Wer regelmäßig ZR liest, der wird in dieser Analyse von George Friedman wenig Neues finden. Vor allem in der Serie "Aufruhr in Arabien" habe ich das beschrieben, was Friedman jetzt zusammenfaßt: Die Naivität des Glaubens, daß ein Sturz der jetzigen Regimes zu einer Besserung der Verhältnisse in den Ländern Arabiens führen würde; die nachgerade absurde Unterschätzung des Islamismus; die blauäugige Vorstellung, daß die jeweiligen Regimegegner in ihrer Mehrheit einen demokratischen Rechtsstaat anstreben. Die Mißachtung der ganz unterschiedlichen Verhältnisse in den einzelnen Staaten.
Obama hat alles getan, damit Mubarak stürzte. Er wird froh sein können, wenn am Ende Ägypten so vergleichsweise demokratisch und westlich orientiert bleibt, wie es unter Mubarak war. Die Chancen dafür sind dünn.
Wenn es Sarkozy und seine Verbündeten geschafft haben werden, Gaddafi zu stürzen, dann können sie froh sein, wenn das Öl aus Libyen noch fließt und wenn Libyen nicht der neue safe haven der Kaida wird.
Falls Assad gestürzt werden sollte, wie es unser Außenminister so sehr wünscht, dann wird Israel an seiner Grenze statt eines berechenbaren und rationalen Feinds einen chaotischen Staat haben, der sehr bald von religiösen Eiferern beherrscht werden dürfte.
Das einzige Land Arabiens, das den Weg in einen demokratischen Rechtsstaat gehen könnte, ist Tunesien mit seiner aus der französischen Protektoratszeit stammenden westlichen Tradition. Es ist auch das einzige Land, auf welches das westliche Klischee paßt. Denn dort herrschte Sozialismus wie bis 1989 in Osteuropa; und das sozialistische Regime kollabierte wie die dortigen Regimes damals.
Offenbar hatten viele eine Art Domino-Theorie, nach der es so weitergehen würde, von Staat zu Staat Arabiens. Das war, wie Friedman schreibt, Wunschdenken.
Demokratie bedeutet nicht automatisch auch Umsetzung der Menschenrechte.
Hingegen betonen die Grünen ständig daß der Islam mit der Demokratie vereinbar sei.
Das stimmt.
Denn Demokratie reflektiert immer die Wertvorstellungen der Bevölkerungsmehrheit. Ist diese gemäß dem Koran orientiert und wünscht die Scharia als Rechtsordnung, so bedeutet Demokratie in einem solchen Land wie Ägypten eben nicht eine Hinwendung zu den Menschenrechten, sondern eine Distanzierung davon.
Die Medien und Politiker in der BRD, und dem Westen generell verwenden den Demokratiebegriff in Bezug auf islamische Länder synonym und suggestiv mit Menschenrechtlichkeit.
Dahinter steht vielleicht Naivität, oder aber bewusste Täuschung der Öffentlichkeit. Sowie im nächsten Schritt moralische Legitimation einer korangemäßen Gesellschaftsform inklusive islamischer Rechtsordnung.
Man will die enormen ethischen Differenzen zwischen westlich-menschenrechtlich orientierter Gesellschaften und korangemäß geprägten islamischen verbergen, weil damit eine Grundsatzfrage für die Zukunft des Westens gestellt würde aufgrund des immer stärkeren soziokulturellen und demografischen Einflußes des Islam und dessen Ethik in den westlichen Gesellschaften selbst.
Eine korangeprägte Gesellschaftsform soll als kompatibel mit einer westlichen erscheinen unter dem Oberbegriff der Demokratiefähigkeit. Die inhaltlichen Differenzen bleiben unbeachtet.
In Ägypten wird sich die korangemäße Richtung durchsetzen, weil sie ganz einfach die Wertvorstellungen der Bevölkerung widerspiegelt.
Im Westen wird man versuchen das positiv zu sehen. Nämlich daß Demokratie und Islam vereinbar sind.
So geschieht es auch gegenüber der Türkei unter der reaktionär-fundamentalistischen AKP und Erdogan. Dieser wird gradezu idealisiert von den westlichen Medien als demokratischer Reformer.
Dies zeigt: Hinter der politmedialen Begeisterung für diese Machtwechsel in der islamischen Welt steckt auch ein anti-westlicher Impuls wie er typisch ist für Linke und sich exemplarisch beim Machtwechsel vom Shah-Regime zum schiitischen Koranstaat und der Scharia. Nur beim Sturz von zuvor pro-westlichen Diktatoren (mit Ghaddafi hatte man sich längst arrangiert), bzw. der Möglichkeit daß islamisch-fundamentalistische Strömungen demokratisch die Macht ergreifen, ist man euphorisch begleitend.
Bei den Revolten im anti-westlichen korankonformen Regime im Iran agiert und berichtet man hingegen sehr zurückhaltend. Sowohl mit Anklagen gegen das Regime wie auch bezüglich der Solidarität der Unterdrückten.
Ob es wirlklich nur naives Wunschdenken ist weshalb man die schönfärberisch "Jasminrevolution" genannten Bewegungen als demokratischen Aufbruch definiert, scheint angesichts der linken Tradition des primären Impulses alles anti-westliche zu unterstützen zweifelhaft.
Dies legt das nahezu totale fehlen des menschenrechtlichen Maßstabes nahe. Nur auf Demokratie kommt es der politmedialen Elite an - von Menschenrechten für die islamische Welt redet sie nie.
Zitat von 123Demokratie bedeutet nicht automatisch auch Umsetzung der Menschenrechte.
Hingegen betonen die Grünen ständig daß der Islam mit der Demokratie vereinbar sei.
Das stimmt.
Denn Demokratie reflektiert immer die Wertvorstellungen der Bevölkerungsmehrheit. Ist diese gemäß dem Koran orientiert und wünscht die Scharia als Rechtsordnung, so bedeutet Demokratie in einem solchen Land wie Ägypten eben nicht eine Hinwendung zu den Menschenrechten, sondern eine Distanzierung davon.
Ein ausgezeichneter Punkt. Friedman unterscheidet in dem Artikel deshalb auch zwischen democracy und liberal democracy; ich habe das zweite meist mit "Demokratischer Rechtsstaat" wiedergegeben.
Beim Definieren ist man natürlich immer frei; und man kann "Demokratie" auch als Demokratie in diesem Sinn eines demokratischen Rechtsstaats definieren. Aber wie immer man es ausdrückt - der Sachverhalt ist jedenfalls, daß man nicht grundsätzlich davon ausgehen kann, daß in jedem Land der Welt die Mehrheit einen demokratischen Rechtsstaat wünscht. Für China zum Beispiel erscheint mir das keineswegs sicher.
Andererseits kenne ich kein Beispiel dafür, daß eine Mehrheit in einem Land, das ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat ist, diesen zugunsten eines anderen Systems aufgeben wollte oder will. Wer die Freiheit erst einmal hat, der will sie nicht mehr verlieren. Übrigens auch im Irak, wie Umfragen zeigen.
Die Unterscheidung "Demokratie" und "Rechtsstaat" wird leider zu selten getroffen. Eine "totale Demokratie" ist kein Rechtsstaat und ein Rechtsstaat muss keine Demokratie sein.
Zitat Andererseits kenne ich kein Beispiel dafür, daß eine Mehrheit in einem Land, das ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat ist, diesen zugunsten eines anderen Systems aufgeben wollte oder will.
Zitat Andererseits kenne ich kein Beispiel dafür, daß eine Mehrheit in einem Land, das ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat ist, diesen zugunsten eines anderen Systems aufgeben wollte oder will.
Deutschland 1933? Österreich 1938?
Solche Beispiele, lieber Florian, gingen mir auch durch den Kopf, als ich das geschrieben habe; deshalb das "funktionierenden". In beiden Fällen funktionierte ja der demokratische Rechtsstaat nicht mehr.
Die Weimarer Republik war mit Schleicher und v.Papen an ihrem Ende angekommen; so, wie die Vierte Republik Frankreichs im Jahr 1958 mit Gaillard und Pflimlin. Nur hatte Frankreich das Glück, einen de Gaulle zu haben, der eine bessere Republik schuf, statt wie Hitler das Land in die totalitäre Diktatur zu führen.
Hinzu kommt, daß 1933 nicht eine Mehrheit für eine Diktatur gestimmt hat. Zum einen, weil die NSDAP bei den Märzwahlen ja nicht die (von ihr sicher erwartete) absolute Mehrheit erhielt; trotz der nur noch halbdemokratischen Bedingungen, unter denen diese Wahlen stattfanden. Zum anderen, weil vielen NSDAP-Wählern nicht klargewesen sein dürfte, daß sie damit einen totalitären Staat nach dem Vorbild der Sowjetunion wählten. Es gab damals in Europa ja viele autoritäre bis diktatorische Systeme (Mussoli, Piłsudski, Dollfuß u.a.), die nicht mehr demokratisch waren, aber auch nicht ein solches dem Bolschewismus nachgebildetes totalitäres System, wie es Hitler dann errichtete. Aber das hatte er ja so nicht angekündigt. Viele dürften sich der Illusion hingegeben haben, es werde so etwas enstehen wie der Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuß.
Und "Dollfuß" ist die Antwort zu "1938". Österreich war ja 1938 schon fünf Jahre lang kein demokratischer Rechtsstaat mehr, sondern wurde von den Austrofaschisten regiert.
Man vergißt das oft, wenn man von der Begeisterung der meisten Österreicher für den "Anschluß" spricht. Es ging nicht um das politische System. Das war auch in Österreich nicht demokratisch. Sondern die Österreicher waren im Diktat von Versailles betrogen worden - überall sollte das Nationalitätenprinzip gelten; nur für sie, die ja im Sinn dieses Prinzips Deutsche waren, nicht. Ihnen wurde es explizit verwehrt.
Zitat von ZettelSondern die Österreicher waren im Diktat von Versailles betrogen worden
Ich habe mich gefreut, lieber vielleichteinlinker, wieder etwas von Ihnen zu ... äh ... sehen.
Was die Sache angeht: "Betrogen" war vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Was ich meinte, war, daß man allen Völkern des untergegangenen Vielvölkerstaats "Österreichisch-Ungarische Monarchie" 1919 erlaubt hat, entweder einen eigenen Nationalstaat zu bilden - Ungarn, die Tschechoslowakei usw. - oder sich einem ihrer Ethnie entsprechenden Nationalstaat anzuschließen - die Polen Galiziens dem polnischen Staat, die Italiener des Trentino Italien usw. Nur die Deutschen in Österreich-Ungarn (das war ihre offizielle Bezeichnung) durften sich nicht Deutschland anschließen.
Man hat ihnen das hehre Nationalitätsprinzip, das sonst für die Neuordnung Europas gelten sollte, vorenthalten. Für sie durfte nicht gelten, was für alle anderen galt. Das meint ich mit "betrogen"; ein etwas hastig gewähltes und, wie gesagt, nicht ganz richtiges Wort.
Stratfor ist doch immer wieder erfrischend nüchtern und sachlich. Was mich allerdings wundert ist, dass sie Tunesien mit Ägypten zusammen fassen. Nach dem was ich bisher so gelesen hatte, schien es in Tuensien doch einen weitergehenden Wandel gegeben zu haben, im Gegensatz zu Ägypten(oder irre ich?).
Zitat von isildurStratfor ist doch immer wieder erfrischend nüchtern und sachlich. Was mich allerdings wundert ist, dass sie Tunesien mit Ägypten zusammen fassen. Nach dem was ich bisher so gelesen hatte, schien es in Tuensien doch einen weitergehenden Wandel gegeben zu haben, im Gegensatz zu Ägypten(oder irre ich?).
Sie beziehen sich auf diese beiden Sätze?:
Zitat Individuals such as Tunisia’s Ben Ali and Egyptian President Hosni Mubarak have been replaced, but the regimes themselves, which represent the manner of governing, have not changed. (...) Egypt and Tunisia represent a textbook lesson on the importance of not deluding yourself.
Dem ersten Satz würde ich zustimmen, dem zweiten eher nicht. Ich habe das ja wiederholt geschrieben, daß ich noch am ehesten in Tunesien die Chance für einen demokratischen Rechtsstaat sah.
Noch hat es zwar auch in Tunesien keinen großen Wandel gegeben, aber das Potential dafür schien mir dazusein. Ich schreibe das im Präteritum, weil ich die Entwicklung in Tunesien in den letzten Wochen nicht mehr verfolgt habe. Denkbar, daß Friedman Informationen hat, die inzwischen zu einer pessimistischeren Beurteilung Anlaß geben.
Zitat von ZettelWas die Sache angeht: "Betrogen" war vielleicht nicht ganz das richtige Wort.
Das sehe ich auch so. Hinzu kommt, dass der Vertrag von St. Germain für "Österreich" oder "Deutschösterreich" oder die "Reste der Donaumonarchie" weitaus bedeutender war als die Nicht-Vereinigungsklausel von Versailles. Ob die Tschecho-Slowakei wirklich taugt das Nationalstaatenprinzip zu verdeutlichen, das in Deutschland nicht angewendet wurde, das wäre eine sehr lange Debatte wert. Wie alles zwischen 1871 und 1920! ;-)
Nur das, mehr will ich gar nicht sagen. Abgesehen von:
Zitat von ZettelIch habe mich gefreut, lieber vielleichteinlinker, wieder etwas von Ihnen zu ... äh ... sehen.
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