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Dieses Thema hat 3 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.06.2011 06:06
Stratfors Analysen: Der Abzug aus Afghanistan aus militärischer Sicht Antworten

Gestern habe ich auf die weltpolitische Bedeutung von Präsident Obamas Entscheidung zum Abzug aus Afghanistan aufmerksam gemacht. Heute folgt eine Analyse von Stratfor (mit meiner deutschen Zusammenfassung) zu den militärischen Aspekten.

Der Artikel ist in der nüchternen Sprache des Stratfor-Militärexperten Nathan Hughes abgefaßt. Was es für das Militär bedeutet, nach Jahren der Anstrengung und der Opfer ohne Sieg abzuziehen und das Land faktisch dem Feind zu überlassen, kann man sich vorstellen.

Man kann sich das übrigens auch für die deutschen Soldaten vorstellen, die ihre Regierung mit der Begründung nach Afghanistan geschickt hat, sie würden bei einer guten Sache helfen. Die Sache sieht jetzt, nach der Entscheidung dieses Präsidenten, so aus, daß im günstigsten Fall Afghanistan im Bürgerkrieg versinkt und es im ungünstigeren wieder von den Taliban übernommen werden wird.

Aber natürlich von "gemäßigten", mit denen man gegenwärtig verhandelt. Sie würden sich im Fall ihres Siegs so gemäßigt benehmen wie seinerzeit die Nordvietnamesen, nachdem sie als Ergebnis der damaligen amerikanischen Rückzugspolitik Südvietnam annektiert hatten.

Florian Offline



Beiträge: 3.180

25.06.2011 13:01
#2 RE: Stratfors Analysen: Der Abzug aus Afghanistan aus militärischer Sicht Antworten

Was dieser Artikel aber auch deutlich macht (abgesehen von den Problemen, die ein Abzug verursacht), sind die gewaltigen Kosten des Afghanistan-Engagements.
Jährliche Versorgungskosten von 1 Mio. pro Soldat multipliziert mit 150 Tsd. Soldaten - das sind 150 Milliarden pro Jahr nur an Versorgungskosten.

Zum Vergleich:
Der gesamte deutsche Verteidigungsetat liegt bei unter 25 Milliarden Euro.

Der Verteidigungsetat der USA liegt bei 635 Mrd. Dollar.
Selbst für diesen gewaltigen Etat ist Afghanistan also keine Peanuts. Wobei man noch sehen muss, dass der Etat ja auch wegen Irak und Afghanistan in den letzten Jahren so gewaltig gestiegen ist. Noch im Jahr 2000 (dem letzten Jahr vor 9/11 und dem folgenden War on Terror) lag der US-Verteidigungsetat bei 294 Mrd. Dollar. Basierend auf diesem "Friedens-Etat" verbraucht Afghanistan also rund 50%.

Und andererseits ist Afghanistan halt strategisch nicht so sehr bedeutsam.
Es ist eben extrem schlecht von Außen zugänglich (daher die hohen Logistik-Kosten). Im Umkehrschluss: Es stellt kein geographisch wichtiges Gebiet dar, dessen Kontrolle strategisch wichtig wäre. Es ist dünn besiedelt. Es ist wirtschaftlich vollkommen unbedeutend. Und es hat keine relevanten Bodenschätze.
Ok, es kann als Rückzugsraum für Terroristen fungieren. Aber da hat mir ehrlich gesagt die Bin Laden-Geschichte die Augen geöffnet: wenn Bin Laden jahrelang selbst im vergleichsweise stabilen Pakistan praktisch unter den Augen der Militärs leben kann - besteht dann überhaupt Hoffnung, Afghanistan jemals so sicher zu machen, dass Terroristen dort keine Rückzugsmöglichkeiten mehr haben?

Bleibt das humanitäre Argument. Und das ist natürlich valide. Aber allein reicht es m.E. nicht aus. Der Westen ist schlicht überfordrt, überall einzugreifen wo es gravierende Menschenrechtsverletzungn gibt. Natürlich sollte man trotzdem helfen, sofern das halbwegs effektiv möglich ist. Aber die 150 Milliarden die notwendig sind, um den 30 Millionen Afghanen zu helfen: das sprengt einfach jede Proportion. Pro Einwohner gerechnet ist der Aufwand auf gleichem Niveau wie der Aufbau Ost!


Das soll jetzt nicht heißen, dass ich die Obama-Methode gutheiße. Seine Verbündeten sollte man nicht so im Stich lassen.
Aber ganz nüchtern betrachtet: das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt bei Afghanistan einfach nicht. Und angesichts der ohnehin vorhandenen strategischen Überdehnung des Westens ist dies ein naheliegender Ort, wo man wohl leider zu Recht zurückschrauben sollte.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

27.06.2011 01:12
#3 Die Bedeutung des Abzugs aus Afghanistan Antworten

Zitat von Florian
Was dieser Artikel aber auch deutlich macht (abgesehen von den Problemen, die ein Abzug verursacht), sind die gewaltigen Kosten des Afghanistan-Engagements. Jährliche Versorgungskosten von 1 Mio. pro Soldat multipliziert mit 150 Tsd. Soldaten - das sind 150 Milliarden pro Jahr nur an Versorgungskosten.

Ich habe aufgrund Ihrer Rechnung noch einmal im Originaltext nachgelesen. Dort heißt es "sustaining a single soldier". "Versorgen" ist vielleicht eine mißverständliche Übersetzung. Gemeint sind wohl die Gesamtkosten des Kriegs, geteilt durch die Zahl der beteiligten US-Soldaten. Ich habe die Übersetzung jetzt korrigiert, um das deutlicher zu machen.

Jedenfalls ist der Krieg immens teuer, das ist keine Frage. Allerdings wird ein Großteil des Geldes ja in den USA ausgegeben. Wenn Obama nach dem Rückzug (falls er dann noch im Amt ist, wovon man leider ausgehen muß) die Einsparungen an den Bürger weitergeben, also die Steuern senken sollte, dann wäre das ein positiver Effekt. Wenn er aber (was wohl eher zu erwarten ist) die freiwerdenden Mittel zum weiteren Ausbau seiner Sozialdemokratisierung der Gesellschaft einsetzt, dann dürfte zumindest die fiskalische Seite sich nicht sehr ändern.

Zitat von Florian
Und andererseits ist Afghanistan halt strategisch nicht so sehr bedeutsam. Es ist eben extrem schlecht von Außen zugänglich (daher die hohen Logistik-Kosten). Im Umkehrschluss: Es stellt kein geographisch wichtiges Gebiet dar, dessen Kontrolle strategisch wichtig wäre. Es ist dünn besiedelt. Es ist wirtschaftlich vollkommen unbedeutend. Und es hat keine relevanten Bodenschätze.

Wirtschaftlich ist es gewiß unbedeutend, sieht man davon ab, daß eine Unterbindung des Opiumanbaus Milliardenschäden verhindern würde; aber das ist wohl illusorisch.

Bodenschätze? Das müßte ich noch einmal nachsehen. Ich erinnere mich, daß die Chinesen sich bereits Schürfrechte gesichert haben; worum es genau ging, weiß ich nicht mehr.

Geostrategisch war das Land immens wichtig, solange man Truppen fast nur per Land verschieben konnte; denn es liegt ja an der Grenze zwischen dem Mittleren Osten, Persien, Zentralasien und dem indischen Subkontinent. Daher das Interesse Englands und des zaristischen Rußland.



Zitat von Florian
Ok, es kann als Rückzugsraum für Terroristen fungieren. Aber da hat mir ehrlich gesagt die Bin Laden-Geschichte die Augen geöffnet: wenn Bin Laden jahrelang selbst im vergleichsweise stabilen Pakistan praktisch unter den Augen der Militärs leben kann - besteht dann überhaupt Hoffnung, Afghanistan jemals so sicher zu machen, dass Terroristen dort keine Rückzugsmöglichkeiten mehr haben?

Das sehe ich auch so. Zumal ja die Kaida (oder wer immer ihre Nachfolge antritt) nicht territorial gebunden ist. Vor dem Surge hatte sie sich im Irak eingerichtet und die Provinz Anbar ja schon faktisch regiert. Jetzt scheint sie ihre Hauptstützpunkte im Jemen zu haben. Vielleicht zieht sie nach dem Sturz Gaddafis nach Libyen um, in dessen Osten sie ja schon tätig geworden sein soll.

In diesem Punkt stimme ich Präsident Obama zu: Man kann den Terrorismus nicht durch das Erobern oder Halten von Ländern bekämpfen, sondern erfolgreich nur durch den gezielten Einsatz von Spezialkommandos gegen seine Führer.

Die Kaida hat ja nicht nur Bin Laden verloren, sondern, wie es heißt, rund die Hälfte ihrer Führungskader. Diese sind schwerer zu ersetzen, als man meinen sollte. Stratfor hatte dazu einmal einen Bericht. Ein guter Terrorist muß nicht nur brutal und furchtlos sein, sondern auch eine Vielzahl von Fähigkeiten und Fertigkeiten haben.

Zitat von Florian
Bleibt das humanitäre Argument. Und das ist natürlich valide. Aber allein reicht es m.E. nicht aus. Der Westen ist schlicht überfordrt, überall einzugreifen wo es gravierende Menschenrechtsverletzungn gibt.

Zweifellos. Und es ist auch nicht seine Aufgabe. Präsident Obama hat seinen Eid auf die amerikanische Verfassung geleistet, nicht auf die Konvention für Menschenrechte.




Ich sehe den Rückzug aus Afghanistan eher unter geopolitischen Gesichtspunkten. Er signalisiert weltweit, daß niemand gut beraten ist, sich auf die Seite der USA zu stellen oder sich gar auf ihren Schutz zu verlassen. Diese Botschaft hat Obama bereits mit dem zu eiligen Rückhzug aus dem Irak gesendet, und er hat sie jetzt bekräftigt.

Obama ist der erste US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg, der dieses Signal sendet. Es ist gleichbedeutend damit, daß die USA ihre Rolle als Weltmacht aufgeben. Sie überlassen China das Feld, bevor dieses überhaupt seinen Anspruch angemeldet hat.

In diesen Tagen wird der erste von China gebaute Flugzeugträger getestet. Zunächst nur seemännisch; dann kommen die Tests der Waffensysteme. Die Verteidigungsleute von Stratfor meinen, daß es noch dauern wird, bis China ein so komplexes Waffensystem wie einen Flugzeugträger ganz beherrscht. Aber dann werden weitere gebaut werden.

Flugzeugträger baut man, um weit weg vom eigenen Territorium militärisch eingreifen oder jedenfalls - wichtiger - drohen zu können. China ist wirtschaftlich bereits die Vormacht in Afrika, es bereitet sich darauf vor, Japan in Ostasien Konkurrenz zu machen. Es wird in Afghanistan das Erbe des Westens antreten, wenn die ISAF-Truppen abgezogen sind. China baut Eisenbahnen fast überall in Ost- und Südostasien; darüber habe ich einmal berichtet.

Dort - im asiatisch-afrikanischen Raum - wird sich in einigen Jahrzehnten die Weltpolitik abspielen. Die USA werden, wenn Obamas Politik fortgesetzt wird, wieder auf den Status wie vor dem Ersten Weltrieg sinken. Sie werden möglicherweise wieder erwachen, wenn China sich in Südamerika festzusetzen beginnt; militärische Abkommen mit Venezuela gibt es schon.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

30.06.2011 11:41
#4 RE: Die Bedeutung des Abzugs aus Afghanistan Antworten

Zitat von Zettel
Jedenfalls ist der Krieg immens teuer, das ist keine Frage. Allerdings wird ein Großteil des Geldes ja in den USA ausgegeben. Wenn Obama nach dem Rückzug (falls er dann noch im Amt ist, wovon man leider ausgehen muß) die Einsparungen an den Bürger weitergeben, also die Steuern senken sollte, dann wäre das ein positiver Effekt. Wenn er aber (was wohl eher zu erwarten ist) die freiwerdenden Mittel zum weiteren Ausbau seiner Sozialdemokratisierung der Gesellschaft einsetzt, dann dürfte zumindest die fiskalische Seite sich nicht sehr ändern.


Und umgekehrt: wenn das ganze Geld, das aktuell für den Krieg in den USA ausgegeben wird, plötzlich wieder an die Bürger geht, dann wäre eine ziemliche Anpassung seitens der doch noch immer fragilen US-Wirtschaft vonnöten. Keynesianer schreiben die Rezession von 1953 den nach dem Koreakrieg stark reduzierten Verteidigungsausgaben zu.

Auch kein schönes Szenario. Und eines, das meines Erachtens auch gegen voreilige militärische Engagements der USA spricht. Die Zahlungsströme sind einfach so immens, dass das immer massive Umallokationen in der Wirtschaft nach sich zieht.

--
Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

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