Unter den Kommunisten war das verordnet. Ich wundere mich immer wieder darüber, daß dieses krude Weltbild auch heute, auch in einer freien Gesellschaft noch so viele Anhänger hat.
Vielleicht liegt es daran, daß sie die Grobschlächtigkeit, die brutale Vereinfachung für Durchblicken halten. Vielleicht liegt es auch an schlechter Ausbildung in wissenschaftlichem Denken.
ich würde Herrn Maschall eigentlich nur folgen wollen wenn es etwa "Hintergrund ist ein langer Machtkampf zwischen dem muslimisch-christlichen Westen und dem christlich-muslimischen Osten um Einfluss und Ressourcen." geheißen hätte. Aber wenn die Religion erst als typisierendes Merkmal benutzt und dann als Ursache bestritten wird, ist wirklich sehr viel Entlarvungsabeit nötig um genügend Verwirrung zu stiften.
Zitat von Thomas Pauli Aber wenn die Religion erst als typisierendes Merkmal benutzt und dann als Ursache bestritten wird, ist wirklich sehr viel Entlarvungsabeit nötig um genügend Verwirrung zu stiften.
Wer diese marxistische Sicht auf die Geschichte in sich aufgenommen hat, dem fällt es nach meiner Erfahrung, lieber Thomas, sozusagen wie Schuppen von den Augen. Eine Art Bekehrungs- oder Erweckungserlebnis.
Man schaut endlich hinter die Kulissen. Man läßt sich nichts mehr vormachen. Man kann jetzt zwischen der "Fassade", dem "Schein", dem "bloßen" Überbau und dem unterscheiden, was "in Wahrheit" den Gang der Geschichte bestimmt.
Der wiedergeborene Christ sieht vielleicht auf einmal überall die Hand Gottes. Der Marxist (oder der Adept, der sich unter Umständen gar nicht als Marxist versteht), sieht überall Dasselbe: Klassenkampf und die Entwicklung der Produktivkräfte, durch die sich die Bedingungen für den Klassenkampf ändern. Das ist die eigentliche Realität. Der Rest ist Schein.
"An der Oberfläche" sieht es so aus, als würden die Moslems die Christen hassen. "In Wahrheit" aber geht es um "Streben nach sozialer Emanzipation, ökonomischer Teilhabe und Rache für erlittenes Unrecht", wie das von [ergänzt:] Marschall formuliert hat.
Ob dieser Autor auch, sagen wir, den Antisemitismus der Nazis so auf seine "ökonomischen Ursachen" zurückführen würde?
Zitat Man schaut endlich hinter die Kulissen. Man läßt sich nichts mehr vormachen. Man kann jetzt zwischen der "Fassade", dem "Schein", dem "bloßen" Überbau und dem unterscheiden, was "in Wahrheit" den Gang der Geschichte bestimmt.
Lieber Zettel,
ist da nicht das klassische Verhalten dessen, der genau ein Buch zu einem Thema gelesen hat? In der Mittelstufe das Gymnasiums fiel mir damals Mitscherlichs "Die Unfähigkeit zu trauern" in die Hände - oh Wunder, ich hatte auf einmal Alles verstanden! Der ganze Zustand der Welt lag plötzlich offen vor mir, keiner konnte mir irgendetwas vormachen; dank den Mitscherlichs waren meine Augen geöffnet. Leider ließ es sich nicht vermeiden, auch mit anderen Sichten auf die Dinge konfrontiert zu werden, und meine schöne glasklare Einsicht erodierte und ward stumpf.
Und wenn ich mich so recht erinnere - diejenigen an der Uni, die den Kapitalkurs tatsächlich gänzlich absolviert hatten, umgab ein Aura, derjenigen vergleichbar, die den Mount Everest bestiegen hatten. Erstere waren ungefähr genauso häufig wie die Letzteren.
Die weitaus Meisten waren so eine Art Gefühlsmarxisten oder Gefühlsmaterialisten, die halt einfach glaubten und noch nicht einmal ein Buch zum Thema gelesen hatten, quasi der Extremfall des oben geschilderten.
Zitat von ZettelOb dieser Autor auch, sagen wir, den Antisemitismus der Nazis so auf seine "ökonomischen Ursachen" zurückführen würde?
Das ist überhaupt kein Problem. Geht absolut ruckelfrei. Genau das haben wir in der Schule gelernt. Uns wurde der Faschismus („Nationalsozialismus“ wurde wegen dem „sozialismus“ drin nur im äußersten Notfall verwendet) als eine Art Turbokapitalismus vorgestellt, die „offene terroristische Diktatur der am meisten imperialistischen, am meisten chauvinistischen Kreise des Finanzkapitals“. Uns wurde auch gesagt, dass es in Wirklichkeit keine Rassen-, sondern nur Klassenfragen gibt. Die Sklaverei in den US-Südstaaten war nur scheinbar eine Rassenfrage. Den Sklavenhaltern ging es nicht um die Rasse, sondern die wollten die Sklaven als billige Arbeitskräfte ausbeuten. Auch sonst ist Rassismus entweder eine unmittelbare Ausprägung kapitalistischer Ausbeutung oder ein „Teile und Herrsche“-Trick. Auschwitz konnte so leicht zurückgeführt werden auf eine Form brutal-kapitalistischer Ausbeutung. Die IG-Farben hat dort die Arbeitssklaven (Vernichtung durch Arbeit) bis auf den Tod ausgebeutet.
Wenn das erst mal durch ist, kann man ohne kognitive Dissonanzen den im antizionistischen Gewand daherkommenden Antisemitismus betreiben. Karl-Eduard von Schnitzler war der Zeit um Jahrzehnte voraus. Der hat uns schon vor 30 Jahren erklärt, was heute in Politik, Feuilleton und Wissenschaft mehr und mehr Mainstream wird: Die Palästinenser sind die neuen Juden.
Zitat Man schaut endlich hinter die Kulissen. Man läßt sich nichts mehr vormachen. Man kann jetzt zwischen der "Fassade", dem "Schein", dem "bloßen" Überbau und dem unterscheiden, was "in Wahrheit" den Gang der Geschichte bestimmt.
Lieber Zettel,
ist da nicht das klassische Verhalten dessen, der genau ein Buch zu einem Thema gelesen hat? In der Mittelstufe das Gymnasiums fiel mir damals Mitscherlichs "Die Unfähigkeit zu trauern" in die Hände - oh Wunder, ich hatte auf einmal Alles verstanden! Der ganze Zustand der Welt lag plötzlich offen vor mir, keiner konnte mir irgendetwas vormachen; dank den Mitscherlichs waren meine Augen geöffnet.
Ja, exakt.
Mir ging es zwischen ungefähr zwölf und fünfzehn so mit Nietzsche, dann mit Schopenhauer und schließlich mit Spenglers "Untergang des Abendlandes". Dann noch einmal in den Jahren vor dem Abitur mit Wittgenstein, der Wiener Schule, der Analytischen Philosophie; vor allem Rudolf Carnap.
Ich denke, das ist altersbedingt. Man sucht in diesen Jahren nach Offenbarung, nach einem leidlich stabilen Weltbild.
So ab zwanzig ungefähr sollte sich das eigentlich ändern; man wird dann ja erwachsen. Ich habe später zwar mit Genuß und auch Begeisterung Autoren wie Aristoteles, Descartes, Leibniz und Kant gelesen - aber diese Hingabe fehlte.
Ab ungefähr 1967 habe ich mich dann auch brav in Marx vertieft und manches klug und interessant gefunden; aber ein "Marxist" wäre ich nie geworden. Für Bekehrungserlebnisse war ich da schon zu alt. Welch ein Scharlatan er war, habe ich allerdings erst im Lauf der Jahre gemerkt.
Zitat von Zettel Ich denke, das ist altersbedingt. Man sucht in diesen Jahren nach Offenbarung, nach einem leidlich stabilen Weltbild.
Was die Suche angeht, kann ich das bestätigen. Aber ich hatte meinerseits trotz oder gerade wegen des vielfältigen Angebots nie das Gefühl, fündig geworden zu sein. Zwar galt auch mir Marx als die zu bewältigende Herausforderung, aber bis ins Studium hinein blieben die Fragezeichen. Im VWL-Teil meines Wirtschaftsstudiums wurde z.B. der "Hickssche Keynes" gelehrt, aber die Begegnung mit "Public Choice" (immerhin noch als Bestandteil des Studiums) und mit Henry Hazlitts "Economics!" (als Zufallsfund in der Bibliothek) hatte mich gegenüber dem Gelehrten eine andauernde Grundskepsis bewahren lassen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat Unter den Kommunisten war das verordnet. Ich wundere mich immer wieder darüber, daß dieses krude Weltbild auch heute, auch in einer freien Gesellschaft noch so viele Anhänger hat.
Vielleicht liegt es daran, daß sie die Grobschlächtigkeit, die brutale Vereinfachung für Durchblicken halten. Vielleicht liegt es auch an schlechter Ausbildung in wissenschaftlichem Denken.
Es geht darum, sich gut vorzukommen und von seinem gesellschaftlichen Umfeld als gut wahrgenommen zu werden.
Meine Augsburger Regionalzeitung, nicht renommiert aber mit hoher Auflage, hat sich in einem Kommentar dieselbe Erklärung zurechtgelegt. Es geht demnach um Geld und Macht, nicht um Religion aber - jetzt kommt der Logiksalto - genau das wollen die islamistischen Terroristen ändern. Mit anderen Worten: Es geht den Tätern eben doch um Religion, aber wenn man das zugäbe, spielte man ihnen sozusagen in die Hände.
Diese seltsamen Windungen sind der Versuch des Autoren, selbst einen Konflikt zu vermeiden, nämlich den zwischen seinem tollen Eigenbild und dem Urteil seiner sozialen Umgebung. Er hat einfach Angst, als Nicht-so-Gutmensch wahrgenommen zu werden. Spießertum, Bequemlichkeit und Opportunismus sind nach meiner Erfahrung nicht selten und reichen als Erklärung völlig aus. Die Wahrheit über ein afrikanisches Land ist völlig zweitrangig, wenn es um den eigenen gesellschaftlichen Platz geht.
Zitat Zitat von Zettel -------------------------------------------------------------------------------- Ob dieser Autor auch, sagen wir, den Antisemitismus der Nazis so auf seine "ökonomischen Ursachen" zurückführen würde? --------------------------------------------------------------------------------
Das ist überhaupt kein Problem. Geht absolut ruckelfrei. Genau das haben wir in der Schule gelernt.
Ich hatte als Kind ein Jugendlexikon aus der DDR, geschrieben in den siebziger Jahren. Den Eintrag über die Beatles habe ich bis heute aufgehoben:
"Die Beatles waren die erste Beatgruppe, die durch kapitalistische Manipulationen weltbekannt wurden. (...drei Sätze gestrichen ...) Den zersetzenden Einflüssen des Reichtums und der kapitalistischen Vergnügungsindustrie unterworfen, zerfiel die Gruppe 1970/71."
Toll, nicht wahr? Kapitalismus gibt, Kapitalismus nimmt. Und jedes Mal ist es schlecht.
Unter den Kommunisten war das verordnet. Ich wundere mich immer wieder darüber, daß dieses krude Weltbild auch heute, auch in einer freien Gesellschaft noch so viele Anhänger hat.
Du wunderst Dich und doch lieferst Du bereits die Antwort.
Zitat von ZettelVielleicht liegt es daran, daß sie die Grobschlächtigkeit, die brutale Vereinfachung für Durchblicken halten.
Für eine differenzierte Betrachtung bleibt keine Zeit, weder für den Autor noch für den Leser. Mit einer knalligen Überschrift wird um Aufmerksamkeit gebuhlt, wie hier "Es geht nicht um die Religion". Christoph von Marschall überlässt es dem Leser herauszufinden, um was es geht, wenn dieser sich nicht mit "Einfluss und Ressourcen" abspeisen lässt.
Zitat von Christoph von MarschallHintergrund ist ein langer Machtkampf zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden um Einfluss und Ressourcen.
Das mag vielleicht richtig sein, wenn Christoph von Marschall über Nigeria in seiner Gesamtheit spricht, aber selbst da habe ich meine Bedenken. In dem von ihm genannten konkreten Fall, den Anschlägen auf christliche Kirchen, geht es natürlich auch um Einfluss im weitesten Sinn des Wortes, denn die Forderung die Scharia einzuführen könnte als Einflussnahme gedeutet werden. Wenn von Marschall sich aber 5 Minuten Zeit genommen hätte um in Erfahrung zu bringen, wer hinter den Anschlägen steht, dann wäre ihm bewusst geworden, wie unsinnig seine Überschrift ist.
Zitat von ZEITDem Anschlag folgt eine Konfrontation zwischen den religiösen Lagern: Ein Christensprecher droht den Muslimen mit "angemessenen Antworten" im Fall weiterer Attacken.
So schnell kann es gehen und wo bleibt Christoph von Marschall um die ZEIT-Redaktion aufzukären?
Ergänzend vielleicht aus einem Erwachsenenlexikon (BI Elementarlexikon, 2. Auflage, Leipzig 1986): "Beatles ... brit. Gesangs- und Instrumentalformation ..., die die Entwicklung von Beatmusik bzw. Rockmusik nachhaltig geprägt hat und bis zu ihrer Auflösung 1970 zu deren kreativsten Vertretern gehörte. Nach ihrem Vorbild ... " :) mfG
Zitat Ergänzend vielleicht aus einem Erwachsenenlexikon (BI Elementarlexikon, 2. Auflage, Leipzig 1986): "Beatles ... brit. Gesangs- und Instrumentalformation ..., die die Entwicklung von Beatmusik bzw. Rockmusik nachhaltig geprägt hat und bis zu ihrer Auflösung 1970 zu deren kreativsten Vertretern gehörte. Nach ihrem Vorbild ... " :) mfG
Welchen Unterschied doch ein paar Jahre ausmachen!
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