Die Zeit, in der die Achtundsechziger Deutschland dominierten, geht glücklicherweise allmählich zu Ende. Eines ihrer Ergebnisse war und ist eine weitverbreitete Mißachtung der eigenen Kultur. Ein Beispiel.
Es handelt sich nicht nur um die Mißachtung der eigenen Kultur, sondern um die Mißachtung von Kultur schlechthin - genauer: um ihen Eigenwert und die Bereicherung des Lebens; und da gibt es keinen so großen Unterschied zwischen den abendländischen Klassikern und, sagen wir, einem Roman von Junichiro Tanizaki oder Tolstoi. Allerdings sind die kulturellen Differenzen hier eben mehr, als man im Schulunterricht abbauen kann. Aber hier wird der behandelte Stoff nur noch über den Leisten des unmittelbaren Anwendbarkeit geschlagen, salopp gesagt, danach, "was das bringt", zum Fällen schlichter und bündiger Urteile: Intoleranz ist irgendwie ganz verkehrt, Krieg ist schlecht Und Das Haben Wir Gelernt, Kapitalismus ist Habgier und das geht schon gar nicht. Neu ist das nicht gerade: der Gymnasialunterricht in "EnnerWeh" in der siebziger Jahren zeichnete sich ebenfalls schon durch diese Tendenz aus. Allerdings ergibt sich auch eine positive Wirkung aus solchen ideologischen Beschränktheiten: Der Deutschunterricht, auch der Englischunterricht (der Unterricht in dritten und vierten Sprachen dürfte nicht intensiv genug sein, um tief in deren Literatur einzutauchen) wirkt in der Hand solcher, tja, Pädagogen abschreckend und kann einen lebenslangen Affekt gegen die dort verhunzten Autoren nach sich ziehen. Da ist es doch besser, wenn man gegen Grass und Handke allergisch wird statt gegen Goethe & Co. Die eigenen "Privatalterthümer" (wie Arno Schmidt das nannte) werden sowieso wohl eher aus der privaten Lesebiographie bezogen und dürften mit dem Unterrichtsstoff, egal in welcher Epoche und unter welchem ieologischen Vorbehalt auch immer, kaum Schnittmengen aufweisen. Auch hier nichts Neues: das hat seit Goethe-selbst Tradition: dass der Schulstoff als dröge und von quälender Unzulänglichkeit, gepaart mit unerträglicher Moralinsäure, empfunden wird, während der eigene Kanon unter den Bank geleen wird: für Goethe waren das Homer, Shakespeare (und Ossian, leider), für die Manns, Thomas wie Heinrich, die französischen Realisten, die die Nachkriegsgeneration Kafka und die Amerikaner wie Hemingway und Steinbeck (man vergißt mittlerweile, was für ein deutscher Klassiker der in den fünfziger Jahren war), von den Einheimischen etwa Arno Schmidt, danach die Südamerikaner und Borges (der eben ein eigenes Kapitel für sich ist).
Kleine Anmerkung: Der Zusammenhang, in dem Jutta Ebeling den zitierten Satz sprach, ergibt sich allerdings nicht aus dem Artikel. Ich habe dazu auch keine Information. Aber womöglich bezog sich der Satz nicht auf Abiturienten, sondern auf Schüler ganz allgemein? (d.h. auch auf Haupt- und Realschüler). Falls ja, fände ich ihn ehrlich gesagt nicht so schlimm. Es ist sicher KEINE blanke Selbstverständlichkeit, dass Hauptschüler mit Goethe "in Berührung kommen".
(Die Hauptschule endet übrigens nach 9 Jahren. In meinem (bayerischen) Gymnasium habe ich zwar sicher schon vor der 9. Klasse Kontakt mit Goethe gehabt (in Form eines Gedichts o.ä.). Wichtige umfangreiche Werke wie den Faust habe ich aber ganz sicher erst in den oberen Klassen gelesen. Einem Hauptschüler vor der 9. Klasse den Faust aufzutischen ist schlicht unrealistisch - und das nicht erst heutzutage sondern auch schon in der "guten alten Zeit").
Zitat von FlorianEinem Hauptschüler vor der 9. Klasse den Faust aufzutischen ist schlicht unrealistisch - und das nicht erst heutzutage sondern auch schon in der "guten alten Zeit".
Das stimmt, lieber Florian. Und deshalb gehe ich auch davon aus, daß das mit "in Berührung kommen" sich auf Abiturienten bezog.
Übrigens muß es ja nicht unbedingt der "Faust" sein (obwohl ich denke, daß man diese handlungspralle Geschichte auch heutigen Schülern nahebringen kann; jedenfalls dann, wenn sich der Lehrer die Mühe macht, die historischen Hintergründe zu erläutern).
Aber man kann ja beispielsweise auch den Götz lesen, oder den Egmont. Das überfordert vermutlich nicht einmal einen Hauptschüler.
Von Schiller ganz zu schweigen. Gibt es eine auch für Jugendliche spannendere Story als die des Wilhelm Tell?
Zitat Wenn die Schuldezernentin von, sagen wir, Manchester sagen würde, kein Schüler dürfe eine dortige Schule verlassen, ohne mit dem Werk Shakespeares "einmal in Berührung gekommen" zu sein, dann würde ein homerisches Gelächter durch das Vereinigte Königreich erklingen.
Ist das heute wirklich noch so? Ich wäre erstaunt, wenn Großbritannien nicht die selben Probleme hätte. Bei mir hat es auf dem Gymnasium (1977-1986) leider nur für eine oberflächliche "Berührung" mit Goethe gereicht. Dafür haben wir im Englisch-Leistungskurs Macbeth gelesen und dank eines engagierten und gebildeten Lehrers auch zu schätzen gelernt.
Zitat von ZettelVon Schiller ganz zu schweigen. Gibt es eine auch für Jugendliche spannendere Story als die des Wilhelm Tell?
Wenn ich mal persönlich werden darf, lieber Zettel: Der "Tell" war tatsächlich das einzige klassische Werk, mit dem ich als niedersächsischer Gymnasiast je zu tun hatte. Und ich kann mich noch an das allgemeine Murren erinnern, das zunächst in der Klasse aufkam (das war noch in der Mittelstufe; im "Kurssystem" waren Klassiker nicht gefragt). Wir waren abgeschreckt vom altertümlichen Szenario, von der ganzen Patina der "ollen Dichter" und von der unvertrauten Sprache. Aber das änderte sich - fast schon muss man sagen - mit dem Einsteigen in das Stück. Seltsamerweise ist der "Tell" auch das einzige Werk neben Frischs "Andorra", das ich damals auch gehasst habe, das mir dauerhaft in Erinnerung geblieben ist.
Und ich bin heute noch meiner Französischlehrerin dankbar, dass sie mir in der Oberstufe weder Corneille, noch Racine, noch Molière erspart hat, obwohl mir Giraudoux, Sartre, Ionesco und Beckett doch mehr sagten. Aber das ist eine andere, nicht-deutsche Geschichte.
Instruktiv finde ich in diesem Zusammenhang einen Film mit Danny DeVito, "Mr. Bill" (Englisch: "Renaissance Man"). Dort hilft die Beschäftigung mit Shakespeare sowohl einigen zunächst als "dumm" abgestempelten Soldaten als auch dem aus der Bahn geworfenen Werbetexter, sich ihren Gefühlen und Problemen zu stellen und am Ende - ok, Hollywood - zu glücklicheren Menschen zu werden. Nicht die sicherlich sehr idealisierte Story ist hier interessant, sondern wie aktuell die Klassiker auch heute noch sind, wenn man denn einmal die quasi Brechtsche Verfremdung durch den anderen historischen Hintergrund und die verwendete Sprache sozusagen "dekodiert" hat.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat Wenn die Schuldezernentin von, sagen wir, Manchester sagen würde, kein Schüler dürfe eine dortige Schule verlassen, ohne mit dem Werk Shakespeares "einmal in Berührung gekommen" zu sein, dann würde ein homerisches Gelächter durch das Vereinigte Königreich erklingen.
Ist das heute wirklich noch so?
Ja, lieber WFI; wenn auch vielleicht nicht an jeder einzelnen Schule. Da wir bei Manchester sind, habe ich eben einmal dort nachgesehen, bei der Manchester Grammar School.
Dort findet man zum Beispiel zum Lehrangebot der Lehrerin Julie Ward:
Zitat She has produced and acted in several productions and in her final year at Lady Barn was made Head of Drama. There she wrote and produced various ensemble plays and is passionate about promoting the work of Shakespeare with younger children.
Younger children - darunter wird man wohl Grundschüler verstehen dürfen.
Zitat von RaysonWir waren abgeschreckt vom altertümlichen Szenario, von der ganzen Patina der "ollen Dichter" und von der unvertrauten Sprache. Aber das änderte sich - fast schon muss man sagen - mit dem Einsteigen in das Stück.
Wenn ich Deutschlehrer wäre, dann würde ich die Behandlung eines solchen Stücks damit beginnen, daß ich den Schülern die Aufzeichnung einer guten Inszenierung zeige (falls das nicht am Copyright scheitert; ich kenne mich da nicht aus).
Denn man muß das in einem Zug erleben. Als wir den Tell in der - glaube ich - Untertertia oder Obertertia behandelten, war das so, daß wir jeweils das Lesen eines Abschnittleins "aufbekamen".
Ja, das macht freilich keinen Spaß. Ich habe das Stück, sozusagen unautorisiert, in einem Zug nächtens gelesen und war fasziniert. Das ist es doch genau, was man als Jugendlicher schätzt - die einen gut, der andere böse. Das Aufbegehren gegen das Unrecht. Diese Konflikte auch. Ich kann das heute noch rezitieren:
"Vereint sind auch die Schwachen mächtig". Antwort: "Der Starke ist am mächtigsten allein" (oder war es umgekehrt?).
Oder dieses "Die Schlange sticht nicht ungereizt"; ja, "Lern dieses Volk von Hirten kennen". Ich habe einmal eine Aufführung in Bochum gesehen, ich glaube von Peymann, wo das Ganze als Revolutionsstück aus der Gegenwart inszenierrt war. Mit Gert Voss als Geßler, der im Ledermantel mit einem Jeep durch die Gegend fuhr und das Volk aufs Blut reizte.
Ja, wenn so etwas die Vierzehn- oder Fünfzehnjährigen nicht interessiert, was dann? Nur muß der Lehrer es ihnen halt spannend darbieten. Dafür wird er schließlich bezahlt.
Zitat von ZettelWenn ich Deutschlehrer wäre, dann würde ich die Behandlung eines solchen Stücks damit beginnen, daß ich den Schülern die Aufzeichnung einer guten Inszenierung zeige (falls das nicht am Copyright scheitert; ich kenne mich da nicht aus).
Ich weiß nicht, lieber Zettel... Vielleicht könnte das auch die Kraft überfordern, die actiongewohnte Kids an Aufmerksamkeit aufzubringen in der Lage sind. Gerade, wenn es an einem Stück geballt auf sie zukommt. Allerdings: Im besagten Film "Mr. Bill" hat die von Danny Devito verkörperte Figur es auch so gehalten und seine Soldaten in eine Shakespeare-Aufführung geschickt. Allerdings ging es da um Schlachten und Krieg, um Tapferkeit, Vaterland und Ehre, also etwas, das diesen bis dato unbedarften Zuschauern im Prinzip vertraut war (in Deutschland ginge das natürlich so nicht).
Wenn ich Deutschlehrer wäre, würde ich mir eine Szene herausgreifen und schnell auf ihren immer aktuellen Kern hinarbeiten, so dass die Schüler erkennen: Graben lohnt sich. Die Aufführung würde ich erst danach ansetzen.
Allerdings muss ich zugeben: So etwas wie die Peymann-Inszenierung wäre schon ein Bringer gewesen. Aber wird der "Tell" (und andere Klassiker) denn oft genug noch hinreichend im Sinn des Autors (und nicht des Regisseurs) inszeniert, dass man noch die Wahl hätte?
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Tja, lieber Zettel - ich durfte in Baden-Württemberg das Gymnasium genießen. Und was soll ich sagen: die "Klassiker" waren Mangelware. Von Goethe gab es nur "Die Leiden des jungen Werther", aber hauptsächlich als Aufhänger für die Sturm-und-Drang-Zeit und als "Referenz" für Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen Werther". Für die Abiturprüfung konnte man dann noch sich freiwillig mit "Iphigenie auf Tauris" beschäftigen, das wars dann. Immerhin gab es noch einen Ausflug nach Jagsthausen. Schiller? Kurz mal in "Maria Stuart" reingeschnuppert. Lessing? Fehlanzeige - nur für die Deutsch-LKler gab es "Nathan der Weise".
Was gab es stattdessen? "Homo Faber". "Der Prozess". "Simplicius Simplicissimus". "Das falsche Gewicht". "Die schlimmen Buben in der Schule". "Der Richter und sein Henker". "Ein Kreuz für den Rabbi".
Vielleicht habe ich ja inzwischen einen der Klassiker verdrängt, aber ich fürchte, das Obige gibt den Lehrplan recht präzise wieder.
Aber keine Angst: es war nicht so, dass wir stattdessen Shakespeare gelesen hätten...
Es gibt tatsaechlich Abiturienten, die den Faust nicht gelesen haben? Komisch, an meiner Schule (Bayern) war sich das Lehrerkollegium darueber einig, dass kein Schueler ein Abschlusszeugnis bekommt, der das nicht gelesen hat. War Pflichtstoff in der Oberstufe (Ende der 90er). Schiller kam bei mir etwas zu kurz (vermutlich Zufall).
...dafuer gab's dann eine Ueberdosis Shakespeare im Englisch LK (und das uebrigens freiwillig, demokratisch durch die Kusteilnehmer entschieden; zu meinem Leidwesen: Lyrik war mir immer zu viel Arbeit fuer einen Witz-Kurs wie Englisch, das ist was fuer Masochisten ).
Das Zentralabitur in NRW in Deutsch für 2014 setzt folgende Werke als bekannt voraus Johann Wolfgang von Goethe:
Goethe: Iphigenie auf Tauris Friedrich Schiller: Kabale und Liebe
Josef Roth: Hiob Thomas Mann: Mario und der Zauberer (nur GK) Thomas Mann: Buddenbrooks (nur LK) Literarische Beispiele der neuen Sachlichkeit: Romanauszüge/Erzähltexte von Erich Kästner, Hans Fallada, Marieluise Fleißer oder Irmgard Keun (nur LK) Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras
Liebesgedichte in Romantik und Gegenwart (ca. 1980–2010) (GK) Liebesgedichte mit Schwerpunkten in den Epochen Barock, Romantik (unter Einbezug von Heinrich Heine) und in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. (LK)
Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache – Auszüge aus I. Teil, 1. und 2. Abschnitt Aspekte des Sprachwandels in der Gegenwart: Einfluss neuer Medien; Mehrsprachigkeit
Hugo von Hofmannsthal: Chandos-Brief – in Auszügen (als gemeinsamer Bezugstext) und Gedichte und Sachtexte zum Thema (nur LK)
Die Themen wechseln ca. alle zwei Jahre. In den letzten Jahren gab es schon "Effi Briest" statt "Buddenbrooks"; "Don Carlos" oder Kleist, "Prinz Friedrich", statt "Kabale und Liebe". Büchner, "Woyzeck", ist ersatzlos gefallen.
Man kann über diesen Lektürekanon streiten ("Kabale und Liebe" könnte man auch schon früher lesen; warum kein "Faust"? Wo ist der "Werther"? Und so fort. Grundsätzlich sorgt das Zentralabitur aber doch dafür, dass gewisse Standards eingeführt wurden und auch eingehalten werden. So müssen die genannten Werke bearbeitet werden. Vor dem Zentralabitur hätte es auch umgangen werden können, sich mit Klassikern zu beschäftigen.
Zum Vergleich der Bundesländer: Baden-Württemberg gibt für das Abitur 2014 folgende Werke vor:
Georg Büchner, Dantons Tod Max Frisch, Homo faber Peter Stamm, Agnes Leitthema Lyrik: Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart
Zunächst wundert man sich - Wie, das ist alles? -, bis man dann findet, dass es in BW ein "Verpflichtendes Autorenverzeichnis für alle Schularten" gibt:
Zitat von GansguoterZunächst wundert man sich - Wie, das ist alles? -, bis man dann findet, dass es in BW ein "Verpflichtendes Autorenverzeichnis für alle Schularten" gibt:
Was ich an den Lektürevorschlägen sehr ärgerlich finde, ist die Organisation nach "Themenfeldern". Das heißt doch, daß literarische Werke nicht so sehr als Kunstwerke betrachtet werden, sondern als historische Dokumente, in denen sich bestimmte gesellschaftliche Probleme und Debatten manifestieren. Durch Lektüre von "Effi Briest" beschäftigt sich der Schüler dann z.B. mit "weiblicher Identitätsfindung"; will man sich mit "Wissenschaft und Verantwortung" auseinandersetzen, nimmt man "Faust", "Woyzeck" oder "Homo faber" ...
Zitat von GansguoterDas Zentralabitur in NRW in Deutsch für 2014 setzt folgende Werke als bekannt voraus (...)
Vielen Dank für diese Informationen! Das klingt besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Ja, das Zentralabitur hat wohl Vieles verbessert.
So wird das für Hessen auch in dem Artikel geschildert, aus dem ich zitiert hatte. Übrigens wurde sowohl in Hessen als auch in NRW das Zentralabitur 2007 jeweils unter CDU/FDP-Regierungen eingeführt.
Zu dem Kanon selbst:
Zitat Goethe: Iphigenie auf Tauris Friedrich Schiller: Kabale und Liebe
Beides finde ich erstaunlich. Die Iphigenie ist ein zwar schönes, aber doch gedankenreiches und handlungsarmes, ein für Jugendliche "langweiliges" Stück: so kam es mir jedenfalls damals vor. "Kabale und Liebe" scheint mir das schwächste Stück Schillers zu sein, hart an der Grenze zur Kolportage.
Zitat Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras
Das freut mich! Und wie hätte es Koeppen gefreut, wenn er das noch erlebt hätte, zur Schullektüre zu werden.
Zitat Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache – Auszüge aus I. Teil, 1. und 2. Abschnitt Aspekte des Sprachwandels in der Gegenwart: Einfluss neuer Medien; Mehrsprachigkeit
Ausgezeichnet! Zu meiner Schulzeit kam die linguistische Seite der Germanistik im Deutschunterricht kaum vor. Er war in der Unterstufe Grammatik- und Stilunterricht, in der Oberstufe Literaturunterricht; in der Mittelstufe beides.
Und noch eine Frage: Wird eigentlich noch Mittelhochdeutsch gelernt? Wir haben das Nibelungenlied zweisprachig gelesen; mir hat das viel Spaß gemacht. Ich glaube, das war allerdings in der Mittelstufe.
Herzlich, Zettel
Urlauber
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Beiträge:
28.12.2011 10:39
#15 RE: Zitat des Tages: Einmal die Berührung mit Goethe
Zitat von Zettel"Kabale und Liebe" scheint mir das schwächste Stück Schillers zu sein, hart an der Grenze zur Kolportage.
Friedrich Engels hat "Kabale und Liebe" als das „erste deutsche politische Tendenzdrama“ gewertet. Mit diesem Gütesiegel ausgezeichnet war das bei uns Pflichtlektüre. Schiller war damit einer von uns. Kein Führer, doch frühzeitig Ahnender auf dem Weg in die lichte Zukunft des Kommunismus.
Zitat von ZettelSo wird das für Hessen auch in dem Artikel geschildert, aus dem ich zitiert hatte. Übrigens wurde sowohl in Hessen als auch in NRW das Zentralabitur 2007 jeweils unter CDU/FDP-Regierungen eingeführt.
Kleine Korrektur: Das Zentralabitur wurde 2007 erstmals in NRW durchgeführt. Wegen des notwenigen Vorlaufs geht die Einführung ins Jahr 2003/04 zurück, die Zeit des PISA-Schocks. Der Beschluss stammt noch von der damaligen rot-grünen Regierung Steinbrück.
Zitat von Zettel
Zitat Goethe: Iphigenie auf Tauris Friedrich Schiller: Kabale und Liebe
Beides finde ich erstaunlich. Die Iphigenie ist ein zwar schönes, aber doch gedankenreiches und handlungsarmes, ein für Jugendliche "langweiliges" Stück: so kam es mir jedenfalls damals vor. "Kabale und Liebe" scheint mir das schwächste Stück Schillers zu sein, hart an der Grenze zur Kolportage.
Ich unterrichte in der 12 gerade nicht Deutsch, höre aber von den Schülern (und Kollegen), dass die Iphigenie ganz gut ankommt. - "Kabale und LIebe" ist neu; ich finde es für die Oberstufe etwas seicht. In einer 10 habe ich es mal gelesen. "Don Carlos" hatte da ein anderes Niveau.
Zitat von ZettelUnd noch eine Frage: Wird eigentlich noch Mittelhochdeutsch gelernt? Wir haben das Nibelungenlied zweisprachig gelesen; mir hat das viel Spaß gemacht. Ich glaube, das war allerdings in der Mittelstufe.
Wenn man als Lehrer möchte, kann man mal ein winziges bisschen Mhd. machen. In der 9 habe ich im vorigen Jahr den Kürenberger (Ich zôch mir einen valken ...) an den Beginn einer Reihe zu Liebeslyrik gestellt, auch auf Mhd.; im LK in der 12 oder der Q1 hat man vielleicht auch mal zwei, drei Stunden für Minnesang. Für mehr reicht die Zeit nicht, und auch das ist die Ausnahme und setzt einen Lehrer voraus, der sich für das Mhd. interessiert.
Schon vor 10-15 Jahren musste man im Lehramtsstudium an vielen Unis das Mhd. nur noch rudimentär studieren, und mit der Einführung der BA-Studiengänge wurde der Anteil des Mhd. weiter reduziert (zumindest was die Pflicht angeht). Soweit ich es noch mitbekomme, geht es vielerorts (in der Regel?) nur noch darum, soweit ein Minimal-Mhd. zu lernen, dass man mit einer zweisprachigen Ausgabe zurechtkommt.
Wirklich Mhd. lernen - also mit den Feinheiten im Ausdruck, mit den Unterschieden der regionalen Schreibsprachen -, das dürfte für die allermeisten Germanisten vorbei sein.
Erst ist um 1970 das Gotische gestorben, das meine Eltern in den 60er-Jahren noch lernen mussten (im 1. Semester), dann bei einer Studienreform um 1990 herum das Althochdeutsche (das zu meiner Zeit dann reduziert war auf eine Überblicksveranstaltung zur Sprachgeschichte "unter besonderer Berücksichtigung des Ahd.") (eine Handvoll Enthusiasten sammelte sich hin und wieder, um im kleinen Kreis dann wirklich Ahd. zu lernen und zu lesen), und jetzt, um 2005 herum, das Mhd.
Goethe im Schulunterricht... Nunja ich habe vor wenigen Jahren Abitur gemacht und bei uns damals kam Goethe, soweit ich mich erinnere, nur in der 11. Klasse(die man ja leider gestrichen hat) anhand einiger Gedichte vor. Dafür hielt man anscheinend Christa Wolfs "Kassandra"(das einzige Buch in meiner Schulzeit, welches ich nicht zu Ende gelesen habe) für relevanter. Ich habe mich dann mit zwei Mitschülern dazu entschlossen Goethes "Faust I" in der Freizeit zu lesen und in den Pausen zu besprechen zumal wir einen sehr guten Deutschlehrer hatten dessen Frau eine Buchhandlung führte. Abgesehen von diesem Missstand war die Literaturliste aber gar nicht so schlecht, insbesondere "Dantons Tod" von Georg Büchner ist mir sehr positiv in Erinnerung geblieben(Schillers Don Carlos war auch darunter). Man sollte die Qualität der Schullektüre also wohl weniger an Einzelfällen festmachen. Schade finde ich im Gegensatz dazu, dass in der Mittelstufe fast nur belangloses gelesen wird, dabei muss gute Literatur ja nicht zwangsläufig schwer verdaulich sein.
Ihrer Gesamtdarstellung im Artikel folge ich gerne - aber wahrscheinlich ist das Beispiel nicht wirklich passend.
Zum Einen habe ich Frau Ebeling vor etwa 10 Jahren bei einer Goethe-Reise erlebt. Eine speziell von der Stadt Frankfurt (offenbar auf Ebelings Anregung) organisierte Bahnreise im Sonderzug nach Straßburg, Zürich und Verona. Mit kulturellen Angeboten in allen Zielstädten (natürlich alle mit Goethe-Bezug, mit Theateraufführungen im Zug (es war extra ein Wagen als Bühnenwagen umgebaut) und einer gut bestückten Zug-Bibliothek. Eine ganz ungewöhnliche Veranstaltung - das Thema Goethe scheint ihr wirklich am Herzen zu liegen, obwohl sie ansonsten wohl den 68er-Epigonen zuzurechnen ist.
Zum Anderen sind die hessischen Gemeinden und damit auch die städtischen Schuldezernenten nur für die äußere Schulorganisation zuständig, d.h. für die Gebäude, die Hausmeister und das Material. Was inhaltlich dort passiert ist reine Landessache. Wie groß also die Rolle Goethes im Frankfurter Schulunterricht ist - dazu kann die Schuldezernentin nur nette Wünsche äußern, ansonsten liegt das außerhalb ihrer Zuständigkeit.
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