismus, obwohl auch das zum großen Teil Oberschichtphänomene sind. (Die Umweltbewegung zählt nicht, da wird ein ernstzunehmendes Problem hysterisch übertrieben, das ist etwas völlig anderes.) Und wenig überraschend auch nicht für ursprüngliche Unterschichtenideen, die während des Fensters aufkamen, wie z.B. der Lehre der Zeugen Jehovas oder den Kreationismus. Die Anhänger all dieser Ideen rechnen nicht damit, von denjenigen gesellschaftlichen Eliten ernstgenommen zu werden, die ihre Ansichten nicht zufällig teilen.
Aber wenn jemand Antroposoph und Hömöopath ist, oder Kommunist und Psychoanalytiker (die Mischung nennt sich dann wohl "kritische Theorie") oder Rousseau'schen Erziehungsideen anhängt, dann ist es ausgesprochen unhöflich ihn als Spinner abzutuen. Und das obwohl alle drei im empirisch prüfbaren Bereich ganz eindeutig mehr Schwachsinn glauben als jeder Zeuge Jehovas. Wenn eine Idee es geschafft hat, während des Zeitfensters respektable Vertreter zu gewinnen, dann ist sie eben selbst respektabel geworden und bis heute geblieben.
Ich möchte gern wissen, wie man dieses Fenster soziologisch erklären kann, aber ich weiß es nicht.
In "Caliban über Setebos" logiert sich der Held bei Wirt O. Tulp ein (dem echten Wirt Bangemann nachgebildet, dem Dorfwirt von Schmidts Wohnsitz Bargfeld; natürlich ein Anagramm von Pluto) und begibt sich dann in die Gaststube. Der Wirt kommt an den Tisch und fragt: "Was woll'n Sie? Bier oder Bier?"
Wie es seine Art war, hatte Schmidt diesen Einfall vor Beginn der Niederschrift auf einen seiner Zettel notiert. Die für "Caliban über Setebos" (eine Orpheus-Geschichte voller Anspielungen) hatte er wegwerfen wollen und in einen Müllbeutel getan. Seine Frau Alice rettete diesen aber; und die Arno-Schmidt-Stiftung hat jetzt die mehr als 1000 Zettel zu "Caliban über Setebos" transkribiert und geordnet.
Und sogar ins Netz gestellt; der mit dem Bier ist Nr. 91. Vielleicht ganz interessant für diejenigen, die sich ein Bild von Schmidts Arbeitsweise machen wollen.
Für "Zettels Traum" hatte er nach eigenem Bekunden 120.000 Zettel angelegt. Deren Auswertung ist noch im Gange, aber nach einer Zwischenmeldung von Susanne Fischer (der ausgezeichneten Mitarbeiterin der Stiftung) dürften es einige weniger sein.
Herzlich, Zettel
Edit: Angaben zu O. Tulp berichtigt und ergänzt.
Blub
(
gelöscht
)
Beiträge:
09.05.2011 01:45
#7 RE: Anmerkungen zur Sprache (10): "Obama" statt "Obama"
Vielleicht ist Fortschrittsglauben auch so ein Aspekt, der neue Spinnereien damals begünstigt hat und alte als solche gebrandmarkte Spinnereien will man natürlich nicht huldigen. In einem gewissen Grade sind Spinnereien die Grundlage jedes Fortschreitens. Aber deswegen darf man nicht erwarten, dass alle sinnvoll sind, im Gegenteil, die meisten bleiben Spinnereien und letztlich erkennt man das erst im Nachhinein, den mit dem Wissen der Zeit mag man da andere Hoffnungen hegen. So ergibt sich auch ein gewisses Zeitfenster, was aber m.E. nicht bestimmbar ist und je nach Problem unterschiedlich lang ist.
P.S.: Zum Artikel, endlich mal wieder ein richtiger Zettel! :)
Zitat von GilbertUm dem zweiten Teil mal mit der eigenen Ansicht zuvorzukommen:
Sie werden sehen, daß meine nicht allzuweit entfernt ist.
Zitat Verwechseln kann man alles was in irgendeiner Weise ähnlich ist und die emotionale Bewertung ist natuürlich eine unter beliebig vielen anderen Dimensionen in denen sich zwei Sachen im Einzelfall auch mal ähneln können. Aber als allgemeiner Erklärungsmechanismus ist es kompletter Schwachfug. Gerade bei Osama/Obama liegt es auf der Hand, dass die Assoziation nicht inhaltlich sondern phonetisch ist.
Das eine schließt das andere nicht aus. In klassischen linearen Modellen der Informationsverarbeitung war es schwierig, sich vorzustellen, daß ein Fehler zugleich auf verschiedenen "Stufen der Informationsverarbeitung" verursacht wird. An solche Modelle glaubt aber heute fast niemand mehr. Nimmt man interaktive Verarbeitung, kontinuierlichen partiellen Output, cascading usw. an, dann hat man kein Problem damit, daß Ursachen auf verschiedenen Stufen der Verarbeitung zusammenwirken, um einen Fehler zu erzeugen. Insofern lag Freud mit seiner Idee der Überdetermination nicht so verkehrt.
Zitat Im Rahmen der Psychoanalyse macht so eine Idee ja auch nur Sinn, weil das Unterbewusstsein als selbständige Instanz gedacht wird, die quasi intelligent Pläne aufstellt, wie es das Bewusstsein austricksen kann. Ähnlich wie im Marxismus das Klasseninteresse mit beachtlicher Intlligenz das individuell egoistische Individuum auch gegen das individuelle Interesse in klassenegoistisches (nosistisches?)Verhalten treibt. Im Wahrheit gibt es solche Instanzen natürlich nicht, auch wenn im Hirn einiges passiert ohne bewusst wargenommen zu werden.
Kleine Beckmesserei: Freud hat nicht vom Unterbewußtsein gesprochen, sondern zuerst vom System ubw (Unbewußtes) und dann, im topologischen Modell, vom Es, dem ubw als eine Qualität zugeordnet ist.
Wie intelligent sich Freud das System ubw bzw das Es vorgestellt hat, ist eine interessante Frage. Es funktioniert ja nach seiner Vorstellung gemäß dem Primärvorgang, also zur sofortigen Erregungsabfuhr drängend, dem Lustprinzip unterworfen, ohne Logik (es gilt weder der Satz von der Identität noch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten), ohne die Dimensionen Raum und Zeit. Es ist im Grunde nicht das System ubw, das sich trickreich durchsetzt, sondern aufgrund seiner Funktionsmerkmale, die zB Verschiebung, Verdichtung, Symbolbildung erlauben, erzeugt es Inhalte, die das Ich (mit dem dahinter stehenden Überich) trotz der Zensur passieren lassen kann; das ist jedenfalls die Vorstellung Freuds in der "Traumdeutung", die er ja nie revidiert hat.
Zitat von GilbertEtwa von der Aufklärung bis zum zweiten Weltkrieg gab es ein Zeitfenster, in dem in höheren Gesellschaftsschichten etablierte Spinnereien dauerhaftes Sozialprestige erlangen konnten.
Das gilt nicht für ältere Spinnereien, z.B. diskutiert niemand Alchemie und Astrologie als intellektuell ernstzunehmende Ansätze, obwohl das Hobbys von Leuten mit hohem Prestige waren. Genauso ist es auch mit nach dem Fenster aufgekommenen Quatsch wie Scientology, der Gaiahypothese oder dem Veganismus, obwohl auch das zum großen Teil Oberschichtphänomene sind. (Die Umweltbewegung zählt nicht, da wird ein ernstzunehmendes Problem hysterisch übertrieben, das ist etwas völlig anderes.) Und wenig überraschend auch nicht für ursprüngliche Unterschichtenideen, die während des Fensters aufkamen, wie z.B. der Lehre der Zeugen Jehovas oder den Kreationismus. Die Anhänger all dieser Ideen rechnen nicht damit, von denjenigen gesellschaftlichen Eliten ernstgenommen zu werden, die ihre Ansichten nicht zufällig teilen.
Aber wenn jemand Antroposoph und Hömöopath ist, oder Kommunist und Psychoanalytiker (die Mischung nennt sich dann wohl "kritische Theorie") oder Rousseau'schen Erziehungsideen anhängt, dann ist es ausgesprochen unhöflich ihn als Spinner abzutuen. Und das obwohl alle drei im empirisch prüfbaren Bereich ganz eindeutig mehr Schwachsinn glauben als jeder Zeuge Jehovas.
Ein interessanter Gedanke.
Ich bin nur nicht sicher, daß es sich um ein Zeitfenster handelt und nicht um ein sozusagen zeitloses Phänomen. Mesmer und Cagliostro hatten zu ihrer Zeit ihren Anhang auch in den gebildeten Schichten; so wie heute die Homöopathie und der Marxismus. Thomas Mann glaubte an Parapsychologie und war von den Séancen der Brüder Schneider tief beeindruckt.
Eine skeptisch-rationale Haltung war aus meiner Sicht immer diejenige einer Minderheit; sie ist ja auch anstrengend und verleidet einem leicht das Vergnügen am Spekulieren, am Mystischen, an allen diesen alten Bildern in unseren Köpfen. Jung hatte ja so Unrecht nicht mit seinen Archetypen. Beim Marxismus kommt hinzu, daß er eine säkulare Religion ist und damit den faith instinct befriedigt; dasselbe gilt für die ökologistische Naturreligion, die in Deutschland im Begriff ist, zur Staatsreligion zu werden.
In einer aufgeklärten Gesellschaft sollten diese Bedürfnisse ja auch nicht verschwinden; nur gehören sie in die Bereiche der Religion und der Kunst, nicht der Erkenntnis.
Erkenntnis ist nun einmal nur durch intellektuelle Disziplin zu haben, gepaart mit Faktenhuberei. Die marxistische und die ökologistische Religion präsentieren sich aber als wissenschaftliche Erkenntnis; dies macht sie so gefährlich.
Im zweiten Teil erläutere und kommentiere ich Freuds Methode des freien Assoziierens.
Der Artikel beginnt mit der Anregung, daß Sie einmal selbst einen eigenen Traum nach Freuds Vorschriften deuten. Das ist nicht schwer; und es entspricht durchaus auch Freud, daß man das auch allein - ohne Analytiker - tun kann. Er selbst hat zahllose eigene Träume gedeutet; das war ein wesentlicher Teil des Materials für sein Buch "Die Traumdeutung" (1900).
Der Artikel ist leider ziemlich lang geworden. Ich möchte Sie bitten, ihn dennoch bis zum Ende zu lesen (oder wenigstens dorthin zu scrollen ); denn dort steht das Entscheidende: Warum Freuds Methode ganz und gar fragwürdig ist.
geehrter zettel kleiner tipp:die sprachlich/logischen fähigkeiten des professors(lustig,oder?)nicky welt. http://www.101bananas.com/library2/ninemile.html eine short story des vorzüglichen harry kemelman. gruß patzer
Zitat von patzerkleiner tipp:die sprachlich/logischen fähigkeiten des professors(lustig,oder?)nicky welt. http://www.101bananas.com/library2/ninemile.html eine short story des vorzüglichen harry kemelman.
Sehr schön! You made my day.
Harry Kemelman war mir bisher unbekannt. Mal sehen, was ich noch von ihm finde.
Tja, Nick Welt ist ein würdiger Nachfolger von Auguste Dupin, Sherlock Holmes, Karl May und Sigmund Freud.
kemelmans rororo krimis um die hauptfigur rabbi david small sind nicht nur wirklich gute kriminalromane,sondern eine sehr schöne beschreibung des bürgerlich/jüdischen ostküstenmilleus der 60er jahre.auch lernt man einiges über das judentum in seinen verschiedenen ausprägungen.tipp:man muss nicht,sollte aber die chronologische reihenfolge einhalten.die figur und die gemeinde entwickeln sich. gruß patzer
In diesem dritten und abschließenden Teil zeige ich, daß es zum Verständnis von Versprechern wie "Obama" statt Obama" nicht der spekulativen Erklärungen Sigmund Freuds bedarf. Solche Fehler ergeben sich vielmehr aus den Mechanismen der Sprachproduktion, wie die heutige Forschung sie untersucht.
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