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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 24 Antworten
und wurde 1.760 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.09.2011 05:21
Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Seit mehr als einem halben Jahrhundert gehört es zur Supermacht, daß sie bemannte Raumfahrt betreibt.

Oder vielmehr gehörte: Als erster Präsident hat Barack Obama nicht nur ein Programm - Constellation - gekippt, das an die Stelle der Shuttle-Flüge treten und erneute Flüge zum Mond einschließen sollte; sondern er hat entschieden, daß die NASA überhaupt keine bemannten Flüge mehr vornimmt. Dies sollen künftig private Unternehmen tun.

Während so die Zeit der amerikanischen Erfolge in der bemannnten Raumfahrt zu Ende geht, bereitet sich China auf seine Rolle als die neue Raumfahrt-Supermacht vor. Tempora mutantur.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

30.09.2011 09:42
#2 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Dann wird China eben auch lernen müssen, dass dem Aufwand kein messbarer Ertrag gegenübersteht. Wir müssen dann damit leben, dass zwei oder drei Chinesen in der Umlaufbahn kreisen. Aber berührt uns das wirklich? Russland und die USA hätten doch jederzeit die technischen Möglichkeiten, ein neues Weltraumprogramm zu beginnen. Aber sie konzentrieren sich auf die Erde. Weil es auf dem Mond nur im Science-Fiction-Thriller etwas zu holen gibt?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

30.09.2011 11:17
#3 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von Zettel
Seit mehr als einem halben Jahrhundert gehört es zur Supermacht, daß sie bemannte Raumfahrt betreibt.


Richtig - aber gehört es heute noch dazu?

Ich stimme ja durchaus zu, daß neben der praktischen Nutzbarkeit Prestige eine Rolle spielt in der internationalen Diplomatie. Aber dazu muß man m. E. schon auf der Höhe der Zeit agieren.

Die bemannte Raumfahrt war vor 50 Jahren eine innovative, spannende und beeindruckende Sache. Es war zwar unklar, ob wirklich praktisch Verwertbares rauskommen würde - aber das Potential war da. Und am Ende hat sich halt herausgestellt, daß von den vielen Entwicklungen im Bereich der Raumfahrt einige enormen Nutzen gebracht haben (vor allem wohl die Satellitentechnik), während die bemannten Raumstationen mit ihren Experimenten eher weniger bringen.

Wenn die Chinesen nun den ausgetretenen und von den alten Supermächten aufgegeben Pfaden folgen, beeindruckt das vielleicht einige Entwicklungsländer - aber eigentlich ist es Geldverschwendung. Die Fahrt zum Mars wäre ein Prestigeerfolg, aber das werden sie wohl nicht hinkriegen.

Es ist wohl eher so, daß bemannte Raumfahrt eben nicht mehr zum Supermachtstatus gehört. Wie der Besitz einer großen Schlachtschiff-Flotte nicht mehr dazu gehört.

Irgendwie kommen mir die Chinesen so vor wie Provinzdamen, die sich mit der neuesten Mode schick aufdonnern wollen. Aber die Mode kopieren, die in der Hauptstadt schon seit Jahren völlig out ist.

Frank Zafka Offline



Beiträge: 8

30.09.2011 13:58
#4 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat
Irgendwie kommen mir die Chinesen so vor wie Provinzdamen, die sich mit der neuesten Mode schick aufdonnern wollen. Aber die Mode kopieren, die in der Hauptstadt schon seit Jahren völlig out ist.



Das sehe ich ähnlich. Eine erneute Mondlandung ist eben nicht mehr so prestigeträchtig. Auch die Faszination des Alls hat, zumindestens wenn ich das Berichten entnehme, vielleicht seitdem abgenommen. Die "New Frontier" ist geschlossen. Das einzige was wohl noch derart prestigeträchtig wie Apollo 11 wäre eine Marslandung. Aber die Kosten sind so immens dass sie wohl kaum im Verhältnis zum Prestigegewinn stehen. Ich denke jedenfalls, wenn es um Supermächte geht, nur selten an die ISS. Klar wäre es eine symbolische Handlung, wenn sich dieses Projekt mit dem chinesischen quasi die Hand geben, aber vermutlich würde man es schnell wieder vergessen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.09.2011 14:40
#5 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von R.A.
Irgendwie kommen mir die Chinesen so vor wie Provinzdamen, die sich mit der neuesten Mode schick aufdonnern wollen. Aber die Mode kopieren, die in der Hauptstadt schon seit Jahren völlig out ist.

Ein hübsches Bild, lieber R.A.

Aber ich glaube eher nicht, daß es die Sache trifft. Mit der Raumstation mögen Sie Recht haben - die ISS findet ja kaum noch Beachtung; und die weltweite Begeisterung für ihren chinesischen Nachfolger mag sich in Grenzen halten.

Ganz anders ist es mit dem Mondflug. Die Chinesen bereiten ihn bereits jetzt systematisch mit der Entsendung unbemannter Sonden zum Mond vor. Auch die Raumstation brauchen sie zur Vorbereitung, um das erforderliche Knowhow zu erwerben (die Russen taten das mit den zahlreichen Sojus-Flügen; die Sojus war von vornherein für den Flug zum Mond konzipiert; die USA taten es mit den Mercury- und dann vor allem den Gemini-Flügen).



Die chinesische Raumstation könnte auch direkt für den Flug zum Mond eingesetzt werden.

Bei Apollo wurden alle Komponenten (die Mannschaftskapsel, die Versorgungseinheit und die Landefähre) mit einer einzigen Rakete in den Orbit geschossen und starteten von dort zum Mond; dort trennte sich die Landefähre von der Mannschaftskapsel und kehrte später wieder zu ihr zurück (LOR = lunar orbit rendezvous).

Aber sowohl das gescheiterte russische Mondprojekt als auch das jetzt von Obama gekippte Projekt Constellation sahen etwas Weiteres vor: EOR, earth orbit rendezvous. Die Konfiguration, die zum Mond fliegt, wird nicht mit einer einzigen Rakete in den Orbit geschossen, sondern erst dort zusammenmontiert.

Die Chinesen dürften es exakt so planen; denn die Apollo-Lösung hatte ein entscheidendes Handicap: Man benötigte eine Riesenrakete wie die Saturn V und konnte trotzdem nur eine so kleine Fähre auf den Mond bringen, daß es lediglich für Aufenthalten von einigen Tagen langte (jeder zusätzliche Tag kostet ja mehr Sauerstoff, Nahrung, Wasser usw.; bei längerem Aufenthalt brauchen die Astronauten auch einen Mindestkomfort. Es ist zum Beispiel kein Zustand, sich ständig in die Hose machen zu müssen).



Umfangreichere Mondmissionen sind also nur mit EOR plus LOR realisierbar. Und wenn die Chinesen das hinbekommen, dann wird die Propagandawirkung immens sein. Sie haben dann erstmals die USA nicht nur eingeholt, sondern überholt. Sie könnten eine permanente Station auf dem Mond errichten.

Jeder sieht dann, daß dem Reich der Mitte die technologische Zukunft gehört.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.09.2011 15:58
#6 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von Zettel
Die chinesische Raumstation könnte auch direkt für den Flug zum Mond eingesetzt werden.

Bei Apollo wurden alle Komponenten (die Mannschaftskapsel, die Versorgungseinheit und die Landefähre) mit einer einzigen Rakete in den Orbit geschossen und starteten von dort zum Mond; dort trennte sich die Landefähre von der Mannschaftskapsel und kehrte später wieder zu ihr zurück (LOR = lunar orbit rendezvous).

Aber sowohl das gescheiterte russische Mondprojekt als auch das jetzt von Obama gekippte Projekt Constellation sahen etwas Weiteres vor: EOR, earth orbit rendezvous. Die Konfiguration, die zum Mond fliegt, wird nicht mit einer einzigen Rakete in den Orbit geschossen, sondern erst dort zusammenmontiert.

Die Chinesen dürften es exakt so planen; denn die Apollo-Lösung hatte ein entscheidendes Handicap: Man benötigte eine Riesenrakete wie die Saturn V und konnte trotzdem nur eine so kleine Fähre auf den Mond bringen, daß es lediglich für Aufenthalten von einigen Tagen langte

Ich habe jetzt Informationen zu den chinesischen Plänen für den bemannten Mondflug gefunden.

Die verlinkte Site ist auf dem Stand von 2010; die Informationen sind älter. Danach verfolgte China parallel die beiden Möglichkeiten "nur LOR" und "EOR plus LOR".

Das macht Sinn, wenn man überlegt, daß bis zum Amtsantritt von Obama nicht feststand, ob die USA nicht ihr eigenes Mondprogramm wieder aufnehmen würden. Bush hatte das ja in die Wege geleitet. Dann wäre für die Chinesen möglicherweise die "kleine Lösung" günstiger gewesen, um den Amerikanern zuvorzukommen.

Jetzt wissen sie, daß die USA in absehbarer Zeit nicht auf den Mond fliegen werden. Sie können also in Ruhe eine "große Lösung" entwickeln; dh. den Bau eines großen Mondfahrzeugs im Erdorbit, das dann entsprechend lang auf dem Mond bleiben könnte.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

30.09.2011 16:09
#7 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von Zettel
Ganz anders ist es mit dem Mondflug.


Der "normale" Mondflug ist ähnlich ausgelutscht wie die Raumstation.

Einen Neuigkeitswert bekäme man in der Tat mit einer dauerhaft (zumindestens über einen gewissen Zeitraum) bemannten Mondstation. Aber auch nur einen beschränkten Neuigkeitswert: Denn das ist ja lediglich die Kombination von IRSS und Mondflug. Entsprechend sehe ich auch nicht, daß wesentliche Erkenntnisse oder Nutzen gewonnen werden können.
So richtig beeindrucken würde mich das jedenfalls nicht.

Aber der Aufwand dafür wäre gigantisch, trotz des neuen Konzepts. China würde unglaubliche Ressourcen in eine Sackgasse stecken - für einen überschaubaren Prestige-Gewinn.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.09.2011 16:20
#8 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von R.A.
So richtig beeindrucken würde mich das jedenfalls nicht.

Sie sind halt ein europäischer Intellektueller, lieber R.A.

Die Völker Asiens, Afrikas, Lateinamerikas würden das anders sehen. Sie würden sehen, wie nicht mehr die USA die technologisch führende Nation ist, sondern China. Sie würden überschüttet werden mit Propaganda, die diesen Erfolg als Beweis für die Überlegenheit des Sozialismus preist.

Eine kleine persönliche Erinnerung: Kurz nach dem Flug des zweiten sowjetischen Kosmonauten, German Titow, war ich in den Semesterferien in Frankreich als Tramper unterwegs. Viele derer, die mich mitgenommen haben - es sind halt gute Menschen - waren Linke, oft Kommunisten (ich habe auch gern in den kommunistischen Jugendherbergen übernachtet; da gab es ein eigenes Netz). Ich hörte immer wieder: Dieser Erfolg ist der Beweis für die Überlegenheit des Sozialismus.

Und so dachten nicht nur die Kommunisten. Das Bild von der UdSSR hat sich mit den Weltraumerfolgen in wenigen Jahren grundlegend gewandelt. Bis 1957 und dann 1961 waren sie immer nur zweite gewesen - bei der Atombombe, bei der Wasserstoffbombe. Jetzt waren sie die ersten.

So wird es auch sein, wenn die Chinesen die bemannte Raumfahrt dominieren. Croyez-moi!

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

30.09.2011 17:41
#9 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von Zettel
Sie sind halt ein europäischer Intellektueller, lieber R.A.


Wenn ich mir die in Deutschland üblichen Exemplare von "Intellektuellen" anschaue, fühle ich mich jetzt fast beleidigt

Zitat
Die Völker Asiens, Afrikas, Lateinamerikas würden das anders sehen.


Wohl wahr. Und zu einem gewissen Grad ist das ja auch berechtigt: China ist (zumindestens teilweise) kein Drittweltland mehr, hat einen ordentlichen technischen und wissenschaftlichen Stand erreicht. So ein gewisses Prestige hat es sich verdient. Wie es ja auch nicht unberechtigt war, mit einer gewissen Anerkennung darauf zu reagieren, daß das ehemals so rückständige Rußland den ersten Satelliten hingekriegt hat.

Zitat
Sie würden sehen, wie nicht mehr die USA die technologisch führende Nation ist, sondern China.


Na ja, solange die USA und der Westen in allen möglichen Bereichen als technisch führend erlebt werden, werden Bilder vom Mond nicht reichen, eine Technologie-Führerschaft zu behaupten.

Zitat
Dieser Erfolg ist der Beweis für die Überlegenheit des Sozialismus.


Wie schon gesagt: Damals waren die Sowjets ja auch führend. Das war eine bahnbrechende Leistung in einer ganz wichtigen Zukunftstechnologie. Und die Amis haben Jahre gebraucht, um aufzuholen.

Heute reden wir aber von einer weitgehend etablierten Technik (den Unterschied zwischen den alten Trägerraketen und den neuen Verfahren wird keiner als aufregende Neuerung empfinden). Auch in der dritten Welt dürfte weitgehend klar sein, daß die USA oder Europa sehr wohl auch zum Mond könnten, wenn sie wollten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.09.2011 17:59
#10 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
Sie sind halt ein europäischer Intellektueller, lieber R.A.


Wenn ich mir die in Deutschland üblichen Exemplare von "Intellektuellen" anschaue, fühle ich mich jetzt fast beleidigt


Aber nein, aber nein. Wir wahren Intellektuellen werden doch nicht auf diesen Ehrentitel verzichten, nur weil es auch Pseudointellktuelle gibt.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

30.09.2011 18:04
#11 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Solange die Chinesen (wie auch die Sowjets) es nur auf einem oder zwei Gebieten zu Spitzenleistungen bringen, steht der Supermachtstatus auf tönernen Füßen.

Ohne moderne landesweite Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, ohne Forschung, ohne breit angelegte industrielle Basis und gesicherter Energieversorgung, und ohne eine Beteiligung sehr breiter Bevölkerungsschichten am Auschwung wird das nichts mit Supermacht. Dann halten sie das eine Weile durch, wie die UdSSR, und dann bröckelt der Laden.

Ein Problem wird diese Form von Supermacht weniger durch die eigene Stärke als durch die Schwäche des Westens in Gestalt mangelnden Selbstbehauptungswillens und allgemeiner Dekadenz. Hier in D erleben wir gerade mit aller Deutlichkeit, wie sich ein Staat von der Bühne zu verabschieden anschickt.

Gegen die Texte neuer staatlicher Regelungen liest sich das preußische Exerzierreglement wie das Feuilleton einer liberalen Wochenzeitschrift.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

30.09.2011 20:57
#12 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von JeffDavis
(…) Ein Problem wird diese Form von Supermacht weniger durch die eigene Stärke als durch die Schwäche des Westens in Gestalt mangelnden Selbstbehauptungswillens und allgemeiner Dekadenz. Hier in D erleben wir gerade mit aller Deutlichkeit, wie sich ein Staat von der Bühne zu verabschieden anschickt.



Wobei ich mir die Bemerkung nicht verkneifen kann, dass neben den hier diskutierten Anzeichen der Dekadenz (Klima-Ideologie, Wirtschaftsfeindlichkeit usw.) auch die Missachtung der Urheberrechte eine Rolle spielt. Es wird ja gerade in einem anderen Thread eifrig darüber diskutiert.

Wie sind heute so weit gekommen, dass es weder die Mehrzahl der Konsumenten noch die großen Verwertungsorganisationen kümmert, wer eigentlich die kreativen Leistungen als Künstler, Autor, Journalist oder Experte erbringt. Dann müssen wir uns über die zunehmende geistige und künstlerische Verflachung nicht wundern.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

30.09.2011 21:23
#13 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von stefanolix

Zitat von JeffDavis
(…) Ein Problem wird diese Form von Supermacht weniger durch die eigene Stärke als durch die Schwäche des Westens in Gestalt mangelnden Selbstbehauptungswillens und allgemeiner Dekadenz. Hier in D erleben wir gerade mit aller Deutlichkeit, wie sich ein Staat von der Bühne zu verabschieden anschickt.



Wobei ich mir die Bemerkung nicht verkneifen kann, dass neben den hier diskutierten Anzeichen der Dekadenz (Klima-Ideologie, Wirtschaftsfeindlichkeit usw.) auch die Missachtung der Urheberrechte eine Rolle spielt. Es wird ja gerade in einem anderen Thread eifrig darüber diskutiert.

Wie sind heute so weit gekommen, dass es weder die Mehrzahl der Konsumenten noch die großen Verwertungsorganisationen kümmert, wer eigentlich die kreativen Leistungen als Künstler, Autor, Journalist oder Experte erbringt. Dann müssen wir uns über die zunehmende geistige und künstlerische Verflachung nicht wundern.




Eine künstlerische Verflachung vermag ich nicht festzustellen, vor allem nicht in dieser Pauschalität. Ich würde sogar dazu tendieren zu sagen: Im Gegenteil. Woran machen sie ihre Einschätzung fest?

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

30.09.2011 21:44
#14 OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von Techniknörgler
Eine künstlerische Verflachung vermag ich nicht festzustellen, vor allem nicht in dieser Pauschalität. Ich würde sogar dazu tendieren zu sagen: Im Gegenteil. Woran machen sie ihre Einschätzung fest?



Ich meinte mit »Verflachung« nicht, dass anspruchsvolle Kultur völlig verschwunden sei. Doch sie wird (aus meiner Sicht) zunehmend eine Angelegenheit der Elite. Die Elite leistet sich Kultur, indem sie dafür vor allem Zeit und Aufmerksamkeit investiert. Aber schon die Berichte in den Zeitungen verflachen. Man findet in der Presse in vielen Fällen keinen fundierten Bericht mehr, wenn ein kulturelles Ereignis stattgefunden hat. Es gibt Ausnahmen, aber diese Zeitungen sind wiederum vor allem für die Elite bestimmt.

Die breite Masse will von Kultur und Literatur kaum noch etwas wissen. Die verflachte Kultur für die breite Masse wird vom Fernsehen bereitgestellt: Degeto-Schnulzen, Boulevardmagazine, Realitätssimulationen, geisttötende Volksmusik-Shows, unendlich lange Werbungsblöcke … Selbst dort, wo Fernsehen vordergründig informieren soll, wird doch (in unterschiedlichem Maße) fast immer manipuliert. Mag sein, dass ich da ein Außenseiter bin, weil ich selbst keinen Fernseher habe und immer nur stichprobenartig im Hotel oder bei Youtube etwas sehe. Aber ich sehe seit der Wiedervereinigung einen dramatischen Abstieg.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

30.09.2011 22:52
#15 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

In Sachen Fernsehen haben Sie das sicherlich Recht, zumindest im frei empfangbaren zwangsgebühren- oder werbefinanzierten Fernsehprogrammen. Und auch allgemein wird sehr viel unterirdisches Bildmaterial produziert.

Aber ich erkenne da jetzt nicht den direkten Zusammenhang zu einer Ausbreitung der Missachtung des Urheberrechtes.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

04.10.2011 10:16
#16 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von stefanolix
Ich meinte mit »Verflachung« nicht, dass anspruchsvolle Kultur völlig verschwunden sei. Doch sie wird (aus meiner Sicht) zunehmend eine Angelegenheit der Elite. Die Elite leistet sich Kultur, indem sie dafür vor allem Zeit und Aufmerksamkeit investiert.


Ich kann diesen Trend nicht erkennen.
Anspruchsvolle Kultur war schon immer eine Sache einer kleinen, gebildeten und wohlhabenden Elite. Und ich sehe eher den Trend in die Gegenrichtung: Im Vergleich zu früher gibt es mehr Kultur und auch mehr Leute, die mitmachen bzw. sich dafür interessieren.

Wenn dennoch der Eindruck einer Verflachung entsteht, hat das vielleicht folgende Ursache: Im Gegensatz zu gängigen linken Vorurteilen geht ja die "Schere zwischen reich und arm" zu. Soll heißen, die an Elitekultur interessierte Oberschicht / obere Mittelschicht verdient (netto) deutlich weniger als früher im Vergleich zur "Masse".

Bei den Kulturveranstaltungen selber wird das durch staatliche Transfers kompensiert, die werden ja heftig subventioniert.
Aber bei den darüber berichtenden Medien schlägt das durch - die müssen sich halt an den Interessen der zahlenden breiten Kundschaft orientieren. Früher waren z. B. Zeitungen relativ teuer und nicht in jedem Haushalt üblich. Wenn eine FAZ den dreifachen Abo-Preis nehmen könnte, wären da wohl auch deutlich mehr gute Kulturartikel drin.

Zitat
Die breite Masse will von Kultur und Literatur kaum noch etwas wissen.


Wie schon gesagt: Das war schon immer so.
Wobei ich auch bei der "breiten Masse" eine Verbesserung sehe. Theater und Konzerte sind gut gefüllt - wenn sie sich nicht zu avantgardistisch geben. Ausstellungen von halbwegs etablierten Malern sind überlaufen. Und alles was mit Geschichte zu tun hat erfreut sich enormen Zuspruchs. Und es wird auch mehr gelesen als früher (ich gehe jedenfalls davon aus, daß die Buchverkäufe nicht alle zur Dekoration im Schrank landen).

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.10.2011 10:30
#17 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von R.A.
Theater und Konzerte sind gut gefüllt - wenn sie sich nicht zu avantgardistisch geben. Ausstellungen von halbwegs etablierten Malern sind überlaufen. Und alles was mit Geschichte zu tun hat erfreut sich enormen Zuspruchs. Und es wird auch mehr gelesen als früher (ich gehe jedenfalls davon aus, daß die Buchverkäufe nicht alle zur Dekoration im Schrank landen).

Was Theater und Konzerte mit "Event"-Charakter angeht, entspricht das auch meiner Erfahrung. Und ich bin immer wieder erstaunt, welche Preise der Normalverdiener zu zahlen bereit ist, um ein Musical in Bochum oder ein Konzert von Helene Fischer in Berlin zu erleben.

Beim herkömmlichen Theater sieht es anders aus. Wir haben seit Jahrzehnten in den jeweiligen Städten, in denen wir gewohnt haben, Theater-Abonnements. Das Publikum ist überwiegend grau- und weißhaarig und unverkennbar Bildungsbürgertum. Dazu kommen ein paar Jugendliche, die wohl teils wg. der Schule oder durch diese vermittelt ins Theater gehen. Besucher zwischen 20 und 50 Jahren sieht man nur noch sehr selten.

Ähnlich ist es bei Kunstausstellungen. Diejenigen mit "Event"-Charakter, die in den Medien vorgestellt werden, sind oft überlaufen. Bei den anderen herrscht oft Leere.

Es scheint mir wie auch bei Kinofilmen zu sein: Das Interesse war erstens früher breiter; heute konzentriert es sich auf das, was gerade "angesagt" ist. Zweitens ist es gruppenspezifisch: Ins Theater geht das Bildungsbürgertum, ins Musical die gut verdienende Angestellten- und Facharbeiterschicht, ins Kino die Jugend usw.



Beim Lesen kann ich das nicht beurteilen. Meine Vermutung ist, daß die meisten Bücher nicht gelesen werden. Viele werden geschenkt (ein "gutes Buch" ist immer das richtige Geschenk, da kann keiner meckern).

Auch die Bücher, die man für sich selbst kauft, entstammen wohl oft der Bestsellerliste; man kauft sie, um bei der nächsten Party nicht als Banause dazustehen. Lesen muß man dann das Buch nicht; es vielleicht durchgeblättert haben. Das genügt, um mitzureden.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

04.10.2011 15:12
#18 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von Zettel
Was Theater und Konzerte mit "Event"-Charakter angeht, entspricht das auch meiner Erfahrung. Und ich bin immer wieder erstaunt, welche Preise der Normalverdiener zu zahlen bereit ist, um ein Musical in Bochum oder ein Konzert von Helene Fischer in Berlin zu erleben.


Und dazu noch der Boom der diversen Sommerfestspiele. Die gibt es inzwischen ja an jeder Ecke, gut gefüllt mit ganz normalen Bürgern, die sich für enormes Geld Molière, Schiller oder Shakespeare anschauen.

Wobei dieser "Event"-Charakter völlig in Ordnung ist. Kultur war schon immer in erster Linie Unterhaltung und Freizeit, die staubtrockene Subventionskultur unserer offiziellen Bühnen ist ja eine neue Entwicklung.

Wenn man sich alleine mal die alten Theater anschaut: Da sind die Entrées und Foyers doch mindestens so wichtig wie der eigentliche Bühnenraum. Da war Platz zum Sehen und zum Gesehen werden, da gab es in den Pausen eine ordentliche Gastronomie, da kam man schon etwas früher für ein nettes Gespräch - und oft genug blieb ein Teil der Gäste (meist der männliche Teil) für einen guten Teil der Aufführung draußen.

Und trotzdem war der Anteil dieser "Event"-orientierten Kulturnutzer an der Gesamtbevölkerung m. E. viel kleiner als heute.

Zitat
Beim herkömmlichen Theater sieht es anders aus. Wir haben seit Jahrzehnten in den jeweiligen Städten, in denen wir gewohnt haben, Theater-Abonnements. Das Publikum ist überwiegend grau- und weißhaarig und unverkennbar Bildungsbürgertum. Dazu kommen ein paar Jugendliche, die wohl teils wg. der Schule oder durch diese vermittelt ins Theater gehen. Besucher zwischen 20 und 50 Jahren sieht man nur noch sehr selten.


Meine Vermutung: Das ist eben nicht umbedingt das "herkömmliche" Theater, sondern hat sich erst in den letzten Jahrzehnten so dröge und formal entwickelt. Die meisten modernen Theater sind definitiv nicht dafür entworfen worden, darin Spaß zu haben. Man kommt über merkwürdige Durchgänge aus der Tiefgarage, begibt sich direkt in einen nüchternen Aufführungsraum, in dem man dann wie beim Frontalunterricht zugetextet wird. Außer beim höflichen Schlußapplaus hat das Publikum steif dazusitzen und Erbauung zu heucheln. So als Ersatz für die früheren Gottesdienstbesuche. Und in der Pause drängt man sich in einem Betonvorraum und der Herr steht eine Viertelstunde Schlange, um seiner Holden ein Glas Sekt zu ergattern. Was diese dann in den verbleibenden wenigen Minuten der Pause schnellstens hinunterstürzen muß.
So etwas hätte sich das Bildungsbürgertum vor dem Krieg nicht angetan.

Eigentlich hat sich die Kulturszene differenziert. Früher haben die (wenigen) Theater Hochkultur und Events kombiniert. Heute gibt es zwei getrennte Bereiche (subventionierte Hochkultur und die Event-Szene), die wahrscheinlich beide deutlich mehr Besucher haben als die alte Kulturszene sie hatte. Nicht zu vergessen noch zusätzlich die freie Theaterszene mit experimentellen oder Kleinkunst-Formaten.

Zitat
Es scheint mir wie auch bei Kinofilmen zu sein: Das Interesse war erstens früher breiter; heute konzentriert es sich auf das, was gerade "angesagt" ist.


Da hätte ich meine Zweifel. Eher würde ich vermuten, daß es früher einen engeren Bildungskanon gab - den aber zumindestens die kleine Bildungselite dann auch gekannt hat. Heute streut auch innerhalb von Milieus das Interesse mehr - Klassiker, Musicals, Neues Theater, alles ist möglich, aber nichts mehr Pflicht.

Zitat
Zweitens ist es gruppenspezifisch: Ins Theater geht das Bildungsbürgertum, ins Musical die gut verdienende Angestellten- und Facharbeiterschicht, ins Kino die Jugend usw.


Da würde ich nur teilweise zustimmen. Das Subventionstheater (mit seinen oft merkwürdigen Inszenierungen) ist tatsächlich eher etwas für einen harten Kern von Bildungsbeflissenen. Die gehen aber auch ins Musical. Und ziemlich alle Schichten (außer der echten Unterschicht) gehen in die diversen Festspiele, teilweise auf Freilichtbühnen. Wo in der Regel auch eher traditionelle Inszenierungen aufgeführt werden - die Nachfrage nach Goethe ist da, die Nachfrage nach Faust in Unterhosen eher überschaubar.

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

05.10.2011 08:23
#19 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von R.A.
Die gehen aber auch ins Musical. Und ziemlich alle Schichten (außer der echten Unterschicht) gehen in die diversen Festspiele, teilweise auf Freilichtbühnen.

Da muss ich mich als Angehöriger der Unterschicht mal outen. Ich besuche keine Festspiele, keine Theater, kein Kino, in Konzerte gehe ich nicht. Ein Museum hingegen kann mich schon locken, solange es einen technischen oder geschichtlichen Fokus hat, oder einen alten Meister wie Rembrandt.

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

05.10.2011 12:48
#20 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von R.A.
Das Subventionstheater (mit seinen oft merkwürdigen Inszenierungen)



Zum Thema "merkwürdige Inszenierung" habe ich neulich einen ganz hervorragenden Blogbeitrag gelesen:
http://www.rentnerblog.com/2011/09/tannh...gasreaktor.html

Ich wünsche viel Lesevergnügen ;-)

Gruß,
hubersn

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

05.10.2011 13:06
#21 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von hubersn

Zitat von R.A.
Das Subventionstheater (mit seinen oft merkwürdigen Inszenierungen)


Zum Thema "merkwürdige Inszenierung" habe ich neulich einen ganz hervorragenden Blogbeitrag gelesen:
http://www.rentnerblog.com/2011/09/tannh...gasreaktor.html



Ist denn Bayreuth subventioniert?
Wenn die Gäste für Biogasreaktor-Theater fette Eintrittspreise bezahlen wollen, hätte ich keine Probleme damit.

Zum Subventionstheater ganz aktuell:
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/d...f_staatskosten/

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

05.10.2011 13:43
#22 RE: OT-Zweig: Verflachung Antworten

Zitat von R.A.
Ist denn Bayreuth subventioniert?
Wenn die Gäste für Biogasreaktor-Theater fette Eintrittspreise bezahlen wollen, hätte ich keine Probleme damit.



Offensichtlich Ja: http://www.morgenpost.de/printarchiv/kul...bventionen.html

C. Offline




Beiträge: 2.639

05.10.2011 14:21
#23 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von R.A.
]
Ist denn Bayreuth subventioniert?
Wenn die Gäste für Biogasreaktor-Theater fette Eintrittspreise bezahlen wollen, hätte ich keine Probleme damit.




Natürlich werden die Bayreuther Festspiele bezuschusst.

Zitat von Bayreuther Festspiele GmbH
Beachtenswert ist, daß über 60 % der Mittel aus Einnahmen der Bayreuther Festspiele und privaten Zuwendungen der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V. kommen, so daß die Quote der Bezuschussung durch die Öffentliche Hand stets deutlich unter 40 % liegt.



Die Kartenvergabepraxis hat den Bundesrechnungshof etwas irritiert:

Zitat von FTD
So seien im vergangenen Jahr nur 40 Prozent der Eintrittskarten in den freien Verkauf gelangt, bei Premieren sogar nur 16 Prozent. Der Rest wird entweder als Freikarten oder als feste Kontingente an Sponsoren und Prominente aus Politik, Wirtschaft, und Gesellschaft vergeben. Dies sei aber "mit den Förderzielen nicht vereinbar", heißt es in dem Bericht der Rechnungsprüfer. Der Bund hält 25 Prozent an der Bayreuther Festspiele GmbH. Von der Festspielleitung war zunächst keine Stellungnahme zu dem Bericht zu erhalten.



Natürlich sind die Mitgliedsbeiträge zum Freundesverein abzugsfähig.

Zum Trost für diejenigen die keine Karten bekommen, sich nicht am Schaulaufen beteiligen wollen oder allergisch auf Biogasreaktoren reagieren, es gibt Wagners Lohengrin auch als CD oder mp3 (bei amazon für 17,49 €] in gemütlicher Athmosphäre, selbstbestimmter Lautstärke, ohne schwächelnden Tenor und ohne Zusammentreffen mit irgendwelchen wichtigen Pappnasen.

http://www.iceagenow.com/ Cooling is the New Warming

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

05.10.2011 14:43
#24 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von C.
(…) Zum Trost für diejenigen die keine Karten bekommen, sich nicht am Schaulaufen beteiligen wollen oder allergisch auf Biogasreaktoren reagieren, es gibt Wagners Lohengrin auch als CD oder mp3 (bei amazon für 17,49 €] in gemütlicher Athmosphäre, selbstbestimmter Lautstärke, ohne schwächelnden Tenor und ohne Zusammentreffen mit irgendwelchen wichtigen Pappnasen.



Das gilt wohl für die meisten Opern. Die »Zauberflöte« gibt es auch als CD oder DVD, dann allerdings etwas teurer. Aber es ist (bei aller Technik) nicht dasselbe Erlebnis wie in der Oper. — Jetzt sind wir im OT-Zweig von der Supermacht China über Bayreuth und Wagner-Opern bis zur »Zauberflöte« gekommen ;-)

C. Offline




Beiträge: 2.639

05.10.2011 15:41
#25 RE: Raumfahrt-Supermacht China Antworten

Zitat von stefanolix
Jetzt sind wir im OT-Zweig von der Supermacht China über Bayreuth und Wagner-Opern bis zur »Zauberflöte« gekommen ;-)



OT:Vielleicht können wir über die Pekingoper die Kurve kriegen .

http://www.iceagenow.com/ Cooling is the New Warming

 Sprung  



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