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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 17 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

03.10.2011 04:27
Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Der Tag der Deutschen Einheit sollte ein Tag des Feierns sein. Aber was feiern wir eigentlich?

Die 1990 wiedererlangte Einheit der Nation; gewiß. Aber vor allem doch auch die Befreiung vom Kommunismus. Deshalb gehört zu diesem Tag aus meiner Sicht auch ein Rückblick auf den Unrechtsstaat DDR.

murmel Offline



Beiträge: 3

03.10.2011 10:40
#2 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Ich glaube, den Ostdeutschen ist schon bewusst, dass in der DDR Unrecht geschehen ist.
Aber mit "die DDR" fühlt man sich eingeschlossen. Das bedeutet ja, dass man Teil des Unrechts war, mitschuldig und v.a. aktiver Teil.

Wäre die Formulierung "die Regierung der DDR", würden sich kaum Menschen damit identifizieren. "Die Partei" ist allerdings schon wieder schwierig: sehr viele waren ja auch gutgläubig dabei und haben das Ganze gar nicht wahrgenommen bzw. war die Mitgliedschaft Voraussetzung für ein Studium.

Ich will die auch vorhandene Verklärung nicht kleinreden. Aber zu "die DDR" gehörte nunmal auch der völlig normale Alltag, Familienleben, Freunde besuchen, einem ganz normalen Job nachgehen. Unrecht fand dort in o.g. Sinn nicht statt bzw. hatte nur eine untergeordnete Rolle, konnte -und musste!- gut verdrängt werden: "Was die da in Berlin machen interessiert uns doch nicht."
Gerade mit den Älteren, die genau wie die im Westen das Land wieder aufbauen und das Leben neu organisieren mussten, kann ich mitfühlen, dass sie sich durch diesen Begriff "die DDR" abgewertet fühlen. Sie haben aktiv genau diese DDR aufgebaut, ohne Unrecht tun zu wollen und sind dabei in das sich verstärkende System hineingewachsen.

Informationen über Verurteilungen wurden nicht weitreichend publiziert. Ältere sind heute überrascht, was alles geschehen ist, v.a. in den 50er/60er Jahren. Wer kein westdeutsches Fernsehen empfing oder auf dem Dorf lebte, hatte kaum Ahnung davon, war mit seiner Ausbildung, seinem Leben beschäftigt.

Und ja: ich bin auch Ost-West-Deutsche ...

Ein Westdeutscher hat die DDR sicher eher als Gesamtheit wahrgenommen, aber eben schwerpunktmäßig als eine Regierung mit anhängendem Staat. Nachrichten bestanden ja sicher nicht aus Alltagsbeschreibungen.

Eine Differenzierung der Begrifflichkeiten und eine genauere Formulierung der Frage wäre sinnvoll.

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

03.10.2011 11:05
#3 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Liebe "murmel",

beim Lesen Ihres Beitrags habe ich den Eindruck, dass man auf die gleiche Weise und mit Austausch nur weniger Wörter auch die Verharmlosung des "Dritten Reiches" begründen könnte:

Zitat von murmel
Ich glaube, den Ostdeutschen ist schon bewusst, dass in der DDR Unrecht geschehen ist.
Aber mit "die DDR" fühlt man sich eingeschlossen. Das bedeutet ja, dass man Teil des Unrechts war, mitschuldig und v.a. aktiver Teil.



Den Deutschen ist nach 1945 schon bewusst, dass im Dritten Reich Unrecht geschehen ist. Aber mit "ein Reich, ein Volk, ein Führer" fühlt man sich eingeschlossen. ...

Zitat von murmel
"Die Partei" ist allerdings schon wieder schwierig: sehr viele waren ja auch gutgläubig dabei und haben das Ganze gar nicht wahrgenommen bzw. war die Mitgliedschaft Voraussetzung für ein Studium.



Gilt für die NSDAP ebenso. Sehr viele waren ja auch gutgläubig dabei ... war die Mitgliedschaft zumindest förderlich für die Anstellung im Staatsdienst ...

Zitat von murmel
Ich will die auch vorhandene Verklärung nicht kleinreden. Aber zu "die DDR" gehörte nunmal auch der völlig normale Alltag, Familienleben, Freunde besuchen, einem ganz normalen Job nachgehen. Unrecht fand dort in o.g. Sinn nicht statt bzw. hatte nur eine untergeordnete Rolle, konnte -und musste!- gut verdrängt werden: "Was die da in Berlin machen interessiert uns doch nicht."



Auch zum "Dritten Reich" gehörte nunmal auch der völlig normale Alltag, Familienleben, Freunde besuchen, einem ganz normalen Job nachgehen. Unrecht hat man übersehen, betraf einen nicht, nur die, die ohne Staatsfeinde waren, konnt gut verdrängt werden.

Zitat von murmel
Gerade mit den Älteren, die genau wie die im Westen das Land wieder aufbauen und das Leben neu organisieren mussten, kann ich mitfühlen, dass sie sich durch diesen Begriff "die DDR" abgewertet fühlen. Sie haben aktiv genau diese DDR aufgebaut, ohne Unrecht tun zu wollen und sind dabei in das sich verstärkende System hineingewachsen.



Sollen wir mitfühlen mit denen, die nach 1933 mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ihr Leben neu organisiert haben, die begeistert waren von der Revision des Versailler Vertrags, die über den wirtschaftlichen Aufschwung erfreut waren, das Gefühl hatten "jetzt geht es wieder vorwärts". Da sind auch viele aktiv gewesen, "ohne Unrecht tun zu wollen", und "sind dabei in das sich verstärkende System hineingewachsen."

Mein Großonkel 1932/33 arbeitslos, dann in den Arbeitsdienst eingetreten, Lehrgang zum Arbeitsdienstführer, Begeisterung, "Deutschland zu dienen", "Deutschlands Zukunft zu sein", "Deutschland aufzubauen" - Straßenbau, Moore trockenlegen, "die Jugend für das neue Deutschland vorzubereiten" sind die Schlagworte in seinen Briefen. Wollte er - katholisch erzogen, kirchlich gebunden - Unrecht tun? Und dann hineingewachsen: Eintritt in die SA und die Partei, Austritt aus der Kirche; 1941 in Böhmen willkürliche Beschlagnahmung von jüdischem Besitz (nur für das Kasino seiner Arbeitsdiensteinheit, alles im Sinne des Staates); 1942 in Russland: "Wir gehen wieder auf Partisanenjagd. Meine Männer haben viel Spaß dabei."; 1944 in Holland die briefliche Feststellung, "der Deutsche" sei "viel zu weich", die "Holländer" seien alle "Verräter", man müsse "alle" "an die Wand stellen".

Zitat von murmel
Informationen über Verurteilungen wurden nicht weitreichend publiziert. Ältere sind heute überrascht, was alles geschehen ist



Was das 1933-45 anders? Wer es nicht wissen wollte, wurde mit Informationen über den Unrechtsstaat auch nicht behelligt.

Zitat von murmel
Eine Differenzierung der Begrifflichkeiten und eine genauere Formulierung der Frage wäre sinnvoll.



Was soll man also besser differenzieren? Und: Gilt das auch für das Dritte Reich?

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

03.10.2011 12:13
#4 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von murmel
Ich glaube, den Ostdeutschen ist schon bewusst, dass in der DDR Unrecht geschehen ist.
Aber mit "die DDR" fühlt man sich eingeschlossen. Das bedeutet ja, dass man Teil des Unrechts war, mitschuldig und v.a. aktiver Teil.
Wäre die Formulierung "die Regierung der DDR", würden sich kaum Menschen damit identifizieren. "Die Partei" ist allerdings schon wieder schwierig: sehr viele waren ja auch gutgläubig dabei und haben das Ganze gar nicht wahrgenommen bzw. war die Mitgliedschaft Voraussetzung für ein Studium.



An dieser Stelle verweise ich (Dresden, Jahrgang 1967) immer darauf, dass man die historischen Abschnitte der DDR unterscheiden muss. Was Zettel hier berichtet, gehört zur allerersten Phase. Solche ganz üblen Verbrechen hat die DDR-Justiz später nicht mehr begangen, solche Schauprozesse waren später nicht mehr üblich. Über die ganze Zeit der DDR betrachtet, würde ich es so formulieren:

1. Die DDR war zu keiner Zeit ein Rechtsstaat.
2. Die DDR war in ihren ersten Jahren ein absoluter Unrechtsstaat. Bestimmte Teile dieses Unrechtsregimes wurden bis zum Ende der DDR beibehalten.

Zur Einordnung der SED-Mitgliedschaft: Es stimmt keineswegs, dass man für jedes Studium Mitglied der SED sein musste. Tatsache ist, dass die Mitgliedschaft in der SED vieles erleichtert hätte und dass es ganz wenige Studiengänge gab, für die man wirklich Mitglied sein musste. Aber Tatsache ist auch, dass hunderttausende Hochschul-Absolventen niemals Mitglied in der SED oder in einer Blockpartei waren. In weiten Kreisen war es ein absolutes Tabu, die Mitgliedschaft auch nur in Erwägung zu ziehen, übrigens aus sehr unterschiedlichen Erwägungen heraus. Lieber richtete man sich mit anderen Ansprüchen in seinem Leben ein.

In der F.A.Z. vom Wochenende ist ein Beispiel für eine ost-westdeutsche Biographie: Der ehemalige Minister im Kabinett Kohl, Paul Krüger. Er war nie in einer Partei und hat sich auf dem zweiten Bildungsweg bis zum Dr.-Ing. entwickelt. Ich will damit sagen: Es war schon eine gewisse Anpassung notwendig, man konnte eben z.B. nicht einfach ein Plakat malen und auf der Straße frei demonstrieren. Aber es musste sich auch niemand bei der SED anbiedern oder gar in die SED eintreten.

Zitat von murmel
Ich will die auch vorhandene Verklärung nicht kleinreden. Aber zu "die DDR" gehörte nunmal auch der völlig normale Alltag, Familienleben, Freunde besuchen, einem ganz normalen Job nachgehen. Unrecht fand dort in o.g. Sinn nicht statt bzw. hatte nur eine untergeordnete Rolle, konnte -und musste!- gut verdrängt werden: "Was die da in Berlin machen interessiert uns doch nicht."
Gerade mit den Älteren, die genau wie die im Westen das Land wieder aufbauen und das Leben neu organisieren mussten, kann ich mitfühlen, dass sie sich durch diesen Begriff "die DDR" abgewertet fühlen. Sie haben aktiv genau diese DDR aufgebaut, ohne Unrecht tun zu wollen und sind dabei in das sich verstärkende System hineingewachsen.



Den ehrlichen DDR-Bürgern tut man mit der Feststellung »Die DDR war kein Rechtsstaat« doch kein Unrecht. Sie waren durch Mauer und Stacheldraht eingesperrt und viele wollten auch keinen Ausreiseantrag stellen, weil sie sich einfach an Dresden, Weimar oder andere Heimatstädte gebunden fühlten.

Zitat von murmel
Informationen über Verurteilungen wurden nicht weitreichend publiziert. Ältere sind heute überrascht, was alles geschehen ist, v.a. in den 50er/60er Jahren. Wer kein westdeutsches Fernsehen empfing oder auf dem Dorf lebte, hatte kaum Ahnung davon, war mit seiner Ausbildung, seinem Leben beschäftigt. (…)



Die Informationen über solche Verurteilungen wurden in den 1950er Jahren sehr wohl »weitreichend publiziert«. Solche Prozesse waren doch als Schauprozesse angelegt. Der Vergleich mit dem NS-Volksgerichtshof ist nicht weit hergeholt. Die Hinrichtungsstätte in Dresden am Münchner Platz wurde von den Nazis und in den ersten Jahren der DDR für Justizmorde genutzt. Ich wiederhole: Es war ein Justizverbrechen. Und es war ein Justizverbrechen, das ein ganzes Volk in Angst und Schrecken versetzen sollte. Deshalb fanden solche Prozesse nicht im Geheimen statt.

strubbi77 Offline



Beiträge: 337

03.10.2011 12:16
#5 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von murmel
Ich glaube, den Ostdeutschen ist schon bewusst, dass in der DDR Unrecht geschehen ist.
Aber mit "die DDR" fühlt man sich eingeschlossen. Das bedeutet ja, dass man Teil des Unrechts war, mitschuldig und v.a. aktiver Teil.

Ich finde es komisch, dass sie das "Staat" aus dem Titel gedanklich weglassen. Der Normalbürger wird ja nicht als Täter bezeichnet, sondern ist meiner Meinung ein Opfer des Staates. Einen Staat in dem jeder Bürger potentiell als Täter unterwegs ist, da keine Basisrechte durchgesetzt werden, würde ich als gescheiterten Staat bezeichnen.
Beispiele wie Enteignungen, verminderten Bildungschancen für nicht-Linientreue und Reiseverbote sind sicher nur die Spitze des Eisbergs. Ich finde darauf sollte man achten. wenn man den Begriff "Unrechtsstaat" anwenden will oder nicht. Das Verhalten der Bürger untereinander, und wie lieb sich alle hatten ist für mich eine andere Diskussion

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

03.10.2011 14:02
#6 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von stefanolix
An dieser Stelle verweise ich (Dresden, Jahrgang 1967) immer darauf, dass man die historischen Abschnitte der DDR unterscheiden muss. Was Zettel hier berichtet, gehört zur allerersten Phase. Solche ganz üblen Verbrechen hat die DDR-Justiz später nicht mehr begangen, solche Schauprozesse waren später nicht mehr üblich. Über die ganze Zeit der DDR betrachtet, würde ich es so formulieren:

1. Die DDR war zu keiner Zeit ein Rechtsstaat.
2. Die DDR war in ihren ersten Jahren ein absoluter Unrechtsstaat. Bestimmte Teile dieses Unrechtsregimes wurden bis zum Ende der DDR beibehalten.

So würde ich es auch sehen, lieber Stefanolix, auch wenn ich die DDR nicht selbst erlebt habe.

Was mich, als ich für den Artikel recherchiert habe, wieder beeindruckt hat, das ist die Kontinuität zur Nazizeit in der ersten Phase. Ich glaube, es ist nicht übertrieben, zu sagen, daß die SBZ und dann die DDR in weiten Bereichen das Herrschaftssystem unter Rechtfertigung durch eine andere Ideologie fortgesetzt haben.

Das scheint mir gerade auch für die Rechtspflege zu gelten; bis hin zu makabren Details wie daß die Guillotine, mit der in Dresden hingerichtet wurde, aus der Nazizeit stammte, zunächst in einem See versenkt und dann geborgen und von den Kommunisten wieder funktionsfähig gemacht worden war.

Der ironisch-brutal-herablassende Ton, in dem der Richter und der Staatsanwalt mit Laurenz und Barczatis sprechen, ist genau derjenige des Volksgerichtshofs; auch wenn Ziegler nicht schreit wie Freisler.



Es war kein Schauprozeß. Schauprozesse wie in den meisten anderen Satellitenstaaten der UdSSR Ende der vierziger Jahre (gegen Laszlo Rajk in Ungarn, Rudolf Slansky in Polen, Traitscho Kastoff in Bulgarien und andere) fanden in der SBZ nicht statt. Todesurteile wurden geheimgehalten, ja vertuscht.

Ich habe jetzt einmal nachgesehen: laut Wikipedia wurden in der SBZ und der DDR bis 1981 insgesamt 348 Todesurteile gefällt; das letzte wurde erst 1981 vollstreckt.

Aber man erfuhr nichts davon. Nachdem bis 1956 geköpft worden war, wurde danach mit dem "unerwarteten Nahschuß" hingerichtet; ich glaube, so hieß das.

Der Verurteilte wußte, daß er irgendwann umgebracht werden würde, aber nicht wo und wann und noch nicht einmal wie. Irgendwann wurde er in einen Raum geführt - er mag gedacht haben, zu einem Verhör oder dergleichen. Es öffnete sich eine verborgene Tür, aus der der Henker trat und das Opfer durch Nackenschuß tötete.

Die Angehörigen erfuhren nichts (auch nicht damals die von Elli Barczatis); als Todesursache wurde im Totenschein oft "Herzversagen" angegeben.

Die DDR-Justiz war sich Ihres Unrechts schon bewußt, lieber Stefanolix. Sonst hätte man ja nicht derart im Geheimen agiert.

Herzlich, Zettel

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

03.10.2011 17:42
#7 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Am Ostermontag, den 16. April 1990, bin ich im Auftrag meines Arbeitgebers nach Minsk geflogen. Gestartet ist man damals in Berlin-Schönefeld (die anderen Flughäfen waren noch lächerlicher).
Ich musste mit der Eisenbahn dahin. Die Verbindung war ungünstig, ich hatte ungefähr 5 Stunden Wartezeit, die man irgendwie totschlagen muss. Am Kiosk habe ich querbeet vielleicht 2 Kilo Zeitung gekauft.

In einer wurde über einen politischen Prozess aus dem Ende der sechziger berichtet. Es wurde keine Todesstrafe verhängt, aber die Niedertracht die gleiche.
Der Schreiber hatte den Bericht auch publiziert, um einen Zusammenhang mit der aktuellen politischen Lage herzustellen. Nach der Verurteilung wurden nämlich Agitatoren in die Lebensumgebung der Verurteilten geschickt, um das Urteil „zu erklären“. Bei ihm im Werk war die Sache ganz hoch angebunden. Da kam nicht irgendjemand, sondern der Herr Justizminister Wünsche höchstpersönlich.
Am Ende die Konklusion: Der angebliche Reformer Hans Modrow tut nur so. Er ist in Wirklichkeit ein Erfüllungsgehilfe der Staatssicherheit und hat deshalb den Wünsche, diesen Verbrecher, wieder zum Justizminister gemacht.
Hat mich beeindruckt, die Niedertracht der Justiz und die Stringenz der Argumentation.

Eine halbe Stunde später war die nächste Zeitung dran. Sie war wohl zwei Tage jünger. Dort waren die Mitglieder des am Gründonnerstag vereidigten Kabinetts de Maiziére aufgeführt, mit Justizminister … Kurt Wünsche.

Warum auch nicht. Die in PDS umfirmierte SED hatte keine Einwände. Von der Stasipartei hat eh keiner welche erwartet.

murmel Offline



Beiträge: 3

03.10.2011 22:07
#8 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von Gansguoter

Was soll man also besser differenzieren? Und: Gilt das auch für das Dritte Reich?



Bei der Interpretation der hier diskutierten Ergebnisse sollte man nicht außer Acht lassen, vor welchem Hintergund die Befragten die Fragestellung aufgenommen haben.
Meinen der Fragesteller und der Befragte das Gleiche, wenn nach "Staat" und "der DDR" gefragt wird?
Ich spekuliere, dass sie sich nicht mit dem UnrechtsSTAAT (Interpretation Regierung/Stasi/SED), aber mit der DDR (Interpretation Menschen/Alltag/mein Leben) identifizieren, diese Formulierung entsprechend ausgewählt hören und sich das stark auf ihre Antworten auswirkt. Die Frage nach den Handlungen des Staates als Regierung würde vermutlich (hoffentlich?) anders beantwortet.

Vermutlich kann man das auch auf's Dritte Reich übertragen. Die Wahrnehmung der Begrifflichkeiten Staat = Regierung oder Staat = Gemeinwesen ist unabhängig von historischen Kontexten.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

04.10.2011 11:04
#9 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von Zettel
Der Tag der Deutschen Einheit sollte ein Tag des Feierns sein. Aber was feiern wir eigentlich?


Wir "feiern" den Abschluß einer bürokratischen Prozedur - nämlich die Unterschrift unter den Vereinigungsvertrag.
Und wir feiern nicht die historischen Ereignisse, die emotional ähnlich berühren könnten wie der Bastillesturm: Den Aufstand vom 17. Juni oder den Mauerfall.

Mir fällt es trotz aller Freude über die deutsche Einheit schwer, ausgerechnet am 3. Oktober in Feierlaune zu verfallen. Und das geht wohl vielen Leuten so.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.10.2011 11:09
#10 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von R.A.
Mir fällt es trotz aller Freude über die deutsche Einheit schwer, ausgerechnet am 3. Oktober in Feierlaune zu verfallen. Und das geht wohl vielen Leuten so.

Es war eben falsch, den Tag der Deutschen Einheit vom 17. Juni auf den 3. Oktober zu verlegen.

Warum, weiß ich nicht. Wollte man damit den Kommunisten entgegenkommen? Den Demokraten in der DDR hätte man doch eine Ehre erwiesen, wenn man den 17. Juni beibehalten hätte.

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

04.10.2011 16:14
#11 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Der Staat DDR versaagte beim Schutz der Rechtsgüter seiner Bürger:

Eigentum? Fehlanzeige.
Leben? Fehlanzeige. (Mauertote zum Beispiel)
Berufsentfaltung? (Persuit of Happiness)? Fehlanzeige.

Die Diskussion über den Grad des Unrecht ist rein akademisch. Natürlich schmeckte auch in der DDR der Spargel gut, aber der Staat an sich war ein Unrechtsstaat.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

04.10.2011 17:03
#12 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von Zettel
Warum, weiß ich nicht.



Vielleicht, weil Kohl seine Leistung in einem eigenen Feiertag verewigt sehen wollte? Wahrscheinlich wohl aber deshalb, weil nach Ende des Kalten Krieges ein Feiertag, der die große Mehrheit der Nation gar nicht betroffen hat und vor allem die Erinnerung daran hochhalten sollte, dass das da drüben eine Diktatur war, eher überflüssig erschien.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.10.2011 18:00
#13 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Ehrlich gesagt kann ich gut verstehen, weshalb ehemalige DDR-Bürger einen Staat dem sie nicht in Opposition gegenüberstanden, auch nicht als Unrechtsstaat ansehen. Das liegt auch an den vielen unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich dessen, was einen Rechtsstaat auszeichnet. Es gibt bestimmt ebensoviele die in Deutschland keinen Rechtsstaat sehen wie in der DDR keinen Unrechtsstaat.
Nach meiner Erfahrung hat eine kleine oppositionelle Minderheit ein Regime gestürzt, dem diejenige Supermacht die es einst installierte, die weitere Unterstützung versagte weil sie den kalten Krieg verloren hatte.
Und von dieser kleinen oppositionellen Minderheit hatte eine Minderheit eine Vorstellung von Begriffen wie Rechtsstaat und Freiheit. Ich wage mal zu behaupten, dass eine große Mehrheit derer die Deutschland für einen Rechtsstaat hält, in der DDR einen Wilkürstaat oder Unrechtsstaat sieht.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.10.2011 18:08
#14 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Nach meiner Erfahrung hat eine kleine oppositionelle Minderheit ein Regime gestürzt, dem diejenige Supermacht die es einst installierte, die weitere Unterstützung versagte weil sie den kalten Krieg verloren hatte.

Besser kann man das, was Ende 1989 geschah, kaum in einem Satz zusammenfassen.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

04.10.2011 19:38
#15 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Nach meiner Erfahrung hat eine kleine oppositionelle Minderheit ein Regime gestürzt, dem diejenige Supermacht die es einst installierte, die weitere Unterstützung versagte weil sie den kalten Krieg verloren hatte.



Auch wenn ich deine Analysen in der Regel schätze, und auch wenn der Hausherr hier schon seiner begeisterten Zustimmung Ausdruck verliehen hat: Da würde ich gerne etwas widersprechen, weil ein wichtiges Element fehlt. Die "kleine oppositionelle Minderheit" hätte man locker mit Bordmitteln weiter unterdrücken können, wenn denn nicht rundum bei den "sozialistischen Brüderländern" die Regime "unzuverlässig" und die Grenzen durchlässig geworden wären.

Meine Geschichte der deutschen Wiedervereinigung fängt mit der Wahl von Papst Johannes Paul II. an. Sie führt dann über die Wahl Ronald Reagans zum US-Präsidenten, die polnische Solidarnosc-Bewegung, die Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär und die latent unzuverlässigen Ungarn (die Rolle des "letzten Habsburgers" ist da nicht gering zu schätzen) zur Massenflucht in die Nachbarländer. Damit war das Ende der Tätärätätä besiegelt. Die Bürgerbewegung hat zwar tatsächlich noch Kopf und Kragen riskieren müssen, aber selbst eine andere Reaktion des Regimes damals hätte an seinem Schicksal nichts mehr geändert. Die Bürgerbewegten haben dem wankenden System noch den verdienten letzten Tritt versetzt, aber es war bereits am Ende.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.10.2011 20:36
#16 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Zitat von Rayson

Zitat von Erling Plaethe
Nach meiner Erfahrung hat eine kleine oppositionelle Minderheit ein Regime gestürzt, dem diejenige Supermacht die es einst installierte, die weitere Unterstützung versagte weil sie den kalten Krieg verloren hatte.



Auch wenn ich deine Analysen in der Regel schätze, und auch wenn der Hausherr hier schon seiner begeisterten Zustimmung Ausdruck verliehen hat: Da würde ich gerne etwas widersprechen, weil ein wichtiges Element fehlt. Die "kleine oppositionelle Minderheit" hätte man locker mit Bordmitteln weiter unterdrücken können, wenn denn nicht rundum bei den "sozialistischen Brüderländern" die Regime "unzuverlässig" und die Grenzen durchlässig geworden wären.

Meine Geschichte der deutschen Wiedervereinigung fängt mit der Wahl von Papst Johannes Paul II. an. Sie führt dann über die Wahl Ronald Reagans zum US-Präsidenten, die polnische Solidarnosc-Bewegung, die Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär und die latent unzuverlässigen Ungarn (die Rolle des "letzten Habsburgers" ist da nicht gering zu schätzen) zur Massenflucht in die Nachbarländer. Damit war das Ende der Tätärätätä besiegelt. Die Bürgerbewegung hat zwar tatsächlich noch Kopf und Kragen riskieren müssen, aber selbst eine andere Reaktion des Regimes damals hätte an seinem Schicksal nichts mehr geändert. Die Bürgerbewegten haben dem wankenden System noch den verdienten letzten Tritt versetzt, aber es war bereits am Ende.



Wo ist der Widerspruch? Ich kann mich deiner weitergehenden Analyse nur anschliessen. Natürlich war die Zeit günstig. Es war zu spüren "das was geht".
Als aber die Massenflucht einsetzte flohen auch viele, deren Mitarbeit die Opposition dringend benötigte. Weil aber das gegründete Netzwerk (später Neues Forum) funktionierte, blieb eben auch der eine oder andere. Nur einen Punkt sehe ich anders:
Die Unterdrückung schwächelte, aus welchen Gründen auch immer, spätestens nach dem die Festgenommenen des nächtlichen Überfalls der Stasi auf die Umweltbibliothek in Berlin mit Mahnwachen an der Zionskirche regelrecht freigekämpft wurden. Das war ein unglaublicher Sieg für alle die dabei waren und hat zum Anwachsen der Opposition erheblich beigetragen.
Klar, es gab die Gerüchte um den Bau von Lagern, aber es hat eben trotzdem Leute gegeben die viel riskiert haben ohne das jedem von ihnen bewusst war, wie gefährlich es war.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.10.2011 20:41
#17 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Vielen Dank, lieber Zettel, für das Lob.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

10.10.2011 21:13
#18 RE: Der Fall "Gänseblümchen" Antworten

Als Nachtrag ein Video über Kurt Wünsche.
Er war unter Ulbricht, Honnecker, Modrow und de Maiziére als Justizminister tätig. Ein feiner Mann.
Wir sind ihm dankbar. Die Ehrenpension hat er sich redlich verdient.

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