Kurios an dem, was Christian Bangel schreibt, ist nicht der Inhalt. Kurios ist, daß seine Artikel, in denen der Linksextremismus verharmlost und in denen Konserservative mit Epitheta aus dem Schatzkästlein des Karl-Eduard von Schnitzler versehen werden, in der Internetausgabe der immer noch als liberal geltenden "Zeit" erscheinen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß viele derjenigen, welche die DDR nur als älteres Kind oder junger Jugendlicher erlebt haben, geradezu schwärmen davon, wie gut es doch damals war und heute kräftig die antikapitalistische Litanei herunterzelebrieren. Oft sind sie geprägt durch Eltern, die aktiv die sozialistische Welt gestalteten und von ihr profitierten. Die dunkle Seite der DDR haben sie gar nicht kennengelernt und haben heute noch Probleme damit diese kennen zu lernen. 20 Jahre danach mißtraut man den zahlreichen Fakten und hält die Wiedervereinigung für einen gewaltsamen Anschluß. Zu dieser Gruppe gehört wohl Herrn Bangel.
Vielleicht ist es oft auch mangelnde Kompetenz in anderen Dingen, die linke Kräfte dazu bringt sich derart fanatisch dem Kampf gegen Rechts zu widmen. Die Art und Weise, wie dies geschieht, beängstigt mich doch erheblich, da der Umfang dessen, was diese Kräfte bekämpfen wollen ständig, unter Stempelung mit "rechts...", erweitert wird, bis das gesamte System bekämpft werden muß. Sozialismus als Wunsch hat also schon wieder große Konjunktur.
Beste Grüße B.
---------------------------------------------------- Bibliotheken sind eine gefährliche Brutstätte des Geistes
Zitat von BibliothekarVielleicht ist es oft auch mangelnde Kompetenz in anderen Dingen, die linke Kräfte dazu bringt sich derart fanatisch dem Kampf gegen Rechts zu widmen. Die Art und Weise, wie dies geschieht, beängstigt mich doch erheblich, da der Umfang dessen, was diese Kräfte bekämpfen wollen ständig, unter Stempelung mit "rechts...", erweitert wird, bis das gesamte System bekämpft werden muß. Sozialismus als Wunsch hat also schon wieder große Konjunktur.
Es ist in der Tat das, womit wir in der DDR indoktriniert wurden: "bürgerlich - kapitalistisch - imperialistisch - faschistisch" - das ist alles dasselbe, nur in unterschiedlicher Ausprägung.
Ist dieser Autor ein Kommunist? – Nach Zettels Worten nicht. Aber er ist ein willkommener "Verbündeter".
Zitat von HerrIst dieser Autor ein Kommunist? – Nach Zettels Worten nicht. Aber er ist ein willkommener "Verbündeter".
Exakt das. Ich hatte in dem Text erst das Wort "Fellow Traveller" stehen, das dann der Überarbeitung zum Opfer fiel. So - also "Weggenossen" - nannte man alle diese Linken, die selbst keine Kommunisten waren, die aber auf deren Seite standen. Oft aus bürgerlichen Kreisen kommend, meist Intellektuelle.
Das Wort kam in den vierziger und fünfziger Jahren im Westen in Mode. Wie ich gerade aus der Wikipedia gelernt habe, geht es aber auf das revolutionäre Rußland und speziell eine Schrift von Trotzki zurück; der es als eine damals offenbar schon geläufige Bezeichnung für Künstler zitiert, die bereit sind, mehr oder weniger weit mit der Revolution mitzugehen.
Die Kommunisten haben im Rahmen der leninistischen "Bündnispolitik" den Fellow Travellers immer eine wichtige Funktion zuerkannt; bis zur heutigen Partei "Die Linke".
Manchmal wurden eigene Parteien gegründet, um sie gewissermaßen aufzufangen. In der alten Bundesrepublik gwar das die "Deutsche Friedensunion" (DFU), deren Gründung in Ostberlin beschlossen und die von dort aus finanziert und gesteuert wurde. In Frankreich versucht man das gegenwärtig mit der unter Mithilfe Lafontaines gegründeten Partei "La Gauche" (siehe Am deutschen Wesen soll jetzt Frankreich genesen. "Die Linke" bekommt einen französischen Franchise-Partner; ZR vom 28. 11. 2008).
Zu den bekanntesten bürgerlichen Weggenossen der Kommunisten in Deutschland gehörte zum Beispiel Klara Faßbinder (das "Friedensklärchen") und die Vorsitzende der DFU, Renate Riemeck, die Ziehmutter von Ulrike Marie Meinhof.
Für die Kommunisten haben die Fellow Travellers eine doppelte Funktion: Erstens sind sie Propagandisten. Sie wehren Angriffe gegen die Kommunisten ab, geben diesen Legitimation, verharmlosen den Kommunismus. Zweitens sind sie ein Reservoir, aus dem sich die Rekrutierung von Genossen speist.
Viele haben als Fellow Travellers angefangen, bevor sie richtige Parteikommunisten wurden. Ulrike Meinhof ist ein klassisches Beispiel. Sie wurde über die Bewegung "Kampf dem Atomtod" politisiert, die ebenso unter dem Einfluß der SED und der KPD (später dann DKP) stand wie später die "Friedensbewegung", deren "Krefelder Appell" zum Beispiel ein Werk der DKP war. Sie trat dann in die damals illegale KPD ein und reiste regelmäßig nach Ostberlin, um sich Instruktionen zu holen. Nach außen aber war sie als "Konkret"-Redakteurin politisch unabhängig. Die SED hatte sogar befohlen, daß in jedem Heft von "Konkret" aus Tarnungsgründen ein DDR-kritischer Artikel erscheinen mußte.
Was Christian Bangel angeht, lieber Herr: Er hat, ich habe das zitiert, sich politisch bei den "Grünen" engagiert. Daß er kein Kommunist ist, entnehme ich auch dem Artikel von ihm, den ich hier kommentiert habe.
Was Bibliothekar zu denen schreibt, die beim Ende der DDR noch Kinder oder Jugendliche waren, das wurde mir kürzlich von jemandem aus den Neuen Ländern bestätigt: Diese Generation hat wenig von der Repression in der DDR mitbekommen, weil man dafür zu jung gewesen war. Sie erinnern sich jetzt an die tollen Geländespiele bei den Jungen Pionieren und der FDJ, an die Belobigungen und Auszeichnungen, die man mit Stolz entgegennahm usw. und verklären die DDR.
Was ihnen ja unbenommen ist. Was mich zu dem Artikel veranlaßt hat, ist der Umstand, daß solche Autoren, die ja gern in ultralinken Organen schreiben dürfen, heute ihren Platz bei "Zeit-Online" haben.
Das zeigt, wie sehr sich das politische Koordinatensystem in Deutschland verschiebt.
Zitat Kommt darauf an. (...) ... besteht sein Linksextremismus darin, gesellschaftliche Güter – Geld, Bodenschätze, Arbeitskraft – radikal umverteilen zu wollen? Dann ist er vielleicht ein Dogmatiker, vielleicht ein Träumer. Jedenfalls ist er weder menschenverachtend noch gefährlich für andere.
Man beachte, dass es bei Bangel nur gesellschaftliche Güter gibt, obwohl er natürlich von der Umverteilung von Privateigentum spricht. Woher wissen wir denn eigentlich, dass er kein Kommunist ist?
Zitat Ich habe die Erfahrung gemacht, daß viele derjenigen, welche die DDR nur als älteres Kind oder junger Jugendlicher erlebt haben, geradezu schwärmen davon, wie gut es doch damals war und heute kräftig die antikapitalistische Litanei herunterzelebrieren. Oft sind sie geprägt durch Eltern, die aktiv die sozialistische Welt gestalteten und von ihr profitierten. Die dunkle Seite der DDR haben sie gar nicht kennengelernt und haben heute noch Probleme damit diese kennen zu lernen.
Woher denn auch? Im Westen herrscht "political correctness": man hat Angst, die Ostdeutschen kollektiv zu beleidigen, wenn man "ihr" Land korrekt als Schurkenstaat beschreibt. Andersherum hat man uns eingetrichtert, dass man sich für den Westen nicht beleidigt fühlen darf, wenn Mitbürger Ihre Anhänglichkeit an ein feindliches System demonstrieren, denn wir sind ja die "Sieger" und müssen großmütig sein. Nut fühle ich micht schon lange nicht mehr als Sieger. Im Deutschland von 2012 kann man nicht zu links sein, und das ist unter anderem auch ein Ergebnis der Wiedervereinigung, die den Antikommunismus faktisch erledigt hat.
Zitat von WFI Im Deutschland von 2012 kann man nicht zu links sein, und das ist unter anderem auch ein Ergebnis der Wiedervereinigung, die den Antikommunismus faktisch erledigt hat.
Ich hatte, lieber WFI, im Herbst/Winter 1989 und Früjahr/Sommer 1990 diese Entwicklung nicht erwartet, wie vermutlich die meisten in Ost und West nicht.
Wir waren der Überzeugung, daß der Kommunismus einer friedlichen Revolution zum Opfer gefallen und damit erledigt sei. Was hatten wir alles nicht bedacht, jetzt im Rückblick analysiert?
1. Revolutionen erzeugen oft Konterrevolutionen und Restaurationsversuche. Selbst die Bourbonen, deren scheinbar Letzter 1793 guillotiniert worden war, kehrten noch einmal an die Macht zurück.
2. Die Linke im Westen verfiel nur kurz einer Schockstarre, als herauskam, daß die DDR ganz anders gewesen war, als sie sie gesehen hatte (und als viele es ihr geglaubt hatten. Wie nachgerade absurd falsch man damals in der Bundesrepublik die DDR sah, habe ich hier einmal beschrieben). Der Schock war schnell vorbei, und alsbald erkannten Westlinke ihre Chance, durch Zusammenarbeit mit den DDR-Linken ihre Macht zu erweitern. Ein Musterbeispiel ist der heutige "Linke"-Funktionär Dieter Dehm, den ich in den siebziger Jahren als Sozialdemokraten erlebt habe; damals sang er als "Lerryn" auf dem Maifest unseres SPD-Ortsvereins.
3. Wir haben den langen Atem des Kommunismus sträflich unterschätzt. Gysi hat einmal in einer Diskussion darauf hingewiesen, daß die Katholische Kirche zweitausend Jahre lang alle Niederlagen und Rückschläge überstanden hat und dann sinngemäß hinzugefügt: "Da werden wir doch nicht nach neunzig Jahren aufgeben". (Es war in einer Talkshow. Leider habe ich den Wortlaut des Zitats nicht ergoogeln können. Vielleicht kennt ihn jemand?). Es war naiv, anzunehmen, daß die Kommunisten auf die Wiedererrichtung der DDR auf gesamtdeutscher Ebene verzichten würden. Sie haben dieses Ziel keinen Augenblick in Frage gestellt.
4. Nach der Wiedervereinigung hat sich gerächt, daß in der Bundesrepublik kein stabiles Staatsbewußtsein entstanden war. Die deutsche Identität werde durch die D-Mark konstituiert, nicht durch Werte und Institutionen, sagte man damals. Es gelang der von den Kommunisten inhaltlich dominierten Linken deshalb leicht, die Meinungsführerschaft zu erwerben (Auch bei manchen Beiträgen hier im Forum bin ich entsetzt darüber, wie wenig die Betreffenden unseren Staat bejahen und verteidigen - niemand, der so denkt, soll sich beklagen, wenn dieser Staat der Linken zum Opfer fällt).
5. Und schließlich gibt es den Gute-Alte-Zeit-Effekt. In der Erinnerung vieler DDR-Bürger verblaßt die Repression und die Armut unter dem kommunistischen System, während das, was sie als positiv in Erinnerung haben, immer lieblichere Züge annimmt. Ich kenn das von meiner Großmutter, die im Kaiserreich aufwuchs. Das war in ihrer Erinnerung alles wunderbar gewesen, und ein Ei kostete nur drei Pfennige.
Herzlich, Zettel
Edit: Da hatte irgendwo statt "SPD" "SED" gestanden. Nein, nix Freud. Nur den rinken und lechten Finger verwechselt. . Dank an Techniknörgler, der das zu Recht benörgelt hat.
EditEdit: Und der arme Louis XVI starb natürlich 1793 unter der Guillotine, nicht 1783. Danke an Patzer, der mich auf diesen Tippfehler aufmerksam gemacht hat.
Zitat von BibliothekarIch habe die Erfahrung gemacht, daß viele derjenigen, welche die DDR nur als älteres Kind oder junger Jugendlicher erlebt haben, geradezu schwärmen davon, wie gut es doch damals war und heute kräftig die antikapitalistische Litanei herunterzelebrieren.
Ich glaube nicht, dass das speziell mit DDR-Jugend zu tun hat.
Diese „Angst vor …“-Konstruktion wird ja nicht nur gegen den Phantomkonservatismus aufgefahren, sondern ist eine standardisierte Phrase der Notwehrrhetorik. Einmal in der Opferposition, lebt es sich äußerst komfortabel. Nach normaler Wertung im Bereich von unmoralisch bis kriminell liegende Handlungen bekommen so die höheren Weihen des Abwehrkampfes, bei dem es (das ist dann aber nicht die Schuld des Täters) manchmal auch verbal ausfällig oder körperlich gewalttätig zugeht.
Einmal installiert, entwickelt die Pogromstimmung ein Eigenleben. Dann fällt nicht mehr auf, wenn uns die Online-Ausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung belehrt: Zur Durchsetzung ihrer Ziele bedient sich die Antifa diverser Methoden des zivilen Ungehorsams…. ….darunter zählen Sitzblockaden, Sachbeschädigungen oder Gewalt gegen Personen. Eindeutig kriminelle Handlungen werden nicht nur vom linken Rand zu „Gewaltsamer Widerstand gegen NPD-Lokalpolitiker“ hochgejubelt, sondern auch von der angeblich alltäglich couragiert die Demokratie verteidigenden „vierten Gewalt“. So wie das Wertesystem der veröffentlichten Meinung generell neben der Spur liegt. Obwohl die Staatsmacht mit einem rational nicht zu begründenden Eifer gegen nichtlinke Aktivisten vorgeht (für die Battke-Bekämpfung haben die mit allen Verästelungen bestimmt schon ein Mannjahr verplempert, der Nazi-Jäger will nationalsozialistische Autodiebstähle in einer Sonderstatistik erfassen), wird ihr vom Feuilleton regelmäßig vorgehalten „auf dem rechten Auge blind“ zu sein. Obwohl die Staatsmacht mit einem rational nicht zu begründenden Eifer rote Gewalttäter nicht bestraft (maximal 5% der roten Straftäter werden verurteilt), erheben die Medien nicht mal zwischen den Zeilen den Vorwurf der Blindheit auf dem linken Auge.
Begründung für diese verdrehte Weltsicht ist die Furcht. Der feministische Mob fürchtet den „Backlash“, das sich selbst als „Antifa“ bezeichnende Sammelsurium von Schlägern und Brandstiftern und Steinewerfern fürchtet die Wiederauferstehung des dritten Reichs, die Frauenschützerinnen fürchten Gewalt gegen Frauen, die Sozialisten fürchten das konservative Rollback, die Helferindustrie fürchtet Armut, die Gewerkschaften fürchten neoliberalen Mainstream und Rückkehr des Manchesterkapitalismus, die Antirassismusindustrie fürchtet Rassismus, die Schwulen fürchten Homophobie, die Lesben (zwar noch nie ernsthaft verfolgt) fürchten fleißig mit, die Antidiskriminierungsindustrie fürchtet Diskriminierung, die Kinderschützerinnen fürchten Kinderpornografie, die Moslems fürchten Islamophobie, die Ausländervereine fürchten Xenophobie, die Klimaindustrie fürchtet Weltuntergang und alle fürchten sich vor dem Zwickauer[ganz viele Kraftausdrücke]trio.
All diese vor Ideologie triefenden „Angst vor“-Texte sind arm an Fakten und überstehen nicht mal die erste Plausibilitätsprüfung. Das fällt kaum auf, weil Abweichler nicht mitreden dürfen.
Kann sein, Bangel dichtet sich eine (an wie viele DDR-Weihnachtsbäume kann der sich wirklich erinnern?) DDR-Identität an und spielt deshalb besonders engagiert für den Antikapitalismus- und Antikonservatismus-Zweig der „Angst vor“-Industrie. Doch alle anderen "Angst vor"-Kampagnen laufen nach dem gleichen Schema. Deshalb ist meiner Meinung nach die DDR (Klimawandel und die meisten anderen Ängste gab es in der DDR nicht) dabei eine Nebensache.
Zitat von Zettel3. Wir haben den langen Atem des Kommunismus sträflich unterschätzt. Gysi hat einmal in einer Diskussion darauf hingewiesen, daß die Katholische Kirche zweitausend Jahre lang alle Niederlagen und Rückschläge überstanden hat und dann sinngemäß hinzugefügt: "Da werden wir doch nicht nach neunzig Jahren aufgeben". (Es war in einer Talkshow. Leider habe ich den Wortlaut des Zitats nicht ergoogeln können. Vielleicht kennt ihn jemand?).
Das sagt Gysi gern in dieser oder jener Form. Google hat´s schwer gesprochenen Text zu finden. Einmal hat der Donau-Kurier freundlicherweise mitgeschrieben. In der Uni Eichstätt hat er nicht von 90, sondern einem "70-jährigen verfehlten Experiment" gesprochen. Aber der Tenor ist der gleiche.
Was mich - zusätzlich zu dem hier bereits Kommentierten - immer zusätzlich fuchst, ist diese Masche, Ungeliebtes mit dem Präfix "neo" zu versehen. Liberal sein wollen alle, aber "neoliberal" ist gleichbedeutend mit böse, weil auch wirtschaftliche Freiheit mit einschließend. Und konservativ sein ist auch noch irgendwie tolerierbar, aber "neokonservativ" ist böse, weil sich dem Aussterben verweigernd.
Und all das ungeachtet dessen, dass "neoliberal" und "neokonservativ" seit geraumer Zeit feststehende Begriffe für sehr konkrete Positionen sind, die mit den Inhalten, welche mit dem von mir ab jetzt so genannten jeweiligen "Deppen-Neo" verbunden werden, nur sehr wenig gemein haben.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
wie Sie verstehe ich das Voransetzen von "Neo" als Versuch grünlinker Kreise, positive Begriffe als negativ zu verzerren.
Allerdings scheint mir die böse Absicht noch viel umfassender. Schon "liberal" oder "konservativ" ist für die böse. Neo soll wohl ausdrücken, schon der Originalbegriff ohne "Neo" hat sich als schlecht bewiesen, die Neowasauchimmer sind also die ganz unbelehrbaren und zu keiner Erkenntnis Fähigen.
Sollte man vielleicht den Spieß umdrehen und parodierenderweise von NeoSED sprechen? Die Leute, die wieder "Atomkraft nein danke!" Aufkleber verwenden, währen nach solcher Logik dann Neoumweltschützer. Oder tut man den Neoaktivisten zuviel der Ehre an, wenn man deren Sprache imitiert?
Zitat von H_WSollte man vielleicht den Spieß umdrehen und parodierenderweise von NeoSED sprechen? Die Leute, die wieder "Atomkraft nein danke!" Aufkleber verwenden, währen nach solcher Logik dann Neoumweltschützer. Oder tut man den Neoaktivisten zuviel der Ehre an, wenn man deren Sprache imitiert?
Das war mir, lieber H.W., auch schon durch den Kopf gegangen.
Ich habe erwogen, statt "umbenannte SED" usw. kurz "Neokommunisten" zu schreiben; was es exakter trifft als einfach "Kommunisten", denn in manchem hat sich die Partei ja verändert - sie ist keine Kaderpartei mehr; die von Marx (in der marxistisch-leninistischen Interpretation) vorgegebenen Ziele Diktatur des Proletariats --> Sozialismus --> Kommunismus werden in der Regel nicht mehr genannt (außer Frau Lötzsch verplappert sich).
Historisch ist es, glaube ich, so, daß das "Neo" lange Zeit ganz neutral verwendet wurde, um das Wiederaufleben von etwas zu bezeichnen. Im 19. Jahrhundert gab es zum Beispiel als Baustil die Neogotik, später den Neoklassizismus. In der Theologie den Neothomismus, in der Philosophie die Neukantianer, englisch Neokantians, in der Psychotherapie die Neofreudianer. Und auch - man staune - in der Politik die Neomarxisten!
In diesem ganz neutralen Sinn sprach man auch vom Neoliberalismus der Schule von Chicago, die sich auf den klassischen Liberalismus der österreichischen Schule stützte. Ebenso nannten sich die Neconservatives selbst so; sie wollten die konservative politische Philosophie wiederbeleben (und waren "neo" noch in dem zweiten Sinn, daß viele von ihnen Linke gewesen waren).
Es ist eine der Meisterleistungen der linken Propaganda, dieses "Neo" mit einer negativen Bedeutung versehen zu haben, indem man einfach in einem stets abwertenden Sinn von den "Neokonservativen" und dem "Neoliberalismus" sprach und schrieb.
Das hat im Kommunismus eine lange Tradition - dieses systematische Herabwürdigen von Begriffen durch den Propaganda-Apparat. Etwa von Begriffen wie "rechts", "Profit", ja inzwischen sogar "Finanzmärkte".
Was Bangel schreibt, ist geradezu typisch für den - wie soll ich sagen - Habitus der europäischen Linken im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.
Da ist zum einen die Angst, das Wiedererstarken des Faschismus nicht rechtzeitig zu bemerken und zu spät zu Widerstandsmaßnahmen zu greifen. Jean Améry hat in einem Essay über Sartre gemeint, dass dieser in seinem weiteren Leben überall den Faschismus sah, nachdem er ihn während seines Berlin-Aufenthalts in den Jahren 1933/34 nicht wahrgenommen hatte. Unter diesem Trauma leidet die Linke (nicht als Partei, sondern als Spektrum verstanden) noch heute, und dies ist die Ursache für ihre Überkompensationsmechanismen. Es ist letztlich auch diese Angst, die z.B. die Nazi-Leaker, aber auch viele Journalisten motiviert. Man möchte, wenn der Faschismus wiederkehren sollte, einer der Ersten gewesen sein, die sich dagegen gestellt haben. Dabei verhält sich die Linke ein bisschen wie der Hüterbub, der ständig zu Unrecht um Hilfe gegen den bösen Wolf schreit. Und als dann Meister Isegrim wirklich auftaucht, hält jeder die Hilferufe des Hirtenjungen für unberechtigt. Wohlgemerkt: Ich unterstelle der Linken nicht, dass sie - so wie der Hüterbub - aus Mutwillen inflationär vor dem Faschismus warnt. Sie tut es für ihr Ansehen in der Nachwelt.
Linke sind gegen sog. Neokonservative allergischer (man verzeihe diesen Komparativ) als gegen traditionelle Konservative. Letztere werden zwar von den Linken verachtet, kreuzen deren Bahnen aber nicht. Sie bedienen eine völlig andere Klientel, die gegen den linken Habitus immun ist. Wobei nicht verkannt werden darf, dass sich die heutige Linke in einigen Punkten in gewisser Weise traditionell konservativ geriert. Mit den Neokonservativen haben die Linken hingegen die folgenden Probleme: Vielfach handelt es sich bei den Neokonservativen um Menschen, die sich vor dem 9.11.1989 oder dem 11.9.2001 (um der Plakativität wegen zwei Daten herauszugreifen) als links bezeichnet haben. Neokonservativen haftet also der Geruch des Verräters an. Zum anderen gemahnen die Neokonservativen die Linken an deren Geschichte, nämlich daran, dass gemäßigtes Linkssein dereinst mit dem Einstehen für Menschenrechte überall auf der Welt, Aufstieg durch Bildung und mit einem mehr oder weniger großen Schuss Bürgerrechtsliberalismus einherging. Der linke Mainstream hat sich von diesen Positionen entfernt. Neokonservative (zumindest die Liberal-Neokonservativen) setzen diese Tradition jedoch fort. Schließlich hat der Neokonservatismus - im Gegensatz zum traditionellen Konservatismus, aber auch zum heutigen linken Mainstream - einen fortschrittlichen Appeal. Er ist - um es in der Sprache dieser Tage zu sagen - sexy oder besser formuliert: vital. Dies war früher ein Charakteristikum der Linken. Die heutige Linke hingegen wirkt oberlehrerhaft, in ihren von der Realität widerlegten Theorien verfangen und verstaubt. Sie beneidet den Neokonservatismus also um dessen Attraktivität.
Außerdem operiert die Linke gemäß dem Kabelbinder-Prinzip: Sie lässt Bewegungen "rechter" Parteien nur in die eine (die linke), aber nicht in die andere (die "rechte") Richtung zu. Dies ist einer der Gründe, warum eine Ministerin Köhler in einer unter Merkel weit nach links gerutschten CDU als unerträglich konservativ erscheinen muss. Deshalb auch die Kassandrarufe bezüglich einer rechtspopulistischen Partei: Alles, was rechts der Merkel-CDU entstünde, wäre nach der per Kabelbinder-Prinzip erfolgten Neujustierung des politischen Kompasses rechtspopulistisch und damit nicht salonfähig.
Zitat von ZettelEs ist eine der Meisterleistungen der linken Propaganda, dieses "Neo" mit einer negativen Bedeutung versehen zu haben, indem man einfach in einem stets abwertenden Sinn von den "Neokonservativen" und dem "Neoliberalismus" sprach und schrieb.
Meine Vermutung ist, daß "Neo" den negativen Beigeschmack bekam, weil es lange Zeit (nur) für "Neo-Nazi" verwendet wurde. Das war lange Zeit der einzige "Neo"-Begriff mit verbreiteter Verwendung. Und in dieser Zeit bekam er den Beigeschmack des Unbelehrbaren.
So nach dem Motto: Wenn jemand eine Position mal hat, und bleibt dabei - das ist halt schwer zu ändern.
Aber wenn da ein Junger kommt, und sich mutwillig und gegen besseres Wissen eine Position auswählt, die bekanntermaßen längst diskreditiert ist - dann ist das besonders verwerflich.
Und in diesem Sinne wurde dann ja auch "Neo-Liberalismus" inszeniert (von Leuten, die wohl überhaupt nicht wußten, daß es diesen Begriff schon gab).
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