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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 11 Antworten
und wurde 1.120 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.09.2011 17:48
Marginalie: Wieder Karikaturenstreit? Antworten

An Karikaturen scheiden sich die Geister. Sie sind Ausdruck der Freiheit gegenüber Herrschenden; also sind sie das ganz besondere Objekt von Zensurversuchen. Ein aktuelles Beispiel.

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

30.09.2011 21:17
#2 RE: Marginalie: Wieder Karikaturenstreit? Antworten

Zitat von Zettel
Gegenwärtig hat Erdoğan ausgezeichnete Chancen, so erfolgreich zu sein wie einst Kemal Pascha; und mit einer ähnlichen Bedeutung wie dieser in die Geschichte der Türkei einzugehen.

Ja, alle Zeichen stehen auf Islamisierung, auf die Entfachung eines islamistischen Strohfeuers.
Der nachhaltige Erfolg des türkischen Islamismus wird nämlich durch zwei Problemchen behindert: Die Magenfrage und die Geburtenrate.

Die Türkei ist nicht der wirtschaftliche Tiger, als den uns die GenossInnen das Land als EU-Beitrittskandidat schmackhaft machen wollen. Doch im Vergleich zu den staatsähnlichen Gebilden des Orients ist es ganz ordentlich. Die Universitäten dort sind keine Verdummungsanstalten, es wird studiert.
Davon kann man eine ganze Weile zehren. Die DDR hat 40 Jahre gebraucht, um das „schlimme Erbe des Kapitalismus“ zu verprassen. Die Substanz der Türkei ist nicht so mächtig, aber für 20 Jahre sollte es reichen.

Die Biotürkinnen kriegen statistisch weniger als 2 Kinder, die „Bergtürkinnen“ 4…5.
In 20 Jahren wird sich die wirtschaftlich dann am Boden liegende Türkei schon der wilden Krieger aus dem Osten zu erwehren wissen. Irgendwie.
Inschallah.

C. Offline




Beiträge: 2.639

15.10.2011 01:38
#3 Heftige Proteste in Tunis gegen Film-Darstellung Gottes Antworten

Auch im arabischen Herbst stehen die Zeichen auf Sturm:Heftige Proteste in Tunis gegen Film-Darstellung Gottes



Zitat von AFP
Die Ausstrahlung des preisgekrönten Films "Persepolis", in dem Gott als alter, bärtiger Mann dargestellt wird, hat heftige Proteste in der tunesischen Hauptstadt Tunis ausgelöst
...
Die Proteste entwickelten sich zunächst am Ausgang einer Moschee im Anschluss an das Freitagsgebet. Als der Protestzug mit tausenden Demonstranten, darunter Salafisten, sich auf den Sitz der Regierung zubewegte, schritt die Polizei ein und setzte gegen die Demonstranten Tränengas ein.

Die Demonstranten forderten die Schließung des Senders und griffen später das Haus von Nessma-TV-Chef Karoui an. Wie der Sender berichtete, beteiligte sich eine "Gruppe von hundert Männern" an dem Angriff auf das Wohnhaus und warf Molotowcocktails. Etwa 20 von ihnen sei es gelungen, ins Haus einzudringen, wo sich zu diesem Zeitpunkt noch die Frau und Kinder Karouis aufhielten. Der Senderchef selbst sei nicht zu Hause gewesen. Der Familie sei es "in letzte Minute" gelungen, sich in Sicherheit zu bringen. Die Angreifer hätten das Haus verwüstet und Feuer gelegt.

http://www.iceagenow.com/ Cooling is the New Warming

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.10.2011 02:41
#4 RE: Marginalie: Wieder Karikaturenstreit? Antworten

Zitat von Urlauber
Die DDR hat 40 Jahre gebraucht, um das „schlimme Erbe des Kapitalismus“ zu verprassen. Die Substanz der Türkei ist nicht so mächtig, aber für 20 Jahre sollte es reichen.

Da sehe ich nicht ganz die Parallele, lieber Urlauber.

Für die DDR haben Sie recht. Da der Sozialismus nicht innovativ sein kann, zehrte die DDR von dem, was 1949 vorgefunden wurde.

Als meine Frau und ich 1990 durch die DDR fuhren, war das in jeder Hinsicht eine Zeitreise - vom Zustand der Straßen über die Gastronomie bis zur Mentalität der Menschen.

Es war schlicht Deutschland 1933. Stillstand. Was sonst kann man vom Sozialismus erwarten?

Aber die Türkei ist ja nun ein kapitalistisches Land. Warum sollte dort nicht die Dynamik funktionieren, die der Kapitalismus überall freisetzt?

Herzlich, Zettel

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

15.10.2011 21:07
#5 RE: Marginalie: Wieder Karikaturenstreit? Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von Urlauber
Die DDR hat 40 Jahre gebraucht, um das „schlimme Erbe des Kapitalismus“ zu verprassen. Die Substanz der Türkei ist nicht so mächtig, aber für 20 Jahre sollte es reichen.

Da sehe ich nicht ganz die Parallele, lieber Urlauber.

Für die DDR haben Sie recht. Da der Sozialismus nicht innovativ sein kann, zehrte die DDR von dem, was 1949 vorgefunden wurde.

Als meine Frau und ich 1990 durch die DDR fuhren, war das in jeder Hinsicht eine Zeitreise - vom Zustand der Straßen über die Gastronomie bis zur Mentalität der Menschen.

Es war schlicht Deutschland 1933. Stillstand. Was sonst kann man vom Sozialismus erwarten?

Aber die Türkei ist ja nun ein kapitalistisches Land. Warum sollte dort nicht die Dynamik funktionieren, die der Kapitalismus überall freisetzt?


Heute ist die Türkei ein kapitalistische Land.
Der Kapitalismus ist aber kein Naturzustand wie Berg und Tal oder Bodenschätze. Er wird von Menschen gemacht.
Die Türkei konnte ein kapitalistisches Land werden, weil der Staatgründer Atatürk die destruktive Kraft des Islam erkannte und ihn so weit wie möglich zurückdrängte. Damit war der Weg frei für die Entfaltung der Wachstumskräfte.
Wenn diese Voraussetzung abgeschafft wird, wenn der Islam wieder dominiert, dann wird der Kapitalismus langsam aber sicher verschwinden. Not with a bang, but with a whisper and a lot of tears.

Wir wissen nicht wie das weitergeht. Aber wenn es weitergeht wie von Erdogan geplant, dann war es das mit dem Kapitalismus in der Türkei.
Der Islam ist nicht kapitalismuskompatibel. Renan hat das in seinem interessanten Vortrag bereits 1883 präzise beschrieben

Zitat von Ernest Renan
Wer immer im Orient oder in Afrika gereist ist, dem musste die Wahrnehmung sich aufdrängen von der thatsächlichen Geistes-Beschränktheit eines wahrhaft Gläubigen, von jener Art eisernen Reifens, der um sein Haupt geschlagen ist und dasselbe der Wissenschaft geradezu verschliesst, es unfähig macht, irgend etwas zu lernen, irgend eine neue Idee in sich aufzunehmen.

Mit solchen Leuten ist kein Kapitalismus zu machen.
Wenn die von der Türkei Besitz ergreifen, dann wird das Land ein ganz normaler moslemischer failed state. Es wird eine Weile dauern (die türkischen Ingenieure und Facharbeiter werden erst mal auf gewohnt hohem Niveau weiterarbeiten), aber spätestens in einer Generation ist alles vorbei.

Es ist die Kultur, wozu ich gern noch mal auf Siegfried Kohlhammer verlinken möchte.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.10.2011 22:14
#6 Kapitalismus und Islam Antworten

Zitat von Urlauber
Mit solchen Leuten ist kein Kapitalismus zu machen.

Wenn die von der Türkei Besitz ergreifen, dann wird das Land ein ganz normaler moslemischer failed state. Es wird eine Weile dauern (die türkischen Ingenieure und Facharbeiter werden erst mal auf gewohnt hohem Niveau weiterarbeiten), aber spätestens in einer Generation ist alles vorbei.

Ich kann das überhaupt nicht erkennen, lieber Urlauber.

Ich sehe dafür keine Indikatoren. Die Türkei ist ein dynamisches Land. Im Juli berichtete das Wall Street Journal, daß die Türkei mit einem Wachstum von 11 Prozent im ersten Quartal 2011 noch vor China lag.

Gewiß wird es auch dort Wachstumskrisen geben, so wie sie jetzt China bevorstehen. Aber warum sollte die Entwicklung nicht grundsätzlich so weitergehen? Es geht doch um Wirtschaft und nicht Religion. Die Religion spielt in der Türkei, soweit ich das beurteilen kann, vielleicht dieselbe Rolle wie im Deutschland der Adenauerzeit.

Ich sehe überhaupt nicht, lieber Urlauber, warum ein islamisches Land nicht wirtschaftlich erfolgreich sein sollte. Malaysia ist es, Indonesien ist es. Die Probleme gibt es in Arabien; und dort hat zuerst die Zugehörigkeit zum erstarrten Osmanischen Reich und dann der Arabische Sozialismus den Fortschritt verhindert.



Alle die Regimes, die jetzt in Schwierigkeiten sind, waren oder sind sozialistische Systeme, seinerzeit nach dem Vorbild der Sowjetunion konstruiert - Tunesien und Libyen ebenso wie Ägypten und Syrien, wie der Jemen und - bis zu seiner Befreiung - der Irak. Saddams Vorbild war Stalin. Seine Partei herrscht jetzt noch in Syrien.

Es geht nicht um den Islam; es geht um den Übergang zum entwickelten Kapitalismus. Den schafft die Türkei gegenwärtig; so wie ihn von Brasilien bis Vietnam viele Länder gegenwärtig schaffen.

Bei einer derart dynamischen Entwicklung suchen die Menschen oft Halt. Auch deshalb gibt es - so sehe ich es - jetzt in der Türkei eine gewisse Hinwendung zur Religion. Das war in Deutschland in den stürmischen Jahren des Wirtschaftswunders nicht anders.

Herzlich, Zettel

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.255

15.10.2011 22:58
#7 RE: Marginalie: Wieder Karikaturenstreit? Antworten

Zitat von Urlauber
... wenn der Islam wieder dominiert, dann wird der Kapitalismus langsam aber sicher verschwinden. Not with a bang, but with a whisper and a lot of tears.

Wir wissen nicht wie das weitergeht. Aber wenn es weitergeht wie von Erdogan geplant, dann war es das mit dem Kapitalismus in der Türkei.

Lieber Urlauber,
mit dem Islam hat das weniger zu tun. Gleichwohl ist der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre in der Türkei einem starken Kapitalzufluss geschuldet. Wenn dieser Strom versiegt, weil das Kapital lohnendere Anlagen sucht und finden wird, und es häufen sich seit Monaten die Anzeichen, bricht das schöne Kartenhaus zusammen. Der türkische Aufschwung ist mit Schulden finanziert (kommt mir irgendwie bekannt vor) und somit auf Sand gebaut.

Aber wie gesagt, der Islam spielt dabei eine marginale Rolle – wenn überhaupt.

 
Mit freundlichem Gruß

--
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ – sagt Ingeborg Bachmann

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

16.10.2011 12:40
#8 RE: Kapitalismus und Islam Antworten

Zitat von Zettel
Ich sehe dafür keine Indikatoren. Die Türkei ist ein dynamisches Land. Im Juli berichtete das Wall Street Journal, daß die Türkei mit einem Wachstum von 11 Prozent im ersten Quartal 2011 noch vor China lag.

Habe ich das in Frage gestellt?
Selbst wenn diese Indikatoren ins Minus zeigen, sagt uns das – gar nichts. Gibt ja keinen Grund, warum ausgerechnet die türkische Wirtschaft von Krisen verschont werden sollte.
Mir geht es um die Frage, wie das weitergeht wenn der Islam den türkischen Nationalismus abgelöst haben wird.

Zitat von Zettel
Aber warum sollte die Entwicklung nicht grundsätzlich so weitergehen? Es eht doch um Wirtschaft und nicht Religion.

Sie meinen, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun?
Ich denke schon, dass der wirtschaftliche Erfolg der Calvinisten, Hugenotten, Juden und WASP auch was mit der Religion zu tun hat. Ebenso wie der wirtschaftliche Misserfolg der Moslems.

Zitat von Zettel
Die Religion spielt in der Türkei, soweit ich das beurteilen kann, vielleicht dieselbe Rolle wie im Deutschland der Adenauerzeit.

Sehe ich auch so, das mit der Adenauer-Zeit. Das ist das Verdienst von Atatürk. In dieser Atmosphäre können sich die Produktivkräfte entfalten. Wenn es so bleibt, wird die Türkei weiter wachsen.
Aber bleibt es so? Im Moment sind die Kräfte stark, die eben das zurückdrehen.

Zitat von Zettel
Ich sehe überhaupt nicht, lieber Urlauber, warum ein islamisches Land nicht wirtschaftlich erfolgreich sein sollte. Malaysia ist es, Indonesien ist es.

Fragt sich, wie tief der Islam das Leben durchdringt.
In Indonesien sind nicht die Moslems die Bringer, sondern (obwohl gerade mal 0,9% Bevölkerungsanteil) die Chinesen (die „Juden des Ostens“) mit Ihrer konfuzianischen Arbeitsmoral. Die fleißigen Chinesen werden in Indonesien aber nicht wegen Ihres Beitrags zum Wirtschaftswachstum geschätzt, sondern sind immer wieder (in den letzten Jahren zum Glück nicht mehr) Verfolgungen ausgesetzt. In Indonesien geht es nicht wegen, sondern trotz des Islam.
Und so toll ist das Resultat nun auch wieder nicht. Das BIP in Indonesien liegt bei 1.650US$ pro Einwohner, das sozialistische Ägypten schafft mit 1580US$ fast genauso viel.

Interessant ist aber der Gradient. Von 1981 bis 2002 ist das BIP/Ew. von 360$ auf 600$ gestiegen. Bei niedrigem Ausgangsniveau (von dem aus hohe Wachstumgsraten leicht zu erzielen sind) in 21 Jahren nicht mal verdoppelt. Frankreich hat sich in der gleichen Zeit (trotz Mitterands sozialistischer Experimente) von 8.270$ auf 24.170$ gesteigert.

Von 2002 bis 2010 jedoch ist in Indonesien das BIP von 600$ auf 1650$/Ew. geradezu explodiert. Die Wachstumsrate von 2002 bis 2010 mehr als drei mal so hoch wie im Zeitraum davor.
Zufall?
Vielleicht. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass nach der letzten Welle der Chinesenverfolgung in Indonesien 1998 die antichinesischen Diskriminierungsgesetze aufgehoben wurden.
Der Islam geht ein wenig zurück - schlagartig geht es der Wirtschaft besser.

Malaysia hat einen chinesischen Bevölkerungsanteil von 23,7% und schafft ein BIP von 6.948 US$ pro Einwohner.
Wir realisieren manchmal Projekte in Malaysia. Ich war noch nicht dort. Aber den Erzählungen der Kollegen nach sieht es dort in den Fabriken auf den ersten Blick aus wie eine Kasten-Ordnung. Die Fachleute sind durch die Bank weg Chinesen, die Hilfsarbeiter Moslems.
Klingt nach Diskriminierung.
In Malaysia wurde jahrzehntelang diskriminiert. „Positiv“ natürlich, im Rahmen der 1971 eingeführten „New Economic Policy“. Mit einer umfassenden Politik der „affirmative action“ sollten die „Bumiputra“ (Söhne der Erde) genannten Malaien (per Gesetz allesamt Moslems) gezielt gefördert werden, um sie auf chinesisches Niveau zu heben. Genützt hat es nichts. 2009 hat Malaysia diese Praktiken wieder aufgegeben.

Singapur hat einen chinesischen Bevölkerungsanteil von 76,8%. Das Land realisiert ein BIP von 32.340 US$ pro Kopf.

Je mehr sich der Islam zurückzieht bzw. zurückgedrängt wird, umso besser geht es der Wirtschaft.



Bei unserem Bulgarien-Urlaub hatten wir mal einen Abstecher nach Istanbul gemacht. Unsere Reiseführer waren türkische Patrioten. Beide haben über Erdogans Islamisierung geschimpft.
Und auch an Beispielen gezeigt. Da wurden (es waren wenige) vollverschleierte Frauen von Ihren Männern durch die Stadt geführt. „Das ist verboten“ sagte der Guide, „aber die Polizei tut einfach nichts. Das gibt es erst seit Erdogan“.
Selbst in der europäischen Kulturhauptstadt zeigt der Steinzeitislam Flagge und die Polizei toleriert das. Wie es wohl (gäbe es das in Anatolien) „auf dem platten Land“ aussieht?
Das ist eine Tendenz. Ob sich das durchsetzt, werden wir sehen.
Funktioniert der Kapitalismus auch in Gesellschaften, die den Frauen die Individualität und Individualrechte verweigert? Ich glaube nicht.

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am 17.10. einen Schreibfehler rausgemacht

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.10.2011 13:36
#9 RE: Kapitalismus und Islam Antworten

Zitat von Urlauber
Das ist eine Tendenz. Ob sich das durchsetzt, werden wir sehen.

Ja, so ist es, lieber Urlauber. Danke für den informativen Beitrag!

Es geht letztlich darum, wie man die Stärke der einzelnen Faktoren einschätzt. Sie bewerten offensichtlich die Religion höher als ich.

Ich sehe im Erfolg der Juden und der Chinesen nicht primär ein religiöses Element; atheistische Juden und Chinesen sind ja nicht weniger erfolgreich als Orthodoxe und Konfuzianer. Es sind über Jahrtausende gewachsene Kulturen, die ihre Eliten herausgebildet haben; in einem sowohl genetischen als auch kulturellen Prozeß, mit Wechselwirkung zwischen den beiden Faktoren. Es geht um den IQ, es geht um Leistungsmotivation, um Disziplin, um delay of gratification.

Auch die islamische Kultur hatte bekanntlich ihre Blütezeit. Es hat dann das stattgefunden, was Oswald Spengler Fellachisierung genannt hat. Ich sehe in der Hinwendung zur Religion, wie es sie seit einigen Jahrzehnten vor allem in den arabischen Ländern gibt, eher die Reaktion auf eine Modernisierungskrise als ein Hindernis für Modernisierung. Das Hindernis war bisher der Sozialismus.

In Persien war Schah Reza Pahlewi auf dem Weg, das Land zu einer modernen und - dank des Erdöls - reichen Industrienation zu machen. Persien ist eine uralte Kulturnation wie China; es hätte ihm gelingen können. Aber als todkranker Mann konnte er den Islamisten keinen Widerstand mehr entgegensetzen.

Die Religion verliert in allen modernen Gesellschaften an Bedeutung. Ich sehe nicht, lieber Urlauber, warum das in den christlichen Gesellschaften der Fall sein sollte und in den islamischen nicht. Es gibt nur eine gewisse Ungleichzeitigkeit; ein Hinterherhinken der islamischen Länder.

Herzlich, Zettel

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

16.10.2011 16:12
#10 RE: Kapitalismus und Islam Antworten

Zitat von Zettel
Es geht letztlich darum, wie man die Stärke der einzelnen Faktoren einschätzt. Sie bewerten offensichtlich die Religion höher als ich.

Ja, so ist das.
Weil die Religion am Anfang steht. Und weil die Religion die Konstante ist. Die Religion prägt die Menschen über Jahrhunderte. Sie ist die gemeinsame Erinnerung, die gemeinsame Sprache. Die Religion verbindet die Menschen mit der Vergangenheit und der Zukunft.

Zitat von Zettel
Ich sehe im Erfolg der Juden und der Chinesen nicht primär ein religiöses Element; atheistische Juden und Chinesen sind ja nicht weniger erfolgreich als Orthodoxe und Konfuzianer.

Auch atheistische Juden und Chinesen wurden nicht mit dem Fallschirm abgeworfen. Sie kommen aus einer Tradition.
Wie die Religion die Menschen auch dann prägt, wenn sie sich von der Religion abgewandt haben, hat Manfred Kleine-Hartlage (im Video ab 02:55) sehr gut skizziert

Zitat von Das Dschihad-System: Manfred Kleine-Hartlage
Die meisten Werte und Normen und Wahrheiten, an denen wir uns orientieren, die sind nirgendwo niedergeschrieben, auch nicht im Gesetz. Es handelt sich um ungeschriebene Normen. Und die sind das, was die Gesellschaft eigentlich zusammenhält.
Die Frage ist nun, woher kommen diese Normen und Wertesysteme.
Und meine These lautet, sie kommen ganz wesentlich und in einem viel stärkeren Maße als uns bewusst ist, aus der Religion. Also in muslimischen Gesellschaften aus der islamischen Religion und in unserer eigenen Gesellschaft aus der christlichen Religion.

Es gibt, glaube ich, keinen besseren Kronzeugen für diesen Sachverhalt als grade solche linken Gutmenschen, die sich selber subjektiv vom Christentum abgewandt haben.
Und nehmen wir einen Herrn Ströbele von den Grünen, um den einfach mal als paradigmatisches Beispiel zu nehmen. Wenn man ihm gegenüber den Islam kritisiert, dann ist die sofortige Reaktion die, dass er sagen wird: Ja, aber das mag ja alles sein. Aber das Christentum ist doch genauso schlimm. Hat die Kreuzzüge gehabt und die Hexenverbrennungen. Und die Kirche war doch sehr autoritär … und solche Dinge.
Wo man sich ja fragen muss, warum sagt es das denn überhaupt? Das hat doch mit dem Thema „Islam“ überhaupt nichts zu tun.
Er sagt es deshalb, weil er im Hinterkopf das Prinzip hat: Richtet nicht, auf das Ihr nicht gerichtet werdet.
Er hat im Hinterkopf den Satz: Such nicht den Splitter im Auge Deines Bruders, solange Du einen Balken im eigenen Auge hast.
Mit anderen Worten: Er hat christliche Ethik verinnerlicht. Und er würde das Christentum gar nicht mit den Argumenten kritisieren, mit denen er es kritisiert, wenn er nicht in einer Gesellschaft aufgewachsen wäre, die ihm diese christlichen Werte und Normen vermittelt hat.

Normen und Wertesysteme, die in einer Kultur erst mal verinnerlicht sind, sind weitaus langlebiger als die Religionen, denen sie ihre Entstehung verdanken.

.

Zitat von Zettel
Die Religion verliert in allen modernen Gesellschaften an Bedeutung.

Und dort verliert die Gesellschaft die Menschen. Was bleibt übrig von der nichtreligiösen Gesellschaft, wenn die Menschen sterben ohne vorher Kinder in die Welt gesetzt zu haben?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.10.2011 16:39
#11 RE: Kapitalismus und Islam Antworten

Zitat von Urlauber

Zitat von Zettel
Es geht letztlich darum, wie man die Stärke der einzelnen Faktoren einschätzt. Sie bewerten offensichtlich die Religion höher als ich.

Ja, so ist das.
Weil die Religion am Anfang steht. Und weil die Religion die Konstante ist.


In einem gewissen Sinn stimme ich Ihnen zu; nämlich dann, wenn man den Begriff der Religion in einer sehr weiten Bedeutung faßt.

Ich habe gelegentlich schon auf Buch The Faith Instinct von Nicholas Wade aufmerksam gemacht und Gedanken daraus zitiert. Er sieht Religion nicht als ein System von Glaubensinhalten, sondern von sozialen Institutionen und Verhaltensweisen mannigfacher Art: Riten, Tänze, Musik, gemeinsame Extase; aber auch Recht und Sittlichkeit, Weltwissen und Heiratsvorschriften usw. - und damit als das entscheidende soziale Bindemittel in der Entwicklung der menschlichen Kultur.

Aber daraus hart sich eben dann viel gelöst und verselbständigt - die Philosophie und die Wissenschaften, die säkulare Kunst, säkulares Recht und so fort. Und herausgegliedert aus dem, was einmal diese gemeinsame kulturelle Wurzel gewesen war, hat sich auch das, was wir heute Religion in einem viel engeren Sinn nennen.

Etwas, das nicht mehr dieses Bindemittel der Gesellschft ist, sondern Privatangelegenheit. Deshalb können heute Mitglieder verschiedener Religionen ein einer Gesellschaft zusammenleben und dieseleben Werte teilen - Freiheit und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit beispielsweise.



Das ist jetzt sehr plakativ, lieber Urlauber. Wie man es halt in einem kleinen Forumsbeitrag nur schreiben kann. Und ich meine es nicht wertend. Ob diese skizzierte Entwicklung wünschenswert war und nicht, ist eine ganz andere Frage.

Ich bin ein überzeugter Anhänger der Aufklärung. Das ist der Liberale in mir. Aber ich stelle mir inzwischen zunehmend die Frage, ob einige der Entwicklungen, die sich auf sie berufen - der Feminismus zum Beispiel, gewisse egalitäre Tendenzen - nicht das biologische Wesen Menschen überfordern; man könnte auch sagen: unsere biologische Natur mißachten. Das ist der Konservative in mir.

Und zu dieser biologischen Natur gehört vielleicht auch das religiöse Bedürfnis. Jedenfalls meint das Wade; deshalb der Titel seines Buchs.

Herzlich, Zettel

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

16.10.2011 17:05
#12 RE: Kapitalismus und Islam Antworten

Zitat von Zettel

Und zu dieser biologischen Natur gehört vielleicht auch das religiöse Bedürfnis. Jedenfalls meint das Wade; deshalb der Titel seines Buchs.


Kann dieses religiöse Bedürfnis nicht auch durch den Glauben an das Unbewusste, das Über-Ich, befriedigt werden?

Viele Grüße, Erling Plaethe

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