Viele Artikel in ZR werden durch Beiträge hier im kleinen Zimmer angeregt. Diese Marginalie wurde nicht nur das, sondern sie ist im wesentlichen die Zusammenfassung einer Diskussion, die gestern hier geführt wurde. Deshalb mein besonderer Dank an Florian und an FTT_2.0!
Naja, das ist sehr Spitzfinding. Die Koalition hatte nicht die Mehrheit der Sitze aus eigenen Reihen. Das als Massstab zu nehmen, wurde auch unter Rot-Grün gemacht, etwa als Kanzler Schröder die Abstimmung zu Afghanistan (?) mit der Vertrauensfrage verband um die eigene Koalition zu disziplinieren, obwohl die Union bei 'normaler' Abstimmung zugestimmt hätte.
Der Schlüssel liegt in der Verknüpfung der Begriffe "Vertrauensfrage" und "Kanzlermehrheit" - seit Gerhard Schröder ist diese Verbindung vielen Menschen wenn auch nur unbewusst vertraut.
Das Ziel der Opposition ist es, die Rettungspaket-Abstimmungen im Nachhinein wie Vertrauensfragen aussehen zu lassen; Gerhard Schröder hat gewichtige Fragen, bei denen er sich einer eigenen Mehrheit nicht sicher war, so durch das Parlament gebracht. Und bei ihm war die Kanzlermehrheit tatsächlich wichtig.
Nun versucht man - sehr erfolgreich - aus Reihen der Opposition, die Abstimmungen zu den Euro-Rettungspaketen in Vertrauensfragen umzudeuten. Deswegen wird von Kanzlermehrheit geredet. Obwohl in der Realität Angela Merkel keine Vertrauensfrage gestellt hat. Auf diesem Wege wird das Bild einer zerrütteten Regierungskoalition erzeugt.
Dass die Presse diesem Oppositionsmanöver (bereitwillig) auf den Leim gelegt, zeigt, wie wenig objektive Berichterstattung zählt - Skandalisierung, Hysterisierung und Meinungsmache stehen im Vordergrund.
Zitat von DagnyNaja, das ist sehr Spitzfinding. Die Koalition hatte nicht die Mehrheit der Sitze aus eigenen Reihen. Das als Massstab zu nehmen, wurde auch unter Rot-Grün gemacht, etwa als Kanzler Schröder die Abstimmung zu Afghanistan (?) mit der Vertrauensfrage verband um die eigene Koalition zu disziplinieren, obwohl die Union bei 'normaler' Abstimmung zugestimmt hätte.
Es war eine Mehrheit aus den eigenen Reihen:
Zitat von abgeordnetenwatch.de Selbst wenn die Opposition geschlossen mit "nein" gestimmt hätte, wäre es mit den Ja-Stimmen aus dem Regierungslager somit zu einer klaren Mehrheit von 304 zu 267 Stimmen für das Rettungspaket gekommen.
Aber was soll das ganze. Mehrheit ist Mehrheit. Die Disziplinierung war gar nicht notwendig, die Abweichler waren davor sicher bekannt und die Anzahl der Abstimmenden auch. Damit war klar, dass auch wenn die Opposition überraschend anders stimmt das Ergebnis reicht.
Das ist sachlich natürlich alles richtig. Trifft aber nicht den politischen Kern. Das politische Problem der Regierung ist, daß immer mehr ihrer Abgeordneten am Sinn der "Euro-Rettung" zweifeln und ihr im Parlament nicht zustimmen. Es wurde ja massiver Druck ausgeübt, um möglichst alle Regierungs-Abgeordneten zu einer Ja-Stimme zu bewegen - ob es bei wirklich freier Entscheidung nur über die Sache überhaupt eine Parlamentsmehrheit gegeben hätte, ist eine interessante Frage. An der angeblichen "Kanzlermehrheit" macht sich also das Bemühen der Regierung um eine möglichst geschlossene Abstimmungsfront fest. Das Verfehlen der "Kanzlermehrheit" ist ein Synonym dafür, daß diese Geschlossenheit bröckelt.
Das Ganze ist eine typischer Berliner Innensichtlage. Die Presse ist hier m. E. nicht der treibende Part, sondern nimmt nur die Maßstäbe und Stimmungen auf, die bei den Akteuren im Parlament diskutiert werden.
Zitat von strubbi77Die Disziplinierung war gar nicht notwendig,...
Das kann man so nicht sagen. Keiner weiß, wie das Ergebnis ohne "Disziplinierung" ausgesehen hätte. Die Fraktionsführungen hielten sie jedenfalls für nötig, haben also ein deutlich anderes Ergebnis befürchtet.
Zitat von ZettelSo ist es: Die "Kanzlermehrheit" trägt diesen Namen, wie auch anders, deswegen, weil es sich um die zur Wahl des Kanzlers erforderliche Mehrheit handelt. Diese wird mit einer Mehrheit der Mitglieder des Bundestags erreicht. Aus welcher Partei sie kommen, spielt keine Rolle. Bei der Wahl des Kanzlers ist das auch gar nicht zu ermitteln, da sie bekanntlich geheim ist.
Also hatte Angela Merkel bei der Abstimmung über das Zweite Rettungspaket für Griechenland die Kanzlermehrheit; sie hat sie sogar deutlich überschritten.
Wie kamen die falschen Überschriften, die irrigen Kommentare zustande? Offenbar wurde der Begriff der "Kanzlermehrheit" umdefiniert. Aber wie eigentlich?
Ich sehe das nach wie vor anders. Man kann ja über die Sinnhaftigkeit des Konzepts streiten, aber der allgemeine Sprachgebrauch der Berliner Journalisten und zumindest ein kleiner Forant in Zettels Zimmerlein verstehen unter "Kanzlermehrheit" scheinbar eine absolute Mehrheit der MdB'n, die zugleich aus den Reihen den Regierungsfraktionen kommen, also eine "absolute eigene Mehrheit" oder anders eine absolute Mehrheit, auf deren Zustimmung die Bundesregierung "gewohnheitsmäßig" vertrauen kann . Wikipedia und viele andere definieren "Kanzlermehrheit" schlicht als eine Mehrheit von "x >= 1/2 * #N MdB + 1". Nachdem der Begriff nirgendwo letztgültig juristisch festgelegt ist, besteht eben Uneinigkeit über seinen Inhalt.
Für mich sieht es also in der Konsequenz so aus: - Hatte die Regierung am Montag diese ominöse "Kanzlermehrheit"? Nein. - Hat das irgendwelche rechtlichen Konsequenzen? Natürlich nicht. - Bedeutet das, dass die politische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung beschränkt ist? In meinen Augen: Nein.
P.S. Ich fühle mich natürlich geehrt, einen Mitanstoß gegeben zu haben.
Zitat Selbst wenn die Opposition geschlossen mit "nein" gestimmt hätte, wäre es mit den Ja-Stimmen aus dem Regierungslager somit zu einer klaren Mehrheit von 304 zu 267 Stimmen für das Rettungspaket gekommen.
...oder wurden hier die 90 Nein-Stimmen vergessen, die es gegeben hat. Denn mit 304 zu (267+90)=357 hätte die Ja-Fraktion die Abstimmung doch verloren.
Zitat von vielleichteinlinkerVerrechne ich mich da so massiv?
Zitat Selbst wenn die Opposition geschlossen mit "nein" gestimmt hätte, wäre es mit den Ja-Stimmen aus dem Regierungslager somit zu einer klaren Mehrheit von 304 zu 267 Stimmen für das Rettungspaket gekommen.
...oder wurden hier die 90 Nein-Stimmen vergessen, die es gegeben hat. Denn mit 304 zu (267+90)=357 hätte die Ja-Fraktion die Abstimmung doch verloren.
Die Abstimmung ging 496 zu 95 aus(90 Nein, 5 Enthaltungen) + 29 Abwesende Davon waren: CDU/CSU: 219 zu 15 (13+2) + 3 SPD: 129 zu 8 (7+1) +9 FDP: 85 zu 5 (4+1) + 3 Linke: 0 zu 66 (66+0) + 10 Grüne: 63 zu 1(0+1) + 4 Von der Opposition kamen 129+63 Ja-Stimmen. 192. Bedeutet ihre Rechnung müßte 304 zu (192+90"+5") = 282(287) lauten.
Ja, Zettels (und meine) Argumentation ist spitzfindig.
Allerdings ist das nur die Antwort auf eine spitzfindige und zudem falsche Interpretation der Medien.
Zitat Die Koalition hatte nicht die Mehrheit der Sitze aus eigenen Reihen. Das als Massstab zu nehmen, wurde auch unter Rot-Grün gemacht, etwa als Kanzler Schröder die Abstimmung zu Afghanistan (?) mit der Vertrauensfrage verband um die eigene Koalition zu disziplinieren, obwohl die Union bei 'normaler' Abstimmung zugestimmt hätte.
Dieser Maßstab wurde während der Schröder-Jahre genau 2 Mal angelegt. Nämlich genau in jenen beiden Fällen, in denen Schröder die Vertrauensfrage stellte. Das hat Merkel aber nicht getan. Niemand kann wissen, wie die Abstimmung ausgegangen wäre, wenn Merkel sie mit der Vertrauensfrage verknüpft hätte. Ich halte es aber für extrem unwahrscheinlich, dass Merkel in diesem theoretischen Fall ihre Kanzlermehrheit nicht bekommen hätte, selbst dann, wenn die Opposition geschlossen dagegen gestimmt hätte.
Es ist nun aber total idiotisch, von einer Kanzlerinnen-Dämmerung zu sprechen, weil Merkel bei einer normalen Abstimmung aus den eigenen Reihen keine Kanzlermehrheit bekommen konnte. Einen solchen Anspruch hat man (völlig zu recht) in der Vergangenheit noch nie gestellt. Weder bei Merkel noch bei Schröder.
Inhaltlich ist natürlich völlig richtig, dass sich deutlich zeigt, dass die Regierung in den eigenen Reihen auf zunehmenden Widerstand stösst. Und die Euro-Krise könnte sogar irgendwann zum Sturz Merkels führen. Sie braucht eine stabile Parlamentsmehrheit aus den eigenen Reihen und es würde ihr im Ernstfall dann auch nichts nützen, wenn sie Stimmen aus der Opposition bekommt. [Es gibt da einen historischen Präzendenzfall: Kanzler Schmidt hatte bei der Nachrüstung durchaus die Opposition auf seiner Seite. Das reicht aber nicht, wenn ihm gleichzeitig die eigenen Leute nicht mehr vertrauen]. Dieser inhaltlichen Analyse würde ich zustimmen. Das ändert aber nichts daran, dass die Darstellung der fehlenden Kanzlermehrheit in den Medien schlicht falsch ist.
Zitat von strubbi77Bedeutet ihre Rechnung müßte 304 zu (192+90"+5") = 282(287) lauten.
Nein, lieber Struppi. Ich habe aufgrund der Kritik die Rechnung jetzt noch einmal nachgeprüft.
Man muß selbstredend unterscheiden zwischen Abgeordneten, die sich enthalten haben, und solchen, die gar nicht da waren, sondern im Urlaub, Krankenhaus oder wo immer. Nur diejenigen, die da waren, konnten gegen das Gesetz stimmen.
Das waren
von der SPD 137 (129 ja, 7 nein, 1 Enthaltung)
von den Grünen 64 (63 ja, 1 Enthaltung)
von den Kommunisten 66 (alle nein)
Macht also nach Adam Riese 137 + 64 + 66 = 267 anwesende Abgeordnete der Opposition. Soviele hätten maximal mit "nein" stimmen können.
Von den anwesenden Abgeordneten der Regierungsparteien haben mit "ja" gestimmt 181 der CDU, 85 der FDP und 38 der CSU, zusammen also 304.
Ohne jede Unterstützung durch die Opposition wäre die Abstimmung somit 304 zu 267 für das Gesetz ausgegangen.
Zitat von ZettelMacht also nach Adam Riese 137 + 64 + 66 = 267 anwesende Abgeordnete der Opposition. Soviele hätten maximal mit "nein" stimmen können.
Von den anwesenden Abgeordneten der Regierungsparteien haben mit "ja" gestimmt 181 der CDU, 85 der FDP und 38 der CSU, zusammen also 304.
Ohne jede Unterstützung durch die Opposition wäre die Abstimmung somit 304 zu 267 für das Gesetz ausgegangen.
w.z.b.w.
Herzlich, Zettel
Sie vergessen die Neinstimmen und Enthaltungen der Koalition in ihrer Rechnung. Dies waren CDU/CSU: 15 (13+2) FDP: 5 (4+1) Ergibt nochmal 20 zuätzliche Gegenstimmen, damit wären wir bei den von mir in Klammer geschriebenen 287.
Zitat von strubbi77Sie vergessen die Neinstimmen und Enthaltungen der Koalition in ihrer Rechnung. Dies waren CDU/CSU: 15 (13+2) FDP: 5 (4+1) Ergibt nochmal 20 zuätzliche Gegenstimmen, damit wären wir bei den von mir in Klammer geschriebenen 287.
Diese spielen, lieber strubbi 77, für die Frage keine Rolle, um die es mir ging: Ob die Koalition eine Mehrheit gehabt hätte, auch wenn die Opposition geschlossen mit "nein" gestimmt hätte. Dafür sind allein die "Ja"-Stimmen aus der Koalition und die maximal erreichbare Zahl der "Nein"-Stimmen der Opposition zu berücksichtigen.
Für die Gesamtrechnung sind natürlich die von Ihnen genannten "Nein"-Stimmen und Enthaltungen aus der Koalition einzubeziehen. Aber die Aussage, um die es mir ging - die Koalition hatte soviele "Ja"-Stimmen, daß das Gesetz auch bei geschlossener Ablehnung durch die Opposition beschlossen worden wäre; hatte also eine "eigene Mehrheit" - basiert allein auf dem Vergleich, den ich angestellt habe.
Die "Nein"-Stimmen und Enthaltungen aus der Koalition wären erst dann relevant geworden, wenn sie, addiert zu der maximalen Zahl von "Nein"-Stimmen aus der Opposition, die Zahl der "Ja"-Stimmen aus der Koalition übertroffen hätten. Erst dann wäre die "eigene Mehrheit" verloren gewesen.
Zitat von strubbi77Sie vergessen die Neinstimmen und Enthaltungen der Koalition in ihrer Rechnung. Dies waren CDU/CSU: 15 (13+2) FDP: 5 (4+1) Ergibt nochmal 20 zuätzliche Gegenstimmen, damit wären wir bei den von mir in Klammer geschriebenen 287.
Diese spielen, lieber strubbi 77, für die Frage keine Rolle, um die es mir ging: Ob die Koalition eine Mehrheit gehabt hätte, auch wenn die Opposition geschlossen mit "nein" gestimmt hätte. Dafür sind allein die "Ja"-Stimmen aus der Koalition und die maximal erreichbare Zahl der "Nein"-Stimmen der Opposition zu berücksichtigen.
Ich habe mir jetzt noch einmal den Artikel angeschaut und gesehen, daß es darin einen Satz gab, der in der Tat mißverständlich war: "Selbst wenn die Opposition geschlossen mit "nein" gestimmt hätte, wäre es mit den Ja-Stimmen aus dem Regierungslager somit zu einer klaren Mehrheit von 304 zu 267 Stimmen für das Rettungspaket gekommen". Gemeint war "klaren Mehrheit von 304 über deren 267 Stimmen ...".
Insofern muß ich Ihnen, lieber strubbi77, doch Recht geben. Ich habe das jetzt so umformuliert, daß es klarer ist und auch noch einen Satz hinzugefügt, der das berücksicht, was Sie geschrieben haben - plus einen Dank an Sie in der Fußzeile.
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